Reichsteilung
(erstellt: November 2020)
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Der Ausdruck „Reichsteilung“ bezeichnet in den Bibelwissenschaften einen ausschließlich aus 1Kön 12 bekannten Vorgang, durch den das sog. davidisch-salomonische Großreich nach Salomos Tod im Jahr 926 v. Chr. zerbrochen und daraus die beiden Königreiche Israel im Norden und Juda im Süden entstanden sein sollen.
1. Die biblischen Darstellungen der Reichsteilung
1.1. In der Hebräischen Bibel
Über die Reichsteilung im engeren Sinne wird in 1Kön 12 erzählt. Sie folgt zwar unmittelbar auf Salomos Tod, hat jedoch ihre Vorgeschichte noch zu seinen Lebzeiten. Nachdem in 1Kön 10
Einer dieser Gegner ist → Jerobeam
Nach Salomos Tod wird sein Sohn → Rehabeam
In 1Kön 12,1
In dieser Phase wird Jerobeam von den Bewohnern des nördlichen Israel zum König gemacht (1Kön 12,20
Im weiteren Verlauf wird in 1Kön 12,25-33
Der gesamte letzte Teil des Kapitels ist deutlich erkennbar aus späterer judäischer Perspektive stark tendenziös dargestellt und soll Jerobeams Maßnahmen diskreditieren. So ist von Göttern im Plural die Rede, obwohl religionsgeschichtlich unzweifelhaft ist, dass er keinen anderen Gott als JHWH gemeint haben kann, zudem identifiziert er die Kälber mit Göttern (gegen die eisenzeitlichen Gepflogenheiten, nach denen sie als Postament zu verstehen sind; vgl. dagegen → Stierbilder
1.2. In der Septuaginta
Die Darstellung der Septuaginta folgt im Wesentlichen der der Hebräischen Bibel, weist aber doch so viele Eigenständigkeiten auf, dass von einer eigenen Textfassung neben dem (Proto-)Masoretischen Text zu sprechen ist.
Der tiefe erzählerische Fall Salomos zwischen 1Kön 10 und 1Kön 11 ist derselbe wie in der Hebräischen Bibel, doch die Septuaginta repräsentiert gerade am Anfang von 1Kön 11 eine eigenständige Textversion der Verse 1Kön 11,1-8
Eine Besonderheit der Septuagintaüberlieferung ist die Einschaltung eines eigenen Erzählkranzes zu Rehabeam und Jerobeam in 1Kön 12 (= 3Kgt 12,24a-z), der im Prinzip dasselbe Thema wie die übrigen Erzählungen hat. Er stammt aus einer selbstständigen, parallelen Überlieferung und ist sehr wahrscheinlich auch ursprünglich auf Hebräisch verfasst worden.
Am Ende der Darstellung der Regierungsmaßnahmen Jerobeams in 1Kön 12 bietet die Septuagintaüberlieferung zwei Pointen gegenüber der hebräischen Textfassung. Zum einen spricht sie in 1Kön 12,31
2. Die Reichsteilung in der älteren Forschung
2.1. Erste Hälfte und Mitte des 20. Jh.s: Albrecht Alt und Martin Noth
Albrecht Alt und Martin Noth stützten sich in ihren Darlegungen und Vorstellungen von der Reichsteilung ausschließlich auf die biblischen Darstellungen.
→ Albrecht Alt
Neben Albrecht Alt hat → Martin Noth
Die Stärke der Darstellung Noths besteht darin, dass er das nicht unwesentliche Detail der unterschiedlichen Erwähnungen Jerobeams in 1Kön 12,1-20
2.2. Die Archäologie nach 1950: William F. Albright, Yigael Yadin, Avraham Biran
William Foxwell Albright (1891-1971) war über seinen Tod hinaus eine der prägenden Gestalten der biblischen Archäologie. Er arbeitete bei seinen Ausgrabungen konsequent mit Stratigraphien aufgrund der sich wandelnden Keramik und verhalf dieser Methode endgültig zu ihrem Durchbruch. Dies ermöglichte, zwischen verschiedenen Grabungen Vergleiche zu ziehen. Gleichzeitig war er sehr auf den Wortlaut und vor allem auf den großen Erzählbogen der Bibel von Genesis bis 2Könige bezogen, sodass er faktisch die biblischen Erzählungen mit den archäologischen Funden und die archäologischen Funde mit den biblischen Erzählungen erklärte.
Mit vergleichbarer Methodik und hermeneutischer Herangehensweise arbeitete der israelische Archäologe Yigael Yadin (1917-1984) bei seinen Grabungen in → Hazor
Doch nicht nur Salomos Bauten wurden archäologisch verifiziert, sondern auch die Folgen der Reichsteilung. Das gilt zwar nicht für die Verhandlungen in Sichem, wohl aber für die Konsequenzen: die Etablierung des Königtums im Norden. Nach 1Kön 12,25-33
So hat Avraham Biran in → Dan
Für → Bethel
2.3. Ende des 20. Jh.s: Herbert Donner und Rainer Albertz
Herbert Donners zweibändige Darstellung der „Geschichte des Volkes Israel und seiner Nachbarn in Grundzügen“ von 1984/86 löste Martin Noths Werk als wirkmächtiges Lehrbuch der Geschichte Israels ab. Es ist ein ironischer Nebenaspekt, dass die Reichsteilung ausgerechnet der Punkt ist, an dem die beiden Bände der Gesamtdarstellung getrennt wurden, sodass sie gewissermaßen auch buchgestalterisch den Auftakt zur Darstellung der Geschichte der beiden Königreiche Israel und Juda markiert.
Donner zweifelt nicht an der Reichsteilung als historischem Faktum und rekonstruiert aus den biblischen Erzählungen drei Quellen, aus denen ein seines Erachtens „in den Hauptlinien zuverlässiges […] Bild der Ereignisse gewonnen werden“ (Donner 1986, 235) könne: 1) ein „novellistisches Geschichtswerk über die Auflösung der Personalunion zwischen Juda und Israel“ (ebd.), das lediglich aus der Erzählung in 1Kön 12,1-19
Das Bild, das Donner demnach von der Reichsteilung zeichnet, entspricht im Großen und Ganzen dem der Darstellung der Hebräischen Bibel. Den Inhalt von 1Kön 12,1-19
Dies zeigt sich auch in der 1992 erstmals erschienenen „Religionsgeschichte Israels in alttestamentlicher Zeit“ von Rainer Albertz, der zwar von einer komplexeren textlichen Quellenlage als Donner (Albertz erkennt insgesamt sieben Quellen in 1Kön 11-12), aber vom selben Geschichtsbild ausgeht. Auch er versteht die Reichsteilung als historisches Faktum, und zwar als „soziale Revolte gegen staatliche Fronarbeit“ (Albertz 1997, 215). Die konkrete Rolle Jerobeams müsse dabei im Unklaren bleiben, weil die Textüberlieferung nicht einheitlich ist, in der Darstellung aber werde er zu einer Mose ähnlichen Gestalt, die die nördlichen Stämme aus der Knechtschaft befreit habe.
Auch wenn Albertz weiterhin vom biblisch propagierten Geschichtsbild ausgeht, stellt er doch deutlich heraus, dass die Figur Jerobeams ursprünglich eine legendarische Übermalung erhalten habe, bevor sie später noch einmal durch die judäische Geschichtsschreibung überarbeitet worden sei – und öffnet damit immerhin die Tür für ein Verständnis der Texte als spätere Literaturbildung über legendenhafte Geschehnisse. Auch die religionspolitischen Maßnahmen ordnet Albertz unabhängig von der unübersehbaren Südreichspolemik in 1Kön 12 ein und verhilft damit der Geschichtsdarstellung des Nordreichs in einem gewissen Sinne zu ihrem eigenen Recht.
3. Paradigmenwechsel
3.1. Die Archäologie nach 2000: Israel Finkelstein
Die Auswertung der Grabungen in → Jesreel
Damit war – insbesondere innerhalb der deutschsprachigen alttestamentlichen Wissenschaft wirkmächtig – der archäologischen Untermauerung des biblischen Geschichtsbildes vom davidisch-salomonischen Großreich das Fundament entzogen. Die Selbstverständlichkeit, mit der noch Donner und Albertz von den biblischen Texten als mehr oder weniger historisch auswertbaren Zeugnissen ausgegangen sind, ist entweder einem vorsichtigeren Für-Möglich-Halten gewichen (Zwickel 2014; Vieweger 2012) oder wird gänzlich abgelehnt (Frevel 2016).
Finkelstein ist allerdings auch nicht unwidersprochen geblieben. Amnon Ben-Tor hat darauf hingewiesen, dass bereits die Stratigraphie in Jesreel selbst problematisch sei (Ben-Tor 2000), und Amichai Mazar geht davon aus, dass die Keramik, auf deren historischer Verortung sich Finkelstein stützt, nicht nur im 9. Jh., sondern schon bereits davor im 10. Jh. in Gebrauch gewesen sei, sodass sie sich nicht trennscharf zur Datierung verwenden lasse (Mazar 1997; ders. 2010).
Ein weiterer Punkt, der in der Debatte um das Großreich und seine Teilung Bedeutung gewonnen hat, ist der nur unsicher datierbare Feldzug Pharao Scheschonqs (zwischen 926 und 917 v. Chr.). Den erhaltenen Teilen seines Feldzugsberichts zufolge hat ihn dieser nicht nach Jerusalem geführt, was aber bei einem vorgeblichen Großreich zu erwarten gewesen wäre. Doch ist auch dies keine mit letzter Gewissheit verlässliche Quelle, denn der Bericht ist allein schon durch seinen Erhaltungszustand lückenhaft und weist zudem in der Darstellung geographische Sprünge auf.
Beide Aspekte haben dafür gesorgt, dass die Rede vom davidisch-salomonischen Großreich und demzufolge auch von dessen Reichsteilung zumindest fraglich geworden ist.
3.2. Darstellung der Geschichte Israels „nach bzw. mit Finkelstein“
Diese Ungewissheit ist mittlerweile auch in die Lehrbücher eingezogen. Exemplarisch sei verwiesen auf die Darstellungen der (Religions-)Geschichte Israels von Angelika Berlejung (2019) und Christian Frevel (2016).
Berlejung stützt sich auf die Arbeiten und Analysen Finkelsteins und hält ausdrücklich fest, dass es keine archäologischen Spuren eines davidisch-salomonischen Großreichs gebe, und deutet die vierzigjährige Regierungszeit Salomos ebenso wie bei David als Beleg für das Fehlen von zuverlässigen Angaben schon bei den Verfassern der biblischen Texte. Zwar nimmt sie Jerobeam I. als historische Persönlichkeit an, weil mit ihm die nordisraelitische Geschichtsschreibung beginne, doch schränkt sie gleichzeitig ein, dass sich über Größe und Ausgestaltung seines Königtums nichts sagen lässt – und schweigt darüber dementsprechend konsequent ebenso wie über die Reichsteilung. Die Darstellung der kultpolitischen Maßnahmen Jerobeams bewertet sie als Polemik und als „inszenierte[n] religiöse[n] Spaltung“, die als ein „paradigmatisches und kaum […] historisches Geschehen“ zu verstehen sei (Berlejung 2019, 129).
Christian Frevel greift ebenfalls explizit auf die Arbeiten und Analysen Finkelsteins zurück und nimmt sie in seiner Darstellung der Geschichte Israels von 2016 positiv auf. Demzufolge geht auch er nicht mehr von einem davidisch-salomonischen Großreich aus, das sich hätte teilen können. So ist seine Darlegung zur Reichsteilung entsprechend kurz und bietet zunächst eine Wiedergabe der biblischen Erzählstränge (nach der Darstellung der Hebräischen Bibel). Anschließend hält Frevel jedoch pointiert fest: „So dreht sich die biblische Perspektive in historischer Sicht um: Nicht stellen David und Salomo den Ursprung des Königtums dar, aus dem sich die Monarchien von Jerobeam im Norden und Rehabeam im Süden ableiten, sondern die Geburt der Königreiche Israel und Juda ist jenseits von Jerobeam und Rehabeam, wahrscheinlich erst im 9. Jh. v. Chr. in Samaria und im 8. Jh. v. Chr. in Juda zu suchen“ (Frevel 2016, 149). So hält Frevel weite Teile der Darstellungen über die Anfänge der beiden Reiche für spätere interessengeleitete Konstruktionen, auch was die Bedeutung der in 1Kön 12 genannten Orte angeht, und schlägt vor, „Jerobeam und Rehabeam weniger [als] historische Figuren denn als Könige des Anfangs eponymenhaft“ zu verstehen (a.a.O., 151).
Zurückhaltender bei der Rezeption der Analysen Finkelsteins ist Wolfgang Zwickel, der die klassischen Datierungen zumindest für möglich hält und in seine Arbeiten und Darstellungen einbezieht bzw. diesen zugrunde legt, ohne dass er Archäologie im Stile Albrights und Yadins betreiben würde. Auch Othmar Keel bewertet zwar die Erzählungen über die Reichsteilung als „schwer dtr. bearbeitet“ (Keel 2007, 334), hält sich in seiner Darstellung jedoch eng an den biblischen Erzählverlauf. Beide stützen sich auf die Arbeiten und Analysen Eilat Mazars in Jerusalem und ziehen damit eine andere „Kronzeugin“ heran, die archäologisch fachintern zu anderen Ergebnissen als Finkelstein kommt.
4. Neuere exegetische Ansätze in Reaktion auf den Paradigmenwechsel
Die erste monographische Untersuchung zu den biblischen Erzählungen zur Reichsteilung nach dem Paradigmenwechsel zu Beginn des 21. Jh.s hat Frank Ueberschaer vorgelegt (2015). Er analysiert in 1Kön 11-12 mehrere Erzählstränge und Einzelerzählungen aus unterschiedlichen Zeiten, wobei er keinen der literarischen Bestandteile mehr in das 9. oder gar 10. Jh. datiert. Die Reichsteilung als historischer Hintergrund entfällt damit aus den literarhistorischen Überlegungen, deren Haftpunkte stattdessen in aktuellen Anlässen und Herausforderungen späterer Zeiten in der Königszeit gesehen werden.
Bezogen auf den Textkomplex 1Kön 11-12 sind für Ueberschaer vor allem zwei literarische Elemente von Bedeutung: Für die Figur des Jerobeam geht er von einer positiv konnotierten Erzählung zu diesem als erstem Herrscher des Königreichs Israel aus, mit der er legitimiert worden sei und ganz im Einklang mit altorientalischer Königsideologie als Baumeister und Kultförderer dargestellt werde. Ihren Ursprung sieht er jedoch nicht im 10. Jh., sondern in späteren Zeiten, ohne dass er eine exakte Datierung vornimmt. Als Hinweis zur Datierung erwähnt er die Herrschaft Jerobeams II., sodass sich im Nordreich ein ähnlicher literarischer Vorgang zeigen würde wie bei → Sargon II.
Die vormals als eigentliche Erzählung von der Reichsteilung verstandene Episode in 1Kön 12,1-19
Ueberschaer kommt damit in seinen Analysen zu 1Kön 11-12 ohne das Postulat einer Reichsteilung aus. Er hält aber dennoch an der Annahme enger Verflechtungen zwischen Nord- und Südreich fest, die er nicht nur im militärischen Bereich sieht, der im biblischen Geschichtszeugnis mehrfach thematisiert wird, sondern auch in einer wechselseitigen intellektuellen und ideologischen Auseinandersetzung, in der sich beide Reiche gegenseitig Herausforderung waren.
Den ersten Kommentar zum Buch 1Könige nach dem Paradigmenwechsel der Archäologie hat Ernst Axel Knauf vorgelegt (2016). Er analysiert die Kapitel 1Kön 11-12 als Produkt späterer literarischer Entwicklung ohne engen Bezug zu einer als historisch angenommenen Reichsteilung. Die frühesten literarischen Zeugnisse sieht Knauf in 1Kön 12,1-19
Beide Texte sind seines Erachtens dann im Exil Mitte des 6. Jh.s von einer Redaktion D0 in ihr Geschichtswerk aufgenommen worden, mit dem sie „als Lehrbuch der eigenen Kultur und Geschichte“ (Knauf 2016, 93) die eigenen Traditionen bewahren und weitergeben wollte. Auf dieselbe Redaktion gingen auch die Anfänge der Jerobeam-Texte in 1Kön 11 zurück, in denen Knauf kein altes Material sehen möchte. Stattdessen versteht er 1Kön 11 im Wesentlichen als Werk einer „proto-chronistischen Prophetenredaktion“, die er nicht explizit datiert, aber als Ergänzung einer an den Anfang des 5. Jh.s datierten Prophetenredaktion und dementsprechend später versteht. In derselben literarischen Entwicklungsstufe verankert Knauf auch die restlichen Teile von 1Kön 12.
Trotz der literarisch relativ späten Datierungen geht Knauf deutlich von restlichen Spuren der Vorgänge im 10. Jh. aus. Dabei verweist er allerdings nicht auf die Reichsteilung und sieht auch Jerobeam nicht als abtrünnigen Beamten Salomos, sondern versteht den Konflikt zwischen Jerobeam und Salomo / Rehabeam als literarische Bildung im Stile eines Usurpationsberichts, ohne dass über Jerobeam jemals ein judäischer Herrscher regiert habe. Damit geht auch Knauf von zwei zwar miteinander verbundenen, aber politisch doch von Anfang an getrennten Reichen aus und trägt auf diese Weise dem Paradigmenwechsel seit den archäologischen Arbeiten Finkelsteins Rechnung.
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