Ruf / rufen
(erstellt: Dezember 2014)
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1. Grundbedeutung und Vorkommen
„Rufen“ gibt in deutschen Bibelübersetzungen das hebräische Verb קרא qr’ wieder. Dieses Verb kommt im Alten Testament 738-mal vor. Die Grundbedeutung umschreibt Labuschange wie folgt: „durch den Laut der Stimme die Aufmerksamkeit jemandes auf sich ziehen, um mit ihm in Kontakt zu kommen“. Das Verb zielt also auf Kontaktaufnahme und hat demnach eine personale Dimension. Es richtet sich sowohl auf zwischenmenschliche Beziehungen als auch auf die Beziehung zu Gott. Vom Verb קרא qr’ leitet sich das Nomen מִקְרָא miqrā’ her, das die Grundbedeutung „Ruf“ trägt. Es steht in der Bibel 23-mal.
Darüber hinaus gibt es weitere Ableitungen von קרא qr’ „rufen“: das als Nomen belegte Partizip aktiv „Rufender“ (קוֹרֵא qôre’, vgl. z.B. Jes 40,3
2. Bedeutungsnuancen
Im Kontext ergeben sich für קרא qr’ unterschiedliche Bedeutungsnuancen: „schreien / zurufen“ (vgl. z.B. 1Sam 17,8
Die Bedeutungsnuancen von מִקְרָא miqrā’ „Ruf“ sind: „Herbeirufung“ (vgl. Num 10,2
Von der Wurzel qr’ leitet sich auch das Wort Quran (qur’ān) bzw. – bei anderer Schreibung im Deutschen – Koran ab, das „Lesung / Rezitation / Vortrag“ bedeutet und die Heilige Schrift des Islam bezeichnet.
2.1. Ausrufen und Verkündigen
Im Zusammenhang öffentlicher Erklärungen trägt קרא qr’ die Bedeutung „ausrufen“ (= „proklamieren“) oder „verkündigen“ (= „promulgieren“). In der Hebräischen Bibel werden beispielsweise → Festtage
Es wundert daher nicht, dass die Ausrufung des → Namens
2.2. Lesen, (öffentlich) Vorlesen
Von „rufen“ über „proklamieren“ hat sich für קרא qr’ die Bedeutung „lesen“ bzw. „vorlesen“ entwickelt. Dabei ist primär an ein lautes oder gar öffentliches Vorlesen zu denken (vgl. z.B. Ex 24,7
2.3. Namensgebung und Namensänderung
In Verbindung mit dem Substantiv „Namen“ (שֵׁם) kann קרא qr’ „rufen“ auch die Namensgebung oder Namensänderung einer Person oder eines Ortes bezeichnen. So kann קרא qr’ auch „nennen“ bedeuten (vgl. z.B. Gen 3,20
Für die Vorstellung eines Weiterlebens nach dem Tod hat die Nennung des Namens in der Hebräischen Bibel eine besondere Funktion. Indem die Nachkommen den Namen des Verstorbenen nennen, lebt der Verstorbene fort (vgl. z.B. Gen 48,16
3. Rufen und Gott
3.1. Das Rufen des Menschen zu Gott
In der Hebräischen Bibel kann der Mensch durch das Verb „rufen“ auch eine Beziehung zu Gott herstellen (89-mal). In diesem Sinne kommt es häufig in den Gebetsliedern des → Psalters
Der Ruf zu Gott kann erhört werden oder auch unbeantwortet bleiben (vgl. z.B. Ps 22,3
3.2. Das Rufen Gottes
Mit Gott bzw. JHWH als Subjekt trägt das Verb „rufen“ häufig die Bedeutungsnuance „berufen“. So beruft Gott z.B. → Samuel
Bemerkenswert ist, dass JHWH in der Hebräischen Bibel auch einen Nichtisraeliten beruft, nämlich den Perserkönig → Kyros
Der Ruf Gottes hat in allen Fällen heilsgeschichtliche Relevanz. Er steht an entscheidenden Wendepunkten der Geschichte Israels.
Literaturverzeichnis
1. Lexikonartikel
- Theologisches Wörterbuch zum Neuen Testament, Stuttgart 1933-1979
- Theologisches Handwörterbuch zum Alten Testament, 5. Aufl., München / Zürich 1994-1995
- Calwer Bibellexikon, Stuttgart 2003
2. Weitere Literatur
- Heidler, J., 2003, Art. Ruf, rufen, in: Calwer Bibellexikon, Bd. 2, Stuttgart, 1147.
- Hossfeld, F.-L. u.a., 1993, Art. קרא, in: ThWAT, Bd. VII, Stuttgart u.a., 117-147.
- Fichtner, J., 1956, Die etymologische Ätiologie in den Namensgebungen der geschichtlichen Bücher des Alten Testaments, VT 6, 372-396.
- Galling, K., 1956, Die Ausrufung des Namens als Rechtsakt in Israel, ThLZ 8, 65-70.
- Kessler, R., 1987, Benennung des Kindes durch die israelitische Mutter, WuD 19, 25-35.
- Kutsch, E., 1953, מקרא, ZAW 65, 247-253.
- Labuschange, C.J., 5. Aufl. 1995, Art. קרא qr’ rufen, in: THAT, Bd. II, München / Zürich, 666-674.
- Lohfink, N., 1995, Studien zum Deuteronomium und zur deuteronomistischen Literatur III, Stuttgart.
- Van der Woude, A.S., 5. Aufl. 1995, Art. שׁם šēm, in: THAT, Bd. II, München / Zürich, 935-963.
- Waschke, E.-J., 1998, Art. Berufung II. Altes Testament, in: RGG, 4. Aufl., Tübingen, Bd. 1, 1347-1349.
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