Reichsautorisation
(erstellt: März 2019)
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1. Begrifflichkeit und Fragestellung
Der Begriff Reichsautorisation bezeichnet im Allgemeinen die Übernahme lokaler bzw. untergeordneter Normen und Gesetze in den Status eines übergeordneten Reichsrechts, das dann auch als solches sanktioniert wird. Konkret verwendet wird dieser Begriff in der Regel in Bezug auf die Autorisation von lokalen Gesetzgebungen in den einzelnen Satrapien des persischen bzw. achämenidischen Großreichs (550-330 v. Chr.; → Persien
Nach einigen historischen Vorläufern ist der Begriff der persischen Reichsautorisation entscheidend durch den Züricher Althistoriker Peter Frei entwickelt und geprägt worden. Frei definiert den Begriff „als ein Verfahren, durch das die von einer lokalen Instanz gesetzten Normen von einer Instanz der Zentrale nicht einfach gebilligt und akzeptiert, sondern übernommen und zur eigenen Norm gemacht werden“ (Frei, 1995, 3). Dabei handle es sich hier um ein singuläres, nur im Achämenidenreich bekanntes Phänomen (vgl. Frei, 1996, 29, 107). Die Reichsautorisation sei nicht obligatorisch (vgl. Frei, 1996, 102) und auch nicht auf die religiöse Gesetzgebung beschränkt (vgl. Frei, 1995, 28f). Ihre besondere Bedeutung liegt in ihrer Funktion als zwischen lokaler und zentraler, zwischen beherrschter und herrschender Gruppe vermittelndem Transmissionsmechanismus (vgl. Frei, 1995, 30). Dies impliziert ein direktes Interesse der Perser an verwaltungstechnischen, finanzpolitischen und auch kultischen Regelungen der jeweiligen abhängigen Satrapien und Provinzen.
Die These Freis hat sowohl Rezeption als auch Modifikation und Kritik erfahren (siehe Abschnitt 2). Als wichtigste Beispiele für eine persische Reichsautorisation werden gemeinhin die Texte auf der Trilingue vom Letoon (Xanthos), an der Frei sein Konzept entwickelt, sowie das Edikt des Artaxerxes in Esr 7,12-26
2. Forschungsgeschichte
Schon der Althistoriker Eduard Meyer sah mit Blick auf Esr 7,12-26
In einer Aktualisierung dieser These, hat Frei in den 80er/90er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts eine ausführliche Darstellung der von ihm begrifflich geprägten persischen Reichsautorisation unter Heranziehung verschiedener biblischer und nicht-biblischer Belege vorgelegt. Seine Hauptargumente bilden dabei für Kleinasien die Texte der Trilingue vom Letoon, für Ägypten die Berichte über eine Sammlung ägyptischer Rechtstexte unter Darius sowie für das entstehende Judentum das Edikt des Artaxerxes in Esr 7,12-26
Zugleich hat dieses Konzept in der rezenten Forschung umfassende Kritik erfahren (vgl. u.a. Wiesehöfer, 1995; Schmitt, 1995, 263-267; Otto, 1996, 66-70; Rüterswörden, 1995; Grabbe, 2001; Knoppers, 2001; Ska 2001; Ahn, 2002; Kettenhofen, 2003; Grätz, 2004). Diskutiert wird dabei nicht nur die Frage, ob es eine Reichsautorisation (im Sinne Freis) tatsächlich gegeben hat, sondern auch, ob diese als Erklärungsmechanismus für die Entstehung der Tora herangezogen werden kann. Während einerseits die Stichhaltigkeit der vorgebrachten Beispiele als Belege für eine tatsächliche Reichsautorisation im Sinne Freis in Frage gestellt wird (so z.B. Wiesehöfer, 1995; Rüterswörden, 1995; Redford, 2001; Grabbe, 2001; Knoppers, 2001; Ska 2001; Grätz 2004), wird andererseits auch die Authentizität der biblischen Belege – hier vor allem der zentrale Text Esr 7,12-26
3. Belegstellen
In der 1984 mit Klaus Koch herausgegebenen Monographie „Reichsidee und Reichsorganisation im Perserreich“ und dann noch ausführlicher in der zweiten, aktualisierten Auflage 1996 hat Frei sämtliche Belegstellen zusammengetragen, die er aus dem kleinasiatischen, ägyptischen und levantinischen Raum als Belege für eine persische Reichsautorisation ansieht. Während die historischen Vorläufer eines solchen Gedankens auf Esr 7 (Meyer, 1896) und die Berichte über ein Interesse des Darius an ägyptischen Rechtstexten (Schaeder 1960, 70f; 243) verweisen, bietet für Freis Argumentation nun die Trilingue vom Letoon den Ausgangspunkt.
3.1. Kleinasien
3.1.1. Die Trilingue vom Letoon
Gegen diese Interpretation Freis werden verschiedene Einwände hervorgebracht. Zum einen wird angemerkt, dass der persische Großkönig hier gar nicht involviert sei und es sich hierbei lediglich um eine Ratifizierung durch den Satrapen handle, in dessen administrativ-fiskalischen Aufgabenbereich eben auch eine solche Kultgründung gehöre (vgl. etwa Wiesehöfer, 1995, 37; Ahn, 2002, 194). Schwierigkeiten ergeben sich weiterhin dadurch, dass sich einerseits die lykische Fassung an entscheidenden Stellen nicht ohne Probleme lesen lässt (vgl. Frei, 1996, 14) und andererseits die Lesung der aramäischen Fassung nicht zweifelsfrei geklärt ist (zu alternativen Lesungen vgl. Rüterswörden, 1995, 56f mit Teixidor, 1978; siehe auch Grätz, 2004, 129-137). Desweiteren werden im Hinblick auf die Gattungsfrage des Textes Argumente dafür vorgebracht, in der Trilingue eher einen Beleg für eine antike Kultstiftung zu sehen, die zugleich als Loyalitätsbekundung der Gemeinde von Xanthos gegenüber dem karischen Satrapen Pixodaros zu verstehen sei (vgl. Grätz, 2004, 113-138, mit Wörrle, 1978, 238; Rüterswörden, 1995, 58; zu antiken Stiftungen vgl. Laum 1914; Mannzmann 1962). In diesem Kontext wäre dann auch das Πιξώταρος δὲ κύριος ἔστω (Z. 35) als Element der zur Stiftung gehörigen Sicherungsklausel zu deuten (vgl. Grätz, 2004, 126). Blenkinsopp zufolge kommt die Triligue vom Letoon dem Frei’schen Konzept einer Reichsautorisation unter allen kleinasiatischen Beispielen am nächsten. Zugleich weist er aber darauf hin, dass lokale, fiskalische Regelungen immer der offiziellen Genehmigung bedurften. Das, was also eine offizielle Bestätigung notwendig machte, waren wohl die Bestimmungen des Erlasses, die unter anderem eine Steuerbefreiung des Klerus vorsahen. In diesem Falle lag es im eigenen Interesse der Xanthier eine offizielle, schriftliche Bestätigung einzuholen, die etwaigen Finanzkonflikten mit dem Großreich zuvorkam. Eine Übernahme in persisches Reichsrecht müsse dafür aber nicht angenommen werden (vgl. Blenkinsopp, 2001, 47f).
3.1.2. Weitere Beispiele
Für seine Argumentation zieht Frei noch weitere Belege aus Kleinasien heran, „die sich von ihrer rechtlichen Form oder / und von ihren Inhalten her in irgend einer Art mit der Institution der Reichsautorisation berühren, ohne dass sie mit Sicherheit darunter subsumiert werden könnten“ (Frei, 1996, 97). Die präsentierten Beispiele sind alle sehr unterschiedlichen Inhalts (vgl. Frei, 1996, 90-101; 2001, 21-29). Zu erwähnen ist der Grenzkonflikt zwischen Milet und Myus um 390 v. Chr., der innerhalb des Ionischen Bundes beigelegt wurde. Dabei erging die endgültige Entscheidung, wenn auch intern geregelt, formell durch den Satrapen (vgl. Frei, 1996, 96f; 2001, 18f). Auch an dieser Stelle ist jedoch darauf hinzuweisen, dass die Ratifizierung durch den Satrapen (wohlgemerkt nicht den Großkönig!) wohl einfach in dessen politisch-fiskalischen Aufgabenbereich fällt. Das entsprechende Dokument kann als Sicherheit dafür verstanden werden, dass vereinbarten Regelungen nachgekommen wird. Sollte dies nicht der Fall sein, kann dieses dem entsprechenden Funktionär oder dem Großkönig vorgelegt werden (vgl. Wiesehöfer, 1995, 37f).
3.2. Ägypten – Die Sammlung der ägyptischen Gesetze unter Darius I.
Grundlage für die Annahme einer Kodifizierung und Autorisierung ägyptischen Rechts unter dem Perserkönig → Darius I.
Bereits der Ägyptologe Wilhelm Spiegelberg bringt 1914 diesen Text mit einem Bericht in Diodorus Siculus, Historica I, 94-95.4 in Verbindung. Diodor bietet dort eine Liste von sechs Königen, die ein Interesse an der ägyptischen Gesetzgebung gehabt hätten, wobei Darius an letzter Stelle genannt ist. Diese Notiz sieht auch Frei als Indiz dafür, dass der Perserkönig im Rahmen einer persischen Reformpolitik selbst als „gesetzgebende Instanz“ gewirkt habe (Frei, 1996, 17), wir es hier also mit einem weiteren Fall von persischer Reichsautorisation zu tun haben.
Die Deutung dieser beiden Quellen ist in der Forschung jedoch sehr umstritten. So wird oft angemerkt, dass hier das Bild eines tugendhaften Königs Darius (im Kontrast zu seinem Vorgänger Kambyses) gezeichnet wird, der um die Gesetze bemüht ist. Dies lässt die Interpretation zu, dass wir es möglicherweise mit persischer Propaganda, wenn nicht sogar mit hellenistischer Rückprojektion zu tun haben könnten (vgl. Blenkinsopp, 2001, 48; Grätz, 2004, 234f.239). Für letzteres sprächen weiterhin die formgeschichtlichen Parallelen zum → Aristeasbrief
Problematisch an der Annahme einer Gesetzeskodifikation durch Darius in Ägypten ist weiterhin, dass es weder im Alten Orient noch in Ägypten eine Kodifizierung von geltenden Gesetzen gegeben hat und auch für die Achämeniden keine solchen Sammlungen belegt sind (Frye, 1984, 119; Wiesehöfer, 1995, 38f; Redford 2001; Grätz, 2004, 240). Wenn es Sammlungen gegeben hat, dann nur im Rahmen von „Wissenschaftsliteratur“ als literarisches Genre, das nicht der Rechtspraxis, sondern der Klassifizierung der Welt diente (Fried, 2001). Zugleich wäre eine Kodifizierung der von unzähligen rechtlichen Regelungen verschiedenster Art gefüllten Archive eine fast unmögliche Aufgabe für Darius gewesen (Redford, 2001, 153; Knoppers, 2001, 134). Allenfalls sei an eine Übersetzung wichtiger Rechtstexte in die aramäische Sprache zu denken (Redford, 2001, 158). Im Hintergrund steht dabei wohl ein finanzpolitisches Interesse der Perserkönige (Wiesehöfer, 1995, 41; Redford, 2001, 157f; Ska, 2001, 165). Wie die Ptolemäer nach ihm, wollte wohl auch Darius alles über die wirtschaftlichen Abläufe und Regulierungen der Tempel wissen.
In dieses Bild fügt sich, dass – anders als häufig dargestellt – Darius bei Diodor eben nicht ausdrücklich als Gesetzgeber (νομοθέτης) aufgeführt ist. Diese Bezeichnung ist den ersten vier Königen der Liste vorbehalten. Über Darius heißt es, dass er mit den Gesetzen „vertraut“ war (ἐπιστῆναι, Diodorus Siculus, Historica I, 95.5), was damit klassischerweise in seinen Funktionsbereich als ägyptischer Pharao fällt. Von einer Gesetzgebung oder Kodifizierung ist hier nicht die Rede (vgl. Rüterswörden, 1995, 54; Grätz, 2004, 235f.239).
3.3. Entstehendes Judentum
3.3.1. Der Passa-Brief aus Elephantine
Der sog. Passa-Papyrus (Porten / Yardeni TAD A4.1) aus der Briefkorrespondenz der jüdischen Militärkolonie in → Elephantine
Frei nimmt daher an, dass die Passa-Regelungen Teil des eingangs erwähnten königlichen Dekretes sind, dessen Beginn uns durch die Beschädigung in Z. 3 nicht überliefert sind. Er rekonstruiert hierbei in der Lücke einen Befehl des persischen Königs an Arsames, dem Volk Folgendes zu sagen (vgl. Frei, 1996, 19). Damit stellt er eine Verbindung zwischen königlichem Dekret und der folgenden Passa-Instruktion her. So wird der Perserkönig zum Gesetzgeber der Passa-Regelungen der jüdischen Militärkolonie.
Der angenommene Zusammenhang zwischen Z. 2 und Z. 3 beruht jedoch auf seiner Rekonstruktion fehlender Worte in dem beschädigten Papyrus. Diese wurde verschiedentlich angezweifelt. So legt der Wechsel zur 2. Person Pl. in Z. 3 nahe, dass es sich hier um einen neuen Gedanken handelt. Die folgenden Passa-Instruktionen scheinen also von Hanjana an die Gemeinde gerichtet zu sein; eine direkte Beteiligung des persischen Königs kann mithin nicht angenommen werden (vgl. hierzu Grätz, 2004, 248-251).
Eine alternative Interpretation bringt Wiesehöfer vor, der hier eine königliche Erlaubnis zu einer nicht weiter zu spezifizierenden Anfrage der Angehörigen der Militärkolonie bezüglich des Passa-Festes sieht (Wiesehöfer, 1995, 41f; → Passa
In einem ähnlichen Kontext sind wohl auch die weiteren, in der Elephantine-Korrespondenz belegten, Einmischungen der persischen Verwaltung in religiös-kultische Angelegenheiten, die etwa den Wiederaufbau des von den Chnum-Anhängern zerstörten JHW-Tempel betreffen, zu verstehen (vgl. Porten / Yardeni TAD A4.7-10). Es scheint dem persischen König wohl vor allem um die Befriedung von Konflikten zu gehen, die die Reichsstabilität gefährden könnten. Ein Interesse an der Übernahme bestimmter Regelungen als Reichsnormen ist dabei nicht notwendigerweise anzunehmen. Wenn die persische Oberhoheit also in religiöse Angelegenheiten eingriff, dann diente das zuvorderst der Ordnungswahrung (hierzu Rüterswörden, 1995, 59f; Wiesehöfer, 1995, 42f; Grätz, 2004, 240-251).
3.3.2. Esr 7,12-26 – Das Edikt des Artaxerxes
Das für die alttestamentliche Forschung gewichtigste Beispiel, welches im Zusammenhang der Reichsautorisations-These diskutiert wird, ist das sog. Edikt des Artaxerxes in Esr 7,12-26
Maßgeblich für die Interpretation Freis ist dabei die Frage nach der Identifikation der beiden in der Strafklausel Esr 7,26
Eine ähnliche Auffassung findet sich auch bei Blum mit Rekurs auf E. Meyer: „Die biblische Darstellung der Mission Esras, die eine königliche Sanktionierung jüdischer Rechtsüberlieferung einschließt, steht nicht isoliert, sondern fügt sich in Grundzüge der persischen ‚Innenpolitik‘, wie sie seit den Arbeiten des Althistorikers E. Meyer zunehmend erschlossen wurde“ (Blum, 2002, 234; dem folgt auch Schmid, 2006). In der Folge wurde diese Annahme jedoch verschiedentlich in Frage gestellt. Dies betrifft drei Problemkreise:
1) Die Authentizität von Esr 7,12-26: Bei seiner Argumentation geht Frei davon aus, dass das Edikt des Artaxerxes, obgleich sicherlich nicht in seiner Originalfassung überliefert, nicht ganz frei erfunden sei (Frei, 1995, 6). Die Frage nach der Authentizität des Textes wurde in der Forschung jedoch sehr unterschiedlich beantwortet. Es zeigen sich solche Ansätze, die Esr 7 (zumindest im Kern) für authentisch halten (Galling, 1964, 165-178; Mowinckel, 1965, 113-117; Blenkinsopp, 2001, 55), solche die hinter Esr 7 – auch wenn möglicherweise fiktional – eine historische Begebenheit vermuten (Gunneweg, 1985, 140-143; Frei 1996; Crüsemann, 2005, 387-393; Carr, 1996, 330; Albertz, 1997, 498) und jene, die hinter Esr 7,12-26
Grabbe zufolge ist die Assoziation der in der Nachfolge des → Mose
Die Frage nach der Authentizität wurde zuletzt in einer Monografie von Grätz (2004) ausführlich behandelt. In einer form- und gattungsgeschichtlichen Untersuchung weist er auf die auffallende Nähe des Artaxerxes-Edikts (wie auch der Trilingue vom Letoon) zu antiken griechischen Stiftungen / Schenkungen mit den Elementen Dosis und Dogma hin (vgl. auch Laum, 1914; Rüterswörden, 1995). Esr 7,12-26
2) Die Gleichsetzung der beiden Gesetze in Esr 7,26: Die These Freis hängt maßgeblich an der Gleichsetzung von Gottesgesetz und Königsgesetz. Eine Identifikation entspräche so dem beschriebenen Mechanismus der Reichsautorisation. Knoppers weist jedoch in diesem Zusammenhang darauf hin, dass sowohl die spätpersisch-hellenistischen → Chronikbücher
3) Der Inhalt des „Gesetzes“ (דָּת dāt) in Esr 7,12-26: Uneinig ist sich die Forschung auch darüber, ob mit dem aramäischen דָּת dāt in Esr 7 überhaupt die Tora gemeint ist, die dann in Neh 8
Rüterswörden (1995) und Grätz (2004, bes. 292-294) hingegen sehen in Esr 7 durchaus einen Verweis auf die Tora (oder eine Vorform), schreiben deren Konsolidierung aber nicht einem externen Prozess wie der Reichsautorisation, sondern endogenen Faktoren zu (s. Abschnitt 4). Das fiktive Edikt in Esr 7,12-26
Eine damit zusammenhängende Diskussion betrifft die Frage, ob das in Esr 7 verwendete דָּת dāt mit dem persischen Rechtskonzept des dāta / dāṯ gleichzusetzen sei. Die Verwendung des Begriffes sowohl in Esr 7 als auch in der aramäischen Fassung der Trilingue vom Letoon (Z.19) lässt ihn zum Schlüsselbegriff der persischen Reichsautorisation werden (so Koch, 1996, 213). Ob die Übernahme des persischen Lehnwortes dāta / dāṯ ins Aramäische auch eine Übernahme der achämenidischen Gesetzeskonzeption bedeutet, ob also mit der lexikalischen auch eine inhaltliche Übertragung des Konzeptes dāta / dāṯ anzunehmen ist (so etwa Koch, 1996, 213), wird etwa von Ahn (2002) bestritten. Dabei hebt er die konzeptionellen Differenzen im jeweiligen Gebrauch des Begriffes hervor. Bei der wohl zeitgeschichtlich-soziologisch bedingten Übernahme des persischen Gesetzesbegriffs durch das entstehende Judentum sei דָּת dāt daher inhaltlich mit eigenen Topoi und theologischen Konzepten gefüllt worden (Ahn, 2002, 204-206).
Einen anderen Argumentationsgang nehmen Fried und Willi, die in Esr 7 keinen Beleg für einen Kanonisierungsvorgang der Tora sehen. Fried zufolge bestand Esras Aufgabe nicht in der Einführung eines Gesetzeskodex, der aufgrund seines literarischen Genres als wissenschaftliche Abhandlung auch nicht praktikabel für die Rechtspraxis gewesen wäre, sondern in der Einsetzung von Richtern. Diese waren jedoch nicht an Esra, sondern an den König und seine Beamten gebunden und urteilten nach persischem Gewohnheitsrecht – nicht aber nach einem schriftlichen Gesetz (Fried, 2001). Während Willi auf die grundsätzliche Mündlichkeit von Tora verweist und in Esr 7 keinen Beleg für eine schriftliche Tora-„Rolle“ sieht (anders Grätz, 2004, 293f mit Verweis auf Neh 8,1
3.3.3. Weitere biblische Quellen
Neben dem Edikt des Artaxerxes, bringt Frei noch weitere biblische Belege, die auf eine Reichsautorisation hindeuten könnten, so beispielsweise die von → Nehemia
3.4. Fazit – Was bleibt von der Reichsautorisation?
Ein Blick auf die Belegstellen zeigt, dass es sich hier um sehr diverses Quellenmaterial handelt. Wir haben es mit Inschriften, Notizen auf Papyri, Briefkorrespondenzen, antiker Geschichtsschreibung und biblischen Texten zu tun, die allesamt der Deutung bedürfen. Gerade im Fall der biblischen Quellen ist zudem die potentielle Fiktionalität der erzählten Episoden besonders zu diskutieren. Zugleich wird anhand der vorgebrachten Textbeispiele deutlich, dass die beschriebenen Autorisationsprozesse überall anders funktionieren. Das von Frei postulierte Konzept der Reichsautorisation scheint damit nicht einheitlich zu sein. Auch entsprechende Abläufe dieses Prozesses sind nicht immer klar herauszulesen (vgl. Ska, 2001, 164-167). Es ist dabei anzunehmen, dass sich die imperiale Politik von Großkönig zu Großkönig und Region zu Region immer auch verändert hat und daher differenziert betrachtet werden muss (Knoppers, 2001, 129).
Keines der vorgebrachten Dokumente belegt mithin eindeutig, dass es sich bei dem Geschilderten um die Übernahme in persisches Reichsrecht handelt. In den wenigsten Fällen war der persische Großkönig direkt involviert. Vielmehr scheint es sich in den meisten Fällen um die Anerkennung / Bestätigung lokaler Regelungen / Bestimmungen durch den jeweiligen Satrapen bzw. die lokale persische Autorität zu handeln, die jedoch niemals Reichsgesetz wurden (vgl. Ska, 2001, 165; Knoppers, 2001, 129-134; Ahn, 2002, 193). In den meisten Fällen ging es dabei wohl eher um „Einzelfallgerechtigkeit“, vor allem zum Zwecke der Schaffung von Rechtsfrieden (Wiesehöfer, 1995, 45). Die von Frei benannten „stark feudalen Züge“ des persischen Regierungssystems (Frei, 1995, 30) sind wahrscheinlicher auf die Praxis des persischen Großreichs zurückzuführen, lokalem Führungspersonal gewisse (kontrollierte) Freiräume zu garantieren, innerhalb derer sie walten konnten, solange deren Maßnahmen keine Gefahr für die politische Ordnung des Großreichs darstellten (vgl. auch Knoppers, 2001, 129.134; Wiesehöfer, 1995, 45f). Für alles andere wäre der Verwaltungsaufwand in einem solchen Großreich wohl auch viel zu hoch gewesen.
Ein persisches Interesse an internen Angelegenheiten lässt sich besonders im Hinblick auf politisch-administrative, militärische oder fiskalische Bestimmungen ausmachen (vgl. Wiesehöfer, 1995). Gerade die Stiftung von Kulten berührten solche Fragen. In diesem Kontext ist somit auch die durch die Inschriften der Perserkönige selbst propagierte und in der Forschungsliteratur als Beispiel persischer Religionstoleranz häufig hervorgehobene Förderung von Lokalkulten zu sehen. Normalerweise war jedoch die Ausstattung eines lokalen Kultes mit Privilegien wohl eher die Ausnahme und hatte meist politisch-strategische Gründe (zum häufig zitierten Beispiel des ägyptischen Beamtens Udjahorresnets und des Tempels der Neith in Sais vgl. Frei, 1995, 16f; Grabbe, 2001, 111; Grätz, 2004, 223-233; zum umstrittenen Gadatas-Brief vgl. Grabbe, 2001, 107f; Grätz, 2004, 252-259). Grundsätzlich hatten die einzelnen Tempel als Wirtschaftszentren eigene Einkünfte, die in der Regel auch besteuert wurden. Damit lässt sich ein direktes Interesse der Perser an kultischen Regelungen der jeweiligen abhängigen Satrapien und Provinzen insofern annehmen, als es verwaltungstechnische, finanzpolitische Fragen und damit die Stabilität des Großreiches berührte (vgl. Grabbe, 2001, 109; Dandamaev / Lukonin, 1989, 360-366). Eine Religionspolitik der Perser ist damit weniger vor dem Hintergrund der Toleranz, denn von Pragmatismus geprägt zu verstehen (vgl. Grätz, 2004, 263).
Entsprechend ist zu unterscheiden zwischen der einzelnen Regelung, die das Perserreich in lokalen Gemeinden (sicherlich auch im Interesse des Großreichs) durchsetzte, und der Autorisierung bzw. Durchsetzung eines gesamten Gesetzeskorpus, was einen wesentlich höheren Arbeits-, Kommunikations- und Koordinationsaufwand zwischen Zentrum und Peripherie bedeutet hätte (Knoppers, 2001, 117). Von einem grundsätzlichen Interesse an der Sammlung und Konsolidierung lokaler Gesetzgebung und deren Promulgation als eigenem Reichsrecht ist damit nicht auszugehen. Vor diesem Hintergrund muss auch die Frage nach der Entstehung und Autorisation der Tora unter den persischen Großkönigen neu betrachtet werden.
4. Die Frage nach der Entstehung und Autorisation der Tora in der Perserzeit
In der alttestamentlichen Forschung ist die persische Reichsautorisation lokaler Rechtstexte und Bestimmungen verschiedentlich als Hypothese für ein Entstehungsmodell des Pentateuchs herangezogen worden (→ Pentateuchforschung
Die Frage, warum diese konsensfähige Vorlage als „Miteinander der Widersprüche“ (Crüsemann, 2005, 381) bestehen bleibt, warum also ein „additives Prinzip“ gewählt wurde, beantwortet Crüsemann mit der „Vorstellung von der Unveränderbarkeit schriftlichen Rechts“ (Crüsemann, 2005, 405) – einmal aufgeschrieben, könne ein Gesetz nicht mehr rückgängig gemacht, jedoch durch ein neueres aufgehoben werden. Dieses Rechtsprinzip begründet er allerdings mit Est 1,19
Unabhängig davon, wie Esr 7,12-26
1) Mit der Tora liegt uns kein reines Korpus von Gesetzestexten vor. Vielmehr lassen sich die einzelnen Bestimmungen kaum von den narrativen Inhalten lösen, mit denen sie verwoben sind. Zugleich ist es eher unwahrscheinlich, dass die persischen Autoritäten die religiöse Literatur ihrer Völker kontrolliert haben. Damit bleibt unklar, wie eine konkrete Umsetzung der Reichsautorisation in diesem Fall stattgefunden haben könnte (vgl. Schmitt, 1995, 266; Blenkinsopp, 2001, 61f; Ska, 2001, 168).
2) Auch ist die Gesetzgebung innerhalb der Tora (mit Bundesbuch, Heiligkeitsgesetz und Deuteronomium) durchaus widersprüchlich, was für eine tatsächliche Rechtspraxis als wenig praktikabel angesehen werden muss (Ska, 2001, 168).
3) Der Pentateuch selbst bietet keine Hinweise darauf, dass er von den Persern autorisiert worden sei. Die darin inhärente Vorstellung von JHWH als alleinigem Gesetzgeber widerspricht zudem persischen Vorstellungen (vgl. Schmitt, 1995, 264; Ska, 2001, 168f).
4) Wenn die Tora von den Persern autorisiert wurde, wären zumindest Nachweise einer Version in Aramäisch, der (damit den Persern verständlichen) lingua franca, zu erwarten gewesen (Ska, 2001, 169f).
5) Bestimmte Textpassagen in der Tora hätten sicherlich das Misstrauen der Perser geweckt, wären diese zu gültigem Reichsrecht erhoben worden. So steht ein Text wie etwa Gen 15,18
6) Unstimmigkeiten finden sich auch im Hinblick auf Elephantine: Dort steht die Genehmigung eines Wiederaufbaus des JHW-Tempels in direktem Widerspruch zu den Bestimmungen der Tora (Kultzentralisation, Dtn 12
Schließlich lässt sich fragen, woher der Druck zur Konsolidierung einer solchen „Hybridkomposition“ (Blum, 2002, 245) nun eigentlich stammte – von Seiten der jüdischen Eliten oder von Seiten der Perser? Dabei ist der Pentateuch auch nicht die einzige biblische Komposition, die Diskontinuitäten und Widersprüche aufweist. Ein ähnliches Phänomen findet sich unter anderem auch im Jeremiabuch, wo gola- und diasporaorientierte Texte direkt nebeneinander stehen (vgl. Schmid, 2006, 9). Solche auch in anderen alttestamentlichen Texten begegnende Mehrstimmigkeit kann möglicherweise eher mit einem für die Antike typischen, von unserem modernen Verständnis abweichenden Redaktionsprozess erklärt werden, der eine Aussage durch das Hinzufügen einer konträren Aussage aufhebt (Blenkinsopp, 2001, 62).
Der Abschluss der Tora gegen Ende der Perserzeit bedeutet zugleich nicht, dass in diesem Moment ein für alle rechtsgültiges Dokument vorlag. Das Judentum war damit noch lange keine Buchreligion. Die gesammelten Texte waren wohl zunächst nur für die Elite, nämlich die Priester und Schreiber, zugänglich (Grabbe, 2001, 111). Dies zeigt auch ein Blick auf das Elephantine des 5. Jh.s v. Chr., von dem uns zwar allerhand Textmaterial, jedoch kein einziger biblischer Text überliefert ist (Grätz, 2017, 102). Mehr noch: Der dortige JHW-Tempel sowie die an zwei weitere Gottheiten gerichtete Tempelspendenliste (TAD C3.15) stehen in krassem Gegensatz zur deuteronomisch-deuteronomistischen Tradition der Tora.
Wie ist also die in Esr 7 geschilderte Einsetzung der Tora durch Artaxerxes und deren Verkündigung in Neh 8 zu verstehen? Hier zeigen sich auffallende Parallelen zum hellenistischen Aristeasbrief (vgl. Rüterswörden, 1995, 47-51; Grätz, 2004, 204-207; 2009, 12-14). Ganz im Sinne hellenistischer Königsideologie steht damit im Zentrum beider Texte der wohltätige Herrscher, der die Promulgation der Tora bzw. deren Übersetzung befördert und unterstützt (vgl. Grätz, 2009, 12-14; Kratz, 2007, 95f). Ziel der Texte ist hier eine Legitimation der Tora durch herrscherliche Macht.
Grätz verweist diesbezüglich auf jüdisch-hellenistische Politeumata in Ägypten, denen Ptolemaios II. (286-245 v. Chr.) im Rahmen einer Justizreform eine indigene Gerichtsbarkeit (πολιτικὸς νόμος) unter Wahrung der eigenen legislativen Oberhoheit gewährte. Für die jüdischen Politeumata in Alexandria und Herakleopolis könnte in diesem Zusammenhang eine Gerichtsbarkeit der (griechischen) Tora vermutet werden (vgl. Grätz, 2004, 206; 2009, 12-14; Mélèse-Modrzejewksi, 1996, 83f). Während der fiktive Aristeasbrief damit zumindest einen historischen Anhaltspunkt hätte, ist dies für Esr 7 und die Gemeinde in Jerusalem und Juda nicht ohne Weiteres anzunehmen. Eine Kenntnis der hellenistischen Euergesie und der zumindest teilautonomen Politeumata in Ägypten hingegen schon (vgl. Grätz, 2009, 15).
Während das Edikt des Artaxerxes auf äußere Legitimation zielt, ist die redaktionelle Zusammenstellung und der Abschluss der Tora wohl eher auf endogene Faktoren zurückzuführen. In der nachexilischen Zeit gab es unterschiedliche Gruppen von Heimkehrern und im-Lande-Gebliebenen, die unterschiedliche Traditionen pflegten. Diese sahen sich zudem einem Großreich zugehörig, das ganz verschiedene Völker und religiöse Traditionen vereinte. So wird besonders in der Genesis die Beschäftigung mit Israels Verhältnis zu den anderen Völkern sowie mit internen Konflikten und Problemen deutlich (Ska, 2001, 178).
Innere Definitions- und Abgrenzungsprozesse, das Bestreben nach Identität und Legitimität in einem Vielvölkerstaat, das Bedürfnis nach religiöser Bildung und einer gemeinsamen, normativen Tradition in schriftlicher (und damit bewahrbarer, archivierbarer) Form deuten darauf hin, dass die Konsolidierung der Tora als Kompromissdokument unterschiedlicher Trägergruppen (Hensel, 2011, 305-312) wohl eher als inner-religiöse, identitätsstiftende und identitätssichernde Entwicklung zu verstehen ist (vgl. Ska, 2001, 170-173; Grätz, 2004, 296; Grätz, 2017, 109). Wenn die Gemeinschaft zusammenhalten sollte, brauchte sie eine gemeinsame ideologische Basis (vgl. Ska, 2001, 173f). Damit wird die gemeinsame Vergangenheit besonders wichtig. Mit Mose als maßgeblicher Autorität reicht die Legitimierung des Volkes und seiner Tora bis weit vor die Monarchie zurück (vgl. Ska, 2001, 177; Grätz, 2017, 101f). Die Konsolidierung der Tora gegen Ende der Perserzeit ist daher nicht auf die Hypothese einer persischen Reichsautorisation angewiesen.
Literaturverzeichnis
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Abbildungsverzeichnis
- Die Stele der Trilingue vom Letoon. © public domain (Foto: Klaus Koenen, 2006)
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