Reiten / Reiter
(erstellt: März 2010)
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1. Geopolitischer Kontext
Reiten bezeichnet die Fortbewegungsart eines Menschen bzw. einer menschengestaltigen Gottheit auf dem Rücken eines Tieres. In der stark zergliederten, gebirgigen Levante, die ander als Ägypten und das Zweistromland keine schiffbaren Flüsse kennt, ist das Reiten auf Tierrücken seit der Domestikation von Esel und Pferd im ausgehenden 4. Jt. v. Chr. die wichtigste Fortbewegungsart über längere Distanzen. Reiten ist in der hebräischen Bibel insbesondere auch die Fortbewegungsart der Noblen. Das Aufsteigen aufs Tier kann als Akt der Inthronisation inszeniert werden.
Die geopolitische Lage der Levante im Schnittpunkt dreier Kontinente und damit im Frontbereich von Großmächten mit hegemonialen Ansprüchen führt dazu, dass militärisches Reiten über Jahrhunderte hinweg von Ambivalenz gekennzeichnet ist. Einerseits waren die israelitischen und judäischen Eliten versucht, im Konzert der Mächte mit einer entsprechenden Kavallerie mitzuspielen (Jes 30,16
2. Die Wurzel רכב „reiten“
Eine ganze Reihe eigenständiger indogermanischer Worte aus dem Wortfeld „reiten / fahren“ werden im Hebräischen durchwegs aus der Wurzel RKB abgeleitet: רכב rkb Qal „reiten / fahren / aufsteigen / besteigen“; Hif. „reiten / besteigen lassen / transportieren“; רִכְבָּה rikhbāh „das Reiten“ (nur Ez 27,20
3. Reitobjekte und Reittechnik
Worauf und wie wird geritten? Das älteste, seit der Mitte des 3. Jahrtausends bezeugte Reittier der Levante ist der vom nubischen Wildesel (Equus africanus africanus) her domestizierte, äußerst bedürfnislose, dem Klima und Terrain hervorragend angepasste → Esel
3.1. Esel
Die älteste Darstellung eines Eselreiters in der Levante ist ca. 4300 Jahre alt (Keel / Schroer 2005, Nr. 98). Notable Levantiner werden von Ägyptern als Eselreiter dargestellt (Keel / Schroer 2008, Nr. 263), und zwar in der über Jahrhunderte hinweg stabilen Konstellation eines Reiters mit zwei jüngeren Begleitern, einem Führer und einem Treiber (Abb. 2; Gen 22,3
3.2. Pferd
Pferdereiter sind vereinzelt ab dem ausgehenden 3. Jt. v. Chr. in Ur und anderen Orten des Zweistromlandes bezeugt. Zaumzeug ist zunächst unbekannt. Man reitet im „Eselsitz“ auf der Kruppe des Tiers. Die Zügel sind an einem Nasenring befestigt. Der älteste Beleg für berittene Militärs stammt von einem Schriftstück des frühen 2. Jt. v. Chr. vom Tell Leilan (Nordostsyrien). Noch im 350 Exemplare umfassenden Corpus der Siegel von Emar (13. Jh. v. Chr.) finden sich nur zwei mit Pferdereitern. Das eine zeigt einen Pferdereiter, der in der altherkömmlichen Eselreittradition von einem Begleiter geführt wird (Abb. 3), das andere einen Reiter mit zwei Pferden (Abb. 4).
Das zweite Pferd hält er wahrscheinlich nach damaliger Jagdsitte für einen – nicht dargestellten – Bogenschützen. Etwa aus derselben Zeit stammt der sog. „Kukkuli-Traktat“ aus → Hattuscha
Die Hurriter vermittelten das Wissen nach Mesopotamien weiter. Ab dem 9. Jh. bildeten Urartäer und Mannäer in Armenien und Aserbaidschan, Aramäer in Syrien und Nubier in Ägypten (Jes 31,1
Ganz im Gegensatz dazu gingen die Ägypter nie zum Reiten auf Pferden über. Auch Israeliten und Judäer unterhielten wie die Ägypter ein Streitwagenkorps, scheinen aber nie im Besitz einer Kavallerie gewesen zu sein. In der hebräischen Bibel sind es fast immer Fremde, die auf Pferden reiten: Aramäer: 1Kön 20,20
Die Reiter müssen die Judäer und Judäerinnen ungemein fasziniert haben (Ez 23,6
In persischer Zeit werden sie so gestaltet, dass sie nur von vorne betrachtet einigermaßen sinnvoll proportioniert erscheinen, wobei der Reiter viel stärker betont ist als früher und eine Filzmütze (griechisch: kyrbasia) trägt, wie sie für Skythen, Meder und Perser typisch ist (Abb. 7). Im Perserreich gehörte das Reiten zu den wichtigsten Tugenden (Herodot I, 136; III 88 [Text gr. und lat. Autoren
3.3. Maultier
Auf dem → Maultier
3.4. Kamel
Die Söhne des Ostens, die → Midianiter
Zentrum des arabischen Karawanenhandels zu sein ist eine judäische Wunschvorstellung (Jes 60,6
Dazu war die Entwicklung geeigneter Sättel vonnöten (Abb. 9). Der älteste, in Südarabien entwickelte chaulāni-Sattel bildete eine Kuhle hinter dem Buckel. Er wurde im Jemen bis in römische Zeit verwendet (Abb. 10). Vom syrischen Kissensattel aus kämpften die ismaelitischen Stämme im Huckepack gegen das assyrische Heer (Abb. 11).
Die Nabatäer entwickelten, wahrscheinlich inspiriert vom assyrischen Pferdetransportsattel mit seinen Sattelbogen, den bis heute gebräuchlichen šaddād-Sattel (Abb. 12). In persischer Zeit sind Kamel- und Eselkarawanen, genauso wie Pferdegespanne und Reiter, Teil militärischer Konvois (Jes 21,7
Im Sattel des Kamels versteckt → Rachel
Nach Esras und Nehemias Listen gehörten Kamele zum Tragen von Lasten und Menschen zur Ausstattung der Heimkehrer aus Babylon (Esra 2,67; Neh 7,68
3.5. Elefant
Der indische Elefant wurde von den → Seleukiden
3.6. Weitere Tiere
Südlevantinische Gottheiten reiten zur Stärkung ihrer furchterregenden Ausstrahlung auf → Löwe
3.7. Wagen
Zum „Reiten“ auf dem → Wagen
3.8. Kerub, Wolke, Steppe und Himmel
Die Titel „Keruben-, Wolken-, Steppen- und Himmelsthroner“ sind eng verwandt und quasi austauschbar (→ Keruben
In Ps 68,34
4. Reitsubjekte und Gründe zu reiten
4.1. Mann
Jäger machten von Pferd und Kamel aus Jagd auf Strauße (Hi 39,18
Die Jagdreiterei kam in persischer Zeit auf (Abb. 19) und avancierte zur Lieblingsbeschäftigung der Aristokraten in umajjadischer Zeit und der Beduinen in osmanischer Zeit, mit verheerenden Konsequenzen für den Wildtierbestand des Vorderen Orients, besonders nachdem im 19. Jh. Handfeuerwaffen aufkamen.
4.2. Frau
Die entschiedene Tatkraft → Abigails
4.3. König, Messias, Christus
Indem der Kronprinz vor versammeltem Hofstaat auf dem Maultier seines Vaters reitet, wird seine Nachfolge als Herrscher öffentlich legitimiert (1Kön 33
4.4. Gott
Für שֶׁמֶשׁ šæmæš, „Sonne“, wurden im Tempelhof von Jerusalem Pferde und Wagen bereitgestellt (2Kön 23,11
4.5. Göttin
Das Reittier der Göttin in der südlichen Levante ist das Pferd oder der Löwe (Abb. 21a-c). Auf dem Pferd verkörpert sie → Anat
4.6. Dämon, Dämonin
Die auch in der Levante bekannte, aus Mesopotamien stammende Fieberdämonin Lamaschtu (→ Dämonen
4.7. Boten / Engel
Spätestens ab persischer Zeit sind die schnellen Pferde die typischen Reittiere von Boten (Sach 1,8
4.8. Hl. Georg
Der in der Levante sehr beliebte und verbreitete Hl. Georg (Mar Ǧirǧis), reitet immer auf einem Pferd und bekämpft von da aus den Drachen mit einer Lanze (Abb. 23). Er hat in christlicher Gestalt das Erbe des Wettergottes angetreten, der gegen Leviathan kämpft. Das Gleiche gilt für den manchmal am gleichen Ort wie der Hl. Georg verehrte el-Chadr, „den Grünen“ (Sure 18), der aber nicht dargestellt wird.
Literaturverzeichnis
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Abbildungsverzeichnis
- Noch in der ersten Hälfte des 20. Jh.s dominieren Eselreiter und Transportesel den Verkehr von Jerusalem (hier vor dem Jaffator). © public domain (Library of Congress, P&P, Nr. 05566)
- Eselreiter (aufgrund von Farbresten koloriertes Detail einer Stele von Ṣerābīṭ el-Chādem / Sinai, um 1850 v. Chr.). © Stiftung BIBEL+ORIENT, Freiburg / Schweiz
: Zeichnung: Barbara Connell - Pferdereiter mit Führer (Abrollung eines Rollsiegels im mittelassyrischen Stil, Emar, 13. Jh. v. Chr.). Aus: Beyer 2001, 277; © Stiftung BIBEL+ORIENT, Freiburg / Schweiz
- Behelmter (?) Reiter mit zwei Pferden (Abrollung eines Rollsiegels im Mitannistil, Emar, 13. Jh. v Chr.). Aus: Beyer 2001, 228; © Stiftung BIBEL+ORIENT, Freiburg / Schweiz
- Terrakottafigur eines Pferdereiters (judäisches Bergland; 8. / 7. Jh. v. Chr.; BIBEL+ORIENT Datenbank Online
). © Stiftung BIBEL+ORIENT, Freiburg / Schweiz ; Foto: Primula Bosshard - Terrakottafigur eines Pferdereiters (Küstenregion der Südlevante, 5. / 4. Jh. v. Chr.; BIBEL+ORIENT Datenbank Online
). © Stiftung BIBEL+ORIENT, Freiburg / Schweiz ; Foto: Primula Bosshard - Pferde- und Kamelreiter (mesopotamisches Rollsiegel, 6.-5. Jh. v. Chr.). © Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart
- Frau mit Kind auf einem Maultier mit Decke, das von einem Mann angetrieben wird (Relief des Südwestpalastes Sanheribs, Ninive, 7. Jh.). Mit Dank an © The Trustees of the British Museum
- Kamelsatteltypen: a) Südarabischer chaulāni-Sattel; b) syrischer Kissensattel; c) nabatäischer šaddād-Sattel; d) palan-Sattel (Transportsattel); e) Palladium für Prozessionen mit heiligen Objekten. © Stiftung BIBEL+ORIENT, Freiburg / Schweiz
; Zeichnungen: Thomas Staubli - Kamel mit Reiter im „Eselritt“ (Jemen, ca. 2. Jh. v. Chr.). © Thomas Staubli
- a) Ismaelitische Krieger im Huckepack auf syrischem Kissensattel (Nordpalast Assurbanipals, Ninive, 7. Jh. v. Chr.); b) Kamelreiter auf Löwenjagd (Skaraboid, Tell Ǧemme, 7. Jh. v. Chr.). © Stiftung BIBEL+ORIENT, Freiburg / Schweiz
; Zeichnungen: Thomas Staubli - Šaddād-Sattel: a) Kamelreiter mit Lanze (Philisto-arabische Münze, 5. Jh. v. Chr.); b) Kamel mit nabatäischer Meharistenausrüstung (Südjordanien, 1. Jh. n. Chr.). © Ernst Axel Knauf / Thomas Staubli
- Kamel mit Frauensänfte (Terrakottafigur, Levante oder Syrien, 2. Jh. n. Chr.). © Stiftung BIBEL+ORIENT, Freiburg / Schweiz
; Foto: Primula Bosshard - Römische Münzen a) König Aretas kniet als Unterworfener Roms mit Friedenszweig neben seinem Reitkamel (58 v. Chr.); b) Judäischer Bacchusverehrer in derselben Pose (55 v. Chr.). © Stiftung BIBEL+ORIENT, Freiburg / Schweiz
; Zeichnungen: Thomas Staubli; Ulrike Zurkinden-Kolberg - Tonfigur eines Kriegselefanten in voller Montur (Myrina / Kleinasien, 2. Jh. v. Chr.). © Stiftung BIBEL+ORIENT, Freiburg / Schweiz
; Zeichnung: Hildi Keel-Leu - Baal-Seth als geflügelter Mann auf einem Löwen stehend ist die häufigste Verkörperung des Sturm- und Wettergottes in der Südlevante während der frühen Eisenzeit, 1150-1000 v. Chr. (Stempelsiegelamulett, Tell el-Fār‘a Süd). © Stiftung BIBEL+ORIENT, Freiburg / Schweiz
; Zeichnung: Hildi Keel-Leu - Mordechai auf einem Schimmel (Detail aus den Fresken der Synagoge von Dura-Europos, 256 n. Chr.).
- Reiter im gestreckten Galopp (Stempelsiegelamulett, Bet-Schean, wahrscheinlich 10.-7. Jh. v. Chr.). © Stiftung BIBEL+ORIENT, Freiburg / Schweiz
; Zeichnung: Ulrike Zurkinden-Kolberg - a) Bogenschütze auf Kamel jagt Strauße (5. Jh. v. Chr.); b) Jagdszene mit Jäger zu Pferd, Jagdhund und Steingeiß (Tell el-Mazār / Jordanien, 5. Jh. v. Chr.). a) © Stiftung BIBEL+ORIENT, Freiburg / Schweiz
; Zeichnung: Hildi Keel-Leu; b) © Stiftung BIBEL+ORIENT, Freiburg / Schweiz - Im obersten Register eines Kultständers aus Taanach reitet die geflügelte Sonne auf einem Pferd (10. Jh. v. Chr.). © Stiftung BIBEL+ORIENT, Freiburg / Schweiz
- a) Die bewaffnete Göttin Anat auf einem Pferd, über einen Feind hinwegreitend (Südlevante, 14./13. Jh. v. Chr.,); b) Stele mit Qudschu auf einem Löwen, flankiert von Min und Reschef (Dēr el-Medīna, 1279-1213 v. Chr.); c) Auf einem Pferd reitende Göttin, die Elemente von Anat und Qudschu verbindet (Goldblech, Lachisch, 13. Jh. v. Chr.). a) © Stiftung BIBEL+ORIENT, Freiburg / Schweiz
; Zeichnung: Hildi Keel-Leu; b) freundlicherweise zur Verfügung gestellt von © Museo Egizio; c) © Stiftung BIBEL+ORIENT, Freiburg / Schweiz - Die Dämonin Lamaschtu, auf einem Onager reitend (Amulett aus Stein, Nordwestmesopotamien, 800-550 v. Chr.). Aus: O. Keel, Das Recht der Bilder gesehen zu werden. Drei Fallstudien zur Methode der Interpretation altorientalischer Bilder (OBO 122), Freiburg (Schweiz) / Göttingen 1992, Abb. 283; © Stiftung BIBEL+ORIENT, Freiburg / Schweiz
- Georgsikone aus dem Kloster Dēr Mar Ǧirǧis (Syrien).
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