Schmidt, Johann Lorenz
(1702-1749)
(erstellt: Januar 2016)
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1. Leben
Johann Lorenz Schmidt wurde am 30. November 1702 in Zell (heute Ortsteil von Üchtelhausen, Kreis Schweinfurt, Bayern) als Sohn des Pfarrers Johann Heinrich Schmidt (1671-1725) und der Pfarrerstochter Anna Erika Hartmann (1676-1710) geboren. Als Absolvent des Schweinfurter Gymnasiums Gustavianum (heute: Celtis-Gymnasium) studierte Schmidt 1720-1724 in Jena Theologie, u.a. bei Johann Franz Buddeus (1667-1729). Nach einem kurzen Aufenthalt in Schweinfurt wurde er im Jahre 1725 Hauslehrer bei der Gräfin Löwenstein-Wertheim-Virneburg in Wertheim am Main (heute Main-Tauber-Kreis, Baden-Württemberg). Das Verbot seiner 1735 erschienenen Bibelübersetzung durch den Reichshofrat in Wien als der obersten Zensurbehörde führte am 22. Februar 1737 zu seiner Verhaftung und Arrestierung in der Hofhaltung der (kath.) Fürsten von Löwenstein-Wertheim-Rochefort in Wertheim. Da die involvierten Mächte unterschiedliche Ziele verfolgten, konnte er nach einem Jahr über Leipzig nach Altona bzw. nach Hamburg entkommen, wo er von 1738-1746 unter dem Pseudonym Schroeder (auch Schröter) lebte. Er unterrichtete dort u.a. im Hause des → Hermann Samuel Reimarus
2. Bedeutung und Rezeption
Schmidts Übersetzung des Pentateuch, die sogenannte „Wertheimer Bibel“ (anonym, 1735), gilt als frühes Zeugnis rationalistischer Bibelkritik. Ihre Veröffentlichung löste heftigen Widerspruch aus, u.a. vom Hallenser Theologen und Pietisten Joachim Lange (1670-1744). Mehrere literarische Verteidigungsversuche Schmidts (anonym, 1735.1736.1738) brachten ihm nur wenig öffentliche Unterstützung. Brieflich ermunterte ihn zumindest der Leipziger Philosoph und Wolffianer Johann Christoph Gottsched (1700-1766) zur Fortsetzung des Werkes (vgl. Döring u.a. [Hg.], 2010). Erst heute wird Schmidts Übersetzung in ihrer Bedeutung gewürdigt (vgl. z.B. Spalding 1998; Goldenbaum 2004a, 175-508).
3. Die „Wertheimer Bibel“
Schmidt entscheidet sich für eine freie Übersetzung und damit gegen eine genaue Übertragung oder eine Umschreibung (vgl. Die göttlichen Schriften, 1735, Vorrede, S. 30). Dabei strebt er nach begrifflicher Klarheit und verzichtet auf sprachliche Bilder: „Es ist also höchst nöthig, daß man die Bilder fahren lässet, und die göttlichen Wahrheiten so vorträget, wie sie von dem Verstande müssen gefasset werden, damit wir zu denienigen Begriffen gelangen, welche uns Gott durch dieselben mittheilen wollen“ (Oeffentliche Erklärung, 1736, unpaginiert, erste Seite). Diese göttlichen Wahrheiten sind für den menschlichen Verstand – zumindest im Grundsatz – fassbar: „Allein, wir gehen zu weit, wenn wir eine gewisse Classe von Wahrheiten machen, deren deutliche Erkänntniß wir dem ganzen menschlichen Geschlechte absprechen und als solche angeben wollen, welche die Kräfte unseres Verstandes überstiegen“ (Die göttlichen Schriften, 1735, Vorrede, S. 15). Schmidt stellt den Literalsinn der Texte heraus und wendet sich gegen eine mystisch-allegorische oder christlich-messianische Deutung: „denn der erste Verfasser muß für sich verstanden werden, und es würde eine verkehrte Sache seyn, wenn man die Begriffe von seinen Worten in den folgenden Schriften suchen wolte, welche erst lange nach ihm verfertiget worden“ (Die göttlichen Schriften, 1735, Vorrede, S. 44). Charakteristisch für seine Übersetzung sind die Umschreibung der Gottesreden (vgl. z.B. Gen 1,3
Literaturverzeichnis
1. Lexikonartikel
- Allgemeine Deutsche Biographie, München 1875-1912
- Real-Encyklopädie für protestantische Theologie und Kirche, 2. Aufl., Leipzig 1877-1888 (Art. Wertheimisches Bibelwerk)
- Neue Deutsche Biographie, Berlin 1953ff.
- Die Religion in Geschichte und Gegenwart, 3. Aufl., Tübingen 1957-1965
- Religion in Geschichte und Gegenwart, 4. Aufl., Tübingen 1998-2007
- Hamburgische Biografie. Personenlexikon, Hamburg / Göttingen 2001-2012
- The Dictionary of Eighteenth-Century German Philosophers, London / New York 2010
- Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon (im Internet: http://www.bautz.de/bbkl/)
2. Werke (in Auswahl)
(vgl. die vollständige Bibliographie bei Spalding 1998, 318f.)
- Die göttlichen Schriften vor den Zeiten des Messie Jesus. Der erste Theil worinnen Die Gesetze der Jisraelen enthalten sind nach einer freyen Übersetzung welche durch und durch mit Anmerkungen erläutert und bestätiget wird, Wertheim (J.G. Nehr) 1735 (im Internet
) - Die vest gegründete Wahrheit der Vernunft und Religion in dem ersten Theile des wertheimischen Bibelwerks gegen Herrn Joachim Langens … lezthin unter dem lästerhaften Titel der philosophische Religionsspötter herausgegebenen Schmähschrift vertheidiget durch den Verfasser von der freyen Übersetzung der göttlichen Schriften, Wertheim (J.G. Nehr) [1735]
- Oeffentliche Erklärung vor der ganzen evangelischen Kirche die freye Uebersetzung der göttlichen Schriften betreffend worinnen die unschuldigen Absichten dieses Werks erläutert und einige Schwierigkeiten gehoben werden durch den Verfasser desselben, Wertheim (J.G. Nehr) 1736
- Beantwortung verschiedener Einwürfe welche von einigen Gottesgelehrten gegen die freye Uebersetzung der göttlichen Schriften sind gemacht worden ausgefertiget durch den Verfasser derselben, Wertheim (J.G. Nehr) 1736
- Samlung derienigen Schriften welche bey Gelegenheit des Wertheimischen Bibelwerks für oder gegen dasselbe zum Vorschein gekommen sind, mit Anmerkungen und neuen Stücken aus Handschriften vermehrt herausgegeben, Frankfurt / Leipzig 1738
3. Sekundärliteratur
- Beutel, A., Kirchengeschichte im Zeitalter der Aufklärung (UTB 3180), Göttingen 2009
- Döring, D., Beiträge zur Geschichte der Gesellschaft der Alethophilen in Leipzig, in: Ders. / K. Nowak (Hg.), Gelehrte Gesellschaften im mitteldeutschen Raum (1650-1820). Teil 1 (Abhandlungen der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig. Phil.-hist. Klasse 76,2), Stuttgart / Leipzig 2000, 95-150
- Döring, D. u.a. (Hg.), Johann Christoph Gottsched. Briefwechsel. Historisch-kritische Ausgabe, Bd. 4, 1736-1737, Berlin / New York 2010
- Ehmer, H., Die Wertheimer Bibel. Der Versuch einer rationalistischen Bibelübersetzung, Jahrbuch der Hessischen Kirchengeschichtlichen Vereinigung 43 (1992), 289-312
- Frank, G., Die Wertheimer Bibelübersetzung vor dem Reichshofrat in Wien, Zeitschrift für Kirchengeschichte 12 (1891), 279-302
- Goldenbaum, U., Der Skandal der Wertheimer Bibel. Die philosophisch-theologische Entscheidungsschlacht zwischen Pietisten und Wolffianern, in: Dies. (Hg.), Appell an das Publikum. Die öffentliche Debatte in der deutschen Aufklärung 1687-1796, Bd. 1, Berlin 2004a, 175-508
- Goldenbaum, U., Leibniz’ Théodicée als theoretische Grundlage der Wertheimer Bibel. Ein Beitrag zur Geschichte der Universität Jena, in: A. Lewendoski (Hg.), Leibnizbilder im 18. und 19. Jahrhundert (Studia Leibnitiana. Sonderheft 33), Wiesbaden 2004b, 81-103
- Goldenbaum, U., The Public Discourse of Hermann Samuel Reimarus and Johann Lorenz Schmidt in the Hamburgische Berichte von Gelehrten Sachen in 1736, in: M. Mulsow (Hg.), Between Philology and Radical Enlightenment. Hermann Samuel Reimarus (1694-1768), (Brill’s Studies in Intellectual History 203), Leiden / Boston 2011, 75-101
- Hirsch, E., Geschichte der neuern evangelischen Theologie im Zusammenhang mit den allgemeinen Bewegungen des europäischen Denkens, Bd. 2, 4. Aufl., Gütersloh 1968
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- Spalding, P.[S.], „Der Wertheimer“ und sein Werk. Johann Lorenz Schmidt als führende Figur der Aufklärung, Wertheimer Jahrbuch 2000, 35-67
- Stemmer, P., Weissagung und Kritik. Eine Studie zur Hermeneutik bei Hermann Samuel Reimarus (Veröffentlichung der Joachim-Jungius-Gesellschaft der Wissenschaften Hamburg 48), Göttingen 1983
- Weidner, D., Bibel und Literatur um 1800 (Trajekte), Paderborn 2011
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