Deutsche Bibelgesellschaft

(erstellt: Oktober 2013)

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Rohr (hebräisch קָנֶה qānæh) bezeichnet verschiedene Röhrichtpflanzen, daneben ein Messinstrument, das aus solchen Pflanzen angefertigt wurde, und schließlich in übertragener Verwendung ein Gebilde in röhrenartiger Form oder Bauweise.

Das semitische qānæh ist schon seit Homer als Lehnwort im Griechischen (κανών kanōn), später auch im Lateinischen (canon) belegt. Von da aus ist es als → „Kanon“ auch im Deutschen und Englischen („canon“) übernommen worden, vor allem in der Bedeutung „Maßstab / Richtschnur“.

1. Pflanze

1.1. Schilfrohr

Das hebräisch קָנֶה qānæh bezeichnet im Alten Testament in der Grundbedeutung ein Schilfgras; es kann deshalb als „Schilfrohr“ (Hi 8,11 Einheitsübersetzung) oder „Schilf“ (Ps 68,31 Lutherbibel) übersetzt werden. Nach Zohar (134) ist botanisch dabei am ehesten an Phragmites australis zu denken. HALAT geht dagegen von Arundo donax, dem „Riesenschilfrohr“ oder „Pfahlrohr“, aus. Eine sichere Entscheidung ist aufgrund der biblischen Angaben nicht möglich. Vermutlich bezeichnet der hebräische Begriff verschiedene Röhrichtpflanzen, die damals an feuchten Stellen im Land wuchsen. Im Alten Testament wird diese Pflanze vor allem in Verbindung mit Ägypten erwähnt, wo die Nilufer günstige Bedingungen für große Flächen von Röhrichtpflanzen boten.

1.2. Würzrohr

Der Begriff קָנֶה qānæh umfasst auch das Gewürz- oder Würzrohr (Hhld 4,14; Jes 43,24 u.ö.), eine aus fernen Ländern importierte Kostbarkeit (Jer 6,20; Ez 27,19), die unter anderem zur Herstellung von heiligem Salböl verwendet wurde (Ex 30,23). Gemeint ist nach HALAT der Kalmus (Acorus), eine wohlriechende Pflanze, die ähnlich wie Schilf zu den Röhrichtpflanzen gehört. Nach Zohar (196) handelt es sich um ein Süßgras der Gattung Cymbopogon. Auch in diesem Fall lässt sich die genaue Art aus den biblischen Angaben nicht bestimmen.

1.3. Halm

In Gen 41,5.22 meint קָנֶה qānæh außerdem einfach den Halm des Getreides.

1.4. Das „geknickte Rohr“

Die Pflanze kommt in zwei einprägsamen Vergleichen vor. 2Kön 18,21 (vgl. Jes 36,6; Ez 29,6f.) vergleicht die Unzuverlässigkeit der ägyptischen Zusagen mit einem „geknickten Rohr“ קָנֶה הָרָצוּץ qānæh rāṣûṣ, auf das man sich nicht stützen kann. Dahinter steht das Phänomen, dass insbesondere das Riesenschilfrohr, ähnlich wie Bambus, eine erstaunliche Stabilität und Steifheit besitzt und deshalb in vielen Fällen zur Abstützung dienen kann, ein Knick allerdings ist eine solch schwerwiegende Schwachstelle, dass diese Eigenschaften verloren gehen und das Rohr als Stütze unbrauchbar wird. Auf den ersten Blick mag der Knick nicht einmal auffallen, im Falle einer Belastung macht er sich aber sofort bemerkbar. In der Verbindung von Ägypten und Schilfrohr sieht Zimmerli (710) dabei ägyptisches Lokalkolorit.

Nach Jes 42,3 wird der → Gottesknecht das „geknickte Rohr“ nicht zerbrechen, d.h. er wird das angeschlagene und deshalb nicht mehr belastbare Rohr nicht gänzlich außer Gebrauch nehmen. Metaphorisch steht das geknickte Rohr für die Menschen, deren Knochen gebrochen und nicht wieder richtig zusammengewachsen sind, so dass sie nicht mehr voll belastbar sind. Weitergehend geht es um alles Leben, das gebrochen oder eingeschränkt ist. Der Gottesknecht wird also das angeschlagene und vergehende Leben erhalten und heilen.

2. Messinstrument

Weil das Schilfrohr sehr gerade wächst, im Vergleich zu seiner Länge sehr leicht und steif ist und gut verfügbar war, war es das ideale Längenmessinstrument. Da insbesondere das „Riesenschilfrohr“ mehrere Meter hoch wachsen kann, konnte man auch sehr lange Messstäbe herstellen, die das Vermessen langer Strecken erleichterten. In der Baubeschreibung des künftigen Heiligtums in Ez 40-48 wird ein Mann erwähnt, der ein „Messrohr“ / eine „Messlatte“ (קְנֵה הַמִּדָּה qəneh hammiddāh, Ez 40,3.5; Ez 42,16-19) verwendet. Dabei handelt es sich um ein Schilfrohr, das auf die Länge von 6 großen Ellen (Ez 40,5; entspricht gut 3 Metern) zugeschnitten wurde. Im folgenden Text wird auf dieses Messinstrument dann mit dem bloßen Wort „Rohr“ verwiesen (Ez 40,5-8; Ez 41,8; Ez 42,16-19).

3. Form / Bauweise

„Rohr“ zur Bezeichnung der Form oder Bauweise wird vor allem in der Beschreibung des Leuchters im Zeltheiligtum verwendet (Ex 25,31-39; Ex 37,17-22). In diesen Abschnitten werden auch andere botanische Ausdrücke zur Bezeichnung von Bauformen verwendet. Die Wahl des hebräischen קָנֶה qānæh legt nahe, dass die so bezeichneten Bauteile innen hohl waren. In deutschen Übersetzungen werden dafür Begriffe wie „Schaft“ oder „Arme“ gebraucht.

Nach Jes 46,6 wird Silber „mit dem Rohr“ gewogen, vermutlich ist eine aus einem Stück Schilfrohr gefertigte Balkenwaage gemeint.

Literaturverzeichnis

1. Lexikonartikel

  • Theologisches Wörterbuch zum Neuen Testament, Stuttgart 1933-1979
  • Theologisches Wörterbuch zum Alten Testament, Stuttgart u.a. 1973ff
  • Calwer Bibellexikon, Stuttgart 2003

2. Weitere Literatur

  • Lamberty-Zielinski, Hedwig, Art. קָנֶה qānæh, ThWAT VII, Stuttgart u.a. 1993, 71-78
  • Zimmerli, Walther, Ezechiel 25-48 (BK XIII/2), Neukirchen-Vluyn 1969
  • Zohary, Michael, Pflanzen der Bibel, 2. Auflage, Stuttgart 1986

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