Sisera
(erstellt: September 2008)
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Sisera ist im Alten Testament vor allem der Feldherr, der in der so genannten Deboraschlacht die feindlichen Verbände gegen die israelitischen Krieger ins Feld führt und von einer Frau getötet wird (Ri 4-5
1. Name
Zuordnung und Deutung des Namens Sisera (סיסרא sîsərā’) sind bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt heftig umstritten, ohne dass ein allgemein akzeptierter Konsens in greifbarer Nähe läge.
Die ältere Forschung ging immerhin darin einig, dass sie vom außerisraelitischen Ursprung des Namens überzeugt war. Der Name wurde unter anderem auf hethitische (vgl. Burney, 84) und hurritische Wurzeln zurückgeführt (vgl. Gray, 254). Auch eine Verbindung zum luwischen Personennamen Zi-za-ru-wa wurde in Betracht gezogen (vgl. die Übersichten, in: HALAT, 710; Gesenius, 18. Aufl., 884).
Heute werden vor allem zwei Möglichkeiten diskutiert. Zum einen hat Carratelli (123-128) auf minoische Inschriften aufmerksam gemacht, in denen der Name (J)a-sa-sa-ra begegnet, den man womöglich mit Σαισάρα, einer Bezeichnung für den im kretischen Zeus-Mythos beheimateten Zeus Kretagenes, in Verbindung bringen kann (vgl. Becking, 784). Auf einen ganz anderen Herkunftsbereich verweisen demgegenüber Beobachtungen, die Schneider (192, 260) auf dem Feld der Onomastik zusammengetragen hat. Er führt zum Vergleich die Namen s3-sw-r-y und ṯ3-ṯ3-r aus ägyptischen Gruppenschriften (= phonetische Schreibung nicht-ägyptischer Wörter) an. Sie lassen unter Umständen doch auf eine semitische Ableitung der fraglichen Namenswurzel schließen (vgl. Becking, 784). Ein eindeutiges Ergebnis tritt dabei jedoch nicht zutage.
2. Sisera, ein kanaanäischer Feldherr
2.1. Der biblische Befund
Die Texte in Ri 4-5
Mit den Kanaanäern wird Sisera freilich auch in Ri 5,19-20
Laut Ri 4,2
Was die Schilderung der Schlacht, ihrer Vorbereitungen sowie ihres Nachspiels betrifft, gehen die Darstellungen aus Ri 4
2.1.1. Siseras Geschick nach Ri 4
Nach Ri 4
Die Schlacht selbst klingt in Ri 4,15
Auf seiner Flucht kommt es zu der für Sisera fatalen Begegnung mit der → Keniterin
2.1.2. Siseras Geschick nach Ri 5
In Ri 5
Die betreffende Strophe aus Ri 5
„Zwischen ihren Füßen sank er zusammen, fiel hin, lag da; zwischen ihren Füßen sank er zusammen, fiel hin; wo er zusammensank, dort fiel er hin, erschlagen.“
Vermutlich hat der Dichter die Szene aus dramaturgischen Gründen vom Liegen ins Stehen transponiert, um so ein eindrucksvolleres Crescendo zu erreichen. Sicherheit über die tatsächlichen Vorgänge lässt sich freilich nicht erreichen. Immerhin hat man der Darstellungsweise aus Ri 4
2.1.3. Siseras Mutter
Ein Passus des Deboraliedes, der in Ri 4
Der plötzliche Szenenwechsel ist auf den ersten Blick frappierend, nötigt aber nicht zwangsläufig zu der Annahme eines sekundären Zusatzes. Vielmehr dürfte es sich beim abrupten Wechsel vom Kriegsgeschehen zu einem Nebenschauplatz um einen geprägten Topos handeln, der sich in der altarabischen und beduinischen Kriegs- und Heldendichtung erhalten hat (vgl. Scherer, 2005, 148-149). Auch dort finden sich Beispiele für Textpartien, die unvermittelt das soziale Umfeld des getöteten Kriegers ins Spiel bringen und etwa von der Trauer der Mutter oder der Geliebten des Gefallenen berichten.
2.1.4. Die Rezeption in 1Sam 12 und Ps 83
In 1Sam 12,9
2.2. Genderspezifische, rhetorische und theologische Textwahrnehmungen
Es ist nicht zu verkennen, dass in den Schilderungen aus Ri 4-5
Das ist nicht nur in genderspezifischer, sondern auch in theologischer Hinsicht von immenser Bedeutung. Indem Baraks Rolle begrenzt, sein Ruhm geschmälert und er selbst gleichsam zur Passivität verurteilt wird, öffnet sich der Weg für den wahren Helden, den Gott Israels, dem es gefällt, Sisera durch die Hand der Keniterin Jael unschädlich zu machen. Denn als Barak am Zelt Jaels erscheint, ist schon alles Wesentliche geschehen. Jael kann ihm den bereits von ihr getöteten Sisera präsentieren (Ri 4,22
Für ihre Hilfe wird Jael in Ri 5,24
Ein Moment dramatischer Ironie kommt im Zusammenspiel der Abschnitte Ri 5,24-27
2.3. Historische und mythologische Hintergründe
Die Deboraschlacht hat sich – wenn man sie überhaupt als historisches Ereignis anerkennen will – mit Sicherheit zu einer Zeit zugetragen, als sich in Israel noch kein Königtum als zentrale politische Leitungsinstanz etabliert hatte. Das ist bekanntlich erst gegen Ende des 11. Jh.s v. Chr. unter → Saul
Sollte die Ableitung des Namens Sisera aus dem minoischen Raum zutreffen, haben wir ihn uns wahrscheinlich als Vertreter der → Seevölker
Sie sind den Frühisraeliten zwar nicht an Zahl, wohl aber organisatorisch und technologisch weit überlegen, weil sie nicht nur über ein gut ausgerüstetes stehendes Heer, sondern auch über eine stattliche Anzahl von Streitwagen (→ Wagen
Das Deboralied skizziert das Geschehen in Ri 5,20-21
Die mythischen Mächte und Kräfte sind im Gesamtzusammenhang des Deboraliedes jedoch nicht selbsttätig vorgestellt, sondern werden aktiv im Dienste des Gottes Israels, sind Teil der Gerechtigkeitserweise JHWHs an seinem Volk (Ri 5,11
3. Söhne eines Sisera der nachexilischen Zeit
Der Name Sisera begegnet auch in Esr 2,53
Literaturverzeichnis
1. Lexikonartikel
- Biblisch-historisches Handwörterbuch, Göttingen 1962-1979
- Lexikon der christlichen Ikonographie, Freiburg i.Br. 1968-1976 (Taschenbuchausgabe, Rom u.a. 1994)
- Encyclopaedia Judaica, Jerusalem 1971-1996
- Neues Bibel-Lexikon, Zürich u.a. 1991-2001
- The Anchor Bible Dictionary, New York 1992
- Dictionary of Deities and Demons in the Bible, 2. Aufl., Leiden 1999
2. Weitere Literatur
- Albani, M., 1999, „Der das Siebengestirn und den Orion macht“ (Am 5,8). Zur Bedeutung der Plejaden in der israelitischen Religionsgeschichte, in: B. Janowski / M. Köckert (Hgg.), Religionsgeschichte Israels. Formale und materiale Aspekte (Veröffentlichungen der Wissenschaftlichen Gesellschaft für Theologie 15), Gütersloh, 139-207
- Amit, Y., 1999, The Book of Judges: The Art of Editing (Biblical Interpretation Series 38), Leiden
- Becking, B., 1999, Art. Sisera, in: Dictionary of Deities and Demons in the Bible, 2. Aufl., Leiden 1999, 784
- Burney, C.F., 1970, The Book of Judges with Introduction and Notes, New York (Nachdruck der 2. Aufl. London 1920)
- Carratelli, G.P., 1976, ΣΑΙΣΑΡΑ, La parola del passato 31, 123-128
- Donner, H., 2. Aufl. 1995, Geschichte des Volkes Israel und seiner Nachbarn in Grundzügen. Teil 1: Von den Anfängen bis zur Staatenbildungszeit (GAT, ATD Ergänzungsreihe 4/1), Göttingen
- Gaß, E., 2005, Die Ortsnamen des Richterbuchs in historischer und redaktioneller Perspektive (ADPV 35), Wiesbaden
- Gray, J., 1986, Joshua, Judges, Ruth (NCBC), 2. Aufl. London
- Neef, H.-D., 2002, Deboraerzählung und Deboralied. Studien zu Jdc 4,1-5,31 (BThSt 49), Neukirchen-Vluyn
- Scherer, A., 2005, Überlieferungen von Religion und Krieg. Exegetische und religionsgeschichtliche Untersuchungen zu Richter 3-8 und verwandten Texten (WMANT 105), Neukirchen-Vluyn
- Scherer, A., 2006, Der Rhythmus der Schlacht. Die poetische Sprachgestalt von Jdc 5,19-22, ZAW 117, 529-542
- Schneider, T., 1992, Asiatische Personennamen in ägyptischen Quellen des Neuen Reiches (OBO 114), Freiburg Schweiz und Göttingen
Abbildungsverzeichnis
- Jael und Sisera (Albrecht Altdorfer; 1516-1519).
- Jael und Sisera (Gregorio Lazzarini; 1655-1730).
- Jael und Sisera (Jacopo Palma der Jüngere; 1548-1628).
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