Segen / Segnen (AT)
(erstellt: Dezember 2008)
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Segnen ist eine Handlung und/oder Äusserung, die auf Lebenssicherung und Lebenssteigerung aus ist: Sie vermittelt Segen, d.h. heilschaffende Kraft. Die Thematik lässt sich im alten Israel seit der Königszeit in den Quellen nachzeichnen und besitzt eine hohe lebensweltliche und theologische Bedeutung. Die einzelnen Segens-Vorstellungen haben sich jedoch im Laufe der Zeit vielfältig geändert: Wurzeln sie ursprünglich in typisch eisenzeitlichen Religionserfahrungen, machen sie im Verlaufe der vorexilischen, exilischen und nachexilischen Zeit tiefgreifende Entwicklungen und „Theologisierungen“ durch. Dabei betreffen die Veränderungen – ganz knapp summiert – den Spender (Gottheiten / Jhwh / Mensch), den Empfänger (Gott / Mensch / Einzelner / Volk / Völker / Gegenstände), die Formulierung (Wunsch / Erfüllung), den Kontext (Begrüßung / private Religion / offizielle Religion), den Inhalt (Land / Fruchtbarkeit / Wohlstand / Heil), den Bereich (Diesseits / Jenseits) und die Bedingungen (Gesetzesbeachtung / keine) des Segens. Vor diesem historischen Hintergrund gewinnt das Thema auch neue systematisch-theologische Relevanz (s.u. 4).
1. Die Wurzel ברך „segnen / Segen“
1.1. Begriffliche Abgrenzung
Segensformulierungen werden im Hebräischen mit verbalen und nominalen Bildungen des Lemmas ברך brk II ausgedrückt (s.u. 2.1), die sich auch etymologisch von ברך brk I „knien“ unterscheiden (Aitken, 2007, 93f; Leuenberger, 2008a, 4 [Lit.]). Sie sind daher – im Unterschied zum schillernden Gegenpol des → Fluchs
1.2. Grundbedeutung
Sämtliche Segensformulierungen lassen sich einer gemeinsamen ברך-Grundkonstellation zuordnen, in der ein menschliches oder göttliches Subjekt durch eine Handlung und / oder Äußerung ein menschliches, göttliches oder dingliches Objekt segnet bzw. mit Segen ausstattet / ausgestattet sieht. Die dabei zu beobachtende formal identische Verwendung von ברך brk in Bezug auf Menschen und Gottheiten kann man als theologisch-anthropologische Reziprozität von ברך brk fassen (s. Vetter, 1995, 15; Frettlöh, 2005, 401f; anders Wehmeier, 1970, 231).
Bei menschlichen Subjekten kann – zumal in Primärtexten – eine adverbiale Präzisierung (Präposition ל + Gottheit als Angabe der implizierten Wirkursache oder der Zugehörigkeit) den göttlichen Wirkbereich näher bestimmen. Hinzu tritt, dass alle Nominalsätze und viele Verbalsätze mit ברך brk eine indikativisch-jussivische Unbestimmtheit aufweisen, die im Deutschen meist aufgelöst werden muss; damit erweist sich die Unterscheidung von indikativischem Segensspruch und jussivischem Segenswunsch (s. Gunkel / Begrich, 1966, 293ff) als sekundärer Vorgang (Müller, 1992, 9ff.21).
Die ברך-Grundkonstellation ist durch zusätzliche Aspekte wie Form, Situation / Sitz im Leben und Funktion, Inhalt, Segensvorgang, Segensvermittlung (zwischen Subjekt und Objekt), Segensvollzug (Wort / Handlung), Bedingtheit bzw. Unbedingtheit, Argumentationsstruktur, Segen-Fluch-Alternative u.ä. geprägt, sodass sich das in Abb. 1 dargestellte Gesamtgefüge ergibt.
2. Die Quellen
2.1. Statistische Befunde
Statistisch ist ברך brk im alten Israel bislang 482-mal belegt, wobei – abgesehen von Personennamen – verbale Formulierungen (v.a. im Piel und im Partizip Qal), knapp fünfmal (Altes Testament) bzw. achtmal (Inschriften) häufiger sind als Nominalbildungen, wie Tabelle 1 zeigt.
2.2. Inschriften
Es ist methodisch und sachlich von eminenter Bedeutung, die Segensthematik für die Staatszeit nicht nur anhand von alttestamentlichen, sondern auch von epigraphischen Textquellen beschreiben zu können (vgl. Crawford, 1992; Müller, 1992; Leuenberger, 2008a, 113ff [Lit.]). Obwohl Letztere archäologische Zufallsfunde spiegeln, kommt ihnen – insbesondere aufgrund der prinzipiellen archäologischen Datierbarkeit – ein methodischer Primat zu; zudem kann bezüglich der sachlichen Relevanz konstatiert werden: „Das wichtigste außerbiblische Vergleichsmaterial [sc. zu den alttestamentlichen Segenstexten, M.L.] bieten die althebräischen Inschriften“ (Veijola, 2000, 76), die „sprachlich und religionsgeschichtlich wegen“ ihres „hohen Alters ein besonderes Interesse beanspruchen“ können (Müller, 1992, 16).
Im Wesentlichen handelt es sich dabei um die berühmten, auch für andere Fragestellungen wichtigen Segenstexte aus Kuntillet ‘Aǧrūd (→ Kuntillet ‘Aǧrūd
2.3. Exkurs: Bilder als Segensikonen
Es gilt zu präzisieren, dass Seg(n)en nicht nur in Textquellen, sondern auch in Bildquellen aus dem alten Israel und dem alten Orient dargestellt wird. Diese ikonographischen Belege geben Einsicht in wesentliche Motivkonstellationen der Segensthematik und sind insofern für das Verständnis der konzeptionellen Horizonte von ברך brk relevant (s. dazu Leuenberger, 2008a, 12ff.31ff). Methodisch besteht jedoch das Problem, dass sie sich prinzipiell erst anhand der sprachlichen Formulierungsweisen als Segensvorgänge identifizieren lassen; deshalb liegt im Folgenden der Fokus auf den sprachlichen ברך-Belegen, mithin auf den Segenstexten. Es sei aber wenigstens auf eines der interessantesten Beispiele hingewiesen, bei dem Bild und Text konvergieren: Die Kalksteinstele des Jechawmilk von → Byblos
2.4. Altes Testament
Demgegenüber decken die alttestamentlichen Segensbelege einen größeren Zeitraum ab und ermöglichen namentlich ab der Zäsur des → Exils
Wertet man die statistischen Befunde aus, ergeben sich fünf unterschiedlich starke Schwerpunkte in der Vätergeschichte der → Genesis
Quantitativ führen die Gen mit 88, der Psalter mit 83 und das Deuteronomium mit 51 Belegen das Feld an. Insbesondere die Vätergeschichte der Genesis und das Deuteronomium, die literarisch wie entstehungsgeschichtlich je einen zusammengehörenden Textkomplex bilden, bieten – gehäuft an literarisch-kompositionellen Schlüsselstellen – inhaltlich profilierte Segensformulierungen: In einem im Alten Testament sonst nicht erreichten Ausmaß können die religions- und theologiegeschichtlichen Konstellationen und Transformationen der Segensthematik verfolgt werden.
Ähnliches dürfte im Grundsatz für den Psalter zutreffen, doch machen hier die notorischen Datierungsprobleme, der häufig formelhafte Gebrauch bzw. generell die spezifische(re)n Kommunikationssituationen eine präzisere religions- und theologiegeschichtliche Nachzeichnung schwierig.
Demgegenüber zeigt die Priesterschrift – nach wie vor ein literarischer Fixstern am Himmel des Pentateuchs – ein kompositionell wie inhaltlich markantes Profil von ברך brk. Hier liegt in spätexilisch-nachexilischer Zeit auch segensthematisch eine der wichtigsten und prägendsten Konzeptionen vor, welche die Konzentration der Segensthematik im Pentateuch noch verstärkt. Freilich gilt dies nicht für Ex-Num (ausgenommen die → Bileam-Erzählung
Segensthematisch am nebensächlichsten sind eindeutig die vorderen und die hinteren Propheten (anders Westermann, 1968, 36ff; 1978, 88ff.109ff), während die Schriften ein vielfältigeres Bild zeigen. Hier verspricht neben dem Psalter die Rahmenerzählung des Hiobbuchs mit ihren sieben prägnanten Segensformulierungen exemplarischen Aufschluss über die Segensthematik im Kontext der späten Weisheit, also in einem Traditionsbereich, der sonst der Segensthematik wenig Bedeutung zumisst.
3. Geschichte der Segensthematik im alten Israel
Ohne hier die angeführten Segenstexte aus dem alten Israel detailliert analysieren zu können, sei eine Synthese skizziert, die die wichtigsten, in Primär- und Sekundärquellen aus dem alten Israel greifbaren religions- und theologiegeschichtlichen Segens-Konstellationen und Segens-Transformationen zu einer Geschichte der Segensthematik im alten Israel summiert (s. dazu Leuenberger, 2008a, 113ff.179ff [Lit.].453ff).
3.1. „Vorgeschichte“
Zur „Vorgeschichte“ der textbasiert rekonstruierbaren Geschichte der Segensthematik gehört die grundlegendste segensthematische Transformation der Eisenzeit, die sich in ikonographischen Primärquellen beobachten lässt: Segen wird hauptsächlich durch Tiersymbole als reproduktive → Fruchtbarkeit
3.2. Frühe und mittlere Königszeit (10.-8. Jh. v. Chr.)
In der frühen und mittleren Königszeit (Eisenzeit II[A–]B) lassen sich anhand der – methodisch Priorität besitzenden – ikonographischen und epigraphischen Primärquellen aus Kuntillet ‘Aǧrūd (→ Kuntillet ‘Aǧrūd
KAgr 8
(1) ’mr . ’[..]w [.] h[..]k . ’mr . ljhl[..] wljw‘śh . wl[…] brkt . ’tkm . (2) ljhwh . šmrn . wl’šrth .
(1) Gesagt hat K[ön]ig A[šj]o: Sprich zu Jehal[..] und zu Jo‘asa und zu […]: Ich segne euch (hiermit) (2) vonseiten Jhwhs von Samaria und vonseiten seiner Aschera.
KAgr 9
(0) [’]mr (1) ’mrjw ’(2)mr l . ’dnj (3) hšlm ’[t] (4) brktk lj(5)hwh tmn] (6) wl[’šrth . jb](7)[rk . wjšmrk] (8) [wjhj . ‘m .’dn](9)[j...]
(0) Es [s]agt (1) Amarjaw: sa-(2)ge zu meinem Herrn: (3) Geht es di[r] gut? (4) Ich segne dich (hiermit) vonseiten J-(5)hwhs [...] (6) und vonseiten [seiner Aschera. Er seg-] (7) [ne dich und er beschütze dich,] (8) [und er sei mit meinem] (9) [Herrn ...]
Es folgen ab Z.10 Buchstabenreste und ab Z.11 Alphabete.
KAgr 10
(1) [brkt …] ljhwh htmn . wl’šrth . (2) kl ’šr . jš’l . m’l . hnn … wntn lh jhw klbbh …
(1) [Ich segne … (hiermit)] vonseiten Jhwhs von Teman und vonseiten seiner Aschera. (2) Alles, was er erbittet vom gütigen Gott …, und es gebe ihm Jhw nach seinem Herzen …
Um etwa 800 v. Chr. wird die Segensthematik einerseits in den Primärquellen aus Kuntillet ‘Aǧrūd (v.a. KAgr 8-10) und andererseits in den kritisch rekonstruierten Sekundärtexten der einzelnen Segenserzählungen der Vätergeschichten (Gen 26
Die Segens-Konstellationen der verschiedenen – literarisch unabhängigen – Quellencorpora weisen trotz Einzeldifferenzen erstaunlich hohe Konvergenzen auf: Der zwischenmenschlich-horizontal vollzogene Segen vermittelt in Begegnungs- und Abschiedssituationen unkonditioniert materiell-diesseitige, transpersonale und selbstwirksame Lebenskraft; die einmal vollzogene Segensvermittlung funktioniert somit als magischer Transfer, der Anteil verleiht an der heilschaffenden Kraftsphäre des Segens:
1) Situation. Es liegt meist eine Begegnungs- (Gen 32,23ff
2) Form. Die Segensformulierungen ergehen in der Regel sprachlich recht formelhaft: Das gilt für die verbalen (KAgr 8-10; Gen 27,4
3) Segensrelationen. Es werden sämtliche Segensrelationen abgedeckt: Gegenüber der (anthropozentrischen) Segnung dinglicher Objekte (KAgr 6; Gen 27,27
4) Menschlicher Segensspender. Grundlegend beim zwischenmenschlichen Segensvorgang ist, dass hier nicht nur ein menschlicher Sprecher, sondern ein menschlicher Segensspender agiert und Segen (performativ) vollzieht. Das ist in den Verbalaussagen in KAgr 8-10 und Gen 27
5) Göttlicher Segensspender. Unabhängig davon kann der Segen aber auch – ohne Explikation des Gott-Mensch-Verhältnisses – auf eine Gottheit zurückgeführt werden.
Dabei ist die adverbiale Präzisierung des in der 1. Person Singular Perfekt Piel formulierten performativen Segensvollzugs „ljhwh (wl’šrth)“ höchst interessant (KAgr 8-10; später Arad 40,3; 16,2f; 21,2f jeweils: brktk . ljhwh „Ich segne dich (hiermit) vonseiten Jhwhs.“ Diese profilierte Spitzenformulierung begegnet – und dies gilt für die gesamte Eisenzeit – nur in der primärtextlichen Briefliteratur“ (während sich umgekehrt die partizipialen Segensformeln [mit Personen oder Gottheiten als Empfängern] auf „Monumentalinschriften“ beschränken; KAgr 3; 6f; Felsblöcke; Höhleninschrift aus En Gedi: (3) brk . jhw[h …] (4) brk . bgj[m … j]mlk [(5) …] (6) brk ’dn[j] jh … „(3) Gesegnet ist/sei Jhw[h …,] (4) Gesegnet ist/sei er unter den Völker[n … he]rrscht als König. [(5) …] (6) Gesegnet ist/sei der Her[r]; jh[…]“). Dies wirft ein interessantes Licht auf die spezifische Kommunikationssituation, in der diese performativen Segensvollzüge ergehen: in der im Akt des Verlesens des Briefs hergestellten „virtuellen“ Begegnungssituation von Spender und Empfänger. Dagegen fehlt diese Formulierung im Alten Testament: Dieser konkrete menschliche Segensvollzug schien dem Menschen zu viel zuzumuten bzw. zuzugestehen, selbst wenn stets die genannte adverbiale Präzisierung vorgenommen und damit sichergestellt wird, dass der menschliche Segensvollzug innerhalb des Wirkbereichs der Gottheit erfolgt.
6) Segensinhalt. Schließlich besteht der Segensinhalt – auch dies ist für die Segensthematik insgesamt ziemlich repräsentativ – in umfassender materieller Prosperität und Lebenssteigerung, die unterschiedliche Nuancen und Ausdifferenzierungen erhalten: KAgr 6-10 hebt auf die Sicherung des individuellen Alltags (Reise, Schutz) wie des gemeinschaftlichen Lebensfelds „Kampf / Krieg“ ab, Dtn 28,3ff
Fazit. Distinkte Transformationen sind aufgrund des Fehlens älterer Vergleichstexte nur zu vermuten: In Dtn 28,3ff
Segen bildet offenkundig ein zentrales Thema der religiösen Symbolsysteme im königszeitlichen Israel und Juda, wie die späteren Phasen sogleich bestätigen werden. Dementsprechend stellt sich binnenalttestamentlich das mehrfache, unabhängige Auftreten der Segensthematik als gleichsinnige Neuerung (Emergenzphänomen) dar.
3.3. Um 700 v. Chr.
Rund ein Jahrhundert später, am Anfang der Eisenzeit IIC um ca. 700 v. Chr., zeigen sich in den Primärquellen aus Chirbet el-Qōm (→ Chirbet el-Qōm
Qom 3
(1) ’rjhw . h‘šr . ktbh (2) brk . ’rjhw . ljhwh (3) wmṣrjh . l’šrth . hwš‘ lh (4) l’njhw
(1) Urijahu, der Reiche, hat dies schreiben lassen: (2) Gesegnet ist / sei Urijahu vonseiten Jhwhs. (3) Und von seinen Feinden – durch seine Aschera hat er ihn gerettet. (4) Von/Durch Onijahu.
Diese transformierten Segens-Konstellationen lassen sich summarisch so charakterisieren, dass nun zumeist Jhwh selber Menschen – im Diesseits oder im Jenseits – segnet, wobei der Segen mehrfach in Begründungen und Volkshorizonte eingebunden wird:
1) Allein Jhwh als Spender. Die verschiedenen Textcorpora konvergieren in ihrer Fokussierung auf Jhwh allein als göttlichen Segensspender: Im Jakobzyklus wird die ältere Jhwhisierung fortgeführt, wenn in Gen 49,25f
2) Menschliche Empfänger. Damit korreliert der Befund, dass nahezu ausschließlich menschliche Empfänger auftreten (anders nur EGed).
3) Segensinhalt. Stärker variiert der Segensgehalt: Im Jakobzyklus setzt sich die ältere Vielfalt fort, was auch für den Schwerpunkt auf pflanzlicher, tierischer und menschlicher Fruchtbarkeit (Gen 49,25f
4) Begründungen. Der Segen ergeht zwar weiterhin durchwegs unkonditioniert, er erhält indes Begründungen: In Qom 3 wird der außerordentlich kühne Segenswunsch für Urijahus Geschick im Todesreich in biographischen Rettungserfahrungen fundiert und daraus extrapoliert. Ähnlich verankert der Jakobzyklus den Segen in Gnadenerfahrungen (Gen 33,11
5) Volkshorizont. Mehrfach kommt ein Volkshorizont in den Blick: Im Jakobzyklus, der als Ursprungsgeschichte Israels konzipiert ist, werden ältere volksperspektivische Ansätze fortgeführt (Gen 27
Fazit. Die Segens-Konstellationen bleiben also literarisch prominent; sie sind wesentlich durch in mehreren Textcorpora parallel und sachlich konvergierend auftretende Transformationen gekennzeichnet: Dies gilt für Jhwh als exklusiven Spender, für Begründungen des Segens und für volksperspektivische Verortungen; zusätzlich zu nennen ist die Verlagerung ins Jenseits in Qom 3 sowie im Jakobzyklus die inklusiv-teilbare Segens-Komposition der Ursprungsgeschichte Israels.
3.4. Späte Königszeit (7. Jh. v. Chr.)
Abermals rund ein Jahrhundert später, in der späten Königszeit (Eisenzeit IIC), lässt sich die Segensthematik dank der günstigen zeitlichen Verteilung der Primärquellen erneut profiliert beschreiben: Einerseits primärtextlich um ca. 600 v. Chr. anhand der Segensamulette vom Ketef Hinnom (Tabelle 2: Großes und Kleines Segensamulett – Text; s. dazu jüngst Berlejung, 2008), einiger Arad-Ostraka (16; 21; 28; → Arad
Die spätvorexilischen Segens-Konstellationen führen einerseits ältere Tendenzen fort und zeigen andererseits einige parallel auftretende Innovationen, die angesichts teils fundamentaler theologischer Differenzen (v.a. Bedingtheit bzw. Unbedingtheit von Segen) höchst interessant sind: In Verbalformulierungen (im Piel bzw. Nifal) spendet der nun als Solitär auftretende Jhwh einem fast durchwegs direkt angesprochenen Empfänger (Du / Volk; Erzväter) – meist im Diesseits, einmal im Jenseits – inhaltlich variierenden Segen, der in umfassendere Argumentationsstrukturen eingebunden ist und oft als Segen-Fluch-Alternative ergeht; in den späteren Sekundärcorpora dieser Phase treten zudem prominent ein Völkerhorizont und eine Historisierung hinzu:
1) Form. Formal dominiert im deuteronomischen Bereich die indikativisch-jussivisch unbestimmte Standardformulierung im Piel „Jhwh (dein Gott) segne(t / te) dich“, in der Vätergeschichte Gen 12-35*; 49* sind die sonst seltenen Nifal-Belege signifikant, die sich dadurch auszeichnen, dass sie in Gottesreden Jhwhs auftreten (Gen 12,3
2) Inhalt. Die Inhalte weisen nun eine große Varianz auf und beschränken sich auch nicht mehr durchwegs auf materiell-diesseitiges Wohlergehen. Am innovativsten ist KHin, wenn hier in der kompositionellen Ausweitungsbewegung „Segen => Schutz => freundliche Präsenz Jhwhs => Frieden“ eine individuell-universale Segenstheologie angedeutet wird. Allerdings bleibt die Spannung zwischen dem „proto-orthodoxen“ Textbestand und der apotropäisch-magischen Funktion als Amulett für Lebende (und sekundär dann für Tote) zu beachten. Dennoch ergibt sich gegenüber Chirbet el-Qōm eine Weiterführung der Kompetenzausweitung Jhwhs ins Todesreich und dazu korrespondierend eine konsequente Steigerung der Segens-„Spiritualisierung“ und Segens-Verlagerung ins Jenseits. Eine breitere Universalisierungstendenz lässt sich auch in Primärtexten (Frieden als Segensgehalt: KHin 2,11f; Arad 16,1f; 21,1; Witwenbitte Z.1) und in der Vätergeschichte Gen 12-35*; 49* (Mehrung / Volkswerdung, Namensvergrößerung, Landgabe und Mit-Sein: Dtn 12,2f
3) Allein Jhwh als Spender. Als Segensspender fungiert nun allein und exklusiv der Solitär Jhwh: Es zeigt sich durchwegs eine monojhwhistische Konzentrations- bzw. Jhwh-allein-Bewegung. In KHin wird Jhwh durch Wiederholung betont und umgekehrt fehlt Aschera komplett: Die Verschiebung der Gewichte verdeutlicht ein Vergleich mit KAgr 8-10, wo Segen noch vonseiten Jhwhs und seiner Aschera gespendet wird, und mit Qom 3, wo Jhwh bereits selber für die Segnung, Aschera aber noch für Rettung zuständig ist. Dieser Wegfall Ascheras in Segensformeln erhärtet den langfristigen Rollentransfer von Aschera zu Jhwh in der Eisenzeit IIB-C. Dieselbe Entwicklung belegt der Konnex des deuteronomischen Grundbestands zur monojhwhistischen Jhwh-allein-Bewegung, und die spätdeuteronomische Redaktion bindet Segen explizit an Jhwh (Dtn 28,1
4) Empfänger. Dass die Segensempfänger nahezu durchgängig direkt angesprochen werden, stellt eine Neuerung dar, die wohl mit der Dominanz der Verbalformulierungen zusammenhängt und im Fall der biblischen Corpora die literarischen Großkontexte spiegelt.
5) Argumentationsstrukturen. In allen hinreichend erhaltenen Texten wird die Segensthematik neu in umfassendere Argumentationsstrukturen eingebunden: Am wenigstens gilt dies angesichts von Gattung und Erhaltungszustand für KHin, wo immerhin die bundestheologische Segens-Konditionierung und die Kombination von deuteronomischen, psalmischen und priesterlichen Traditionen zu nennen sind. In der Vätergeschichte Gen 12-35*; 49* kann vorab auf die kriteriologische Funktion von → Abraham
6) Segen-Fluch. Während die Segen-Fluch-Alternative in KHin fehlt, prägt sie die biblischen Corpora: In der Vätergeschichte Gen 12-35*; 49* ist nur die kriteriologische Funktion Abrams (Dtn 12,3
7) Völkerhorizont. Erst in den spät- / nachjosianischen Werken tritt neu ein Völkerhorizont hervor: Diese radikalste Transformation der spätdeuteronomischen Redaktion manifestiert sich als Völkerüberlegenheit durch Herrschaft oder gar Vernichtung (Dtn 7,14ff
8) Historisierung. Und auch die Historisierung der Segensthematik beschränkt sich auf die beiden späteren Überarbeitungen. Nach der spätdeuteronomischen Redaktion erfüllt sich in der Landnahme die Väterverheißung (Dtn 7,12f
9) Bedingungen. Während die Segensformulierungen im strengen Sinn stets unbegründet bleiben, wird die Frage der Bedingtheit bzw. Unbedingtheit von Segen grundsätzlich verschieden beurteilt: In KHin konditioniert die vorangehende deuteronomische Bundestheologie die Segenswünsche (Dtn 7,9
Fazit. In der späten Königszeit bzw. Eisenzeit IIC (ca. 720-587 v. Chr.) ballen sich also in Primärquellen wie in alttestamentlichen Sekundärtexten die segensthematischen Corpora in hoher Dichte; diese Phase bildet die eigentliche Blütezeit der Segensthematik im alten Israel. Zudem lässt sich eine weitgehende Angleichung von privater und offizieller Religion beobachten (vgl. bes. die deuteronomische Tradition mit den Primärtexten aus KHin; s.a. die Zwischenstellung der Arad-Ostraka).
3.5. Exilszeit (6. Jh. v. Chr.)
Ab der folgenden Exilszeit (Eisenzeit III) stehen keine segensthematischen Primärtexte mehr zur Verfügung, wenngleich die umfassenderen Lebenswelten ausweislich der archäologischen Befunde weiterhin durch die Segensthematik mitgeprägt werden. Daher muss sich die (textbasierte) Rekonstruktion der Geschichte der Segensthematik auf das Alte Testament konzentrieren. Entsprechend lassen sich keine Konvergenzen von Primär- und Sekundärtexten mehr herausarbeiten, sodass die Vorgänge ab hier knapper und mit Fokussierung auf die innerbiblischen Rezeptions- und Transformationsprozesse dargestellt werden.
Zunächst wird in spätexilischer Zeit der deuteronomisch-deuteronomistische Traditionsbereich weitergeführt, wenn eine monolatrische deuteronomistische Erweiterung (Dtn 5-30
Die deuteronomistischen Segens-Konstellationen führen die (spät)deuteronomische Ausprägung kontinuierlich weiter, transformieren sie aber mehrfach: indem neu der Götterdienst verboten wird (Dtn 11,28
Die deuteronomistischen Segens-Konstellationen stellen also eine religions- und theologiegeschichtlich konsequente Weiterentwicklung der deuteronomischen Tradition unter spätexilischen Bedingungen dar; dabei prägt die Segensthematik – im deuteronomisch-deuteronomistischen Bereich ein letztes Mal – auch die Komposition der deuteronomistischen Erweiterung in Dtn 5-30
3.6. Frühnachexilische Zeit (Ende 6. Jh. v. Chr.)
In frühnachexilischer Zeit bietet die quellenhafte Grundschrift der Priesterschrift (PG; Gen 1,1-Lev 9,24*; → Priesterschrift
Die scharf gezeichneten Segens-Konstellationen entstehen in traditionsgeschichtlicher Auseinandersetzung mit älteren Vorstellungen und rezipieren in der → Urgeschichte
Die Segen verbal, unkonditioniert, unbegründet und als Bericht darstellende Ursprungsgeschichte Israels von der Schöpfung bis zur Einrichtung des Heiligtums und des priesterlichen Opferkults zeigt markante Transformationen der Segensthematik: Segen wird in Schöpfung und Urgeschichte eingeführt (Gen 1,22
Damit liegt – auch segensthematisch – das profilierteste literarische Werk der exilisch-nachexilischen Zeit vor; es bleibt auch im Folgenden von Bedeutung (PS) und prägt durch seine Anfangsstellung selbst die jetzt vorliegende Endgestalt des Enneateuchs bzw. der Tora nachhaltig.
3.7. Nachexilische Zeit (5. Jh. v. Chr.)
In der nachexilischen Zeit des 5. Jh. v. Chr. führt die literarisch wahrscheinlich noch selbstständige, erweiterte Priesterschrift (PS) durch die Integration der Vätergeschichte Gen 12-35*; Gen 49* und der → Josefsgeschichte
Segensthematisch fügen sich in der erweiterten Priesterschrift (PS) insgesamt die Vätergeschichte Gen 12-35*; 49* und die priesterschriftliche Grundschrift (PG) bezüglich Futurisierung, Jhwhisierung, Unbedingtheit, genealogischer Geschichtsdeutung gut zusammen, während die kriteriologische Funktion von Gen 12,1ff
Damit schafft die erweiterte Priesterschrift (PS) erstmals in einem größeren literarischen Rahmen eine Synthese zweier grundlegender alttestamentlicher Segenstraditionen: der Vätergeschichte Gen 12-35*; Gen 49* (inkl. Vorstufen) und der priesterschriftlichen Grundschrift (PG).
3.8. Nachexilische Zeit (5.-4. Jh. v. Chr.)
In der nachexilischen Zeit des 5.-4. Jh. v. Chr. entsteht im weisheitlichen Traditionsbereich – unter Aufnahme älterer Hiob-Legenden – die selbständige Hiob-Grunderzählung (Hi 1,1-5
Die Segens-Konstellationen sind insgesamt wenig prägnant: Sie fokussieren auf eine materielle Lebenssteigerung im Diesseits für Hiob (in der Grunderzählung ebenso Hi 1,10
Damit wird die Segensthematik insofern transformiert, als sie zur „(erfahrungs)theologischen Selbstbescheidung“ gehört, mit der die hintergründige (und keineswegs banale) Hiob-Grunderzählung eine subtile Kritik an einer überzogenen traditionellen Weisheitstheologie zu üben scheint. Dies wird jedoch mehr angedeutet als ausgeführt und lässt sich erst in der redigierten Rahmenerzählung des Hiobbuchs deutlicher fassen.
3.9. Spätes 4. Jh. v. Chr.
Wohl im späteren 4. Jh. v. Chr. erfolgt die Zusammenarbeitung der erweiterten Priesterschrift (PS) mit Ex 1/2 - 2Kön 25* zum enneateuchischen Großgeschichtswerk Gen 1-2Kön 25*. Diesen weiten Horizont gibt eine Vielzahl segensthematischer Einzelfortschreibungen in der Vätergeschichte der Genesis und im Deuteronomium zu erkennen.
Dabei weisen die Segens-Konstellationen in der Vätergeschichte und im Deuteronomium eine Reihe von Gemeinsamkeiten auf: Die Segensinhalte zeigen umfassende Tendenzen (Gen 22,17
Im Enneateuch kann man demnach vorab aufgrund der gemeinsamen Segens-Konditionierung sowohl in der Vätergeschichte als auch im Deuteronomium von spätdeuteronomistischen Segens-Konstellationen sprechen. Dabei kommt der Segensthematik keine kompositionell prägende Stellung mehr zu; vielmehr handelt es sich um literarisch kleinräumige, wenn auch theologisch nicht weniger prägnante Einzelfortschreibungen.
Dass der Enneateuch insgesamt eine komplexe Synthese vollzieht, gilt auch für die Segensthematik: Es kommt – literarisch wie sachlich – zur umfassendsten Synthese der beiden in nachexilischer Zeit wichtigsten Traditionsströmungen: der unkonditionierten erweiterten Priesterschrift (PS inklusive der Vätergeschichte Gen 12-35*; Gen 49*) und des konditionierten deuteronomistischen Geschichtswerks Ex 1/2 - 2Kön 25*. Ohne diese literarische Synthese im Detail näher beschreiben zu können (wofür insbesondere der segensthematisch wenig relevante Mose-Exodus-Bereich genauere Aufschlüsse verspräche), lässt sich die segensthematische Gesamtdynamik des Enneateuch wie folgt skizzieren: Im heilsgeschichtlichen Ablauf des Großgeschichtswerks kommt durch den Einsatz bei der Schöpfung und bei der Urgeschichte sowie durch die Fortsetzung der Vätergeschichte dem unkonditionierten Modell der Vorrang zu (trotz den spätdeuteronomistischen Konditionierungen in der erweiterten Priesterschrift [PS]), wobei der universale, unkonditionierte Schöpfungssegen der Priester-Grundschrift (PG) nun bis in die Existenz im Land und in die Königszeit weitergeführt wird. Doch qualifiziert das Deuteronomium diesen Segen dann zusätzlich – gegenüber Missverständnissen – ethisch-gesetzlich und sichert ihn auf diese Weise ab, ohne dabei auf die Herleitung vom Anfang der Welt zu verzichten. Mit Fug und Recht lässt sich somit von einer komplexen und zugleich verschiedene (segens-)theologische Interessen ausgleichenden Synthese sprechen, die gut in die spätpersischen Gegebenheiten passt.
3.10. Frühhellenistische Zeit (Ende 4. Jh. v. Chr.)
An diese große und komplexe enneateuchische Synthese schließt alsbald – ohne dass eine diachrone Abgrenzung eindeutig gelingt – die postdeuteronomistische ausgrenzend-formative Pentateuchredaktion in Dtn 33
Die transformierte Segens-Konstellation ist primär durch die Eliminierung der Konditionierung charakterisiert: Das (ur)deuteronomisch-deuteronomistische Junktim von Segen und Gebotsgehorsam wird – literarisch und diachron am Ende des Deuteronomiums – aufgelöst zugunsten einer unkonditionierten Zusage. Dabei wird der Segen als futurischer → Mosesegen
Dass der postdeuteronomistische Mosesegen Dtn 33
3.11. Hellenistische Zeit (Ende 4.-3. Jh. v. Chr.)
Die Rahmenerzählung des Hiobbuchs wird wahrscheinlich bei der Verbindung mit der Dialogdichtung durch Hi 1,7-12
In der Hauptsache verstärkt sich die „erfahrungstheologische“ Transformation der vertikalen Segensrelation: Wenn in den Spitzenbelegen Hi 1,21
Im narrativen Ablauf der Rahmenerzählung klären somit die transformierten Segens-Konstellationen im Gegenüber von Hi 1,11
3.12. 3. Jh. v. Chr.
Ebenfalls im 3. Jh. v. Chr. lässt sich in den Psalter-Doxologien (Ps 41,14
Wie in der Rahmenerzählung des Hiobbuchs steht die vertikale Segensrelation im Zentrum – und zwar als Bewegung von „unten“, von den Psalmenbetern (Israels), nach „oben“, zu Jhwh –, nun jedoch nicht im Blick auf die (paradigmatische) Einzelgestalt „Hiob“, sondern im Blick auf das Kollektiv „Israel“ bzw. die Psalmenbeter. Wenn man den Psalter damit theologisch als Antwort Israels auf dessen Gotteserfahrungen versteht, so ist zu beachten, dass sich auf der Buchebene des Psalters diese Antwort nicht direkt an Jhwh richtet, sondern in zwischenmenschlicher Kommunikation – freilich coram deo – formuliert wird, also eine „Rede über Gott“ darstellt.
Auch in den Psalter-Doxologien wird die Segensrelation Israels zu Jhwh grundsätzlich vom Ergehen Israels abgelöst: Im historisierenden Buchablauf zeigt sich, dass die Doxologien ihre Gestalt zwar dem jeweiligen (historischen) Makrokontext anpassen, dass sie am grundlegenden Segensvorgang, wie ihn die ברוך-Formel (bārûkh „gesegnet“) zum Ausdruck bringt, jedoch konstant festhalten: Die Segens-Konstellation passt sich in der Umschreibung des Empfängers, in der Ausführlichkeit und Stimmungslage sowie im Einbezug der Vergangenheit dem jeweiligen Kontext an, weist aber grundsätzlich eine Vollzugskonstanz auf. So sehr mit der Notlage gehadert, mit der Katastrophe gerungen, auf die Notwende gehofft wird – es hat sich wie in der Rahmenerzählung des Hiobbuchs die (weisheitskritische) Einsicht Bahn gebrochen, dass das Gottesverhältnis nicht vom menschlichen Ergehen abhängt; vielmehr definiert die davon abgekoppelte Segensrelation das intakte Gottesverhältnis: Unabhängig von den Wechselfällen des Lebens – und d.h. konkret inmitten, trotz oder jenseits aller geschichtlichen Höhe- und Tiefpunkte Israels mit Königtum, Exil und Exilswende sowie Sammlung und Rettung – wird Jhwh, der außer am absoluten Tiefpunkt in Ps 89
4. Ertrag und Systematische Perspektiven
Abgesehen von den zuletzt genannten weisheitlichen Schriften werden die alttestamentlichen Textcorpora der Vätergeschichte der Genesis, des Deuteronomiums und der Priesterschrift schließlich im hochkomplexen literarischen Werk des Pentateuchs bzw. der Tora miteinander kombiniert und synthetisiert. Hier besitzt die Segensthematik im Alten Testament bzw. in der hebräischen Bibel ihren zentralen, aber vielgestaltigen Schwerpunkt. Demgegenüber sind die übrigen Kanonteile der (vorderen und hinteren) Nebiim und der Ketubim (abgesehen von → Hiob
Die summierte Geschichte der Segensthematik im alten Israel lässt sich in dem nebenstehenden graphischen Überblick umsetzen. Wie die Abbildung veranschaulicht, umfasst der Horizont der Segensthematik – einmal abgesehen von den ikonographischen Primärquellen, die eine mehrfache Zeitspanne abdecken – in den primären und sekundären Textcorpora aus dem alten Israel mehr als ein halbes Jahrtausend: Er reicht vom 10. / 9. Jh. v. Chr. bis ins 3. Jh. v. Chr. Die vielfältigen religions- und theologiegeschichtlichen Segens-Konstellationen und Segens-Transformationen zeigen dabei einerseits in älteren Stadien genuine Verwurzelungen in ursprünglichen eisenzeitlichen Religionserfahrungen und andererseits von relativ früher Zeit an bis zu den jüngsten alttestamentlichen Ergänzungen zahlreiche Entwicklungen, Verschiebungen oder gar Umbrüche. Die außerordentlich breite Streuung der Segensthematik dokumentiert deren vielgestaltige, aber permanent anhaltende Relevanz, die bisher in der Forschung unterschätzt worden ist; demgegenüber erweist sich die Segensthematik als zentraler Faktor in vielen und gewichtigen religiösen Symbolsystemen des alten Israel.
Auf der Basis des exegetischen Ertrags lassen sich Impulse für eine systematische Segenstheologie in einem abendländisch-postmodernen Kontext knapp in acht Thesen fassen:
1) Begegnungs- oder Abschiedssituationen. Das konstanteste Kennzeichen der Segensvollzüge im alten Israel ist die Verortung in gemeinschaftlichen Begegnungs- oder Abschiedssituationen.
2) Relational-externer Charakter. Daraus ergibt sich ein relational-externer Charakter: Segen kann man zwar ersehnen und erbitten, man kann ihn sich aber – ähnlich wie eine Bitte oder einen Wunsch – nicht selber spenden.
3) Wohl und Heil. Der Gehalt der Segensvollzüge variiert im alten Israel ausgesprochen stark und hängt wesentlich vom jeweiligen Kontext ab. Wenn es dabei meist im Rahmen von „Diesseitsreligion“ um lebenssicherndes und lebenssteigerndes vitales Wohlergehen geht, so umfasst dies – und dasselbe ließe sich eingeschränkt auch im Neuen Testament zeigen – beide Dimensionen von Wohl und Heil: Segen besitzt in aller Regel primär und hauptsächlich einen materiellen Grundzug, der um „geistige“ Dimensionen ergänzt werden kann.
4) Bedingung. Die Frage der Segens-Konditionierung wird bereits in den alttestamentlichen Traditionen kontrovers beurteilt. Eine christliche Segenstheologie wird eine eigentliche Konditionierung durch Gebots- oder Gesetzesgehorsam nach deuteronomisch-deuteronomistischer Tradition vermeiden, lässt sich aber sehr wohl mit Begründungen oder Motivierungen verbinden.
5) Spender. Die differentia specifica einer christlichen Segenstheologie markiert vorab der Spender, der auf unterschiedliche Weisen präsent sein kann: Bei neu formulierten Segensaussagen kann er explizit gemacht werden, z.B. durch trinitarische Formen. Häufiger und interessanter ist der Fall, dass in biblischen oder neu formulierten Segensaussagen unspezifisch von Gott gesprochen wird und eine Präzisierung implizit durch den Kontext erfolgt: etwa durch die Spendung in christlichen Gottesdiensten, durch die seelsorgerliche Verortung in individuell-christlichen Biographien oder genereller durch die Verwendung in christlich geprägten Situationen und Kontexten.
6) Empfänger. Auf der Empfängerseite sind die vielfach variierenden menschlichen Adressaten zwischen spezifisch identifiziertem Individuum und umfassender Menschheit unproblematisch. Zu betonen ist, dass im Anschluss an das Alte Testament wie an Primärtexte auch dingliche Objekte Segen erhalten können, wobei durchgehend eine anthropozentrische Perspektive zu beobachten ist: Hier kommt die Angewiesenheit menschlicher Lebenswelten auf Gottes Segen angemessen zum Ausdruck. Eine kriteriologische Funktion wird dabei – und hier beginnen die Schwierigkeiten bei der heutigen Konkretion einer christlichen Segenstheologie allererst – der Sicherung und Steigerung des menschlichen Lebens („Lebensförderlichkeit“) zukommen.
7) Verbindung von Gott und Welt. Die (systematisch-)theologische Pointe der vertikalen Segensrelation, die im alten Israel die große Mehrheit der Segensbelege ausmacht, lässt sich als Verbindung von Gott und Welt bestimmen. Im Fall der göttlichen Segnung von Menschen (bzw. Objekten) resultiert eine Wohl und Heil implizierende „Gotthaltigkeit“ der Welt bzw. des Menschen. Im Fall der menschlichen Segnung Gottes, die im alten Israel eine – beachtliche – Minderheit von Belegen umfasst, spenden Menschen einer Gottheit (Jhwh, Baal) Segen. Aufgrund der theologisch-anthropologischen Reziprozität von ברך brk lässt sich die menschliche Segnung einer Gottheit systematisch so beschreiben, dass der Segensvollzug des menschlichen Spenders einen reaktiven Kraftzuwachs Gottes bewirkt (der abermals zum Menschen zurückströmen kann).
8) Magische Funktionsweise. Schließlich gilt es m.E., die Selbstwirksamkeit und magische Funktionsweise von Segensvollzügen zu rehabilitieren.
Insgesamt ist eine derart konzipierte christliche Segenstheologie in der Lage, die gegenwärtige Segensbedürftigkeit sensibler wahrzunehmen, als es in der evangelischen Tradition bisher meistens der Fall gewesen ist, und darauf zugleich integrativ und kritisch zu reagieren (vgl. dazu etwa die Umsetzungen von Knitter, 2008, und die Anregungen bei Hangartner / Vielhaus, 2006): Sie kann im Anschluss an altisraelitische Segens-Konstellationen die spannungsvollen und widersprüchlichen Wirklichkeitserfahrungen (auch des christlichen Glaubens) produktiv aufnehmen und mit ihren Spannungen integrieren – nicht in ein glattes theologisches System, sondern in ein magische Funktionsweisen kritisch einschließendes Segens- und Wirklichkeitsverständnis, das gerade so theologisch interessant und lebenspraktisch „verifizierbar“ ist.
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- Geschichte der Segensthematik im alten Israel. © Martin Leuenberger
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