Seligpreisung (AT)
(erstellt: Februar 2013)
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1. Einführung
„Wohl dem Menschen, der nicht wandelt nach dem Rat der Gottlosen …“ (Ps 1,1
In frühjüdischen Schriften und im Neuen Testament bekommt die Seligpreisung eine stärker apokalyptische Ausrichtung: Wer gegenwärtiges Leiden um des Glaubens willen geduldig erträgt, wird dafür in Gottes neuer Welt umso reicher gesegnet.
2. Zu Sprache und Form der Seligpreisung
Die Seligpreisung wird meist mit dem Wort אַשְׁרֵי ’ašrê „wohl dem…“ eingeleitet (ca. 45-mal, davon 26-mal im Psalter, 8-mal im Sprüchebuch). In etwas über der Hälfte der Fälle folgt der Adressat in Form eines Substantivs, und zwar überwiegend allgemein „Mensch“ oder „Mann“, seltener „Volk“ oder „alle“. Die Näherbestimmung des Adressaten erfolgt in einem anschließenden Relativsatz, der inhaltlich oft die Bedingung für die Zusage benennt. אַשְׁרֵי ’ašrê kann auch mit einem Pronomen verbunden sein (z.B. „wohl ihm“) und steht dann gelegentlich nicht am Anfang, sondern am Ende des Satzes (Spr 14,21
Die אַשְׁרֵי ’ašrê-Formel bildet oft einen Halbvers innerhalb eines Zweizeilers (Bikolon), der meist als synonymer Parallelismus (z.B. Spr 3,13
Das Wort אַשְׁרֵי ’ašrê wird meist von der Wurzel אשׁר ’šr her gedeutet. Bekannt ist von derselben Wurzel das Verb אשׁר ’āšar „glücklich preisen“ (9 Vorkommen im Piel / Pual) sowie ein Substantiv אָשֵׁר ’āšer „Wohl / Glück“ (nur Gen 30,13
Mit den אַשְׁרֵי ’ašrê-Sätzen inhaltlich verwandt sind Aussagen, die mit dem Wort בָּרוּךְ bārûkh „gesegnet“ eröffnen. In einem Fall liegt sogar eine analoge Konstruktion vor (Jer 17,7
Nicht formal, aber inhaltlich verwandt sind ferner Aussagen mit dem Verb der Wurzel טוב ṭwb bzw. יטב jṭb (Hif.), im Sinne von „jemandem Gutes tun / es ihm gutgehen lassen“. An zwei Stellen erscheint טוב ṭwb im Parallelismus mit אַשְׁרֵי ’ašrê (Ps 128,2
Gegenbegriff zu אַשְׁרֵי ’ašrê ist die Partikel „Wehe“ (הוֹי hôj, אוֹי ’ôj, אִי ’î), der Weheruf, der allerdings anders als אַשְׁרֵי ’ašrê fast ausschließlich in prophetischen Texten steht. Er kann ebenso wie אַשְׁרֵי ’ašrê von einem Relativsatz gefolgt sein und bringt dann eine Verwünschung über eine Personengruppe zum Ausdruck, die sich über ein bestimmtes Verhalten definiert (z.B. Jes 5,8
2.1. Septuaginta. In der → Septuaginta
2.2. Qumran. In → Qumran
2.3. Rabbinisches Hebräisch. Im rabbinischen Hebräisch ist sowohl die אַשְׁרֵי ’ašrê-Formel als auch das Substantiv ’ošer „Glück“ gut bezeugt. Die Gebrauchsweise schließt sich an die alttestamentliche Verwendung an.
Seligpreisungen sind aus Mesopotamien nicht belegt, wohl aber im alten Ägypten, wo sie sowohl im religiösen als auch im profan-weisheitlichen Zusammenhang stehen können (Dupont).
3. Zur kommunikativen Funktion der Seligpreisung
Untersucht man die אַשְׁרֵי ’ašrê-Formel im Hinblick auf das Verhältnis zwischen Sprache und Wirklichkeit und damit auf ihre kommunikative Funktion, so ergibt sich ein mehrschichtiges Bild. (Im Folgenden werden Konzepte zur Sprechakt-Theorie nach John Searle verwendet, vgl. Hellholm, Wagner.)
Grundsätzlich erheben die אַשְׁרֵי ’ašrê-Formeln den Anspruch, Wirklichkeit zutreffend zu beschreiben („Repräsentative“ bzw. „Assertive“ nach Searle), indem sie eine bestimmte Gegebenheit als heilvoll charakterisieren.
Glücklich ist der, dem Übertretung vergeben, dem Sünde zugedeckt ist. (Ps 32,1
Meistens geht es jedoch um mehr als um das reine Mitteilen eines Sachverhalts. Die folgenden vier Verstehensrichtungen sind nicht alternativ zu denken, sondern spielen in den einzelnen Seligpreisungen mit unterschiedlicher Gewichtung zusammen.
3.1. Ausdruck von Freude
Wird eine Gegebenheit als heilvoll wahrgenommen, löst dies Emotionen aus. Der Sprecher artikuliert seine Freude oder Begeisterung („Expressive“ nach Searle) oder lädt den Adressaten zur freudigen Reaktion ein.
Und als die Königin von Saba all die Weisheit Salomos sah …, da geriet sie vor Staunen außer sich … „Glücklich sind deine Männer, glücklich diese deine Knechte, die ständig vor dir stehen, die deine Weisheit hören!“ (aus 1Kön 10,4-8
3.2. Zuerkennen gesellschaftlicher Achtung
An einigen Stellen, vor allem mit dem Verb אשׁר ’āšar „glücklich preisen“, lässt sich dafür argumentieren, dass der Sprecher nicht nur seine Freude und Anerkennung zum Ausdruck bringt, sondern diese dem Adressaten zuspricht, ihm mit Worten seinen Respekt zollt („Deklarative“ bzw. „Performative“ nach Searle). Es geht dabei nicht allein um eine individuell zugesprochene Anerkennung, sondern vielmehr um einen Akt gesellschaftlicher Achtungsbezeugung. Diese ist in schamorientierten Kulturen wie dem altvorderorientalischen Kulturkreis von besonderer Bedeutung.
Sahen mich dann die jungen Männer, so verbargen sie sich, und die Greise erhoben sich, blieben stehen. Die Obersten hielten die Worte zurück und legten die Hand auf ihren Mund. … Hörte mich ein Ohr, so pries es mich glücklich [„so bezeugte es mir Achtung“], und sah mich ein Auge, so legte es Zeugnis für mich ab. (aus Hi 29,8-11
3.3. Göttliche Glücks- und Heilszusage
In vielen Seligpreisungen wird dem Adressaten ein künftiges Wohlergehen zugesagt („Kommissive“ nach Searle). Hierbei künden die Worte etwas an, das erst noch Realität werden wird. Eigentümlich für die Seligpreisung ist dabei, dass der Sprecher eine Zusage macht, die er selbst nicht einlösen kann. Woher kommt das zugesagte Wohlergehen und welcher Art ist es?
a) Im Sinne des weisheitlichen Zusammenhangs von Tun und Ergehen (→ Tun-Ergehen-Zusammenhang
אַשְׁרֵי ’ašrê-Aussagen, die einen rein innerweltlichen Tun-Ergehen-Zusammenhang anvisieren, sind in der Hebräischen Bibel jedoch selten. Auch im Sirachbuch des erweiterten Kanons münden die zunächst profan erscheinende Makarismen regelmäßig in Aussagen über die Gottesfurcht (Sir 14,20-15,1
b) In den meisten Fällen verlässt sich der Sprecher bei seiner Zusage auf Gott als den eigentlichen Urheber des Wohlergehens. Dabei wäre es allerdings wesentlich zu kurz gegriffen, Gott als bloßen Garant in einem Belohnungszusammenhang zu sehen. Vielmehr ist Käser zuzustimmen, der herausarbeitet, dass die Seligpreisung in der Hebräischen Bibel meist im Kontext der Bundesbeziehung steht (→ Bund
Schmecket und sehet, wie gütig der HERR ist! / Glücklich der Mann, der sich bei ihm birgt! (Ps 34,9
c) Während die Heilszusagen der neutestamentlichen Makarismen eschatologisch ausgerichtet sind und sich auf das kommende „Reich der Himmel“ beziehen (Mt 5,3-10
Die einzige Ausnahme in der Hebräischen Bibel bildet Dan 12,12
Die zuletzt genannten Stellen und besonders Mt 5,3-10
3.4. Indirekte Aufforderung
a) Der Adressat der Seligpreisung wird oft über sein Tun charakterisiert. Dieses stellt gleichsam die Bedingung für das zugesagte Wohlergehen dar. Die Absicht ist, den Hörer / Leser zu dem entsprechenden Tun zu motivieren und einzuladen („Direktive“ nach Searle). An einigen Stellen wird der Seligpreisung dafür eine direkte Aufforderung zur Seite gestellt (z.B. Ps 2,12
Die Seligpreisung ist damit auch eine sprachliche Form der weisheitlichen Ermahnung, die auf den Zusammenhang von Tun und Ergehen zurückgreift (Preuß, 49, s. aber oben 3.3.).
b) Die indirekte Aufforderung bezieht sich nicht in allen Fällen auf ein im Satz benanntes Tun, sondern kann auch darin bestehen, eine durch die Seligpreisung vorgenommene Bewertung der Situation zu akzeptieren (z.B. Hi 5,17
4. Die Seligpreisung im Psalter
Bei den ’ašre-Formeln handelt es sich um theologische Spitzensätze. Sie treten gehäuft an strukturell-hermeneutisch bedeutsamen Stellen auf. Dies gilt sowohl innerhalb der einzelnen Psalmen als auch für die Gesamtanlage des → Psalters
So eröffnet Ps 1
Der Makarismus von Ps 1,1
Paare mit je einem Individual- und einem Königspsalm finden sich auch am Abschluss von Psalmbuch II (Ps 71/72) und Psalmbuch III (Ps 88/89), Paare von je einem individuell-weisheitlichen und einem kollektiv-nationalen Psalm stehen als Eröffnung von Psalmbuch II (Ps 42f
Seligpreisungen stehen in den ein Psalmbuch abschließenden Psalmen Ps 41
Weitere Beobachtungen lassen sich hinzufügen: Ps 32-34
5. Die Seligpreisung im Sprüchebuch
Spr 1-9
Drei אַשְׁרֵי ’ašrê-Formeln finden sich in Spr 1-9
In den Sprüchesammlungen der weiteren Hauptteile begegnen nur vereinzelte Seligpreisungen (Spr 14,21
Literaturverzeichnis
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