Schatten
(erstellt: April 2013)
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→ Todesschatten
1. Schatten im Alten Orient
1.1. Ägypten
Schatten steht für Schwärze und kann mit negativer Wertung ein Synonym für Finsternis sein. Er kann aber auch mit positiver Wertung Schutz vor Hitze und angenehme Kühle bedeuten. Von daher lässt sich Schatten als Metapher für Schutz verstehen, etwa für den Schutz, den Götter, Könige, Privatpersonen oder eine Stadt gewähren. Da sich ein Schatten durch Bewegung der Lichtquelle schnell und lautloser bewegen lässt, kann die Rede vom Schatten metaphorisch eine Bewegung als schnell und lautlos charakterisieren. Der Schatten kann auch für ein mit Gold und Halbedelsteinen verziertes figürliches Abbild stehen, welches die Silhouette eines Gottes nachbildet, so dass die Lichtreflexion unter dem Begriff des Schattens subsumiert wurde.
Vorstellungen vom Schatten finden sich insbesondere in den Unterweltsbüchern des → Neuen Reichs
Der Schatten kann auch eine magische Dimension haben, denn er kann Krankheiten verursachen, gegen die es jedoch Rezepte gab (Berliner medizinischer Papyrus 3038).
Der Schatten eines Gottes konnte auch sexuell tätig werden, so bei Seth. Dieser Vorstellung entspricht die neutestamentliche Aussage von der „Zeugung“ Jesu: Maria wird von der Kraft des Höchsten überschattet (Lk 1,35
1.2. Ugarit
Die Verbindung von Schatten und Tod ist auch in Ugarit belegt. Im Ahnenkult werden die Geister der Verstorbenen als Schatten bezeichnet. Im Zusammenhang mit Götterbildern kann das Wort für Schatten, wie in Ägypten, die Bedeutung Glanz bzw. Reflexion annehmen, wie sie durch Lichteinfall von deren Metall oder Verzierungen ausgeht (vgl. KTU 1.123:12; Mazzini, 29; de Moor, 12).
2. Schatten im Alten Testament
2.1. Sprachlicher Befund
2.1.1. צֵל ṣel. In den deutschen Bibelübersetzungen geht „Schatten“ meistens auf das Nomen צֵל ṣel zurück oder auf צלל ṣll III, das Verb der zugrunde liegenden Wurzel, bzw. auf deren aramäisches Äquivalent טלל ṭll (Neh 3,15
Der Plural von צֵל ṣel wird mit einer Verdopplung des zweiten Radikals gebildet (צְּלָלִים ṣəlālîm (Hhld 2,17
צלמות ṣlmwt „tiefste Finsternis“ steht mit צֵל ṣel „Schatten“ etymologisch in keinem Zusammenhang, doch wird das Wort von der → Septuaginta
2.1.2. רְפָאִים rəfa’im. Gelegentlich wird auch רְפָאִים rəfa’im mit „Schatten“ übersetzt, da der Begriff Verstorbene bezeichnen kann, die sich im Totenreich befinden (Spr 21,16
2.1.3. Septuaginta. In der → Septuaginta
In Sach 1,8
2.2. Schatten wörtlich
Schatten ist das Projektionsbild eines Subjektes bzw. des von ihm verdunkelten Raumes. Gegenstände, Menschen, Pflanzen und Naturphänomene können Schatten werfen. Das Alte Testament kann vom Schatten einer Wolke (Jes 25,5
Implizit ist von der Kühle des Schattens die Rede, wenn gesagt wird, dass jemand in der Mittagshitze in einem Zelteingang sitzt (Gen 18,1
2.3. Schatten zur Zeitbestimmung
Mit Schatten kann man Zeit messen. Wenn die Schatten lang gestreckt werden (Ps 102,12
2.4. Schatten als Metapher für Schutz
Der Schatten bietet → Schutz
2.4.1. Gott gewährt Schutz
In dem → Theriomorphismus
Der Schatten steht für den Schutz, welchen Gott den Armen und Geringen gewährt (Jes 25,4
Der Schatten Gottes schützt vor Sonnenstich und Mondstich (Ps 121,5
Als Bild für Schutz ist vom „Schatten des Allmächtigen / Schaddajs“ (Ps 91,1
2.4.2. Menschen gewähren Schutz
Der Schatten, den ein Mensch wirft, wird als Ort des Schutzes oder Wohlbefindens aufgefasst und kann dabei insbesondere mit dem eines Baumes oder eines Felsens verglichen werden. So ist im Hohenlied der Schatten des Geliebten wie der eines Aprikosenbaumes. Die Nähe zum Geliebten vermittelt alle Wohltaten des Schattens eines Baumes (Hhld 2,3
Gute Herrscher sind wie Schattenspender. Ein guter politischer Führer ist wie der Schatten eines Felsen in einem ausgedorrten Landstrich (Jes 32,1
Die Verbindung von Baum- und Schatten als Metapher für den guten König und dessen Sicherheit und Wohlstand bietendes Herrschaftsgebiet wird auch über den babylonischen König Nebudkadnezzar ausgesagt (Dan 4,9
2.4.3. Weitere Subjekte gewähren Schutz
Ein Land, eine Stadt oder ein Haus können Schutz gewähren. „Schatten“ kann für den politischen Schutz stehen, der von einem Land, wie dem mächtigen Ägypten (Jes 30,2
Politischer Schutz kann durch das Bild der Schatten spendenden Äste eines Baumes, etwa der kräftigen Zeder (Ez 17,23
2.5. Schatten als Metapher für Vergänglichkeit
2.5.1. Flüchtigkeit
Der Schatten eines Menschen steht nicht nur für Schutz, sondern auch für die Vergänglichkeit und Flüchtigkeit des menschlichen Lebens. So ist das Leben eines Menschen wie das Aufblühen und Verwelken einer Blume (Hi 14,2
Das Dahinschwinden der Lebenstage gleicht den Schatten, die beim Untergang der Sonne länger werden, sich neigen und schnell vergehen (1Chr 29,15
2.5.2. Krankheit
Der Schatten Gottes kann zwar vor Krankheit schützen (Ps 121,5
3. Schatten in Apokryphen und Qumran
„Schatten“ findet in den Apokryphen und in Qumran eine regelmäßige Verwendung, die jedoch nicht über den alttestamentlichen Gebrauch hinausgeht: Vergänglichkeit (Weish 2,5
1QH 6,15 spricht vom Schatten eines Baumes. Zwar handelt es sich hier um einen mythischen Baum, aber die Funktion des Schattens wird dadurch nicht verändert.
Literaturverzeichnis
1. Lexikonartikel
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- The Anchor Bible Dictionary, New York 1992
- Calwer Bibellexikon, Stuttgart 2003
- Herders neues Bibellexikon, Freiburg 2008
2. Weitere Literatur
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