Sohn / Tochter (AT)
(erstellt: Mai 2009)
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→ Adoption
1. Grundbedeutung
Die Begriffe „Sohn“ (hebräisch בֵּן ben, griechisch hyios) und „Tochter“ (hebräisch בַּת bat, griechisch thygatēr) drücken allgemein eine Generationenverschiedenheit und speziell im familiären Bereich ein Nachkommen- und Verwandtschaftsverhältnis aus. Das hebräische Lexem ben „Sohn“ ist mit annähernd 5000 Belegen eines der häufigsten Worte des Alten Testaments, wohingegen bat „Tochter“ mit knapp 600 Belegen deutlich seltener vorkommt. Die maskulinen Pluralformen (hebräisch בָּנִים bānîm, griechisch hyioi) können sowohl Söhne allein als auch Söhne und Töchter zusammen meinen.
2. Verwandtschaftsverhältnisse
2.1. Sohn / Tochter im engeren Sinn
Im engeren Sinn bezeichnen Sohn und Tochter die leiblichen Nachkommen des Vaters oder der Mutter (Gen 4,17
2.1.1. Söhne und Töchter in der Familie
Söhne und Töchter sind der Inbegriff der Lebensfülle (Ps 144,12
Kinder zu haben, hat Einfluss auf die soziale Stellung einer Person. So verliert die kinderlose → Sara
Sowohl Söhne (bezeichnend ist, dass in Gen 22,5
Während die Söhne auch nach der Heirat in der Herkunftsfamilie verbleiben, werden die Töchter nach der Hochzeit in die Familie ihres Mannes eingegliedert. Für die Töchter ist ein Brautpreis zu zahlen (Gen 34,12
2.1.2. Der Erstgeborene
Eine besondere Stellung kommt dem Erstgeborenen zu (בְּכוֹר bəkhôr; → Erstlinge / Erstlingsfrüchte / Erstgeburt
2.1.3. Die Verheißung eines Sohnes
Während die Verheißung einer Tochter im Alten Testament nicht bezeugt ist, ist die Verheißung des Sohnes ein weit verbreitetes Motiv. Nicht selten hebt die → Geburtsankündigung
2.2. Verwandtschaftsgrade
Die Lexeme Sohn und Tochter können darüber hinaus verwendet werden, um weitere Verwandtschaftsgrade zum Ausdruck zu bringen. Brüder werden als Söhne des Vaters oder der Mutter bezeichnet (Gen 43,29
3. Ausdruck von Zugehörigkeit
Die Lexeme Sohn und Tochter können darüber hinaus weitere Formen von Zugehörigkeit benennen. Durch sie erscheint der Einzelne als Teil einer Kollektivgemeinschaft.
3.1. Zugehörigkeit zu einem Volk, Stamm oder Ort
Die Angehörigen eines Volkes werden häufig als Söhne oder Töchter eines Landes bezeichnet. Entsprechend werden die Volksangehörigen Israels „Söhne Israels“ (בְּנֵי יִשְׂרָאֵל bənê jisrā’el; z.B. Ex 13,18
Hinter dieser Ausdrucksweise steht die Vorstellung, dass die Angehörigen eines Volkes Nachkommen eines Stammvaters sind. Die Israeliten leiten sich von → Jakob
Der Teilung Israels in zwei Reiche wird Rechnung getragen, wenn zwischen den Söhnen Israels (Nordreich) und den Söhnen Judas (Südreich) unterschieden wird (Jer 50,4
Auch die Stammeszugehörigkeit und damit die Abstammung vom jeweiligen Stammvater werden auf diese Weise ausgedrückt. So spricht Jos 4,12
Diese Art, die Zugehörigkeit zu einem Volk oder zu einem bestimmten Gebiet zum Ausdruck zu bringen, wird auch dann verwendet, wenn eine Abstammung von einem Stammvater nicht ersichtlich ist. In Gen 29,1
Volksgenossen können als „Söhne meines / deines / ihres / seines Volkes“ (Gen 23,11
Auch die Bewohner eines Ortes oder einer Stadt werden als deren Söhne oder Töchter bezeichnet, so z.B. die Söhne → Betlehems
3.2. Zugehörigkeit zum Menschengeschlecht: Menschensohn
Im Ezechiel-Buch wird der Prophet → Ezechiel
Dieses Kollektiv, die Menschenkinder, ist in einzelne Völker aufgeteilt (Dtn 32,8
Die Bezeichnung „Menschensöhne“ bzw. „Menschenkinder“ steht in betontem Gegensatz zu Gott. So steigt Gott in Gen 11,5
Eine theologische Bedeutung, wie sie „Menschensohn“ im Neuen Testament als Hoheitstitel Jesu (Mt 10,23
Die analoge Bezeichnung „Menschentochter“ ist hingegen im Alten Testament nur in Gen 6,2
3.3. Zugehörigkeit zu Gesellschafts- oder Berufsgruppen
בֵּן ben „Sohn“ wird auch verwendet, um die Zugehörigkeit zu einer Gesellschaftsgruppe auszudrücken. So ist z.B. die Rede von den Söhnen der Verbannung (בְּנֵי הַגּוֹלָה bənê haggôlāh; Esr 4,1
Als Mitglieder von Berufsgruppen finden sich ein Sohn der Salbenmischer (Neh 3,8
3.4. Zugehörigkeit zu einer Altersstufe
Um das Alter einer Person deutlich zu machen, werden die Lexeme „Sohn“ und „Tochter“ häufig mit einer Zeitangabe verknüpft. Sara ist z.B. eine Tochter der neunzig Jahre (Gen 17,17
3.5. Ausdruck einer ethischen Wertung und des Unheils
Mit Hilfe von „Sohn“ und „Tochter“ werden ethische Wertungen ausgedrückt. Gelobt werden der Sohn des Mutes bzw. der Stärke (1Sam 14,52
Auch drohendes Unheil kann auf diese Weise ausgedrückt werden: Ein Sohn des Todes (1Sam 20,31
3.6. Vertrauliche Nähe
Jemanden mit „Sohn“ oder „Tochter“ anzusprechen, ist nicht immer ein Zeichen einer verwandtschaftlichen Beziehung, sondern kann auch ein Ausdruck einer vertraulichen Nähe sein, besonders zwischen einem Meister und einem Schüler (1Sam 3,6
4. Ausdruck der Beziehung zu Gott
Die Begriffe Sohn und Tochter können nicht nur zwischenmenschliche Beziehungen verschiedenster Art ausdrücken, sondern auch das Verhältnis zu Gott.
4.1. Die Beziehung zwischen JHWH und Israel
Die Beziehung JHWHs zu seinem Volk wird im Alten Testament in verschiedenen Bildern dargestellt, die sich ergänzen. Eine Weise, diese Beziehung zu illustrieren, ist das Verhältnis eines Vaters oder einer Mutter zu ihren Kindern. Immer wieder bezeichnet JHWH sein Volk als seine Söhne / Kinder (Dtn 14,1
Seine Enttäuschung über das Volk bringt Gott in den prophetischen Klagen zum Ausdruck. Die Israeliten werden als Söhne / Kinder, die von ihm abgefallen sind (Jes 1,2
Besonders dicht wird diese Beziehung, wenn JHWH Israel im Kollektiv seinen Sohn nennt. Im Rahmen der Exoduserzählung in Ex 4,22-23
Diese besondere Beziehung JHWHs zu Israel (in Jer 31,20
Die Anhänger eines Gottes als Söhne und Töchter zu bezeichnen, ist nicht auf JHWH beschränkt. In Num 21,29
Wenn JHWH Israel seinen Sohn und die Israeliten seine Söhne und Töchter nennt, dann ist damit natürlich keine physische Kindschaft gemeint. Vielmehr wird die Beziehung zwischen JHWH und seinem Volk gekennzeichnet. Wie in der Redeweise vom Schöpfer und vom Geschöpf oder im Bild vom Hirten und von der Herde wird deutlich, dass dies keine Beziehung zwischen zwei Partnern auf gleicher Ebene ist. Vielmehr wird eine gewisse Unterordnung des Volkes unter JHWH sichtbar. Darauf deutet Mal 1,6
4.2. Der König als Sohn
An verschiedenen Stellen wird die Beziehung zwischen JHWH und dem König als das Verhältnis zwischen Vater und Sohn dargestellt. Jedoch ist in keiner Weise an eine physische Sohnschaft gedacht, die den König wie in Ägypten zum Gott erheben würde. Vielmehr wird auf diese Weise deutlich, dass ein Teil der Herrschervollmacht JHWHs über sein Volk auf den König übergeht.
4.2.1. 2Sam 7,14-15
In 2Sam 7
Die Formulierung „Ich will ihm zum Vater werden, und er soll mir zum Sohn werden“ ist der Bundesformel (→ Bund
4.2.2. Ps 89,27-28
Eines der zentralen Themen von Ps 89
Ps 89,27-28
4.2.3. Ps 2,7
Zusammen mit Ps 89
Die Einführung des Abschnitts mit dem Verweis auf einen Beschluss bzw. eine Festsetzung JHWHs spielt auf das Königsprotokoll an, eine Art Amtsurkunde, die bei der Inthronisation verlesen wurde. Inhaltlich werden in Ps 2,7-9
In der ersten Zusage zitiert der König in Ps 2,7
4.2.4. Ps 110,3
Diskutiert wird, ob eine ähnliche Aussage auch in Ps 110,3
4.3. Himmlische Wesen
Hin und wieder ist im Alten Testament von → „Göttersöhnen
4.4. Die einzelne Person
Dass sich die einzelne Person als Sohn oder Tochter Gottes verstehen konnte, wird nirgendwo ausgedrückt. Dennoch ist dieser Gedanke nicht völlig abwegig, wie an einigen Personennamen sichtbar wird. So bedeutet z.B. der Name → Abija
5. Die Stadt als Tochter
Im westsemitischen Raum war es üblich, der Stadt, die sprachlich als weiblich gedacht ist, weibliche Titel und Epitheta zuzuweisen. Dieses Phänomen begegnet auch im Alten Testament. Immer wieder werden Städte als Tochter angesprochen. Dies gilt vor allem für Jerusalem und Zion (→ Tochter Zion
Das Alte Testament kann auch nicht-israelitische Städte „Tochter“ rufen. In Ps 45,13
Auch Länder werden auf diese Weise angesprochen. Klgl 1,15
6. Weitere Verwendungsweisen
6.1. Tiere und Pflanzen
Die Bibel verwendet die Lexeme „Sohn“ und „Tochter“ nicht nur, um die Abstammung oder Zugehörigkeit von Menschen zum Ausdruck zu bringen, sondern auch von Tieren. Es macht die Zugehörigkeit zu einigen Tierarten deutlich (Ps 114,4
Der Rizinusstrauch in Jona 4,10
6.2. Bildhafte Ausdrücke
Gelegentlich wird in der bildhaften Sprache das Lexem „Sohn“ aufgegriffen. In Jes 5,1
Literaturverzeichnis
1. Lexikonartikel
- Theologisches Wörterbuch zum Neuen Testament, Stuttgart 1933-1979
- Theologisches Wörterbuch zum Alten Testament, Stuttgart u.a. 1973ff
- Theologisches Handwörterbuch zum Alten Testament, 6. Aufl., München / Zürich 2004
- Handbuch theologischer Grundbegriffe zum Alten und Neuen Testament, Darmstadt 2006
2. Weitere Literatur
- Böckler, A., 2002, Gott als Vater im Alten Testament. Traditionsgeschichtliche Untersuchungen zur Entstehung und Entwicklung eines Gottesbildes, 2. Auflage, Gütersloh (bes. 252ff)
- Hossfeld, F.-L., 1983, Untersuchungen zur Komposition und Theologie des Ezechielbuches (fzb 20), 2. Auflage, Würzburg
- Hossfeld, F.L. / Zenger, E., 1993, Die Psalmen, Bd.1 Psalm 1-50 (NEB 29), Würzburg
- Hossfeld, F.L. / Zenger, E., 2000, Psalmen 51-100 (HThKAT), Freiburg / Br.
- Hossfeld, F.L. / Zenger, E., 2008, Psalmen 101-150 (HThKAT), Freiburg / Br.
- Kraus, H.-J., 2003a, Psalmen 1-59 (BKAT 15/1), 7. Auflage, Neukirchen-Vluyn
- Kraus, H.-J., 2003b, Psalmen 60-150 (BKAT 15/2), 7. Auflage, Neukirchen-Vluyn
- Nielsen, E., 1995, Deuteronomium (HAT 6), Tübingen
- Rose, M., 1994, 5. Mose Teilband 2: 5. Mose 1-11 und 26-34. Rahmenstück zum Gesetzeskorpus (ZBK.AT 5,2), Zürich
- Schöpflin, K., 2002, Theologie als Biographie im Ezechielbuch: ein Beitrag zur Konzeption alttestamentlicher Prophetie (FAT 36), Tübingen
- Stolz, F., 1981, Das erste und zweite Buch Samuel (ZBK.AT 9), Zürich
Abbildungsverzeichnis
- Jakob segnet seine Söhne (Lübecker Bibel von 1494).
- Isaak segnet Jakob (Govert Flinck; 1639).
- Ein Engel verheißt Abraham und Sara einen Sohn (Jan Provost; um 1465-1529).
- Rebekka und Abrahams Knecht am Brunnen (Wiener Genesishandschrift; 6. Jh.).
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