Reisen
(erstellt: März 2018)
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1. Allgemeines
Die Reise als Unterwegssein zu einem bestimmten Ziel, meist verbunden mit Aufenthalt dort und Rückkehr, wird hier unterschieden von anderen in der Bibel erwähnten Formen des Unterwegsseins wie Kriegszügen (→ Krieg
Reisen erfolgten zu verschiedenen Zwecken. Bildung war dabei nicht direktes Ziel, sie wurde „nebenbei“ erworben (Sir 34,9.11
2. Reiseformen und -zwecke
2.1. Wallfahrt
In Erzählungen, die in vorstaatlicher Zeit spielen, sind lokale Heiligtümer Ziel von → Wallfahrten
Eine Sonderform der Wallfahrt stellen Reisen zu weisen / heiligen Männern dar (Reise der Königin von → Saba
Spätestens ab → Herodes
Der römische Tourismus verband Wallfahrtselemente (Besuch von Heiligtümern) mit „Besichtigungen“; ein Reflex davon findet sich in der Schilderung des Paulus als an Religion interessiertem Reisenden in Apg 17,23
2.2. Verwandtschaftsbesuch
Aufgrund der Bedeutung der Großfamilie, die mitunter weit verstreut lebte, gab es nicht selten Reisen zu Verwandten. Sie konnten unter anderem dazu dienen, um eine Braut zu werben (Eliezer in Haran [Gen 24,4
2.3. Botenreise
Kommunikation über weitere Entfernung geschah in der Regel durch reisende Boten, die Briefe mit sich führen konnten; entsprechen häufig sind die Erwähnungen (→ Bote / Gesandter
→ Philo von Alexandria
Im Gleichnis erwähnt Jesus die Reise eines Thronprätendenten in ein fernes Land zur Erlangung der Königswürde (Lk 19,12
2.4. Handelsreise
Sehr früh dienten Handelsreisen zum Warenaustausch (→ Handel
2.5. Missionsreise
Reisen mit dem Ziel der → Bekehrung
Frühestes Beispiel ist → Esra
Mt 23,15
Eine Sonderform stellen die „Missionsreisen“ von Wanderpredigern dar, die das (baldige) Handeln Gottes ankündigen und das Reisen quasi zur Existenzform gemacht haben (G. Theißen spricht von „Wanderradikalismus“; vgl. auch die Lebensbeschreibung des Apollonios von Tyana durch Philostratos). Zu diesen Predigern gehörten – zumindest zeitweise – Jesus, der keinen festen Wohnsitz (mehr) hatte (Lk 9,58
„Die Christen … sind eifrig darauf bedacht, ihre Lehre über die ganze Erde zu verbreiten. Daher machen es sich einige förmlich zu ihrer Lebensaufgabe, nicht nur von Stadt zu Stadt, sondern auch von Dorf zu Dorf und von Gehöft zu Gehöft zu wandern, um auch andere für den Glauben an Gott zu gewinnen.“ Das ist möglich, weil „einige reiche und hochgestellte Männer und zartfühlende und edle Frauen den Glaubensboten gastliche Aufnahme gewähren“ (Contra Celsum 3,9).
3. Reiseberichte
3.1. Altes Testament und seine Umwelt
Explizite Reise-Berichte sind zwar aus der Umwelt des Alten Testaments bekannt (→ Gilgamesch
Der → Aristeasbrief
3.2. Neues Testament und frühes Christentum
Der Bericht über eine angebliche (einmalige) Reise Jesu von Galiläa nach Jerusalem (Lk 9,51-19,27
Paulus selbst berichtet über seine zahlreichen Reisen und die damit verbundenen Gefahren nur kurz (2Kor 2,12f
Das Motiv der Reise wird in den zahlreichen apokryphen Apostelakten aufgegriffen; besonders wichtiges Gestaltungsmittel ist es im sog. Klemensroman (3. Jh.), dessen Ich-Erzähler auf der Reise mit Petrus Antworten auf Sinnfragen und seine Familie findet bzw. wiederfindet.
4. Praktisches
Die Vorbereitung auf eine Reise bestand aus → Fasten
Während der Regenzeit versuchte man, das Reisen zu vermeiden (1Kor 16,6
4.1. Fortbewegung
Die Fortbewegung konnte zu Fuß oder auf dem Rücken eines → Esels
Wegen der Gefahren auf dem Weg (Lk 10,30ff
Zu Fuß oder per Esel und je nach Landschafts- und Wegbeschaffenheit konnten etwa 30-40 km pro Tag zurückgelegt werden; von Galiläa nach Jerusalem war man demzufolge zur Zeit Jesu etwa drei Tage unterwegs (Josephus, Vita 269). Tagesstrecken dienten auch als Maßeinheit (Gen 30,36
Größere Reisen Richtung Osten oder Westen konnten auch per Schiff durchgeführt werden (1Kön 9,26-28
Gottheiten und gottähnliche Gestalten bewegen sich und reisen mit Hilfe von Flügeln (Ps 139,9
4.2. Unterkunft
Unterkunft suchte man in erster Linie bei Verwandten und Freunden (z.B. Joh 12,1ff
4.3. Straßen
Die bei Reisen in Palästina benutzten Straßen (→ Karawane
5. Theologie
Die Bibel entwickelt keine „Theologie des Reisens“; auffällig aber ist die Tatsache, dass das Unterwegssein – entgegen der im Orient weit verbreiteten Hochschätzung der Sesshaftigkeit (in Gen 4,12
Im deuteronomischen Glaubensbekenntnis wird der Stammvater als „umherziehende Aramäer“ bezeichnet (Dtn 26,5
In Gleichnissen werden Reisende nicht nur erwähnt (z.B. Lk 10,25-37
6. Visionäre und Jenseits-Reisen
6.1. Altes Testament und Frühjudentum
Im Alten Orient weit verbreitet ist die mystische Vorstellung von einer visionären Kontaktaufnahme mit dem Jenseits in Form einer Himmels-Reise (→ Entrückung
Dies betrifft vor allem → Mose
Ez 8,1-3
6.2. Neues Testament
Zeitgenössischer Hintergrund für die Vorstellungen einer Himmels-Reise im Zeitalter des Neuen Testaments sind → Philos
Beim paulinischen Bericht über eine Entrückung in den dritten Himmel (2Kor 12,2-9
Möglicherweise führte auch → Simon Magier
Diskutiert wird, ob auch Jesus ähnliche mystische Erfahrungen gemacht oder sogar theurgische Praktiken vollzogen hat. So wird die mit der Taufe verbundene Vision (Mk 1,10f
Vor allem für das Johannesevangelium ist die These vertreten worden, dass sich dort Anhaltspunkte für die Darstellung Jesu als Himmelsreisendem finden, der nach seinem Berufungserlebnis im Rahmen einer solchen Reise die Jünger auf eine erneute, ihn rettende Reise mitnehmen will (Bühner). Verwiesen wird auf Joh 1,18
Eine andere Form der Jenseitsreise stellt die Unterwelts- oder Höllenfahrt dar. Im Neuen Testament ist eine entsprechende Vorstellung im Blick auf Jesus in Eph 4,1-11
Literaturverzeichnis
1. Lexikonartikel
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2. Weitere Literatur
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Abbildungsverzeichnis
- Straßen in Palästina. © Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart
- Wandernde Semiten (Grab des Chnumhotep in Beni Hassan; 19. Jh. v. Chr.). Aus: H. Gressmann, Altorientalische Bilder zum Alten Testament, Berlin / Leipzig 2. Aufl. 1927, Abb. 51
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