Deutsche Bibelgesellschaft

Schön / Schönheit

(erstellt: September 2010)

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1. Der Schönheitsbegriff und seine Terminologie

Um die Aspekte des alttestamentlichen Schönheitsbegriffs zum Ausdruck zu bringen, stand den Autoren des Alten Testaments eine ganze Wortgruppe zur Verfügung. Anders als etwa der Begriff → „Hass“, ist der Begriff „Schönheit“ in der hebräischen Bibel keineswegs mit einer spezifischen Wurzel oder einer Vokabel für „schön“ zu identifizieren. Begriffe und die sie zum Ausdruck bringenden Vokabeln sind nicht identisch. Weil Begriffe nicht mit Hilfe angeblich ursprünglicher „Grundbedeutungen“ von Wortwurzeln erläutert werden können, sind die Aspekte des Schönheitsbegriffs vielmehr in den tatsächlichen Verwendungen der Termini, welche dieses Bedeutungsfeld in konkreten Texten dartun, zu erforschen. Die zentralen Wörter, die den Begriff zum Ausdruck bringen können, sind: יָפֶה jāfæh „schön“, יֳפִי jăfî „Schönheit“, טוֹב ṭôv „gut / angenehm / wohlgefällig / schön“, הוֹד hôd „Pracht / Herrlichkeit“, הָדָר hādār „Pracht / Majestät“, כָּבוֹד kāvôd „Schwere / Herrlichkeit“, אַדִּיר ’addîr „mächtig / herrlich“, אַדֶּרֶת ’addæræt „Herrlichkeit”, חֵן chen „Gunst / Anmut“, נעם nā‘am Qal „schön, angenehm sein“, נוֹעַם no‘am „Glanz / Schönheit / Anmut“, נָעִים nā‘îm „schön / angenehm“, שׁפר šāfar Qal „schön sein“, שֶׁפֶר šæfær und שִׁפְרָה šifrāh „Schönheit“, תִפְאֶרֶת tif‘æræt „Pracht / Schönheit”. Darüber hinaus ist zu bedenken, dass der Begriff auch dort begegnen kann, wo keiner der Termini des Bedeutungsfeldes vorkommt. Wenn etwa die Seele eines jungen Mannes beim Anschauen einer jungen Frau an ihr „klebt“ (דבק dāvaq), findet er sie schön (Gen 34,3), oder wenn ein Mann seinen Eltern sagt, eine Frau, die er eben gesehen hat, sei „richtig in seinen Augen“ (יָשַׁר בְּעֵנַיִם jāšar bә‘enajim) bedeutet das nicht, dass er sie nur als ein ehepolitisch kluges Heiratsobjekt betrachtet (Ri 14,1-3.7).

Freilich lässt diese Liste des semantischen Feldes bereits Berührungspunkte zwischen dem Schönen und dem Herrlichen bzw. Mächtigen vermuten, aber das ist erst in den Texten selbst zu untersuchen. Jenni hat darauf hingewiesen, dass Adjektive wie אַדִּיר ’addîr das menschliche Staunen gegenüber dem Mächtigen ausdrücken und Elliott argumentiert, dass die Reflexion über das Schöne im Alten Testament sich am Konzept der Herrlichkeit (כָּבוֹד kāvôd) orientieren soll (→ Ehre / Herrlichkeit). Jenni begründet das mit dem menschlichen Überwältigtsein vor dem Herrlichen und Elliott mit der Schönheit der Natur als äußerlicher Gestalt von Gottes Herrlichkeit, besonders in den Büchern → Exodus, → Jesaja und → Hiob.

Überprüft man die Verwendung der Wortgruppe im Alten Testament, so lassen sich diese Betrachtungen gewissermaßen bestätigen. Auch wenn Westermann (1984, 125) Recht haben mag, dass Schönheit im Alten Testament kein objektiv für sich Seiendes, sondern „ein Schönsein für…“ ist, sagt das noch nicht, welche semantischen Komponenten dieses Schönsein hat. Daher ist der Begriff von seinem formgeschichtlichen Ort (nach Westermann eher „Segens-“ als „Rettungstexte“) her nicht ausreichend zu erklären. Wird der Begriff in seinen konkreten Verwendungen analysiert, so wird klar, dass die alttestamentliche Schönheitsvorstellung umfasst, was die Grafik zum Ausdruck bringt. Im konkreten Gebrauch sind die Grenzen zwischen den in der Grafik genannten Dimensionen oft fließend und es haftet dem Begriff häufig eine Ambivalenz an.

Matthias Augustin (1983) hat die Aspekte der menschlichen Schönheit in seiner Dissertation herausgearbeitet und Claus Westermann hat den allgemeinen alttestamentlichen Schönheitsbegriff fast gleichzeitig in seinem eben zitierten Aufsatz einer formgeschichtlichen Untersuchung unterzogen. Obwohl im Alten Testament häufig von menschlicher Schönheit die Rede ist, ist das Thema abgesehen von einem Beitrag von Otto Kaiser (2000) eher am Rande der alttestamentlichen Forschung liegen geblieben.

2. Positive Schönheit

2.1. Die Schönheit des Menschen

2.1.1. Menschen, die gefallen

Menschliche Schönheit kann erotisch oder nicht-erotisch gemeint sein, bedeutet aber in den meisten Fällen die körperliche Schönheit von Menschen, die den Beobachtern gefallen.

2.1.1.1. Das betrifft sehr oft die Schönheit von Frauen (יפה jāfah: Gen 29,17; Gen 12,14; 2Sam 13,1; 1Kön 1,3-4; Spr 11,22; Hhld 1,15; Hhld 4,1.7; Hhld 6,4; Hhld 7,7 [wo das Adjektiv parallel zum Verb נעם nā‘am vorkommt]; יֳפִי jăfî Ps 45,12 [Braut des Königs]; טוֹב ṭôv: Gen 6,2; Gen 24,16; Gen 26,7; Ri 15,2; 2Sam 11,2).

Das weibliche Schönheitsideal lässt sich aus den wasf-Liedern (Beschreibungen der / des Geliebten) des → Hohenliedes ableiten: große Augen (vgl. Gen 29,17 als Gegenteil von Schönheit), lockiges Haar, weiße Zähne, dunkelrote Lippen, gerundete Hüfte, elegante Körperhaltung, bräunlich, mit Schleier und Schmuck verziert, angenehm riechend (Hhld 1,8-11; Hhld 4,1-5; Hhld 7,1-4). Auch die Jungfräulichkeit kann mit Schönheit verbunden werden (Gen 24,16). Die Schönheit einer Frau konnte ihr und anderen zum Verhängnis werden (Gen 12,11-20; Gen 20,1ff; Gen 26,7; Est 1,11). Aber ihre Schönheit konnte auch die Basis der Errettung ihres Volkes werden (Est 2,2.3.7), wodurch klar wird, dass das Schönheitsmotiv nicht nur mit → Segen zu tun hat (so Westermann), sondern auch eine grundlegende Rolle für die Errettung spielen kann (vgl. u. 2.1.1.3. zu Ex 2,2 und 3.2.3. zu prophetischen Gerichtsreden). So verzückend kann die weibliche Schönheit sein, dass sogar die Gottessöhne davon bezaubert werden (Gen 6,2).

2.1.1.2. Mehrmals wird auch männliche Schönheit erwähnt: יפה jph in Gen 39,6; 1Sam 17,42; Ps 45,3; Hhld 1,16 (parallel zu נָעִים nā‘îm; טוֹב ṭôv in 1Sam 16,12; 1Kön 1,6; Dan 1,4.15; נָעִים nā‘îm in 2Sam 1,23 (die Schönheit kriegerischer Kraft); נעם nā‘am in 2Sam 1,26 (die Schönheit eines Mannes für einen anderen Mann); הוֹד hôd in Spr 5,9 (männliche Schönheit / Kraft). Der König kann sogar als alter, sterbender Mann נָעִים nā‘îm, also „von angenehmer Schönheit“ heißen und besungen werden (2Sam 23,1). Dadurch wird die Verbindung zwischen Schönheit und Majestät oder Herrlichkeit besonders klar: Schön ist, was beeindruckt. הָדָר hādār kann so verwendet werden, dass die semantische Qualität des Beeindruckenden gerade in der negativen Verwendung zum Ausdruck kommt: Das demütigende Leiden des → Gottesknechts ist gerade im Fehlen einer „Gestalt, die begehrlich ist“, sichtbar (Jes 53,2).

Auch das männliche Schönheitsideal ist aus den wasf-Liedern des Hohenliedes abzuleiten: große Augen, langes, dunkles Haar, weiße Zähne, rötlicher Teint, Körper wie ein herausragender Baum, starke Beine, Kraft wie ein Löwe und Beweglichkeit wie eine Gazelle oder ein Adler (Hhld 5,9-16). Das deckt sich auch mit zahlreichen Prosatexten, wie 1Sam 9,2 und 2Sam 1,23; vgl. auch Sauls Größe in 1Sam 10,23, Davids rötlicher Teint (nach Kaiser rotbraun) und schöne Augen in 1Sam 16,12; 1Sam 17,42. Zumindest 1Sam 16,18 spricht dagegen, die Existenz eines Schönheitsideals im Alten Testament mit Oeming zu leugnen. Hier wird nicht das körperliche Aussehen eines Prinzen, sondern das eines einfachen jungen Hirten (אישׁ תאר ’îš to’ar „ein Mann von Gestalt“, d.h. von schöner Gestalt) zu einer Einheit mit anderen Aspekten seiner Anziehungskraft wie militärischer Eignung, Redegewandtheit und Musikalität verbunden. Daher kann mit von Rad von einem Ausdruck der idealen Kalokagathia (in einem für das Thema typisch nebensächlichen Verweis, Der heilige Krieg in Israel, 1951/1969) gesprochen werden. Auch Davids Söhne → Absalom und → Adonija waren schön, wobei ihre Schönheit weder mit ihrer königlichen Abstammung begründet noch damit assoziiert wird (2Sam 14,25f; 1Kön 1,6). Aus 2Sam 14 geht eher hervor, dass die körperliche Schönheit genetisch war, denn nicht nur wird Absaloms Schönheit überschwänglich gepriesen, sondern es wird auch hinzugefügt, dass seine Tochter → Tamar ebenso schön war (2Sam 14,27).

2.1.1.3. Grundlegend für die ganze Geschichte der Errettung Israels aus Ägypten ist die Beschreibung → Moses als schönes Kleinkind (טוֹב ṭôv Ex 2,2). Die Schönheit Moses begründet seine Errettung vom Kindermord und ist eine Voraussetzung bzw. im Aufbau der Erzählung eine Prolepse des Exodus und damit grundlegend für die wichtigste Errettungstradition der Bibel. Daraus geht wiederum hervor, dass das alttestamentliche Schönheitsmotiv keineswegs auf „Segenstexte“ beschränkt ist, sondern sehr wohl auch in „Errettungstexten“ vorkommt und dort sogar eine begründende Rolle spielen kann (vgl. 2.1.1.1. zum Buch Ester).

2.1.1.4. Mit der Logik der Rede von fehlender Schönheit in Jes 53,2 ist die Rede vom Verlust der Schönheit in Ez 32,19 vergleichbar: Die in Frage stellende Verwendung von נעם verweist auf die Erniedrigung Ägyptens. Verlust der Schönheit als Strafe bestätigt die Assoziation zweier Begriffe, die beide ihre Gegenteile sind: Segen sowie Errettung. Die Bedeutung des negativen Schönheitsmotivs in der prophetischen Gerichtsrede liegt gerade in seiner Verwendung als Gegenpol von sowohl Segen als auch Errettung.

2.1.1.5. Aber auch ein sozialer Zustand kann als schön empfunden werden. In Ps 133,1 drücken טוֹב ṭôv und נָעִים nā‘îm das Gefällige der brüderlichen Harmonie aus, hier unter vergleichender Verwendung von Segensmotiven aus Kultur (Ps 133,2) und Natur (Ps 133,3).

2.1.1.6. Äußerliche Schönheitsmanifestationen werden häufig mit Metaphern ausgedrückt. So heißt eine junge Ehefrau „Gazelle“ und ein „Reh der Anmut“ (Spr 5,19), womit die vorausgesetzte Schönheit dieser Tiergestalten auf die Frau übertragen wird (Tier- und Pflanzenvergleiche für sowohl männliche als auch weibliche Schönheit sind im Hhld häufig, z.B. Hhld 1,7-2,17; Hhld 7,7-9). Die Metaphorik kann aber auch körperliches Aussehen auf moralische Qualitäten beziehen. Beispielsweise ist die elterliche Weisung bzw. die Weisheit für Jünglinge ein schöner Kranz und eine Halskette (Spr 1,9; Spr 4,9; Sir 6,31 [Lutherbibel: Sir 6,32]; vgl. Sir 27,8 [Lutherbibel: Sir 27,9]). Wer sie bekommt, wird dadurch geziert, also schön gemacht. Das Bild ist noch immer ein physisches, aber die Stilfigur überträgt die Schönheit auf die abgebildete Sache, nämlich den Lebensstil eines jungen Mannes. Auch wenn die Schönheit der Tugenden Gehorsam und Weisheit kein statisch Seiendes (Westermann, Oeming), sondern ein sichtbares Geschehen ist, erinnert diese Art der menschlichen Schönheit eher an das Klischee „wahre Schönheit kommt von Innen“ (vgl. Spr 2,10; Sir 40,28). Dieses Motiv wurde besonders in der christlichen Rezeption der biblischen Schönheit weitergeführt.

Vgl. etwa Clemens Alexandrinus: Die geistige Schönheit der Tugend macht den Menschen wie Gott (Paedagogus II,8; III 111; Bibliothek der Kirchenväter), Basilius von Cäsarea (De spiritu sancto IX,23 Text Kirchenväter) und Augustin (Confessiones III,6 [Bibliothek der Kirchenväter]; Epistula 118 [Text Kirchenväter]; De vera religione XL,74-75; vgl. Sherry, 241).

2.1.1.7. In Ps 139,13f heißt der Mensch an sich ganz generisch nicht nur schön, sondern er wird sogar als Kunstwerk Gottes gesehen. So werden Gott als Künstler und der Mensch als Kunstobjekt präsentiert (vgl. unten, 2.2.1.3. zur religiösen Qualität menschlicher Kunstwerke in der Exoduserzählung und in der Weisheitsliteratur).

2.1.2. Menschen, die Ehrfurcht erregen

2.1.2.1. Wer Macht hat, ist Herr und Herrlichkeit wird nicht nur gefürchtet, sondern auch für schön gehalten. Daher ist ein häufig belegter Aspekt menschlicher Schönheit im Alten Testament die Herrlichkeit wichtiger Menschen, denen Ehrfurcht oder sozialer Respekt gebühren (→ Ehre / Herrlichkeit). Das gilt an erster Stelle für Könige und Herrscher: 1Sam 9,2 (טוֹב ṭôv); 1Sam 16,12 (יָפֶה jāfæh; טוֹב רֳאִי ṭôv ră’î); 1Sam 17,42 (יְפֵה מַרְאֶה jəfeh mar’æh); Ps 45,3 (Verb יפה jāfah); Ps 136,18 (אַדִּיר ’addîr); Ez 28,12 (יֳפִי jăfî), womit die Schilderung der Pracht an Salomos Hof zu vergleichen ist (1Kön 10). Aber es gilt auch für andere Vornehme, deren Status als soziale Schönheit empfunden und mit אַדִּיר ’addîr ausgedrückt wird: Ri 5,13; Neh 3,5; Neh 10,30; 2Chr 23,20; Jer 14,3; Nah 2,6; Nah 3,18; Ps 16,3. In allen diesen Fällen geht es um Menschen, deren Macht oder hohes Ansehen andere Menschen beeindruckt.

2.1.2.2. Die Schönheit von Herrschern wird in Ps 8 „demokratisiert“. Die königliche Schönheit aller Menschen (Ps 8,6) wird aus der majestätischen Schönheit Gottes „auf der ganzen Erde“ (Ps 8,2.10) abgeleitet. Die Schönheit des Menschen wird auf sein Verhältnis zu Gott zurückgeführt, da er nur „ein wenig minder als Gott“ gemacht ist und zu seinem Vasallenkönig gekrönt ist. Dass Gott seine eigene Schönheit an Menschen „austeilt“ (Oeming), ist daher sowohl aufgrund dieser Generalisierung als auch aufgrund des klassischen Ausdrucks der menschlichen → Gottebenbildlichkeit in Gen 1,26-28 zu bejahen. Wenn der Mensch ein Abbild / Gleichnis (צֶלֶם ṣælæm / דְּמוּת dәmût) Gottes ist, damit er über alles auf Erden herrscht, dann ist die Vorstellung – ob metaphorisch oder nicht – eine anschauliche. Gott erteilt dem Menschen den Auftrag, sein königlicher Vertreter zu sein und teilt ihm die damit verbundene königliche Schönheit aus (s. auch 2.2.3.). Damit wird die Schönheit des menschlichen Phänomens zu einem Grundprinzip der Anthropologie.

2.1.2.3. Die aufgeführte Übertragung physischer Schönheitsmerkmale auf „innere“ Qualitäten ist durchaus im Einklang mit der Vorstellung der Gottebenbildlichkeit des Menschen (Gen 1,26). Nach dieser Vorstellung ist der Mensch als männliches sowie als weibliches Wesen ein Bild Gottes (צֶלֶם ṣælæm) und eine gottähnliche Gestalt (דְּמוּת dәmût). Was auch immer die Gottebenbildlichkeit konstituieren mag, die Metapher ist die des Aussehens, wobei der Mensch wie Gott ausschaut. Da dies positiv ist, ist die implizite Aussage, dass der Mensch so schön wie Gott ist. Daher kann mit Oeming gesagt werden, dass Gott seine Schönheit segnend austeilt, allerdings an Menschen – nicht aufgrund von Pred 3,11f an alles Geschaffene (s. 2.3.). Alles hat Gott schön gemacht, aber an seiner eigenen Schönheit hat nur der Mensch als sein Abbild teil.

2.2. Die Schönheit des menschlichen Schaffens

2.2.1. Schönes Handwerk

2.2.1.1. Objekte handwerklicher Fähigkeit werden oft als schön bezeichnet (→ Handwerk). In Num 24,4-7 nennt Bileam Israels Zelte „schön“ (טוֹב ṭôv) und situiert sie dann in eine idyllische Lage. Obwohl die Schönheit in einem überschwänglichen Segensspruch für das allgemeine Glück Israels vorkommt, ist die verwendete Vorstellung noch immer die der menschlich angefertigten Beduinenwohnungen. Nicht nur eine Wohnung, sondern auch deren innere Ausstattung kann „schön“ heißen (Spr 24,4, wo נָעִים nā‘îm die angenehme Wirkung beschreibt, die vom Inhalt eines Zimmers ausgeht). Auch Kleider können schön sein, z.B. אֶדֶר ’ædær in Mi 2,8 und אַדֶּרֶת ’addæræt in Jos 7,21 (wobei ein mögliches אַדֶּרֶת addæræt II sogar „Kleid“ bedeuten könnte; vgl. 2Kön 2,13f; 1Kön 10,5.25). Spr 1,9 und Spr 4,9 sprechen von einem schönen (חֵן chen) Kranz, der als Schmuck getragen wird. Die Tatsache, dass hier metaphorisch von der Schönheit der → Weisheit die Rede ist (vgl. Spr 2,10 und oben 2.1.1.2), bestätigt, dass üblicherweise auch an Männern schöner Schmuck geschätzt wurde.

2.2.1.2. Im Deboralied, einem alten, echten „Errettungstext“, ist das Schönheitsmotiv auch als Attribut eines menschlichen Handwerks zu finden. Die Schale, in der → Jaël dem Feind Israels zu trinken gibt, damit sie ihn im Schlaf töten und Israels Befreiung damit besiegeln kann, heißt „wunderschön“ (אַדֶּרֶת ’addæræt, der gleiche Terminus, der kurz vorher für die Herrlichkeit vornehmer Menschen verwendet wird, Ri 5,25; vgl. Ri 5,13).

2.2.1.3. In Hi 28 wird die altorientalische Bergbauarbeit beschrieben und als Metapher für das Mysterium der göttlichen Weisheit verwendet. Bergbauarbeiter erreichen den Gipfel des menschlichen Könnens (Hi 28,1-11); mit den von ihnen abgebauten Edelmetallen stellen Fachmänner schöne Dinge her (Hi 28,12-18[19]). Obwohl sie die göttliche Weisheit nicht ergründet (Hi 28,20-27[28]), ist die Schönheit der menschlichen Erzeugnisse doch sehr beeindruckend. In gleichem Zusammenhang ist der Auftrag zum Herstellen schöner Kunstwerke für kultische Zwecke Ex 31 und Ex 35f. zu sehen. Kunstwerke gefallen Gott und durch seinen Geist (Ex 31,4.6) gibt er in die Herzen des Menschen die Fähigkeit, sie zu entwerfen (לחשׁב מחשׁבת lachšob machǎšāvot) und aus Edelmetallen zu kreieren (לעשׂות בזהב ובכסף ובנחשׁת la‘ǎśôt bazzāhāv ûvakkæsæf ûvannəchošæt). So wurde Ex 31 auch durch Clemens Alexandrinus rezipiert (Sherry 241). Das belegt nicht lediglich die Bevormundung der Kunst durch die Religion, sondern vor allem den ästhetischen Charakter des Glaubens (sogar im bildlosen israelitischen Kult). Denn die Schönheit der menschlichen Kunstwerke wird als Norm für den Wert der Weisheit verwendet (Hi 28,15ff). Daher kann die ästhetische Qualität der Kunstwerke sehr gut als Metapher zum Ausdruck des Glaubensstaunens über die Weisheit Gottes verwendet werden (vgl. 2.1.1.7. und 2.4.1.4. zu Ps 139,13ff).

2.2.2. Schöne Musik

2.2.2.1. Eine der reizvollen Eigenschaften → Davids ist seine Fähigkeit, zu musizieren (1Sam 16,18; → Musik). Der schwermütige → Saul wünscht sich auf Rat seiner Diener jemanden, der schön (1Sam 16,16; Wurzel טוֹב ṭôv „gut“, also schön) musizieren kann. Der Abschnitt 1Sam 16,14-23 beschreibt die wohltuende Wirkung schöner Musik, wodurch Sauls Melancholie gelindert wird. Auch wenn diese einem „bösen Geist Jahwes“ und der Segen Jahwes David zugeschrieben werden, ist von keinem religiösen Motiv die Rede, denn nur das Saitenspiel „mit seiner Hand“ hat den gewünschten psychischen Effekt. Die „profane“ Musik wird häufig erwähnt (etwa Jes 5,12; Jes 24,8; Ez 26,13; Ez 33,32; Hi 21,12; Hi 30,31), sogar mit dem gleichen Ausdruck wie in 1Sam 16,17, wo von „schön spielen“ (טוב נַגֵּן ṭôv naggen Pi.) die Rede ist. Es wird nicht zwischen „weltlicher“ und „geistlicher“ Musik unterschieden.

2.2.2.2. Jedoch wird Musik, die Gott loben soll und der hymnischen Gattung zugeschrieben wird, explizit „wunderschön“ genannt (נָעִים nā‘îm in Ps 81,3; טוֹב ṭôv und נָעִים nā‘îm in Ps 135,3; Ps 147,1). In Ps 33,3 werden Musiker aufgerufen, „schön zu spielen“, wiederum mit dem Ausdruck, der die Musikalität Davids beschreibt (טוב נַגֵּן ṭôv naggen Pi.). Freilich passt dazu die Freude am Gesang und an instrumentaler Musik in Hymnen wie Ps 149 und Ps 150, wo nicht explizit von der Schönheit die Rede ist.

2.2.3. Schöne Worte

In Ps 45 wird die Schönheit sowohl des Königs (Ps 45,3) als auch der Königin (Ps 45,12) besungen, aber die Dichtung selbst wird ausdrücklich „ein schönes Wort“ (דָּבָר טוֹב dāvār ṭôv) genannt (Ps 45,2). Das zeigt, dass die Schönheit von schönen Worten reflektiert wurde, obwohl, wie Westermann mit Recht betont, vom schönen Reden und von schönen Dingen, nicht aber von der Schönheit in abstracto gesprochen wird. Besonders in der Weisheitsliteratur ist die Vorstellung vom schönen Reden ein bekannter Topos in den Sprüchen (→ Weisheit), etwa Spr 15,23; Spr 25,11f; vgl. Spr 15,26; Spr 16,24 (נוֹעַם no‘am); Spr 23,8 (נָעִים nā‘îm), aber das Motiv kommt auch sonst vor, etwa in Ps 141,6 (נעם nā‘am Qal).

2.2.4. Schöne Weisheit

Im Lichte des eben Gesagten überrascht es nicht, dass die → Weisheit selbst als etwas Schönes gesehen wird. Die Schönheit von → Erkenntnis (דַּעַת da‘at) als Synonym von Weisheit (חָכְמָה chåkhmāh) wird einerseits direkt schön geheißen (Spr 2,10; נעם nā‘am Qal), andererseits wird die Weisheit auch in vergleichenden Figuren schön vorgestellt (vgl. die metaphorischen Verwendung, 2.1.1.6.).

2.2.5. Angenehme Speise

Spr 9,17 weiß von Brot, das „geschmackvoll“ ist (נעם nā‘am Qal) und Spr 23,3 verweist auf Feinkost (מַטְעָם maṭ‘ām), wodurch die ästhetische Norm vorausgesetzt ist. Die Hochschätzung guter Speise kommt auch sonst in der Weisheitsliteratur vor (Pred 9,7; vgl. Pred 2,4ff) und in der deuteronomischen Tradition (→ Deuteronomismus) wird eine ähnliche Hochschätzung im Kontext kultischer Freude suggeriert (Dtn 12,7.12; Dtn 14,26). Obwohl die spezifischen Termini des semantischen Feldes in diesem Zusammenhang nicht verwendet werden, ist das ästhetische Kriterium klar, so dass auch Speisen zu den schönen Dingen gezählt werden können.

2.3. Die Schönheit Gottes

Im Alten Testament ist Gottes Schönheit keine „Nebeneigenschaft“ neben seinen „Anbetungstiteln“ (Gestrich 2008, 92). Im Gegenteil, sie spielt nicht nur im jüdischen Glauben, sondern auch im Alten Testament selbst keine untergeordnete Rolle. In der Herrlichkeit Gottes manifestiert sich seine Schönheit, weil das Schöne das Beeindruckende ist, also genau das, was Gottes Herrlichkeit konstituiert (→ Ehre / Herrlichkeit).

Klassisch wird dies in der Bitte → Moses, die Schönheit Gottes (כָּבוֹד kāvôd und טוּב ṭûv) sehen zu dürfen, und in deren partieller Erhörung (Ex 33,18-23) ausgedrückt. Hier spielt auch das Motiv der Gefährlichkeit eine Rolle, aber wie im Fall der heiligen Kultobjekte liegt diese nicht in der Schönheit an sich, sondern darin, dass es sich um Schönheit in der göttlichen Sphäre handelt.

Sowohl in der prophetischen Literatur als auch in den Psalmen ist das Motiv der göttlichen Schönheit gut belegt, häufig in Verbindung mit der Schönheit Jerusalems oder der Natur. In Jes 35,2 wird Gottes Herrlichkeit (הָדָר hādār) mit der Herrlichkeit (כָּבוֹד kāvôd und הָדָר hādār) der Berge Libanon und Karmel sowie mit der Saronebene assoziiert, so dass der ästhetische Aspekt des Bezuges von Gottes Herrlichkeit zur Natur klar sichtbar wird. Ähnlich ist in Hos 14,6f die Verbindung zwischen Gottes Handeln und Israels Schönheit (הוֹד hôd) als Naturphänomen beschrieben (vgl. oben 4.1.).

Gottes Schönheit wird explizit in Ps 104,1.31 besungen (הוֹד hôd, הָדָר hādār, כָּבוֹד kāvôd) und in Ps 145 loben sowohl der Dichter selbst (Ps 145,5 הָדָר hādār, כָּבוֹד kāvôd, הוֹד hôd) als auch Gottes eigene Werke (Ps 145,12 כָּבוֹד kāvôd, הָדָר hādār) diese glanzvolle Schönheit als Herrlichkeit des Gottesreiches. In Ps 27,4 (נוֹעַם no‘am) will der Beter Gottes Schönheit im Tempel anschauen und nach Ps 90,17 kann dieser נוֹעַם no‘am Gottes auch „über“ die Gemeinde kommen, wodurch nicht nur die Verwandtschaft des „Schönen“ und des „Herrlichen“ bestätigt wird, sondern auch die „Austeilung“ der göttlichen Schönheit an Menschen (Oeming). Jerusalem als die vollendete Schönheit (יֳפִי jăfî) wird in Ps 50,2 durch den Kontext mit Gottes Glanz verbunden.

Nicht identisch, aber verwandt mit der göttlichen Schönheit ist auch die Schönheit seines Bundes mit Israel (Sach 11,7). Die Vorstellung eines schönen (נוֹעַם no‘am) Bundes wird auch in der negativen Verwendung des Motivs als Beendigung des Bundesverhältnisses beibehalten.

Auch Gottes Recht wird implizit schön genannt. Wenn die Rechte des Herrn (מִשְׁפְּטֵי יהוה mišpəṭê JHWH) begehrlich sind, mit Feingold und köstlichen Speisen verglichen werden (Ps 19,10f), werden sie mit schönen Dingen verglichen. Die Metapher ist nicht ökonomisch, sondern ästhetisch.

Gott ist nicht nur selbst schön, sondern er genießt auch das Schöne (s.o. 2.2.1.3.; Ex 31; Ex 35f.; Hi 28; s. auch o. 2.1.2.2. und 2.1.2.3. zur Gottebenbildlichkeit des Menschen).

2.4. Die Schönheit der Welt

2.4.1. Die Schönheit der Natur

Sowohl die Natur als → Schöpfung Gottes als auch einzelne Naturphänomene werden oft als schön und beeindruckend beschrieben, sowohl im Literalsinn als auch in Metaphern.

2.4.1.1. Tiere heißen in poetischen Texten schön: Gen 49,21 Jungtiere sind schön (שֶׁפֶר šæfær); Dtn 33,17 Stiere haben Schönheit (הָדָר hādār); ein metaphorisches Reh heißt Spr 5,19 anmutig (חֵן chen); Hi 39,20 das Furcht erregende Pferd ist prächtig (הוֹד hôd). Besonders Pflanzen gelten als Schönheitsmanifestationen: Weinstock Ez 17,8 (אַדֶּרֶת ’addæræt); Bäume Ez 17,23 (אַדִּיר ’addîr); Ez 31,3.9 (יָפֶה jāfæh); Hos 14,7 der Ölbaum als Maßstab der Schönheit (הוֹד hôd; vgl. Hos 14,6, wo die Anwesenheit Gottes als segnender Tau die Schönheit Israels als blühende Pflanzen ermöglicht); Sach 11,3, wo die אַדֶּרֶת ’addæræt der Hirten die Pracht ihrer Bäume ist. So wird gelegentlich auch in Prosa gesprochen, etwa von Bäumen Lev 23,40 (הָדָר hādār).

2.4.1.2. Oft wird die Schönheit der Natur an den unbelebten Aspekten der Schöpfung wahrgenommen und geschätzt: das Land (Gen 49,15 נעם nā‘am Qal); ein Berg (Ps 48,3); Wasserströme (Jes 33,20f.; vgl. Ps 46,5); die Luft (Hi 26,13 שִׁפְרָה šifrāh). In Jes 35,2 drückt die Herrlichkeit (כָּבוֹד kāvôd sowie הָדָר hādār) von Libanon, Karmel und dem Flachland Saron Gottes Herrlichkeit (הָדָר hādār) aus. In allen diesen Fällen ist die ästhetische Freude an Schöpfung und Schöpfer unverkennbar. Ähnlich wird Gottes Herrlichkeit in Ps 76,5 mit einem Berg assoziiert (אַדִּיר ’addîr) und in Ps 93,4 mit dem faszinierend furchtbaren Meer kontrastiert (אַדִּיר ’addîr).

2.4.1.3. Nach Gestrich ist die Faszination für Ordnung im Alten Testament ein Ausdruck der Wertschätzung von Schönheit. Das lässt sich gewissermaßen durch Ps 8 bestätigen. Die Herrlichkeit Gottes „auf der ganzen Erde“ (Ps 8,2.10, vgl. oben 2.1.2.2.) manifestiert sich in der Ordnung der Schöpfung und in deren menschlichem Gipfel, also in der Unterordnung der an sich schon wunderbaren Natur unter den Menschen.

2.4.1.4. Besonders in der Weisheitsliteratur kommen Gedichte vor, welche einen Rundblick auf die Natur werfen. Hi 38f. und Pred 1,2-11 belegen tiefe Bewunderung für die Naturordnung, vor deren Undurchschaubarkeit der Mensch nur in staunender Faszination stehen kann. In der Gottesrede der → Hiobdichtung geht es um die Kreatur und ihre wunderbare Verwaltung. Da nur Gott die Geheimnisse der geschaffenen Ordnung versteht, kann der Mensch nur bewundern. Das sorgfältig konstruierte Gedicht spiegelt durch die symmetrische Struktur die tief durchdachte Ordnung der Schöpfung Gottes wider. Es gibt also eine Harmonie inmitten des Geheimnisvollen der Schöpfung, die genauso wie jedes einzelne Kunstwerk der kreativen Tätigkeit Gottes (Ps 139,13-16) den Charakter vom Schönen als dem schlechthin Beeindruckenden manifestiert. Zu einem negativen Erlebnis der wunderbaren Naturordnung bei → Prediger und anderen vgl. 3.4.

2.4.1.5. Die Wahrnehmung des Alltäglichen kann einen Weisen auch dazu führen, in einfachen Dingen das Wunderbare, also das Erhabene, zu entdecken. Daher kann auch Phänomenen der Natur und unbelebten Objekten implizit Schönheit zugeschrieben werden, wobei die Qualität der Schönheit von Tieren und menschlichen Werken jener von Menschen entspricht. In Spr 30,18-20 geht es um das Wunder einer besonderen Bewegungsart:

Hier kann es nicht um die Wunder des Fortbewegens ohne Pfote (Vögel, Schlangen) gehen. Dies macht erstens die ebenfalls erwähnte Bewegung eines Mannes mit einer Frau unmöglich. Zweitens hätte die natürliche Bewegung von Vögeln und Schlangen in der Antike kaum Verwunderung hervorgerufen. Vielmehr geht es um den gemeinsamen Bewegungsaspekt der vier Phänomene – den Steig- und Senkflug eines Adlers mit den Luftströmen, die Bewegung einer Schlange, die so über einen Fels gleitet, dass man nur den Wellengang sieht, den Wellengang eines Schiffes auf dem Meer und die ähnliche Bewegung eines Mannes mit einer Frau, also um Bewegung in erotischem Sinne.

Nimmt der Mensch diese Dinge wahr, so empfindet er die Anwesenheit von etwas jenseits der menschlichen Kapazitäten Stehendem. Das Wunderbare beeindruckt begriffslos und fasziniert bis zum Staunen, welches ein ästhetisches Urteil ist.

2.4.2. Die Schönheit von Orten

2.4.2.1. Da Schönheit so mit weltlichen Phänomenen in Verbindung gebracht werden kann, wundert es nicht, dass auch Orte als schön gesehen werden, etwa in Ps 16,6, wo mehrere Schönheitstermini für die Beschreibung eines Erbteils verwendet werden (שׁפר šāfar Qal sowie נָעִים nā‘îm; vgl. נָעִים nā‘îm in Ps 16,11 als Beschreibung der schönen göttlichen Gaben).

2.4.2.2. In besonderem Sinne ist die Stadt Jerusalem schön. Klassisch schildert Ps 48,3-4.14 die Schönheit (יָפֶה jāfæh) der Stadt selbst und per extensionem auch ihrer Gebäude. Hier verschwimmen die Grenzen zwischen örtlicher Schönheit im Allgemeinen und der Schönheit von menschlich errichteten Bauwerken. Damit vergleichbar sind einerseits Ps 50,2 (יֳפִי jăfî als Bezeichnung der vollendeten Schönheit Jerusalems als Manifestationsortes der glanzvollen Schönheit Gottes) und andererseits Ps 84 und Ps 96,6, wo die Schönheit des Tempels ebenfalls klassisch besungen wird (vgl. Sherry 240).

2.4.2.3. Die Schönheit von Städten kann aber ebenso in negativen Kontexten vorkommen: die vollendete (aber verlorene) Schönheit der Stadt Jerusalem (יֳפִי jăfî Klgl 2,15) und bei → Ezechiel der beiden Städte Jerusalem und → Tyrus (יֳפִי jăfî; Ez 27,3; Ez 28,7).

2.4.2.4. Dan 11,16 spricht von der Schönheit des Landes (צְבִי ṣəvî) und Dan 11,20 von der Pracht (הֶדֶר hædær hap. leg.; ein Fragment der Kairoer Geniza liest הֲדָר hǎdār) eines Reichsteils.

3. Ambivalente Schönheit

3.1. Die dunkle Seite der Schönheit im Allgemeinen

Schönheit hat auch eine verhängnisvolle Seite und kann gefährlich sein. Ganz grundsätzlich ist das in der Paradiesgeschichte zu sehen (Gen 3,6): Die Frucht des verbotenen Baumes war gut (טוֹב ṭôv) zu essen, eine Lust (תַּאֲוָה ta’ǎwāh) zu sehen und begehrlich (נֶחְמָד næchmād). Zwar wollte der Mensch wie Gott werden (Gen 3,5), aber der eigentliche Grund der Auflehnung gegen Gott war die Lust am Schönen. Weil diese stärker war als die Furcht vor Gottes Verbot, konnte sich der Mensch gegen die Begehrlichkeit nicht wehren und wurde schuldig. Wenn die Sünde und alles Elend durch die verzückende Wirkung der schönen Frucht in die Welt gekommen sind, ist Augustin (Confessiones X,35; Bibliothek der Kirchenväter) so weit Recht zu geben, als die Begehrlichkeit (concupiscentia) ein Aspekt der „Ursünde“ der Auflehnung gegen Gott ist. Aber diese Begehrlichkeit ist deutlich nicht sexueller Natur.

Augustin befürchtet in der irdischen Schönheit eine Falle, die den Menschen von Gott fernhalten kann (Sherry 241; vgl. Confessiones III,6). Darin wird er durch eine ganze Reihe alttestamentlicher Belege in der Erzähl- und Weisheitsliteratur bestätigt.

3.2. Das Verhängnis der erotischen Schönheit

3.2.1. Erzählungen

Wenn auch die Verlockung durch die Schönheit in der Paradieserzählung nicht sexueller Natur ist, wird Schönheit im erotischen Sinn im Alten Testament sehr wohl als gefährlich verstanden, v.a. für Männer, aber auch für die schönen Frauen selbst, etwa in den Pharao / Abimelech-Geschichten über Sara (Gen 12,11; vgl. Gen 20) und Rebekka (Gen 26,7; → Preisgabeerzählungen), in der David-Batseba-Geschichte (2Sam 11,2; → Batseba), und in der Geschichte von → Susanna, die wegen ihrer Schönheit belästigt, aber wegen ihrer Tugend gerettet wurde (ZusDan 1). Die femme fatale von Gen 39 (Potifars Frau) belegt das gleiche Motiv, aber hier wird → Josefs männliche Schönheit ihm zum Verhängnis (vgl. Kaiser 2000, 156). Die Schönheit der reichen Witwe → Judit (Jdt 8,6f [Lutherbibel: Jdt 8,6]; Jdt 10,1-7; Jdt 11,21 [Lutherbibel: Jdt 11,16]) kostete den mächtigen Holofernes sogar sein Leben (Jdt 12,10-13,8).

3.2.2. Weisheitsliteratur

Als Grundsatz wird in Spr 31,30 doppelt gesagt, dass äußerliche Schönheit (einer Frau) täuscht: Körperliche Schönheit (חֵן chen und יֳפִי jăfî) heißt „Trug“ und „Nichtigkeit“. Aber die „nichtige“ weibliche Schönheit ist dennoch gefährlich genug, dass junge Männer vor ihr gewarnt werden: Die Verlockung der „fremden Frau“ von Spr 2,16 und Spr 5,1ff führt zu Armut und Vernichtung. Während die dumme Schöne (יָפָה jāfāh) in Spr 11,22 lächerlich gemacht und Schönheit damit relativiert wird, wird die Bewunderung für weibliche Schönheit (חֵן chen) im hebräischen Text von Spr 11,16 durch den Parallelismus als genauso unangebracht betrachtet wie der Reichtum eines Gewalttätigen.

3.2.3. Prophetische Texte

Die negative Seite der weiblichen Schönheit wird plastisch in Jes 3,16-24 geschildert und als Ausdruck der Hybris vorgestellt: Körperhaltung, Koketterie, schöne Kleidung und prachtvoller Schmuck der Töchter Zions werden als Strafe für ihre Überheblichkeit jeweils in das Gegenteil verkehrt werden. Vergleichbar ist Jes 5,1-7, wo das Motiv des schönen Gartens als Metapher für das geliebte (יָדִיד jādîd und דּוֹד dôd), aber sündige Volk ebenfalls ins Gegenteil verkehrt wird.

Wenn auch das Motiv der Koketterie fehlt, so ist unter Verwendung des Baummotivs doch die gleiche Logik bei → Jeremia zu finden: Die Baummetapher wird für die Geliebte Person (יָדִיד jādîd) verwendet, und zwar mit explizitem Gebrauch des Schönheitsvokabulars (יפה jāfæh und תאר to’ar Jer 11,15-17). Aber nicht nur Jerusalem bzw. Israel verliert die Schönheit in einem Strafgericht, auch in den Völkerprophetien Ezechiels findet sich das Motiv der schönen Frau, die wegen ihres Stolzes gestürzt wird. Tyrus wird in der 2. Person feminin vorgeworfen (Ez 27,3ff), dass sie ihre Schönheit (יֳפִי jăfî) als „vollkommen“ (כָּלִיל kālîl) rühmt. Deswegen wird sie die Quelle ihres Ruhmes verlieren (Ez 27,27ff).

Die Verwendung des Schönheitsbegriffs ist also sehr wohl als etabliertes Motiv in prophetischen Gerichtstexten anzusehen (anders Westermann 1984, 120).

3.3. Die Gefährlichkeit der Kultobjekte

Die Geschichten von der Überführung der → Bundeslade aus Philistäa nach Jerusalem (1Sam 6,19; 2Sam 6,6-7) sowie die Regelung für den Umgang mit ihr (Num 4,15) zeigen, dass Kultobjekte trotz ihrer Schönheit (s.o. 2.2.1.3.) sogar lebensgefährlich sind.

3.4. Schönheit, die zur Resignation führt

In Pred 1,2-11 wird die Welt als ganze wahrgenommen. Wie → Hiob und → Elihu (s.u.), hat auch der → Prediger die Phänomene der Natur beobachtet, kommt aber zu einem anderen Schluss, denn es heißt:

Alle Dinge sind voll Mühe, kein Mensch kann alles ausdrücken, das Auge wird nicht voll vom Beobachten, noch das Ohr vom Hören. (Pred 1,8)

Die Wahrnehmung der gesamten Natur führt hier weder zur Adoration noch zur Freude, sondern zur Resignation. Obwohl die Konklusion resignierend ist, hat der Prediger durchaus ein Auge für die Schönheit dessen, was sich in dieser Welt abspielt, also nicht nur für die Schönheit der Natur, sondern auch für das Faszinierende im Leben der Menschen:

Er hat alles schön gemacht zu seiner Zeit, auch hat er die Ewigkeit in ihr Herz gelegt; ohne dass der Mensch ergründen kann das Werk, das Gott tut, weder Anfang noch Ende. (Pred 3,11)

Alles hat Gott „schön“ (יָפֶה jāfæh) gemacht. Der bestimmte Artikel verweist auf die Liste der „Zeiten“ in Pred 3,1-8. Alles sei „schön“, obwohl die Liste genauso viele negative und widerliche wie schöne Phänomene enthält. Daher ist es die Struktur der Dinge, die schön ist. Dass es eine solche Symmetrie gibt, dass immer wieder das Negative auf das Positive und das Positive auf das Negative folgt, das findet der Prediger schön. Daher hat er auch die Liste so durchdacht komponiert. Immer wieder (hier in V. 10) weist der Prediger darauf hin, dass er „wahrgenommen“ hat (vgl. Pred 1,14; Pred 2,24; Pred 3,10.16; Pred 4,15; Pred 5,12.17; Pred 6,1; Pred 7,15; Pred 8,9.10; Pred 9,13; Pred 10,5.7). Damit sagt er ungefähr „la vita e bella“, ohne die Einzelphänomene zu billigen. Er ist fasziniert von seinen Wahrnehmungen und meint auch, dass das allgemein menschlich ist, denn diese „Ewigkeit“, diesen Ablauf des Undurchschaubaren, hat Gott dem Menschen ins Herz gelegt. Man muss sich immer damit beschäftigen, auch wenn es rätselhaft ist. Von der eigenen Wahrnehmung ergriffen zu sein, heißt Faszination.

3.5. Der Schrecken der Naturbeobachtung

Einen Schritt weiter gehen die Naturwahrnehmungen des frühen → Hiob (Hi 9,5-10; Hi 26,5-14) und des → Elihu (Hi 36,27-37,13; Hi 37,14-24). Hier werden die Phänomene der Natur auch staunend wahrgenommen, aber das Überwältigende daran wird nicht in bonam partem (im positiven Sinne), sondern in malam partem (im negativen Sinne) als Bedrohung und daher als Entfremdung zwischen Gott und dem Menschen erlebt.

3.6. Vergänglichkeit der Schönheit

Wird die Schönheit in der Weisheitsliteratur relativiert (etwa Spr 2,10; Sir 40,27 [Lutherbibel: Sir 40,28]; s.o. 2.1.1.6), so wird sie auch sonst als vergänglich gekennzeichnet. In Jes 40,6-8 ist das im Naturvergleich zu erkennen, da die schönen Naturphänomene illustrieren, wie auch die Schönheit des Menschen (des Fleisches) vergeht. In Ps 39,12 findet sich das gleiche Motiv, hier aber vergeht die menschliche Schönheit durch Gottes Strafe.

Literaturverzeichnis

1. Lexikonartikel

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  • Theologische Realenzyklopädie, Berlin / New York 1977-2004
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  • Lexikon für Theologie und Kirche, 3. Aufl., Freiburg i.Br. 1993-2001
  • Theologisches Handwörterbuch zum Alten Testament, 5. Aufl., München / Zürich 1994-1995
  • Religion in Geschichte und Gegenwart, 4. Aufl., Tübingen 1998-2007
  • Calwer Bibellexikon, Stuttgart 2003
  • Lexikon der Bibelhermeneutik. Begriffe – Methoden – Theorien – Konzepte, Berlin 2009

2. Weitere Literatur

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  • Elliott, M.W., 2009, Art. Ästhetik. Alttestamentlich, in: Lexikon der Bibelhermeneutik. Begriffe – Methoden – Theorien – Konzepte, Berlin, 1-2
  • Gestrich, R., 2008, Schönheit Gottes. Anstöße zu einer neuen Wahrnehmung, Berlin, 92-104
  • Jenni, E., 1978, Art. אַדִּיר ’addîr, in: Theologisches Handwörterbuch zum Alten Testament, 3. Aufl., München / Zürich, 38-41
  • Kaiser, O., 2000, Von der Schönheit des Menschen als Gabe Gottes, in: A. Graupner / H. Delkurt / A.B. Ernst (Hgg.), Verbindungslinien (FS W.H. Schmidt), Neukirchen-Vluyn, 153-163
  • Loader, J.A., 2004, Theologies as symphonies. On (biblical) theology and aesthetics, OTE 17/2, 252-266
  • Oeming, M., 2004, Art. Schönheit. II. Biblisch-theologisch, RGG 4. Aufl., Bd. 7, Tübingen, 961-962
  • Rad, G. von, 1969, Der heilige Krieg im alten Israel, Göttingen
  • Schroer, S. / Th. Staubli, 1998, Die Körpersymbolik der Bibel, Darmstadt, 24-29
  • Sherry, P.J., Art. Schönheit II. Christlich-trinitarisch, in: Theologische Realenzyklopädie, Bd. 30, Berlin / New York 1999, 240-247
  • Westermann, C., 1984, Das Schöne im Alten Testament, in: ders., Erträge der Forschung am Alten Testament. Gesammelte Studien Bd. III (TB 73), München, 119-137

Abbildungsverzeichnis

  • Grafik zur Schönheitsvorstellung. © James Alfred Loader

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