Rat / Ratgeber / Berater
(erstellt: Mai 2020)
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Der Artikel behandelt Erzählungen von Ratgeberfiguren im Alten Testament und bespricht Texte, die auf das Auftreten, Handeln und Wirken von Ratgebern in der prophetischen und weisheitlichen Literatur des Alten Testaments hinweisen; befragt werden auch erzählende und weisheitliche Texte der Nachbarkulturen. Ausdrücklich sei hingewiesen auf den WiBiLex-Artikel → Ratschluss Gottes
1. Zur Terminologie
Das Wortfeld wird im Biblischen Hebräisch vor allem durch die Verbwurzeln יעץ j‘ṣ (Qal: „raten / beraten / planen / beschließen“; Nif.: „sich beraten / sich beraten lassen“; Hitp.: „sich beraten“) und עוץ ‘ûṣ (Qal: „einen Plan fassen“) konstituiert, die wohl von der ursprünglich zweiradikaligen Wurzel עץ ‘ṣ stammen und unter dem Druck zur Triliteralität aufgefüllt wurden. Nur einmal belegt ist das Verb מלך mlk2 (Nif.: „mit sich zu Rate gehen“, Neh 5,7
Die → Septuaginta
2. Altes Testament
Herrscher haben Ratgeber, und das gilt auch für die Könige Israels und Judas sowie für die Könige des Alten Orients. Ratgeber unterstützen Könige bei der Führung ihrer Regierungsgeschäfte, und so zeugen die Texte des Alten Testaments wie die Texte aus den Nachbarkulturen des Alten Testaments in unterschiedlicher Weise von Auftritten dieser Ratgeberpersönlichkeiten.
Um die Texte, die davon erzählen, angemessen deuten zu können, bedarf es einer grundsätzlichen Vorbemerkung. Alltägliches wird selten erzählt, und Routinen und wiederkehrende Abläufe sind in Erzählungen kaum von Interesse. Erzählt wird vielmehr, was grundsätzlich neu ist, etwa Veränderungen bestehender Zustände sowie einschneidende Ereignisse von großer Reichweite und Bedeutung. Geht es um Veränderungen des Bestehenden, werden Berater- bzw. Ratgeberfiguren häufig am Anfang von Erzählungen erwähnt; sie haben dann die Aufgabe, die Hauptfigur der Erzählung mit Blick auf den großen Plan und seine Umsetzung zu beraten, und sie selbst bleiben als Ratgeber eher Nebenfiguren (Horn). Geht es dagegen um eine Entscheidung, die im Verlauf eines erzählten Geschehens zu treffen ist und für die ein oder mehrere Ratgeber befragt werden, sollen die Erzählfiguren häufig in kritischer Situation dargestellt und in Interaktion miteinander sichtbar werden; in diesen – zumeist erzählerisch dichten – Szenen geht es darum, Spannung zu erzeugen und die Tragweite der Entscheidung aufzuzeigen. Darin können Ratgeber selbst zu Hauptfiguren werden. In beiden Fällen bieten Momente, in denen Ratgeber auftreten, einen besonderen Reiz und können Strahlkraft für die Erzählung als Ganzes entwickeln. In diesen Szenen wird Erzählkunst in nuce sichtbar.
Erzählungen, die sich auf die Zeit → Davids
Bemerkenswert ist, dass ausschließlich männliche Erzählfiguren als Ratgeber / Berater bezeichnet werden; der Befund deutet darauf hin, dass insbesondere die Bezeichnung יוֹעֵץ jô‘eṣ „Ratgeber / Berater“ im Sinne eines terminus technicus verwendet wurde. Dennoch sind es auch Frauen, die Ratschläge erteilen, etwa die weise Frau → Abigajil
2.1. In erzählenden Texten
Es sind vor allem zwei Szenen im Alten Testament, in denen von Beratungen am Königshof berichtet wird. Ihnen ist gemeinsam, dass Sie in entscheidenden Situationen der Geschichte stattfinden. Sie sind dramatisch zugespitzt und lassen erkennen, dass die Reden der Ratgeber rhetorisch geformt sind. Hier begegnen Erzählfiguren in einer Krise. Das Erzählte erlaubt keinen unmittelbaren historischen Zugriff; wie Beratung an den Höfen grundsätzlich stattgefunden haben könnte, wird dennoch sichtbar. In der ersten Szene befragt → Absalom
2.1.1. Absalom – Der aufständische König und der Wettstreit der Ratgeber (2Sam 16f.)
Nachdem → David
Um Rat gefragt (2Sam 16,20
„So schickte es der HERR, dass der kluge Rat Ahitofels verworfen wurde, damit der HERR Unheil über Absalom brächte.“ (2Sam 17,14
2.1.2. Rehabeam – Der unerfahrene König zwischen zwei Ratgebergremien (1Kön 12; 2Chr 10)
David war es gelungen, König über das Südreich Juda zu werden (2Sam 2,4
Rehabeam erhält von „den Ältesten“ den – klugen, per a-minori-ad-maius-Schluss erzielten (Knauf) – Rat, auf den Wunsch der Menschen im Nordreich einzugehen (1Kön 12,6
Wie in 2Sam 17 fehlt dem Herrscher die Fähigkeit, zwischen zwei Ratschlägen so zu unterscheiden, dass er den für sich Erfolg versprechenden auswählt (Müllner). Wieder blitzt in diesem Erzählzug ein weisheitliches Moment auf, denn letztlich geht es auch hier um die Unterscheidung von richtig und falsch, von gut und schlecht. Die Konsequenz folgt unmittelbar; die Orientierung an den falschen Ratgebern führt zur politischen Niederlage.
2.1.3. Weitere Hinweise
Auch andere erzählende Texte zeigen, dass die Dienste von Ratgebern – wohl vor allem im Rahmen von Ratsversammlungen – in Anspruch genommen wurden, wenn große Entscheidungen zu treffen waren (1Kön 12,28
2.2. In prophetischen Texten
Die Existenz von Ratgebern wird auch in der prophetischen Literatur selbstverständlich vorausgesetzt (Jes 16,3
In Jes 9,5
2.3. In den Psalmen
In den Psalmen finden sich vor allem drei Verwendungsweisen. Zunächst weist der Ausdruck „Rat“ im Sinne von „Ratschluss“ der Menschen oder Gottes in den Bereich der Weisheit (Ps 1,1
2.4. In weisheitlichen Texten
Die weisheitlichen Schriften des Alten Testaments versammeln das Wissen und die Erfahrung von Menschen vieler Generationen. Während die ersten Sammlungen noch ohne Gottesbezug waren, wurde die Weisheit im Laufe der Geschichte zunehmend theologisiert und ihr Ursprung bei Gott gesehen (vgl. besonders Spr 8,12.14
→ Hiob
Das → Sprüchebuch
Ein ähnlicher Eindruck entsteht im → Sirach-Buch
3. Qumran
Im Vergleich zu den alttestamentlichen Belegen ist auffällig, dass das Partizip Qal יועץ jô‘eṣ Berater / Ratgeber in den → Qumran-Texten
In weisheitlichen Aussagen gilt das Ratgeben als Mittel dafür, das Wohlwollen des Höhergestellten zu gewinnen (4Q416Instrb); gemeinsames Beraten gehört des Weiteren zu den grundlegenden Aufgaben und Funktionen der Gemeinde (1QS 6,3). Negativ ist das Verb konnotiert, wenn damit die Auflehnung gegen Gottes Gebote (CD 3,5f.) zum Ausdruck gebracht wird.
Das Nomen עצה ‘eṣāh hat wie seine Derivate den Schwerpunkt in der Regelliteratur. Es kann statisch und dynamisch gedacht werden. Um Rat kann gebeten werden (1QS 6,4.9). Rat ist ein festes Maß, anhand dessen etwas oder jemand geprüft (1QS 9,2) und gerichtet (CD 20,24) wird. Als schlecht gilt es, keinen Ratgeber zu haben (CD 5,17). Die Selbstbezeichnung der Qumran-Gemeinschaft lautet עצת היחד ‘eṣæt hajjaḥad (4Q177 14,5) und ist mit „Rat der Gemeinschaft“ wiederzugeben. Die Formulierung עצת קדש ‘eṣæt qādoš steht daneben im Sinne von „Rat / Ratgeber“ (1QH 15,13; 4Q286 1,7). Bemerkenswert ist, dass mit עצה ‘eṣāh „Rat“ und אַנְשֵׁי עֵצָה ’anšê ‘eṣāh „Männer von Rat“ Gruppen bezeichnet werden können, die beraten oder bestimmt werden; im Alten Testament dagegen ist ein אִישׁ עֵצָה ’îš ‘eṣāh einer, der einen Rat gibt (Jes 40,13
4. Alter Orient
Hinweise auf Berater- bzw. Ratgeberfiguren finden sich auch in den Nachbarkulturen im Alten Orient, und anders als im Alten Testament haben die Ratgeber hier nicht nur menschliche, sondern auch göttliche Klienten (Horn). Ratgeber werden – soweit die Beleglage erkennen lässt – vor allem in erzählenden Texten erwähnt, selten dagegen in Rechenschaftsberichten von Königen, die auf ihre Regierungszeit zurückblicken. In weisheitlichen Texten stehen daneben gesammelte und tradierte gute Ratschläge, die einem gelingenden Leben dienen sollen. Hier gilt ganz grundsätzlich, dass jemand, der in etwas kundig ist, auch einen Rat geben kann.
4.1. Sumerische Texte
In sumerischen Texten finden sich Stellen, an denen der Weise Schuruppag seinem Sohn Ziusudra Ratschläge gibt mit dem Hinweis, der Rat eines Vaters sei etwas Kostbares (Rat des Schuruppag, Version der altbabylonischen Zeit: Z.6-13; Z.74-83; Z.144-153a). Auch von einem Rat unter Frauen wird erzählt; so gibt die alte Nindu der Göttin der Webkunst Uttu, einer Tochter Enkis, einen Rat (Enki, Ninsikila und Ninchursaga: Z.128-130). Dass umgekehrt die Jüngere die Ältere – hier die Tochter die Mutter – berät, ist in der Erzählung von Enlil und Ninlil belegt (Z.13-24). Weitere Ratschläge eines Einzelnen an einen Einzelnen finden sich in der Flutgeschichte (Rat eines Königs (?) an einen Menschen: II, Z.6’), in Lugalbanda II (Rat eines sprechenden Vogels an Lugalbanda: Z.209-212) und in der Erzählung Bilgamesch, Enkidu und die Unterwelt (Rat des Bilgamesch an Enkidu, bevor der in die Unterwelt hinabsteigt, um die Holzkugel und den Schläger des Bilgamesch wiederzuholen: Z.183). Vorstellungen von Ratgeberversammlungen in einem allgemeinen Sinne sind nachweisbar in Lugal ud me-lám-bi nir-ĝál (III, Z.116f.), Lugalbanda II (Z.290) und Bilgamesch und Akka (Z.3f.; Z.18f.). Möglicherweise klingt zudem die Vorstellung von einer weisen Frau als Ratgeberin im Preis der Getreidegöttin Nisaba an, die auch die Göttin der Schreibkunst und der Schulausbildung ist (Rat des Schuruppag, Version der altbabylonischen Zeit: Z.278f.).
4.2. Akkadische Texte
In akkadischen Texten gibt es zahlreiche Ratgeberszenen. Generell vor einem weisheitlichen Hintergrund spielen die Erzählung von einem in Misskredit geratenen Höfling, der nach vielen Leiden rehabilitiert wird (Der leidende Gerechte, Ludlul bēl nēmeqi: Tafel I, Z.43-120; Tafel II, Z.29-32) sowie die babylonische Theodizee, in der Ratschläge eines Freundes an einen Dulder in einer Zeit ergehen, in der der Rat Gottes fern ist (Z.34; Z.58; Z.68). In den Ratschlägen und Warnungen für rechtes und falsches Tun und Reden findet sich der Hinweis auf den Rat eines Gelehrten an den Schüler oder Sohn (Z.1-6). Auch im babylonischen Fürstenspiegel werden Ratgeber thematisiert; hier wird dem König gesagt, dass sich sein Land gegen ihn empören wird, wenn er auf seine Sachkundigen nicht achtet (Z.5), und umgekehrt wird Sachkundigen und Leibwächtern die Todesstrafe als Konsequenz für schlechtes Handeln und Bestechlichkeit angedroht (Z.45-49). In → Enuma Elisch
Im → Gilgamesch-Epos
Im Anzu-Epos wird Anzu vom Vater der Götter betrachtet, der sich dabei mit Ea, dem Herrn des Verstandes, berät (Tafel I, Vs., Z.42-45). Ea selbst wird im Bazi-Mythos als Ratgeber der Götter bezeichnet, der als Vater zum Gott Bazi spricht (Z.13). In der Erzählung von Ischum und Erra gilt der Sitz des Götterkönigs als Ort des Rates (Tafel IV, Z.127). Zuvor hatte Ischum zu Erra gesagt: „Du gibst die Ratschläge, und Anum hört auf dich.“ (Tafel III, Fragment D, Z.2-11); gegen Ende dann wird Ischum selbst als Berater von Erra bezeichnet (Tafel V, Z.40f.).
4.3. Aramäische Texte
Hier ist zunächst ein Beleg aus einer Wandinschrift von Tell Dēr ‘Allā (→ Sukkot
Deutlicher wird das, was sich mit der Gestalt des → Achikar
Die Figur des Achikar und sein Neffe begegnen des Weiteren im → Tobit-Buch
4.4. Ägyptische Texte
Aus den erzählenden Texten aus Ägypten sind zunächst Hinweise auf Beratergremien zu nennen, so in der Erzählung des Sinuhe (§25, Z.16), in der Erzählung des weisen Mi’jare’ in der Unterwelt (Papyrus Vandier: Rto. I,1-II,12) und im Mythos von der Vernichtung des Menschengeschlechts, in dem Re zu Beginn eine Götterversammlung einberuft (I.2, V.10-28). Ganz grundsätzlich wird – ebenfalls in der Erzählung des Sinuhe – das Herz eines Menschen als Ratgeber bezeichnet (§25, Z.13). In weisheitlichen Kontexten kann dazu aufgerufen werden, einen Rat, der in der Ratsversammlung gegeben wurde, auch auszuführen (Die Lehre des Ptahhotep: §15, Z.249f.) und darauf zu achten, dass gute Ratschläge erteilt werden (ebd. I, Z.515). Hier werden die Ratgeber gelegentlich durch einen narrativen Eingangsteil explizit eingeführt, so etwa der medizinische Berater in der Lehre des Anchscheschonqi (1,7-12), oder sie werden im Vorlauf zu den Ratschlägen – möglicherweise vom Belehrten selbst – kurz erwähnt (Papyrus Lansing: Das Lob des Schreiberberufes in einer ägyptischen ‚Schülerhandschrift‘ aus dem ausgehenden Neuen Reich, 1.1-2.3). An anderen Stellen sind sie indirekt als im Amt erfahrene Menschen (Die Lehre des Amenemope: I, Z.1-13) oder als Ratgeber in Sachen Erziehung (Die Lehre Amunnachts, Einl.: V.1; vgl. Kap. II, V.28) erkennbar.
Für die Historiographie von herausragender Bedeutung ist die Karnak-Inschrift von Thutmosis III., die sich an der Nordwand des östlichen Annalensaals im Amuntempel befindet. Der Pharao berichtet hier von der Planung und Durchführung eines Feldzuges nach Palästina, den er 1457 v. Chr. unternahm, um → Megiddo
Literaturverzeichnis
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