Sinim
(erstellt: April 2019)
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In Jes 49,12
Das „Land Sinim“ (Baltzer, 395; Luther-Bibel 2017) oder „Land der Siniter“ (Berges, 24; Einheitsübersetzung 2016) wird im Alten Testament nur an dieser Stelle erwähnt.
Die antike Textüberlieferung bietet unterschiedliche Lesarten. In der Forschung wurden mehrere Alternativen zur Identifizierung des Landes vorgeschlagen, u.a. die mit China. Unter Berufung auf die große Jesaja-Rolle aus Qumran (1QIsaa) gilt heute weithin als ausgemacht, dass die ursprüngliche Lesart „Land der Seweniter“ (Hermisson, 317) lautet, womit die Gegend von Assuan in Oberägypten gemeint ist. Für diese Interpretation einschließlich der Forschungsgeschichte ist noch immer die Studie von Lambert maßgebend. Der Artikel wird auch darüber hinausreichende Aspekte zur Diskussion ansprechen.
1. Beobachtungen zum Kontext
Sowohl der Einzelvers Jes 49,12
Innerhalb des Verses nennen die beiden mittleren Herkunftsangaben, „Norden“ und „Meer (= Westen)“, konkrete Himmelsrichtungen. Die erste Angabe, „von ferne (מֵרָחוֹק merāḥôq)“, legt keine Richtung fest; da aber מֵרָחוֹק merāḥôq mehrfach im Parallelismus zu „von den Enden der Erde“ steht (vgl. Dtn 28,49
Jes 49,1-13
Da „Norden“ und „Meer (= Westen)“ in Jes 49,12
2. Der Befund in der Textüberlieferung
In der masoretischen Tradition ist die Lesart מֵאֶרֶץ סִינִים me’æræṣ sînîm eindeutig belegt. In der großen Jesaja-Rolle aus → Qumran
Die → Septuaginta
3. Zur Identifizierung des „Landes Sinim“
Nach Lambert (965) wurde das „Land Sinim“ seit dem 16. Jh. mit China identifiziert (A. Montano; C. a Lapide), während J.-D. Michaelis im 18. Jh. gefolgt von → J.C. Döderlein
Diese beiden Identifizierungen wurden am meisten diskutiert. Weitere Vorschläge wie die Gleichsetzung mit den in Gen 10,17
Die Deutung auf China wurde u.a. in W. Gesenius’ „Thesaurus“ vertreten. Noch die 17. Auflage von Gesenius’ Handwörterbuch, ein jahrzehntelanges Standardhilfsmittel der Exegese, nennt sie als meistvertretene Erklärung (Gesenius / Buhl, 542).
Viktor von Strauß und Torney zieht in seiner zum kulturphilosophischen „Achsenzeit“-Diskurs gehörenden religionsgeschichtlichen Konzeption (vgl. Assmann, 119-134) Jes 49,12
4. Aspekte zur Diskussion
Für die Lesung „Land der Seweniter“ spricht der Qumran-Befund. Zudem scheint es sinnvoll, das betreffende Land mit einer Gegend im Süden (statt im Osten) zu identifizieren, nachdem „die babylonische Gola bereits in 48,20
Mit dem Ende der Kolonie in Elephantine und ihres Tempels muss dieses Interesse an der Gegend von Assuan erloschen sein. Daraus erklärt sich, dass die Septuaginta „Land der Seweniter“ durch „Land der Perser“ ersetzt. Auch wenn zu fragen bleibt, warum sie den Blick nach Osten richtet, ist für die Jesaja-Septuaginta an dieser wie an vielen anderen Stellen aktualisierendes Interesse anzunehmen (vgl. Seeligmann, 234f [zu Jes 49,12
Wenn aber die Kritik am Tempel von Elephantine nicht mehr relevant war, dann konnte die universale Perspektive von Jes 49,1-13
Dass in der innerhebräischen Textüberlieferung das ursprüngliche סוניים swnjjm zu סִינִים sînîm geändert wurde und sich in dieser Form durchsetzte, könnte mit dem Wissen zusammenhängen, dass Assuan nicht am Rand der Welt liegt: Weiter südlich folgt noch Kusch (Ez 29,10
Damit zeichnen sich beachtliche Übereinstimmungen mit dem Masoretischen Text von Jes 49,1-13
Akzeptiert man diese Übereinstimmungen, kann die im Masoretischen Text überlieferte Lesart „Land Sinim / der Siniter“ (מֵאֶרֶץ סִינִים me’æræṣ sînîm) als Korrektur der Lesart סוניים swnjjm erklärt werden. Die Gegend von Assuan wird durch China ersetzt, um die universale Perspektive von Jes 49,1-13
Die Datierung dieser Fassung hinge dann von der Frage ab, ab wann der Landesname „China“ im Mittelmeerraum bekannt war, damit das hebräische „Land Sinim“ auf China bezogen werden konnte. Der im Westen übliche Name konnte seit der 221 v. Chr. vollendeten Reichseinigung durch den Ersten Kaiser der Qin- (ältere Umschrift: Ts’in-; Aussprache etwa: Dchin-) Dynastie, Qin Shi Huangdi (zum historischen Hintergrund vgl. Vogelsang, 130-139), als Bezeichnung des ganzen Landes verwendet werden. Damit liegt der terminus ante quem non im späten 3. Jh. v. Chr. Sicherer ist es aber, an eine Zeit zu denken, in der chinesische Einflüsse im Westen festzustellen sind, z.B. durch Seidenhandel, und zugleich Hinweise darauf vorliegen, dass der Landesname bekannt war bzw. Pendants in lokalen Sprachen gebildet waren. Letzteres ist schon vor Ptolemäus der Fall: Die ins 1. Jh. n. Chr. datierte anonyme Schrift Periplus maris Erythraei („Umseglung des roten [= südlichen] Meeres“) erwähnt eine am östlichen Rand der Welt gelegene Stadt Θῖναι Thinai als Ausgangspunkt des Seidenexports (§ 64). Da der Name der Stadt wie der Landesname von dem der Qin-Dynastie abgeleitet ist, liegt hier „die erste ausdrückliche Bezugnahme auf China in der griechisch-römischen Literatur“ (Dihle, 206) vor. Daher könnte die im masoretischen Text enthaltene Lesart, wenn sie China meint, im 1. Jh. n. Chr. entstanden sein. Da schon im 1. Jh. v. Chr. „massiver Import“ (Dihle, 202) chinesischer Seide in den Mittelmeerraum und den Vorderen Orient stattfand (zu Befunden aus Ägypten und Palmyra vgl. Hübner, 97.100), ist eine frühere Datierung denkbar, bliebe aber spekulativ, weil im Westen noch kein Pendant des Landesnamens belegt ist: Die Chinesen werden in der griechisch-römischen Literatur dieser Zeit nur als „Seidenleute“ (griech. Σῆρες = lat. Seres) bezeichnet (vgl. Dihle, 201-206).
Etwa in der Mitte des 2. Jh.s n. Chr. muss die Lesart סינים sjnjm im nördlichen bzw. nordöstlichen Syrien geläufig gewesen sein, wo sie dann in den Konsonantentext der Peschitta übernommen wurde.
Dass nach dem Befund im Syrischen (China = ṣīn / ṣīnestān) und Arabischen (China = al-ṣīn) sowie im mittelalterlichen Hebräisch – Benjamin von Tudela (12. Jh.) nennt China צין ṣîn (Itinerary, 66 [engl.]; ס [hebr.]) – als biblisch-hebräische Bezeichnung der Chinesen צִינִים ṣînîm zu erwarten wäre (so u.a. Dillmann, 434f; Duhm, 373), spricht kaum gegen die Identifizierung des „Landes Sinim“ (אֶרֶץ סִינִים ’æræṣ sînîm) mit China. Auch Gesenius hat den Wechsel im Anlaut nicht für entscheidend gehalten, zumal auch die frühen griechischen Erwähnungen einen Anlaut-Wechsel zeigen: Σῖναι Sinai neben Θῖναι Thinai.
Literaturverzeichnis
1. Zitierte Quellenausgaben
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2. Weitere Literatur
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- Vogelsang, K., 2012, Geschichte Chinas, 2. Aufl., Stuttgart.
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