Scham / Schande (AT)
(erstellt: Februar 2015)
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1. Überblick und aktuelle Diskussion
Als Scham wird allgemein das selbstmindernde Gefühl des Verfehlens eines Ich-Ideals, der unangemessenen Entblößung der Intimsphäre oder der (vermeinten) Herabwürdigung durch andere verstanden, als Schande die soziale Situation der Degradierung, des Ehr- und Statusverlustes. Der in Beziehung zu „bedeutenden anderen“ herausgebildete, selbstbezügliche Affekt der Scham ist für den Erwerb sozial erfolgreicher Verhaltensweisen notwendig, fördert aber auch Anpassung an gesellschaftliche Normen, Konventionen und Konformität mit ihnen. Beschämung dient in nahezu allen Kulturen der Sanktionierung abweichenden Verhaltens (vgl. Neckel). Was in einer Kultur als beschämend gilt, steht somit in unmittelbarem Bezug zu ihrem jeweiligen Ethos.
Dies wird auch in den alttestamentlichen Überlieferungen sichtbar; allerdings wird hier zwischen dem Gefühl der Scham und der Situation der Schande nicht in ähnlicher Weise unterschieden wie in heutiger westlicher Kultur, was bereits am semantischen Inventar des Biblischen Hebräisch für das Wortfeld Scham / Schande abzulesen ist (s.u. 2.). Entsprechend wird im Folgenden meist das Begriffspaar Scham / Schande gebraucht, als dessen, wenn auch nicht symmetrisches, Antonym der Begriff der → Ehre
Die Bedeutung von Scham / Schande für die gemeinschafts- und familienorientierten Menschen des alten Israel wird immer noch häufig unterschätzt (Keel 2007, 825). Auf der anderen Seite wurde insbesondere in der englischsprachigen Forschung in jüngerer Zeit häufig vertreten, dass es sich beim alten Israel um eine mediterrane „Schamkultur“ im Unterschied zu westlichen „Schuldkulturen“ (zur Unterscheidung: Benedict) handelt (Plevnik; vgl. Peristiany / Pitt-Rivers 1974; dies. 1992; Malina; Rabichev u.a.; vgl. die Forschungsüberblicke bei Nojima, 15-246; Crook, 591-597). Diese Unterscheidung wurde inzwischen jedoch vielfach kritisiert (vgl. etwa Giordano) und darf nicht pauschal als hermeneutischer Schlüssel für die Überlieferungen des alten Israel eingesetzt werden. So wurde auch bei Annahme einer mediterranen Schamkultur für den griechischen Kulturraum von Homer bis in die hellenistische Zeit bereits die Veränderlichkeit der Auffassung von Ehre und Scham / Schande herausgearbeitet (Dodds; zur Weiterführung und Kritik an Dodds s. Nojima, 148-167).
Eher selten weisen die alttestamentlichen Überlieferungen konkrete Analogien zum unterstellten allgemein-mediterranen Ehrenkodex des unbedingten Schutzes der durch sexuelle Reinheit symbolisierten, für den Ruf der Familie ausschlaggebenden weiblichen Ehre auf (z.B. Gen 34
Insgesamt dominieren in den kanonischen Texten theologische und ethische Bewertungskriterien, was als schändlich gilt: Dass sie nicht beschämt werden sollen, wird ganz Israel bzw. denen zugesagt, die → JHWH
2. Wortbedeutung und Äquivalente in der Umwelt
Die biblisch-hebräischen Hauptbegriffe des Wortfelds Scham / Schande bezeichnen meist sowohl die subjektive Scham als auch die soziale Beschämung (vgl. noch immer Klopfenstein). Im Einzelnen sind dies Derivate der folgenden hebräischen Verben:
1) בושׁ bôš Qal „sich schämen müssen / zuschanden werden“. Die Wurzel ist mit akkadisch bâšum (AHw: „beschämt / zuschanden werden“) verwandt (vgl. Seebaß); die → Septuaginta
2) חפר ḥpr II Qal „sich schämen / beschämt sein“; die Etymologie ist fraglich. LXX wählt als Übersetzung meist ἐντρέπειν entrepein, selten αἰσχύνειν aischynein oder ὀνειδίζειν oneidizein (vgl. Gamberoni, 116f).
3) כלם klm Nif. 1. „gekränkt / beschimpft sein“, 2. „sich beschimpft fühlen / sich schämen“, 3. „zuschanden werden“. Mit כלם klm ist akkadisch kullumu „sehen lassen / zeigen“ verwandt, die Wurzel ist auch in weiteren semitischen Sprachen belegt. LXX übersetzt auch כלם klm meist mit ἐντρέπειν entrepein, seltener mit ὀνειδίζειν oneidizein oder αἰσχύνειν aischynein und dessen Komposita (vgl. Wagner).
4) קלה qlh II. Nif. „verächtlich sein / werden“; das Verb wird als Nebenform von קלל qll „verachtet sein / werden“ angesehen und in LXX in der Regel mit ἀτιμάζειν atimazein und Derivaten übersetzt (vgl. Marböck).
5) חרף ḥrp „schmähen“. Das Verb bedeutet in einigen verwandten semitischen Sprachen „scharf sein“ oder auch „reizen / anstacheln“. LXX bevorzugt bei der Übersetzung ὀνειδίςειν oneidizein (vgl. Kutsch).
Übergreifende Studien zur Bedeutung von Scham / Schande in den Umweltkulturen Israels stehen noch aus; im mesopotamischen Bereich spricht allerdings die von altbabylonischer vielleicht sogar altakkadischer, bis in neubabylonische Zeit belegte Verbreitung von Personennamen wie dSin-a-ia-ba-aš „Sin, lass mich nicht zuschanden werden“ o.ä. (vgl. Seebaß, 569f.) für die große Bedeutung, die der Wunsch, von Scham / Schande verschont zu bleiben, in der persönlichen Frömmigkeit spielte.
3. Scham und Schande in den alttestamentlichen Überlieferungen
Scham und Schande werden in einigen Teilen der alttestamentlichen Überlieferung kaum explizit thematisiert, und wo, dann auf recht unterschiedliche Weise. Diese Schwerpunkte der Thematisierung sind je für sich zu behandeln.
3.1. Pentateuch
In der Erzählung vom sogenannten → Sündenfall
Mehrere Erzählungen des Pentateuchs gelten dem Thema Beschämung und Wiederherstellung verletzter Ehre durch → Rache
In den weiteren Erzähltexten des Pentateuchs werden Scham und Schande nur selten thematisiert; doch auch bei → Mirjams
3.2. David-Erzählkränze
Im Kanonteil „Vordere Propheten“ (→ Kanon
3.3. Prophetie
Bereits in der „klassischen Prophetie“ werden Scham und Schande mit typischen Inhalten prophetischer Verkündigung verbunden: Mit der verfehlten Außen- und Bündnispolitik (Jes 30,1-5
3.4. Psalmen
Das Ringen um die Wiedererlangung verletzter Integrität kommt besonders in den → Psalmen
3.5. Jesus Sirach
Das Buch → Jesus Sirach
4. Ausblick: Zu Scham und Schande in der rabbinischen Literatur
In der rabbinischen Literatur wird mit besonderer Intensität die Bedeutung der Verletzung der Person durch Beschämung diskutiert (s. hierzu Wurmser, 74-80). Paradigmatisch hierfür ist Talmud-Traktat Baba Mezia 58b, wo das Vernichtungspotential öffentlicher Beschämung als Blutvergießen gebrandmarkt wird, mit einer pointierten Deutung der leiblichen Dimension der Scham, des Erbleichens: „Jeder der das Gesicht eines Gefährten vor den Vielen erbleichen läßt, ist, als ob er Blut vergießt [...] ich habe es nämlich gesehen, wie die Röte geht und die Blässe kommt.“ In der Gemara zur Stelle heißt es dann: „Verletzung durch Worte ist ein größeres [Verbrechen] als Betrug durch Geld. Es ist besser, ein Mensch werfe sich in den Feuerofen, als daß er öffentlich seinen Nächsten beschämt.“ Die Verletzung des Antlitzes des anderen übertrifft weit die seines materiellen Guts. Bereits im dazugehörigen Mischna-Traktat wird die Übervorteilung im materiellen Tausch mit der Verletzung der Person verglichen: „Wie es eine Rechtsverletzung (Ona’ah) beim Kaufen und Verkaufen gibt, so gibt es eine Verletzung durch Worte (Ona’ah bidvarim). [...] Wenn jemand etwas Vergangenes bereut, soll man ihm nicht sagen: Erinnere dich deiner früheren Taten“ (Mischna Exodus 22,20).
Rabbi Löw von Prag (16. Jh.) wiederum argumentiert in Netivot Olam XII schöpfungstheologisch: „Wer öffentlich einen Mitmenschen beschimpft, begibt sich des ewigen Lebens: eine öffentliche Beleidigung ist die Entheiligung der Ebenbildlichkeit Gottes, nach der ein jeglicher Mensch geschaffen ist […] Darum ist die Kränkung eines einzelnen Menschen eine Herabwürdigung der ganzen Menschheit.“ Damit schließen die ethischen Reflexionen der Rabbinen an den Schutz jedes Menschen um der Gottesbildlichkeit willen (Gen 1,26-28
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