Recht (AT)
(erstellt: Januar 2011)
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Rechtskorpora: → Bundesbuch
→ Asylrecht
→ Strafe
1. Hebräische Begriffe für „Recht“
1.1. Tora
Wenn man → Tora
Subjekte der Weisung sind in der → Weisheitsliteratur
Das Verständnis der Tora als am → Sinai
Im deuteronomisch-deuteronomistischen Literaturbereich wird die Tora in enger Beziehung zum → Bund
Die chronistische Theologie (→ Chronikbücher
1.2. Gebot (מִצְוָה)
Das Nomen מִצְוָה miṣwāh „Gebot“ kommt vom Verb צוה ṣwh Pi. „befehlen“, dessen regierendes Subjekt ganz überwiegend JHWH / Gott ist. Es begegnet in hervorgehobener Bedeutung bei der Gesetzesproklamation, z.B. in Ex 25,22
Das Nomen begegnet 181-mal im Alten Testament, an etwa 90 Prozent der Belege in Zusammenhang mit JHWH / Gott; bei den übrigen Belegen steht die Weisheit an erster Stelle der Häufigkeit. Das Nomen war möglicherweise ursprünglich terminus technicus für die Rechtsform des Prohibitivs, also des mit „du sollst …“ formulierten Gebotes (Liedke 187-194).
1.3. Satzungen und Rechtssätze (חֻקִּים וּמִשְׁפָּטִים)
Die Nomina חֻקִּים ḥuqîm „Satzungen“ und מִשְׁפָּטִים mišpāṭîm kommen häufig – bes. im Plural – zusammen vor, insbesondere im → Deuteronomium
1. חֹק ḥoq kommt vom Verb חקק ḥqq, das in seiner Grundbedeutung „aushauen / einritzen / einzeichnen“ bedeutet; davon abgeleitet ist dann die Bedeutung „festsetzen / bestimmen“ (vgl. HALAT, 334). Das Nomen, das sowohl maskulin als auch feminin vorkommt (Verhältnis 129:104; tendenziell gilt: mask. im deuteronomisch-chronistischen Bereich; fem. eher bei Ezechiel, im Heiligkeitsgesetz und in der Priesterschrift), bezeichnet entsprechend etwas, das festgesetzt bzw. bestimmt ist – unumstößlich wie das, was etwa in eine Steintafel eingehauen ist.
Im weisheitlichen Bereich ist חֹק ḥoq die Ordnung, die Grenze, etwa in schöpfungstheologischen Kontexten wie Spr 8
Eine präzise Bedeutungsbestimmung der männlichen Form ist kaum möglich; der Begriff begegnet ganz überwiegend zusammen mit anderen Rechtstermini.
2. מִשְׁפָּט mišpāṭ leitet sich vom Verb שׁפט špṭ ab, das „Recht sprechen / Recht schaffen“ bedeutet (vgl. HALAT, 1500). Der Begriff ist also in der Rechtssphäre beheimatet und bedeutet „Schiedsspruch / Rechtsentscheid“. Darum erstaunt es, dass das Substantiv außer im → Deuteronomium
Nach Liedke bezeichnet מִשְׁפָּט mišpāṭ den kasuistischen, חֻקָּה ḥuqqāh bzw. חֹק ḥoq dagegen den apodiktischen Rechtssatz (zu den Formen der Rechtssätze vgl. unten 2.1. und 2.2.). Von der reinen Wortbedeutung her hat diese These eine gewisse Plausibilität. Dagegen ist unklar, ob sie auch für die späten Schriften und Schichten des Alten Testaments zutrifft.
1.4. Zeugnis / Gesetzesbestimmungen (עֵדוּת)
Das Nomen עֵדוּת ‘edût hängt mit dem Verb עוֹד ‘ôd II „als Zeugen anrufen / bezeugen / Zeuge sein“ zusammen und bedeutet „Zeugnis / Bezeugung“ und abgeleitet dann auch im Plural „Gesetze / Gesetzesbestimmungen.“ Andere leiten es von יעד j‘d „bestimmen“ ab, wodurch das Nomen mit מוֹעֵד mô‘ed verwandt wäre, das in der Wendung אֹהֶל מוֹעֵד ’ohæl mô‘ed „Zelt der Begegnung“ in der → Priesterschrift
עֵדוּת ‘edût ist im Sing. überwiegend in der Priesterschrift belegt, wo es „die schriftl. aufgezeichneten Bestimmungen des Sinaibundes“ bzw. den Inhalt der Lade bezeichnet (HALAT 747; zu den Belegen vgl. Seebaß, 206). Belege für den Plural finden sich zunächst im deuteronomistischen Geschichtswerk und im Jer-Buch, dann aber v.a. in den Psalmen, bes. Ps 119
2. Formen der Rechtssätze
Es ist immer noch sinnvoll, zwischen apodiktischen und kasuistischen Rechtssätzen zu unterscheiden. Die Unterscheidung ist zuerst von → Albrecht Alt
Auf der einen Seite stehen insbesondere reine Gebote bzw. Verbote, auf der anderen Seite Fallbeschreibungen mit darauf bezogenen Sanktionen.
2.1. Apodiktisches Recht
Albrecht Alt betrachtet als apodiktische Rechtssätze 1. die Talionisformel (Ex 21,23-25
Die von Albrecht Alt als apodiktisch klassifizierten Rechtssätze sind formal uneinheitlich. Das wird auch von der neueren Forschung betont, etwa von Gerstenberger und Herrmann. So lassen sich die Todesrechtssätze in Ex 21,12
Auch die These der genuin israelitischen Formulierung lässt sich nach Beibringung altorientalischer Parallelen wohl nicht mehr halten (Gerstenberger 130ff; Schottroff 1977, 7, zusammenfassend Belzer 1991, 123). Sowohl im mesopotamischen als auch im ägyptischen Raum sind Parallelen nachgewiesen worden, u.a. in Weisheitstexten.
Damit steht auch die Frage nach der Bestimmung des Sitzes im Leben der apodiktischen Rechtssätze, den Albrecht Alt insgesamt in der Verlesung am Laubhüttenfest fand, erneut zur Disposition, und zwar für alle nicht kasuistischen Rechtsformen getrennt.
2.1.1. Prohibitive („du sollst nicht …“)
Für die Gattung der Prohibitive, also der apodiktischen Sätze im eigentlichen Sinne, führt Erhard Gerstenberger aus: „Mit dem Blick auf den Inhalt der altorientalischen Prohibitive ist auch schon ein Wort über die Herkunft dieser Gattung gesagt. Man wird nicht fehlgehen anzunehmen, dass staatliche und kultische Großorganisationen für die Entstehung dieser Verbote weder in Mesopotamien noch in Ägypten verantwortlich zu machen sind. Es handelt sich auf der ganzen Linie um volkstümliches Ethos, oder, anders gesagt, um eine Lebensordnung, die für alle gültig war und besonders in den kleineren sozialen Gruppen gepflegt wurde. Die natürliche Gliederung der altorientalischen Völker war aber die nach Familien und Sippen. … Wir hätten somit mit der internationalen Verbreitung eines in Prohibitive gefaßten Sippenethos zu rechnen“, welches „die allgemeine Norm für Gut und Böse dargestellt“ habe (zustimmend Schottroff 1977, 23-25). „Der Ursprung solcher normativen Verhaltensregeln, die unmittelbar der Sozialisation der heranwachsenden Jugend und dem Erhalt der Gemeinschaft dienen, ist das Sippenethos“ (Gerstenberger 15).
Entstehungs- und Geltungsbereich der Prohibitive ist die Familie. Angesprochen ist ein nicht näher bestimmtes männliches „Du“, worunter man sich wohl nicht den pater familias, sondern am ehesten die nachwachsenden männlichen Jugendlichen vorzustellen hat. Der pater familias dürfte dagegen als Sprecher der Sätze zu denken sein. Außerdem sind die Prohibitive unberührt von staatlichen Instanzen und Vorstellungen. Dies sagt zwar nichts aus über einen etwaigen Entstehungszeitraum, macht sie jedoch rezipierfähig für die Aufnahme in eine Reihe oder einen Kodex zu jedweder Zeit.
Allerdings stellt die Einordnung der Prohibitive in das Sippenethos auch vor Fragen. Vor allem ist nicht recht deutlich, wie man sich den Prozess der Tradition einer solchen Reihe vorzustellen hat. Hat der pater familias sie aufgeschrieben? Wie wurde sie verbreitet, und wie weit war sie verbreitet? Diese für die Traditionsgeschichte relevanten Fragen, auf die die Sekundärliteratur keine Antworten gibt, wären entschieden leichter zu beantworten, wenn die apodiktischen Rechtssatzreihen, wie Albrecht Alt vermutete, aus dem (offiziellen) Bundeskult stammten – jedoch ist ein solcher offizieller Bundeskult nicht hinreichend belegt und die These auch aus anderen Gründen abgelehnt worden. Da man hinsichtlich der Anfänge der Traditionsgeschichte über Vermutungen nicht hinauskommt, soll hier nicht weitergefragt werden.
2.1.2. Todesrechtssätze und Fluchsätze
Die apodiktischen Rechtssatzreihen im uneigentlichen Sinne (Ex 21,12
2.2. Kasuistisches Recht
Von diesen apodiktischen Rechtssätzen sind solche zu unterscheiden, die nicht unbedingte Willensbekundungen sind, sondern eine andere Konstruktion aufweisen. Z.B. im ersten Teil des → Bundesbuches
„Wenn ein Mann das Auge seines Sklaven oder das Auge seiner Sklavin schlägt und es zerstört, dann soll er sie als Freigelassene für ihr Auge ziehen lassen.“
Der Aufbau des Satzes ist denkbar einfach: Auf ein einleitendes „wenn“ (אִם ’im) folgt die so genannte Protasis, der Vorsatz, in dem der Tatbestand festgestellt wird. Danach, in der deutschen Übersetzung eingeleitet mit „dann“, steht die so genannte Apodosis, der Nachsatz, mit der Rechtsfolgebestimmung. Der erste Teil sagt also, was geschehen ist, der zweite Teil, was daraufhin zu erfolgen hat.
Neben diesem sehr einfachen Fall gibt es aber auch weitaus kompliziertere Fälle. Ein solcher ist Ex 21,28-32
„(28) Wenn ein Rind einen Mann oder eine Frau stößt, so dass er zu Tode kommt, so soll das Rind unbedingt gesteinigt werden. Sein Fleisch darf nicht gegessen werden. Der Besitzer des Rindes aber bleibt straffrei. (29) Falls es sich um ein Rind handelt, das schon vorher stößig war, und sein Besitzer ist gewarnt worden, er hat es aber trotzdem nicht bewacht, und es tötet einen Mann oder eine Frau, so soll das Rind gesteinigt werden, aber auch sein Besitzer soll getötet werden. (30) Falls ihm eine Sühnezahlung auferlegt wird, so soll er so viel, als ihm auferlegt wird, als Lösegeld für sein Leben zahlen. (31) Stößt es (das Rind) einen Knaben oder ein Mädchen, so soll mit ihm nach diesem Rechtssatz verfahren werden. (32) Falls es einen Sklaven oder eine Sklavin stößt, so soll er seinem Besitzer 30 Schekel Silber zahlen, und das Rind soll gesteinigt werden.“
Es handelt sich hier um einen einzigen Fall. Von der Grundvoraussetzung „Wenn ein Rind einen Mann oder eine Frau stößt“ hängen verschiedene Unterfälle ab. Diese Unterfälle werden jeweils mit „falls“ (hebräisch אִם ’im) eingeleitet. Geht Ex 21,28
Ex 21,28-32
Formal von diesen unpersönlich („ein Mann“) gehaltenen Rechtssätzen zu unterscheiden sind solche, die eine Person oder Gruppe direkt ansprechen („wenn du / ihr …“; vgl. Dtn 20,1
Kasuistische Rechtssätze kommen auch in anderen altorientalischen Rechtsbüchern vor. Sie stellen den Normalfall altorientalischer Rechtssätze dar (vgl. TUAT I / 1; Kodex → Hammurabi
Der Sinn und die Funktion solcher Rechtssätze bestehen u.a. darin, dass es Rechtssicherheit gibt. Sowohl die potentiellen „Täter“ oder Verursacher als auch die „Opfer“ oder Geschädigten wissen, was bei Feststellung eines Verursachers oder eines Schuldigen zu geschehen hat.
Traditionsgeschichtlich legt es sich für die kasuistischen Sätze damit nahe, an ein funktionierendes Gemeinwesen als Entstehungsort zu denken, für das es solcher Rechtssicherheit bedurfte; das kann die Sippe oder auch ein Dorf oder ein Bezirk gewesen sein. Dabei dürften vor- bzw. außerisraelitische Rechtstraditionen, wie sie uns als Parallelen zu alttestamentlichen Rechtssätzen in den keilschriftlichen Korpora überliefert sind, aufgenommen worden sein. Die genaue Art der Rezeption ist trotz fortgesetzter Bemühungen der Forschung (Otto) kaum sicher zu erheben.
3. Rechtssammlungen
3.1. Das Bundesbuch (Ex 20,22-23,33)
1. Bezeichnung. Seinen Namen trägt das älteste alttestamentliche Rechtsbuch aufgrund von Ex 24,7
2. Aufbau und Inhalt. Diese werden in Tabelle 1 deutlich.
Dieser Themenfülle steht die Beobachtung zur Seite, dass das Bundesbuch einen gut erkennbaren Aufbau hat, was auf bewusste literarische Gestaltung hinweist. Mit Einleitung (Ex 20,22
3. Datierung. Die Frage nach dem Alter des Bundesbuches lässt sich am besten anhand der vorausgesetzten Lebensverhältnisse beantworten. Vorausgesetzt ist eine sesshafte, bäuerliche Gemeinschaft; man treibt Ackerbau (Ex 22,4-5
4. Trägerkreis. Als verantwortlichen Trägerkreis wird man am ehesten an die Schicht der freien, Grund besitzenden Bürger denken, denn diese waren in Israel für die Pflege und die Durchsetzung des Rechts verantwortlich.
3.2. Das deuteronomische Gesetz (Dtn 12-26)
1. Bezeichnung. Seinen Namen verdankt das → Deuteronomium
2. Aufbau und Inhalt. Diese werden in Tabelle 2 deutlich.
Schon die Darstellung des Inhaltes des deuteronomischen Gesetzes zeigt, wieviel umfangreicher der Stoff und wieviel schwieriger zu gliedern der Inhalt ist.
Einigermaßen sicher lassen sich drei verschiedene Teile des deuteronomischen Gesetzes erkennen:
1. Dtn 12,1-16,17
2. Dtn 16,18-18,22
3. Dtn 19-25
Demgegenüber wirkt Dtn 26
3. Datierung. Für die Ermittlung des Alters der deuteronomischen Gesetze kann man zwei Wege gehen: a) über das Verhältnis zum Bundesbuch; b) durch einen Vergleich mit der Reform des Königs → Josia
a) Vergleicht man Gesetze, die sowohl im Bundesbuch als auch im deuteronomischen Gesetz vorkommen, stellt das Vorkommen im deuteronomischen Gesetz eine spätere Stufe dar.
Beispiele: 1) Während im Bundesbuch noch jede Gottesdienststätte, die JHWH sich erwählt, als erlaubte Stätte gilt (Ex 20,24-26
b) Zwischen dem deuteronomischen Gesetz und der Reform des Königs Josia bestehen viele Parallelen, denn was das Gesetz fordert, führt Josia in 2Kön 23
Diese Parallelen sind so auffällig, dass sie kaum auf einem Zufall beruhen können. So gehen die meisten Bibelwissenschaftler davon aus, dass das deuteronomische Gesetz und die Reform des Königs Josia in einem engen Verhältnis miteinander stehen.
Aber wie genau stellt sich das Verhältnis dar? → De Wette
4. Trägerkreis. Im Hinblick auf den Trägerkreis ist immer wieder vermutet worden, dass das deuteronomische Gesetz im Wesentlichen auf Laien zurückzuführen ist. Diese These hat viel für sich, denn im Mittelpunkt des Gesetzes steht der freie, Grund besitzende Bauer. Die die Gesellschaft und auch das deuteronomische Gesetz tragende Bewegung der Grundbesitzer hatte keinerlei Interesse daran, dass es zu große soziale Unterschiede gab, dass freie Bauern verarmten und ihr Land verloren und in Massen in die Schuldknechtschaft gerieten. Die Motivation für ein solches in hohem Maße sozial eingestelltes Denken holten sie sich aus dem JHWH-Glauben. Weil JHWH ein Gott der Befreiung ist, sollen die Israeliten Freie sein, und nicht Sklaven (Dtn 15,15
3.3. Das Heiligkeitsgesetz (Lev 17-26)
1. Bezeichnung. Seinen Namen verdankt das Heiligkeitsgesetz der das Buch durchziehenden Forderung nach Heiligkeit: „Ihr sollt heilig sein, denn ich, JHWH, euer Gott, bin heilig“ (Lev 19,2
2. Aufbau und Inhalt. Diese werden in Tabelle 3 deutlich.
Das Heiligkeitsgesetz ist klar strukturiert. Den Rahmen bilden Bestimmungen über den Ort des Gottesdienstes (Lev 17
3. Datierung. Ein Vergleich mit dem deuteronomischen Gesetz zeigt, dass das Heiligkeitsgesetz dieses voraussetzt, also jünger als dieses ist.
Besonders gut ist dies an dem Kapitel über die Jahresfeste zu erkennen. Während im deuteronomischen Gesetz nur von drei Festen die Rede ist, sind es im Heiligkeitsgesetz derer sieben. Die größere Ausführlichkeit spricht für ein jüngeres Datum. Auch die Bestimmungen über das → Brachjahr
Im Hinblick auf die Frage nach dem Alter des Heiligkeitsgesetzes bedeutet dies nicht nur, dass es jünger ist als das deuteronomische Gesetz. Gerade das intensive Fragen nach der Gestalt des Gottesdienstes (Jahresfeste Lev 23
4. Trägerkreis. Der Verfasserkreis des Heiligkeitsgesetzes dürfte nicht, wie in der Forschung meistens angenommen, in erster Linie aus Priestern bestanden haben. Dafür sind die spezifisch gottesdienstlichen Vorschriften nicht präzise genug (vgl. etwa die Opfervorschriften Lev 21-22
3.4. Weiteres
3.4.1. Kultbestimmungen
Die Kultgesetzgebung macht im Alten Testament den größten Teil der Gesetzgebung überhaupt aus, ohne dass dies in der Forschung zum alttestamentlichen Recht angemessen gewürdigt würde. Kultische Bestimmungen sind, abgesehen von den entsprechenden Gesetzen in den drei besprochenen Codices, u.a. an den in Tabelle 4 aufgelisteten Stellen zu finden:
Die unvollständige Übersicht zeigt bereits an, wie vielfältig die Bereiche sind, in denen Regelungsbedarf bestand. Im Alten Testament erscheint offensichtlich die rituelle bzw. gottesdienstliche Beziehung zu Gott in besonderem Maße regelungsbedürftig. Man wollte unbedingt vermeiden, in diesem sensiblen, heiligen Bereich „Fehler“ zu machen, da eine Störung in der Beziehung zu Gott als hochgradig gefährlich galt.
Das Alter der kultischen Vorschriften ist nur annähernd zu bestimmen. Zwar können wir die einzelnen Texte der → Priesterschrift
Als Tradentenkreis ist an Priester zu denken, weil diese Berufsgruppe am ehesten mit dieser Materie befasst gewesen ist.
3.4.2. Privilegrecht
Der Begriff „Privilegrecht JHWHs“ „ist fruchtbar durch F[riedrich] Horst in die Erforschung der israelitischen Rechtsgeschichte eingeführt worden“ (Halbe 227 Anm. 17). Friedrich Horst betitelte mit diesem Begriff seine Untersuchung zu Dtn 12,1-18,22
Neben Dtn 12-18
Es gibt gute Gründe, das Privilegrecht in Ex 34
3.5. Gesetzestafeln
Im Pentateuch ist im Zusammenhang mit den oben genannten Rechtssammlungen und dem → Dekalog
4. Der leitende Gedanke des alttestamentlichen Rechts (talio)
Das Alte Testament hat keine Vokabel für Strafe. Deswegen ist besser von einer Sanktion oder noch neutraler von einer Tatfolgebestimmung zu sprechen. Mit Sanktion bezeichne ich eine Tatfolge, die etwas mit der Tat selbst zu tun hat, während eine Strafe von der Tat abstrahieren kann.
Das alttestamentliche Recht hat unterhalb der Lebensgrenze keinen Impetus zur Bestrafung eines Täters. Solange nicht Leib und Leben eines Einzelnen, einer Sippe oder des Volkes angetastet sind, hat ein Täter seinen Schaden einfach, doppelt oder mehrfach auszugleichen.
Die alttestamentlichen Gesetzgeber scheinen vor allem von zwei Grundideen geleitet worden zu sein: a) Es muss unbedingt gewährleistet sein, dass das durch eine Straftat geschädigte Opfer zu seinem Recht kommt; b) die Sanktion muss in irgendeiner Weise mit der Straftat zu tun haben.
a) Die Unterscheidung zwischen Strafrecht und Zivilrecht, die für unser Recht konstitutiv ist, kennt das Alte Testament unterhalb der Lebensgrenze nicht. Vereinfacht kann man sagen: Das Alte Testament kennt nur Zivilrecht, in dem das Prinzip des Schadensersatzes greift, und Todesrecht.
b) Die Idee des Schadensersatzes bringt es mit sich, dass die Sanktion für ein Delikt in der Regel etwas mit diesem Delikt zu tun hat. Wer etwas stiehlt oder wer für den Verlust von fremdem Eigentum verantwortlich ist, der muss es erstatten.
„Wenn ein Mann einem anderen Geld oder Geräte zur Aufbewahrung übergibt und es aus dem Haus des anderen Mannes gestohlen wird: falls dann der Dieb ertappt wird, so soll er den doppelten Ersatz leisten“ (Ex 22,6
Wer einen anderen verletzt, so dass er arbeitsunfähig wird, muss sein Darniederliegen erstatten und die Arztkosten übernehmen:
„Wenn Männer miteinander streiten und einer den anderen mit einem Stein oder einer Hacke schlägt, so dass er zwar nicht stirbt, aber bettlägerig wird: sobald er dann wieder aufsteht und draußen an seinem Stock umhergehen kann, ist der Schläger frei (von weiterer Haftung). Nur sein Darniederliegen muss er erstatten und für die Heilung aufkommen“ (Ex 21,18-19
Diese Regelungen und die Grundidee, die dahintersteht, werden noch eindrücklicher, wenn man wahrnimmt, dass die im Alten Orient – jedenfalls theoretisch – verbreiteten Verstümmelungsstrafen im Alten Testament praktisch unbekannt sind. Ausnahme:
„Wenn zwei Männer miteinander raufen und die Frau des einen läuft herzu, um ihren Mann aus der Hand dessen zu befreien, der ihn schlägt, und sie streckt ihre Hand aus und ergreift diesen bei der Scham, so sollst du ihr die Hand abhauen; du sollst kein Erbarmen kennen“ (Dtn 25,11-12
Die Schärfe dieser Sanktion erklärt sich aus dem Delikt: Das Zeugungsglied des Mannes repräsentiert das Leben und die Generationenkette innerhalb seiner Familie. Wer sich daran vergeht, vergeht sich am Leben der Familie, und bei Lebensdelikten ist das Alte Testament kompromisslos.
Den Grund für die Notwendigkeit des Ausgleiches erkennt man an einer sprachlichen Beobachtung. Den zu leistenden Ersatz bezeichnet das Alte Testament mit der Verbform יְשַׁלֵּם jəšallem „er soll ersetzen“. Diese Verbform kommt von dem Verb, mit dem auch das bekannte hebräische Wort שָׁלוֹם šālôm (Schalom) „Heil / Friede“ verwandt ist (→ Friede
Hier gewinnt die Frage nach der Grundidee des alttestamentlichen Rechts ihre theologische Dimension. Zum einen ist nämlich Versöhnung nicht nur eine zwischenmenschliche, sondern auch eine theologische Kategorie; zum anderen ist die Ordnung, die einem Gemeinwesen innewohnt, ja die Ordnung, die der Welt innewohnt, von Gott gemacht und garantiert. Gott ist der Schöpfer und Erhalter der Welt, er hat sie „ordentlich“ geschaffen und will, dass sie „in Ordnung“ bleibt.
Von Versöhnung, Sühne spricht ein Vers im Bundesbuch. Es geht um den im ganzen Alten Orient verbreiteten Fall des „stößigen Rindes“, eines Rindes, das mit seinen Hörnern ständig die Integrität von Menschen, Tieren und Sachen gefährdet. Falls dieses Rind erstmals einen Menschen tötet, soll das Rind getötet werden, sein Besitzer bleibt straflos. Falls dies aber wiederholt vorkommt, der Besitzer also von der Gefährlichkeit des Tieres weiß, hat auch er den Tod verdient (Ex 21,28-29
„Wird ihm aber ein Sühnegeld auferlegt, so soll er Lösegeld zahlen, wieviel ihm auferlegt wird“ (Ex 21,30
Der Wille zum Ausgleich und zur Versöhnung wird beispielhaft anschaulich in der Talionisformel. Diese ist leider durch Missverständnisse belastet.
Die älteste Belegstelle der Talionisformel findet sich im Bundesbuch. Dort steht sie im Zusammenhang mit dem Fall einer Rauferei zwischen zwei Männern, in deren Verlauf es zur Körperverletzung einer schwangeren Frau kommt.
Ex 21,22
Die Formel begegnet im Zusammenhang eines konkreten Rechtsfalls: des Falls von der Körperverletzung einer schwangeren Frau. Regelt Ex 21,22
1. Würde hier eine unfallartige Tötung mit der Todessanktion bedroht, so ergäbe sich ein Widerspruch zu einer anderen Rechtsbestimmung aus dem Bundesbuch. In Ex 21,13
„Hat er (der jemanden getötet hat) ihm (dem Getöteten) aber nicht nachgestellt, sondern hat Gott es so durch ihn gefügt, so will ich dir eine Stätte bestimmen, wohin er fliehen kann.“
Im Falle eines unfallartigen Todes besteht für den, der einen anderen getötet hat, hiernach die Möglichkeit, eine Asylstätte, ein Heiligtum aufzusuchen, an dem er vor der Nachstellung möglicher Bluträcher geschützt ist (→ Asyl
2. Das gleiche gilt für den Fall von Körperverletzungen. Auch gibt es im Bundesbuch eine Rechtsvorschrift: Wer einen anderen verletzt, muss dessen Arbeitskraft für die Zeit der Genesung ersetzen und die Heilungskosten zahlen (Ex 21,18-19
3. Ein weiterer Grund gegen das Verständnis der Talionisformel als spiegelnder Strafe ist das zu Beginn der Formel stehende Verb „geben“.
a) Zum einen ist, wenn im Bundesbuch das Verb „geben“ verwendet wird, vor allem an die Zahlung von Geld gedacht. In Ex 21,19
b) Zum anderen muss man fragen, was es bedeutet, dass zu Beginn der Formel steht: „Du sollst geben …“. Angesprochen ist ja nicht die Rechtsgemeinde, die vom Verursacher etwas einzufordern hätte (etwa sein Leben), sondern der Verursacher selbst. Dass er sich das Auge oder den Zahn selbst ausschlagen, Hand oder Fuß brechen, sich ein Brandmal oder eine Strieme zufügen soll, ist unsinnig.
Und diese Unsinnigkeit ist ein weiteres wichtiges Argument, die Talionissanktion im Sinne der Forderung einer Ausgleichszahlung zu verstehen.
Diese Auslegung geht nicht nur damit konform, dass auch im Fall des stößigen Rindes ein Todesfall durch Geldzahlung „bedeckt“ und der Rechtsfriede wiederhergestellt wird, sondern sie kann sich auch auf die alte jüdische Interpretation der Talionisformel berufen:
„Wer seinen Nächsten verletzt, schuldet ihm fünf Dinge: Schadensersatz, Schmerzensgeld, Heilungskosten, Verdienstausfall und Entehrungsgeld. Wie erfolgt der Schadensersatz? Wenn einer jemandem dessen Auge geblendet, dessen Hand abgeschnitten, dessen Fuß gebrochen hat, betrachtet man ihn wie einen Sklaven, der auf dem Markt verkauft wird, und schätzt, wieviel er zuvor wert war und wieviel er jetzt wert ist“ (Babylonischer Talmud, Traktat Baba Qamma 83b; Text Talmud
Kann Schuld unterhalb der Lebensgrenze durch Wiedergutmachung gesühnt werden, so lässt sich Blutschuld nur durch das Blut des Verursachers sühnen. Dabei reicht der alttestamentliche Begriff von Lebensdelikten wesentlich weiter, als es sich unsere moderne Gesellschaft vorzustellen vermag.
Das zu schützende Leben umfasst auch die Familie, als deren Lebensquelle die Frau gilt. Das Alte Testament gibt dem seinen schönsten Ausdruck dadurch, dass in der Geschichte von der Erschaffung der Menschen (Gen 2-3
Doch nicht allein die Ehe, sondern die ganze Familie als Lebensader der Gemeinschaft ist geschützt. Deswegen sind auch sexuelle sowie weitere die Familie belastende oder bedrohende Delikte (z.B. Verfluchung oder Tätlichkeiten gegen die Eltern: Ex 21,15
Eine dritte Gruppe von Delikten, die mit dem Tode bedroht sind, kann man grob als religiöse Delikte bezeichnen. Nicht alle Delikte gegen religiöse Vorschriften werden derart sanktioniert – Lev 4
5. Zur Theologie des alttestamentlichen Rechts
Die alttestamentlichen Rechtssätze und Rechtskorpora sind nach dem Zeugnis des Alten Testaments Gottes Wort. Zwar ist das Deuteronomium als Moserede stilisiert, es ist aber evident, dass hinter Mose die Autorität Gottes steht.
Das alttestamentliche Recht hat das Ziel, zum einen die Gemeinschaft zwischen Gott und seinem Volk zu schützen und zu stärken, zum anderen die Gemeinschaft und das Leben in ihr zu schützen.
5.1. Gott und Volk
Die Beziehung zwischen Gott und Volk wird in den privilegrechtlichen und kultischen Geboten mit regelnden Bestimmungen versehen. Sie können als Exemplifizierung der doppelten Bundesformel (JHWH Gott Israels, Israel Volk JHWHs) verstanden werden (→ Bund
Für das grundsätzliche Verständnis der Rechtsvorschriften des Alten Testamentes ist ihr Ort im Alten Testament zu berücksichtigen: Dekalog, Bundesbuch, Privilegrecht und Heiligkeitsgesetz sind Bestandteil der Sinaierzählung und damit Teil der Verpflichtung des Volkes, das eben zuvor von Gott aus der ägyptischen Gefangenschaft befreit worden ist. Der auf JHWHs gnädigem Befreiungshandeln gründende Bund zwischen Gott und Volk ist also der Hintergrund, auf dem die Gesetzesbestimmungen erlassen worden sind.
Für das Deuteronomium gilt analog die Landgabe als Folie des Gesetzes.
Die privilegrechtlichen Bestimmungen (Ex 22,17ff
Im engeren Sinne betrachtet, wird die Anbetung anderer, fremder Götter bei Androhung der Todessanktion (vgl. Ex 22,19
5.2. Die menschliche Gemeinschaft
Das alttestamentliche Recht hat im Blick auf die menschliche Gemeinschaft die Funktion, das Zusammenleben in Familie, Dorf, Stadt und Volk lebensförderlich zu gestalten.
Zu diesem Zweck ist vor allem der Schutz des Lebens besonders hoch angesetzt und umfasst auch die Bedrohung des familiären Bereiches (Ehebruch), weil dieser Bereich für das Leben eine besondere Schutzfunktion hat. Aber auch religiöse Vergehen sind aus diesem Grund mit der Todessanktion bedroht.
Darüber hinaus ist der Rechts-Grundsatz der Talio für das Zusammenleben bestimmend: Wenn Schaden entsteht bzw. Delikte verübt werden, so sind diese auszugleichen; der Rechtsfrieden ist so weit wie möglich wiederherzustellen, damit über den Rechtsfrieden der zwischenmenschliche Zusammenhalt weiterhin gewährleistet ist, denn dieser Zusammenhalt in Stadt und Dorf ist für die Gemeinschaft tragendes Gerüst.
Schließlich ist der tiefe soziale Charakter des alttestamentlichen Rechtes hervorzuheben. Es ist ein Recht mit einem besonderen Impetus für die Benachteiligten, und zwar aus gutem Grund: „Ihr seid auch Fremdlinge in Ägypten gewesen“ (Ex 22,20
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