Schelten (Gottes)
(erstellt: November 2020)
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Vom Schelten Gottes ist in der Hebräischen Bibel relativ selten die Rede. Das Verb גער g‘r „schelten / zurechtweisen“ begegnet insgesamt 14 Mal, die davon abgeleiteten Substantive גְּעָרָה gə‘ārāh „Rüge / Drohung“ und מִגְעֶרֶת mig‘æræt „Schelte / Bedrohung“ 15 Mal bzw. einmal. Die Belegstellen konzentrieren sich auf Prophetie und Weisheit, in der Tora begegnet das Lexem nur zwei Mal. Sowohl Gott als auch Menschen können Subjekt von גער g‘r sein.
Im Deutschen bedeutet „schelten“, jemanden zu tadeln bzw. ihn herabzusetzen. Wer schilt, weist jemanden zurecht bzw. schimpft mit jemandem. Demgegenüber ist die Bedeutung von גער g‘r breiter; sie reicht von der Warnung über die Zurechtweisung bis zur Drohung und Bedrohung. Der Vorgang des Scheltens ist ein lautes Anschreien, das eine vernichtende Wirkung haben kann.
Wenn Gott schilt, hat dies, anders als beim menschlichen Schelten, mehr zur Folge als nur die Betroffenheit oder Beschämung der Gescholtenen. Gottes Schelten lässt die Adressaten erzittern, erschrecken oder treibt sie in die Flucht. Die Gescholtenen werden ohnmächtig und betäubt, sind also erstarrt und handlungsunfähig. Das Schelten Gottes kann zum Tod führen. Wird durch das Schelten Gottes das Wasser zum Versiegen gebracht, kommt es zu Dürren, was ebenfalls mit dem Verlust von Leben einhergeht. In manchen Fällen zeigt sich eine gewisse Nähe zwischen „schelten“ und „verfluchen“. Die Vermutung, dass dieser Bedeutungsaspekt in der Folgezeit eher stärker in den Vordergrund tritt, lässt sich anhand der Bezeugungen in den Texten von Qumran sowie der späteren Verwendung von Sach 3,2
Auch zwischen Gottes → Zorn
Diverse Stellen (z.B. Jes 66,15
Aufgrund der besprochenen Stellen sowie auch im Hinblick auf die ugaritischen Bezeugungen im Baal-Zyklus zeigt sich, dass die Wiedergabe von גער g‘r mit „schelten“, „rügen“, „bedrohen“ oder „zurechtweisen“ eher zu kurz greift. Dies gilt insbesondere für die Stellen, wo Jhwh Subjekt des Scheltens ist. Hier ist mit „schelten“ vielmehr ein performativer Sprechakt gemeint: „... the verb designates a performative speech act that carries power, comparable to that of curses, incantations, imprecations and exorcistic formulae“ (Joosten, 351). „Schelten“ verweist auf die Macht von Gottheiten, die sich gerade auch im Gebrauch von Sprache äußert.
1. Schelten in Ugarit
Das Wort g‘r begegnet mehrere Male in ugaritischen Quellen (→ Ugarit
In dem hippiatrischen Text KTU 1.85 beschreibt es den Laut eines kranken Pferdes. Es wird angenommen, dass damit ein Keuchlaut gemeint ist, der durch die halbseitige Lähmung des Kehlkopfes verursacht wird (Kehlkopfpfeifen, Hemiplegia Laryngis), einer bei Pferden nicht selten auftretenden Erkrankung (Caquot, 51).
In KTU 1.114, einer Beschwörung gegen die Trunkenheit, fährt der Wächter zuerst → Anat
Im Baal-Zyklus (KTU 1.2 I 24) schreit → Baal
Ebenfalls im Baal-Zyklus (KTU 1.2 IV 28) schilt Astarte Baal während seines Kampfes gegen Jammu. Die Stelle gibt Rätsel auf, denn der Moment, Baal zu schelten, ist eigentlich unpassend. Jammu ist bereits besiegt und Baal schickt sich gerade an, ihm den Rest zu geben, als Astarte sich zu Wort meldet. Möglich ist allerdings auch ein Verständnis der Stelle, wonach Astarte sich gar nicht gegen Baal wendet, sondern gegen Jammu. Ihre Worte können auch als „effective words” (Lewis, 210), also als machtvolle Worte aufgefasst werden, ähnlich solchen, die in Verwünschungen oder Fluchformeln verwendet werden. Dann würde Astarte nicht Baal zurechtweisen, sondern vielmehr Baals Namen gleichsam als Waffe gegen Jammu einsetzen und so Baal in seinem Kampf unterstützen.
2. Schelten in der Hebräischen Bibel
2.1. Menschen
Menschen schelten in der Hebräischen Bibel nur andere Menschen. Dabei geht es in aller Regel darum, das Gegenüber (öffentlich) zurechtzuweisen, wobei auch der Aspekt des Beschämens eine Rolle spielt. Jakob schilt seinen Sohn → Josef
2.2. Gott
Gott schilt das Gottesvolk, fremde Völker, Kriegsvolk oder umfassend „alles Fleisch“. Relativ oft ist das Wasser Objekt des Scheltens Gottes.
2.2.1. Gott schilt das Wasser
In 2Sam 22,16
Gottes Schelten begegnet mehrmals im Zusammenhang mit dem Motiv vom → Chaoskampf
In 2Sam 22,16
2.2.2. Gott schilt die Völker
In Jes 17,13
In Ps 76,6
Ps 80,17
2.2.3. Gott schilt sein eigenes Volk
Auch das Volk Israel kann zur Zielscheibe göttlichen Scheltens werden. Im Zusammenhang der Ankündigung von → Segen
Nach Jes 30,17
Dass zwischen Schelten und dem Zorn Gottes eine gewisse Nähe besteht, zeigen Stellen wie Jes 51,20
Die Theophanieschilderung (→ Epiphanie
In Jes 51,20
2.2.4. Weitere Stellen
In Sach 3,2
In Mal 3,11
Mit dem in Ps 68,31
Mal 2,3
3. Schelten in der Septuaginta
Die Wiedergabe von גער g‘r und den davon abgeleiteten Substantiven in der → Septuaginta
4. Schelten in Qumran
In → Qumran
Literaturverzeichnis
1. Lexikonartikel
- Theologisches Wörterbuch zum Neuen Testament, Stuttgart 1933-1979
- Theologisches Wörterbuch zum Alten Testament, Stuttgart u.a. 1973-2015
- Theologisches Handwörterbuch zum Alten Testament, 6. Aufl., München / Zürich 2004
- Calwer Bibellexikon, 2. Aufl., Stuttgart 2006
2. Weitere Literatur
- Botterweck, C. u.a., 1988, Rituale und Beschwörungen II (TUAT II/3), Gütersloh, 342-345.
- Caquot, A., 1977, Art. גָּעַר gā‘ar, in: ThWAT II, Stuttgart u.a., 51-56.
- Dietrich, M. / Loretz, O., 1997, Mythen und Epen IV (TUAT III/6), Gütersloh, 1118-1134.
- Dietrich, M. / Loretz, O. / Sanmartín, J., 3. Aufl. 2013, Die keilalphabetischen Texte aus Ugarit, Ras Ibn Hani und anderen Orten, (AOAT 360/1), Münster. (= KTU3)
- Hanse, H., 1942, Art. λοιδορέω, in: ThWNT IV, Stuttgart u.a., 295-297.
- Janowski, B. / Schwemer, D. (Hgg.), 2010, Texte zur Heilkunde (TUAT NF 5), Gütersloh, 191-194.
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- Joüon, P., 1925, Notes de Léxicographie Hébraïque, Biblica 6, 311-321.
- Kennedy, J.M., 1987, The root G‘R in the Light of Semantic Analysis, JBL 106, 47-64.
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- Tov, E. (Hg.), 2016, Dead Sea Scrolls Electronic Library Non-Biblical Texts, https://referenceworks.brillonline.com/browse/dead-sea-scrolls-electronic-library-non-biblical-texts
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