Rind
(erstellt: September 2016)
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Schon seit dem Neolithikum ist die Haltung des Hausrinds belegt, das wohl vom Auerochsen abstammt. Im Alten Orient waren Rinder in der Regel relativ magere, mit heutigen europäischen Artgenossen nicht vergleichbare Tiere. Nach bildlichen Darstellungen dürfte es sich oft um die zuerst in Indien gezüchteten Buckelrinder gehandelt haben, deren Schulterbuckel eine ähnliche Funktion hat wie der Fettschwanz beim → Schaf
1. Landwirtschaftliche Bedeutung
Rinder wurden zum Verzehr auch profan geschlachtet (Ex 21,37
Die ökonomische Bedeutung prägte den Umgang mit Rindern. Ihr Besitz war ein Statussymbol. Besondere Hochachtung genossen die Tiere der fruchtbaren → Baschanhochebene
Als Nutztier und wertvoller Besitz muss ein Rind angemessen gehalten werden. So schreiben Gesetze einen fürsorglichen Umgang mit Rindern vor. Man muss ihnen Nahrung geben, darf ihnen beim Dreschen das Maul nicht verbinden (Dtn 25,4
Andere Gesetze verbieten den Diebstahl (Ex 20,17
2. Vergleiche mit Rindern
Rinder können zwar negativ als störrisch (Hos 4,16
Im Alten Testament kann das Bild von einem Stier sowohl eine negative bedrohliche, als auch eine positive Kraft veranschaulichen. Da sind auf der einen Seite als Metapher für Feinde die Stiere, die den Beter von Ps 22,13
3. Rinder in Kult und Ritual
Im Kult galten Rinder als die wertvollsten Opfertiere (Lev 1,1ff
Verschiedentlich spielen Rinder in einem rituellen Kontext eine Rolle (→ Ritual
Um das Reinigungswasser herzustellen, das man für Reinigungsrituale benötigt, die nach Kontakt mit Leichen durchzuführen sind, soll man nach Num 19,1-10
Jer 34,18f
In Gen 15,7-21
1Sam 11,5ff
4. Sprachliche Differenzierung
In der Hebräischen Bibel gibt es neun verschiedene Begriffe für Rinder: אָבִיר ’āvîr, אֶלֶף ’ælæf, בָּקָר bāqār, עֵגֶל ‘egæl, עֶגְלָה ‘æglāh, פַּר par, פָּרָה pārāh, רְאֵם rə’em und שׁוֹר šôr (vgl. Koenen 1994a). Diese Begriffe lassen sich zum Teil nur schwer voneinander abgrenzen, da bei der Abgrenzung unterschiedliche Kriterien, die sich zum Teil allerdings überlappen, zum Tragen kommen, nämlich erstens die Rinderart: רְאֵם rə’em bedeutet „Wildrind“, בָּקָר bāqār „Hausrind“; zweitens das Geschlecht: עֵגֶל ‘egæl und פַּר par meinen männliche, עֶגְלָה ‘æglāh und פָּרָה pārāh weibliche Tiere; drittens das Alter: עֵגֶל ‘egæl und עֶגְלָה ‘æglāh meinen „Jungstier“ und „Jungkuh“; viertens die Funktion: אָבִיר ’āvîr meint einen Stier als kraftvolles Tier („Bulle“), פַּר par einen Stier als Brand- oder Sündopfer, שׁוֹר šôr ein Rind als Wirtschaftsgut und אֶלֶף ’ælæf ein Rind im Kontext von Ackerbau und Viehzucht.
4.1. Wildrind (רְאֵם rə’em). Das auffallendste Merkmal des Wildrinds sind seine → Hörner
4.2. Hausrind (בָּקָר bāqār). Der Gattungsbegriff בָּקָר bāqār wird in sehr verschiedenen Kontexten gebraucht. Er meint das Rind als Herdentier und Besitz, als Schlachttier, besonders für festliche Mahlzeiten, oder auch als Opfertier, und zwar sowohl bei Sünd- und Brandopfern (nur männliche Tiere) als auch bei Schlachtopfern (auch weibliche Tiere; Lev 3,1
4.2.1. Jungrinder (עֵגֶל ‘egæl; עֶגְלָה ‘æglāh). עֵגֶל ‘egæl und עֶגְלָה ‘æglāh meinen nicht nur kleine Kälbchen, sondern bis zu drei Jahre alte Tiere (Gen 15,9
4.2.2. Ausgewachsene Rinder (אָבִיר ’āvîr; פַּר par; פָּרָה pārāh)
4.2.2.1. אָבִיר ’āvîr bedeutet „stark / kräftig“, kann sich aber auf einen Stier (auch einen Hengst) beziehen und nimmt diesen – wie רְאֵם rə’em „Wildstier“ (vgl. Jes 34,7
4.2.2.2. פַּר par und פָּרָה pārāh sind ausgewachsene Rinder (Ri 6,25
4.2.2.3. פַּר par ist zwar grammatisch, aber nicht sachlich das männliche Pendant zu פָּרָה pārāh „Kuh“ (vgl. dagegen Riede 2000, 219). Auffällig ist schon, dass die beiden Begriffe außer in Gen 32,16
4.2.3. Rinder unabhängig von Alter und Geschlecht (שׁוֹר šôr; אֶלֶף ’ælæf)
4.2.3.1. שׁוֹר šôr bezeichnet das Rind als Nutztier und Wirtschaftsgut, und zwar unabhängig von Alter (vgl. Lev 22,27
4.2.3.2. אֶלֶף ’ælæf (Ps 144,14
Die Kastration von Stieren lässt sich für Israel nicht belegen, und ein Terminus für „Ochsen“ fehlt im Hebräischen. Deswegen ist der Gebrauch dieses Begriffs in deutschen Bibelübersetzungen irreführend (16-mal in der Einheitsübersetzung der Hebräischen Bibel).
Um Stiere als Zugtiere zu verwenden, war es keineswegs nötig, sie zu kastrieren, weil der Umgang mit ihnen sonst zu gefährlich gewesen wäre. Jedenfalls bezeugt → G. Dalman
Auch wenn die Kastration von Rindern unseres Wissens nicht praktiziert wurde, sie ist im Alten Testament keineswegs verboten. Lev 22,24
Literaturverzeichnis
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Abbildungsverzeichnis
- Buckelrind als Stierstatuette (Bronze; Hazor; 5,5 x 4,5 cm; Späte Bronzezeit). © Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart
- Heutiges Buckelrind als Zugtier (Indien). Aus: Wikimedia Commons; © Caspian Rehbinder, Wikimedia Commons, lizenziert unter CreativeCommons-Lizenz cc-by-sa 3.0 nicht portiert; Zugriff 5.9.2016
- Rinder ziehen einen Dreschschlitten (Ägypten; 20. Jh.). © public domain (Foto: Ludwig Koenen, 1964)
- Der assyrische König Assurnasirpal II. (Mitte) erlegt Stiere und demonstriert damit seine Stärke (Relief; Nimrud, um 850 v. Chr.). Mit Dank an © The Trustees of the British Museum (BM 124532)
- Der Pharao (Amenophis II.) als siegender Stier (Siegel; Tell el-‘Aǧǧūl; 15. Jh.). Aus: O. Keel, Das Recht der Bilder, gesehen zu werden. Drei Fallstudien zur Methode der Interpretation altorientalischer Bilder (OBO 122), Freiburg (Schweiz) / Göttingen 1992, Abb. 161; © Stiftung BIBEL+ORIENT, Freiburg / Schweiz
- Stier als Tragtier eines Wettergottes mit Blitzbündel in der Rechten (Basaltstele; Arslan Tasch; 8. Jh.). © Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart
- Rind und Esel bei dem Jesuskind (Sarkophags des Stilicho; früher in St. Ambrosius, Mailand; um 385 n. Chr.). Aus: Wikimedia Commons; © public domain; Zugriff 7.9.2016
- Eine Kuh säugt ihr Kalb (Elfenbein; 9. Jh.; Libanon; BIBEL+ORIENT Datenbank Online
). © Stiftung BIBEL+ORIENT, Freiburg / Schweiz
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