Sonne
(erstellt: Juli 2012)
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1. Bezeichnungen
Das von der gemeinsemitischen Wurzel zur Bezeichnung der „Sonne“ gebildete (mask. und fem. gebrauchte) Nomen שֶׁמֶשׁ šæmæš ist (ohne die Belege als Bestandteil von Ortsnamen) im Alten Testament 134-mal verwendet. Nur 5-mal findet sich in derselben Bedeutung das Nomen חֶרֶס ḥæræs.
Mit dem Begriff sind unterschiedliche Konnotationen verbunden: So impliziert שֶׁמֶשׁ šæmæš entsprechend der geographischen Lage Palästinas lebensfeindliche „Hitze“. Andererseits heißt „die Sonne zu sehen“, am Leben zu sein (vgl. Ps 58,9
2. Sonnentheologie in den Umweltkulturen Israels
2.1. Ägypten
2.1.1. Re-Harachte und die Theologie des Sonnenlaufs
Die Herkunft des ägyptischen Sonnengottes → Re
Die traditionelle Sonnentheologie findet sich im → Neuen Reich
Theologische Bedeutung erhält der Sonnenlauf durch seine Interpretation als Realsymbol für die sich täglich wiederholende Überwindung der das Leben bedrohenden Chaosmächte. In den Unterweltsbüchern ist diese Überwindung des Lebensfeindlichen etwa im sich zu jeder Phase des Sonnenlaufs abspielenden Kampf gegen das Chaosungeheuer → Apophis
Erfahrbar ist die Durchsetzung der Schöpfungsordnung vor allem bei dem im Horizont eines hierophanen Naturerlebens als Epiphanie des Sonnengottes verstandenen morgendlichen Sonnenaufgang, wenn das Licht die Exponenten der Finsternis und des Chaos vertreibt. In der „Morgenstrophe“ des Tageszeitenlieds wird diese tägliche Wiederholung der Schöpfung und damit der uranfänglichen Errichtung der lebensermöglichenden Ordnung im Erscheinen des Sonnengottes am Osthorizont gepriesen:
Es agieren für dich die Paviane mit ihren Armen, / sie singen für dich, sie tanzen für dich, / sie sagen dir die Verklärungen auf in ihrem Munde, / sie verkünden dich im Himmel und auf Erden. / Sie geleiten dich bei deinem schönen Erscheinen, / sie öffnen (andere Lesart: sie schieben zurück) für dich die Tore / des östlichen Lichtlands des Himmels. / Sie bewirken, dass Re in Frieden überfährt / in Frohlocken zu seiner Mutter Nut. (ÄHG Nr. 22 C, Z. 5-13)
Eine Illustration des dem Sonnenaufgang geltenden Lobpreises, wie er in der Morgenstrophe des Tageszeitenlieds beschrieben ist, bieten Totenbuch-Vignetten wie Abb. 2: Der Himmelsfalke mit der Sonnenscheibe auf dem Kopf sitzt auf dem Zeichen für „Westen“ und empfängt die Anbetung von (von unten nach oben) den Toten (zwei Ba-Vögeln), den Göttern (rechts Isis, links Nephtys), den Tieren (vier Pavianen), gewöhnlichen Ägyptern und (ganz oben) von Ägyptern einer minderen Klasse oder Fremden.
Die Totentexte verknüpfen zudem die gefährdete, dennoch siegreich verlaufende Unterweltsfahrt des Sonnengottes mit dem Geschick der Verstorbenen. Sie hoffen nach dem Eingang in das Totenreich, analog zur täglichen Regeneration des Sonnengottes, der nach langer Tagesfahrt ermüdet und als gebeugter Greis in den dunklen Chaos-Abgrund der Welt eintaucht, am Morgen aber in einer den urzeitlichen Schöpfungsakt wiederholenden Verjüngung erneut aufstrahlt, mit ihm aus der Finsternis des Todes wieder ins Licht emporzusteigen.
2.1.2. Die Sonnentheologie der Amarnazeit
→ Amenophis IV.
Zu rekonstruieren ist die Aton-Theologie Echnatons vor allem aus dem von ihm selbst verfassten (biblisch in Ps 104,19-33
[…] Du erscheinst schön / im Lichtland des Himmels, / du lebende Sonne, die Leben zuweist! / […] / Du bist schön, gewaltig und funkelnd, / du bist hoch über jedem Land. / […] / Die Finsternis ist ein Grab, / die Erde liegt in Schweigen: / ihr Schöpfer ist untergegangen in seinem Lichtland. / Am Morgen bist du aufgegangen im Lichtland / und bist strahlend als Sonne des Tages. / Du vertreibst die Finsternis, du gibst deine Strahlen, / die beiden Länder sind im Fest täglich. / Wer auf Füßen steht, erwacht: du hast sie aufgerichtet, / sie reinigen ihren Körper und ziehen Leinengewänder an; / ihre Arme sind in Lobgebärden bei deinem Erscheinen, / das ganze Land tut seine Arbeit. / Alles Vieh befriedigt sich an seinen Kräutern, / Bäume und Pflanzen wachsen. / Die Vögel fliegen auf aus ihren Nestern, / ihre Flügel in Lobgebärden für deinen Ka. / Alles Wild tanzt auf seinen Füßen / alles, was auffliegt und sich niederlässt, / sie leben, wenn du für sie aufgehst. / […] / der den Samen sich entwickeln läßt in den Frauen, / der Wasser zu Menschen macht; / der den Sohn am Leben erhält im Leib der Mutter / und ihn beruhigt, indem er seine Tränen stillt. / […] / Du hast die Erde geschaffen nach deinem Herzen, der du allein warst, / mit Menschen, Herden und jeglichem Wild, / allem, was auf Erden ist und auf (seinen) Füßen läuft, / (allem,) was in der Luft ist und mit seinen Flügeln auffliegt. / […] / Du erschaffst Millionen Verkörperungen aus dir, dem Einen, / Städte und Dörfer, / Äcker, Weg und Fluß […]. (ÄHG 92)
2.1.3. Der Sonnengott in der persönlichen Frömmigkeit
Die Wurzeln der Bewegung der „persönlichen Frömmigkeit“ reichen zurück bis zur „Lehre des Merikare“ (9./10. Dyn.; vgl. TUAT II/6, 835-836; → Weisheitsliteratur in Ägypten
Kennzeichnend ist das Gefühl der Abhängigkeit des Menschen von der Gottheit und der starken Verbundenheit des Einzelnen zu seinem Gott als Reaktion auf das (wohl auch durch die für die Anhänger der überkommenen Religion als Zeit der Gottferne erlebte Amarna-Zeit bedingte) „Gefühl der Verlorenheit in der Welt, der Isolierung des Individuums und der daraus resultierenden Lebensangst“ (Brunner, 103). Während der Sonnengott in der traditionellen Theologie eingebunden ist in den kosmischen Ablauf des Sonnenzyklus, der sich in der abgeschlossenen Sphäre des Gottes und seiner Begleitung vollzieht, bezieht die Bewegung der „persönlichen Frömmigkeit“ die Welt des Menschen, die im Tageszeitenlied noch nicht thematisiert ist, in das Geschehen ein, indem sie das Licht und die Bewegung des Sonnengottes als um der Menschen willen geschehend begreift: Der Sonnengott belebt durch sein Handeln die Menschen und erhält sie durch seine Fürsorge.
Der in der traditionellen Sonnentheologie als Neuschöpfung und Überwindung des Chaos gepriesene Moment des Sonnenaufgangs wird nun als der Zeitpunkt verstanden, „an dem der Sonnengott als personaler Herr der Gerechtigkeit rettend und richtend in das Leben des einzelnen und der Gemeinschaft eingreift.“ (Brunner 1983, 103).
Die Fürsorge des Sonnengottes wird deutlich angesprochen etwa im Schlusshymnus der „Lehre für Merikare“ (pPetersburg 1116 A):
Wohl versorgt sind die Menschen, das Kleinvieh Gottes, / ihretwegen erschuf er Himmel und Erde, / er drängte die Gier des Wassers zurück / und schuf die Luft, damit ihre Nasen leben. / Ihnen zuliebe geht er am Himmel auf, / für sie schuf er Pflanzen und Tiere, / Vögel und Fische, damit sie zu essen haben. / Er tötete seine Feinde und ging vor gegen seine Kinder, / weil sie auf Rebellion sannen. […] (TUAT II/6, 835-836)
Den Zusammenhang von Sonnenaufgang und menschlichem Geschick thematisiert etwa ein ramessidischer Hymnus an Amun-Re (pBerlin 6910,6-9), der nach Anrufung und Unvergleichbarkeitsaussagen den Sonnengott als soziale Instanz und Erhalter der Schöpfung preist:
Er sagt: O mein Gott, Herr der Götter, / Amun-Re, Herr von Karnak! / Gib mir die Hand, errette mich, / gehe auf für mich, dass du meine Belebung bewirkst! / Du bist der Eine Gott, der keinen Zweiten hat! / Re ist das, der im Himmel aufgeht, / Atum, der die Menschheit erschuf. / Der die Gebete erhört dessen, der zu ihm ruft, / der einen Mann rettet vor dem Gewaltherzigen. / Der den Nil heraufführt, damit sie zu essen haben. / der jedem Auge Gutes zuführt; / wenn er aufgeht, lebt die Menschheit, / ihre Herzen leben, wenn sie sehen. / Der dem, der im Ei ist, Luft gibt, / der Fische und Vögel am Leben erhält. / Der für die Mäuse sorgt in ihren Höhlen / und für Würmer und Flöhe gleichermaßen. (ÄHG Nr. 169, Z. 7-23)
Auch wenn in Ägypten die Rolle Res als Schöpfer und Erhalter der Welt weitaus wichtiger ist als die des Weltenlenkers und -richters, finden sich auch Texte, die seine Bedeutung für die Durchsetzung des Rechts ansprechen. Als Herr der Gerechtigkeit wird Amun-Re etwa im Schlussabschnitt von pChester Beatty IV (rto.11,8-12,14) gepriesen:
Wie schön bist du, wenn du aufgehst, / Re, du großer Hirte! / Kommt alle, ihr Herden alle! / Seht, ihr habt den Tag verbracht, bei ihm zu weiden. / Er hat alles Böse vertrieben, wenn er im Frieden in seinem Lichtland ist. / (ÄHG Nr. 195, Z. 297-301)
2.2. Mesopotamien
Er personifiziert die Funktion des Sonnenlichts, das im Gegensatz zur als unheilvoll und lebensbedrohlich empfundenen Dunkelheit den Inbegriff der positiven Gegenmacht von Heil und Lebensermöglichung und damit auch der Befreiung von Krankheit bedeutet. Außerdem ist Schamasch als Verkörperung des Sonnenlichts wegen dessen alles durchdringender Kraft auch derjenige, der alles sieht und weiß und daher u.a. als „Herr über Recht und Gerechtigkeit“ sowie als „Richter des Himmels und der Erde“ angesprochen wird, der mit seinem Licht in die Herzen der Menschen leuchtet und unbestechlich seine Entscheidungen fällt.
Exemplarisch kommen die Funktionen des Sonnengottes in dem am Ende des 2. Jt.s redigierten großen Schamasch-Hymnus zur Sprache, der – wie die meisten dem Sonnengott geltenden Hymnen und Gebete – das kosmische Geschehen des Sonnenlaufs mit dem heilvollen Wirken der Gottheit literarisch verbindet.
Die Heilserfahrung beim Aufgehen der Sonne ist Thema des ersten Teils, wo es u.a. heißt:
Die sich klar abhebenden Berge / hat deine Glorie bedeckt, / deines Strahlenglanzes voll wurden / die Länder zusammen. / Du bist herabgebeugt auf das Gebirge, / siehst die Erde an; / das Rund aller Länder / hältst du in der Mitte des Himmels im Gleichgewicht. / Die Menschen der Länder / insgesamt betreust du, / was immer Ea, der König, der Regent, hervorbringen ließ / ist überall dir übergeben. / Die den Lebensodem haben, / du weidest sie allzumal. / […] (SAHG, 241)
Mit seinem Ausgang tritt Schamasch die Herrschaft über die Welt an, er bewacht und behütet alle lebendige Kreatur:
Der Hirt der unteren Welt, / der Hüter der Oberwelt, / der das Licht der ganzen Welt wahrt, / Schamasch, bist du. (SAHG, 241)
Außerdem wird der Sonnengott als Wahrer des Rechts gepriesen, dessen Hauptwesenszug darin besteht, alle Arten von Unrecht zu ahnden und die Rechtsbrecher zu strafen:
Wer etwas Scheußliches anzettelt, / dessen Horn vernichtest du; / dem raffiniert, voll Tücke Handelnden / wird der Boden weggezogen. / Den ungerechten Richter / läßt du das Gefängnis sehen, / den, der Bestechung annimmt, nicht recht handelt, / die Strafe tragen. / Wer keine Bestechung annimmt, / für den Schwachen Fürsprache einlegt, / der gefällt Schamasch wohl / (und) gewinnt ein längeres Leben. / Der überlegte Richter, / der ein gerechtes Urteil fällt, / wird (sogar) einen Palast fertig stellen; / der Fürstenhof ist seine Wohnung. / Wer Geld für Trug gibt, Gewalt antut, / welchen Vorteil hat er? / Er tut dem Gewinn Abbruch, / ruiniert sein Vermögen. (SAHG, 243-244)
Das Wirksamwerden der Rechtsordnung geschieht konkret durch die Einsetzung des Königs, der dann (expliziter als in Ägypten, wo die Beziehung des Königs zum Bereich der Rechtsprechung weniger betont wird) als der durch göttliche Autorität legitimierte Richter fungiert und in dessen Regierung sich die göttliche Weltordnung abbilden soll. Ein Beispiel für die analoge Funktion von Sonnengott und König im Bereich der Rechtsprechung bietet – neben dem Epilog – der Prolog des Codex → Hammurabi
„… damals haben mich, Hammurabi, den frommen Fürsten, den Verehrer der Götter, um Gerechtigkeit im Lande sichtbar zu machen, den Bösen und Schlimmen zu vernichten, den Schwachen vom Starken nicht schädigen zu lassen, dem Sonnengott gleich den ‚Schwarzköpfigen‘ aufzugehen und das Land zu erleuchten, Anu und Enlil, um für das Wohlergehen der Menschen Sorge zu tragen, mit meinem Namen genannt.“ (TUAT I/1, 40, Z. 27-49)
Die Sonnentheologie bezieht die Krankheits- und Todeserfahrung in den Erlebnisbereich des Ungeordnet-Chaotischen ein, weshalb Schamasch auch diesbezüglich angerufen wird. Ein Beispiel dafür ist die zur Ritualserie bīt rimki gehörende Gebetsbeschwörung, in der der König in der Rolle des vom Tod bedrohten Beters Schamasch, der „den Toten belebt“ (Z. 88) und Leben zu schenken vermag (vgl. Z. 97), so dass der Kranke nicht sterben muss (vgl. Z. 100), um Genesung bittet:
Beschwörung: Šamaš, Richter des Himmels und der Erde, Herr dessen, was oben und was unten ist, / Licht der Götter, Führer der Lebendigen, / der du den Gefangenen löst, den Toten belebst, / vorbeigehen lässt …, / die Finsternis vertreibst und Licht verbreitest – / ich, NN, der Sohn von NN, dein Diener, wende mich an dich, suche dich. / Tritt an diesem Tag zu meinem Gericht herbei! / Erhelle meine Finsternis, kläre meine Trübung auf, / beseitige meine Verwirrung! Vom Übel der Zeichen und Omina, / Zeichnen magischer Kreise, menschlichen Machenschaften jeder Art, / die mir widerfahren, rette mich, / löse meine Bindung, schenke mir Leben! Wegen des Übels der bösen Zeichen / und Omina, die in meinem Haus auftreten, fürchte ich mich, / habe ich Angst, lebe ich in fortwährender Angst. Das Übel der Zeichen / und Omina wende von mir ab, damit ich nicht sterbe / und keinen Schaden erleide. Das Übel der Zeichen […] möge nicht an mich herankommen. (Borger, 14, Z. 86-101)
2.3. Kleinasien und Ugarit
2.3.1. Kleinasien. In der Vielfalt des hethitischen Pantheons mit einer Unzahl von Götternamen und -gestalten spiegelt sich die bewegte Geschichte Kleinasiens wider. Traditionen verschiedener Ethnien, Kulturen und Regionen existieren nebeneinander, Gottheiten mit vergleichbaren Funktionen und Eigenschaften werden nur vereinzelt miteinander identifiziert. Daher sind auch mehrere Sonnengottheiten zu unterscheiden.
Ischtanu (hattisch Eschtan, hurritische Entsprechung: Schimgi), der von den eingewanderten indogermanischen Hethitern mitgebrachte „Sonnengott des Himmels“ gehört zu den bedeutendsten Reichsgöttern. Seine himmlischen Funktionen sind die Einberufung der Götter zu Versammlungen und die Ankündigung einer Notzeit. Da der Sonnengott bei seinem täglichen Weg über die Erde alles irdische Geschehen überblickt, ist er (wohl in Angleichung an das Vorbild des babylonischen Schamasch) auch Richter und Garant der Gerechtigkeit. Diese Beeinflussung aus Mesopotamien verdeutlicht etwa das Textbeispiel der in drei Parallelversionen erhaltenen mittelhethitischen Hymnen an Ischtanu (Catalogue des textes hittites = CTH 372-374) mit der Bitte um Heilung in der Krankheit, bei der der Sonnengott als Heilsbringer und gerechter Richter angesprochen wird:
Wenn am Morgen der Sonnengott (Ischtanu) am Himmel aufsteigt, / dann kommt [dein] <Lichtglanz>, Ischtanu, über alle obe[r]en [Länd]er und unteren Länder. / Die Rech[t]ssache von Hund und Schwein entscheidest du, / auch die Rechtssache der Tiere, die mit dem Mu[nd] nicht sprechen, ents[ch]eidest du, / und über schlechte und böse Menschen sprichst du Urteil. / eines Mensche[n], dem die Götter zürnen und den sie verstoß[en], / dessen nimmst du dich mit Erbarmen an. / Dieses Menschenkind, deinen Diener, segne, Ischtanu! / Dann wird er dem Sonnengott stets Brot und Bier opfern; / nimm ihn, Ischtanu, als deinen rechtschaffenen Diener bei der Hand! (CTH 372 I 39-51; KUB 31,127+, Z. 39-51; Übersetzung bei Janowski 1989, 104).
Neben dem männlichen Sonnengott findet sich die weibliche „Sonnengöttin der Erde“ Wuru(n)schemu, die wichtigste Gottheit der protohattischen Bevölkerung, die ihrerseits in verschiedenen Texten mit der Unterweltsgöttin Lelwani identifiziert wird. Ursprung der Vorstellung von der „Sonnengöttin der Erde“ ist die Auffassung, dass die Sonne in der Nacht von ihrem Untergangsort im Westen unterirdisch zu ihrem Aufgangsort im Osten zurückkehrt. In den dunklen Regionen trifft sie auf die „unteren Götter“, deren Wesen sie annimmt. Weil sie so den Exponenten der Finsternis, der Krankheit, des Unheils und der dämonischen Bedrohung aufs engste verbunden ist, spielt die „Sonnengöttin der Erde“ eine große Rolle im Kontext magisch-ritueller Praktiken zur Abwehr von Unheil und Förderung des vegetativen und animalischen Lebens (vgl. Janowski 1989, 98-99).
Pudu-Chepa, die Gemahlin Chattuschilis III. (13. Jh. v. Chr.), unternahm den Versuch einer synkretistischen Verschmelzung der „Sonnengöttin der Erde“ mit der westhurritischen Göttin Chepa (→ Abdi-Chepa
Der „Sonnengöttin der Erde“ scheint die nur nach dem Herkunftsort ihres Kultes zu benennenden „Sonnengöttin von Arinna“ zu entsprechen, obwohl bei ihr die solaren Aspekte durch die von Fruchtbarkeit und Herrschaft stark überlagert sind: Sie ist die oberste Staatsgottheit, vor der die Urkunden über beschworene Staatsverträge niedergelegt werden, die den König einsetzt und schützt, vor der der König Rechenschaft ablegt und an die er sich in militärischen und politischen Angelegenheiten wendet.
2.3.2. Ugarit. In → Ugarit
O Šapšu, du herrschst über die Rephaim, / o Šapšu, du herrschst über die Göttlichen! / Die Götter sind um dich herum, siehe die Toten sind um dich herum! (vgl. TUAT III/6, 1197; Janowski 1989, 109).
3. Solare Elemente in der Religion Israels
Israel partizipiert an den sonnentheologischen Vorstellungen der Umweltkulturen und rezipiert vor allem die bereits im vorisraelitischen Kanaan wohlbekannte für die Sonnengottheit charakteristische forensische Funktion, deren Integration in die Auffassung vom Wirken und Wesen JHWHs in verschiedenen Zusammenhängen greifbar ist.
3.1. Sonnentheologischer Hintergrund in Erzählungen von Rettung und Gericht
In verschiedenen Erzählzusammenhängen ist die Vorstellung vom morgendlichen Erscheinen des Sonnengotts als Retter und Richter vorausgesetzt (vgl. Stähli 34-36):
● Das nächtliche Treiben dämonisch-zerstörerischer Mächte, deren Opposition zur Sonnengottheit besonders in mesopotamischen Texten betont wird, thematisiert die Ortssage in Gen 32,23-33
● In Ri 19
● Nach dem Bericht über die Zerstörung von → Sodom und Gomorra
Auch in militärischen Kontexten ist die Vorstellung vom Eingreifen der Sonnengottheit gegen die lebensbedrohenden Chaosmächte aufgegriffen:
● In Ri 9,33
● Das Motiv vom mittäglichen Sieg über den Feind – im ägyptischen Tageszeitenlied der Kulminationspunkt der siegreichen Auseinandersetzung des Sonnengottes mit dem Chaos – erscheint prominent im Bericht über die Josuaschlacht bei → Gibeon
3.2. Depotenzierung der Sonne
Einen indirekten Hinweis auf die Kenntnis der Bedeutung der Sonnengottheit in den Umweltkulturen des Alten Testaments geben die vor allem deuteronomistischen und priesterschriftlichen Stellen (→ Deuteronomismus
JHWH hat die Sonne geschaffen (vgl. Gen 1,16
Die Unterordnung der Sonne unter JHWH ist auch betont in Aussagen, die ihr eine Funktion als Symbol (durch Steigerung oder Minderung ihrer Leuchtkraft) der Manifestation der Macht Gottes bei seinem angekündigten zukünftigen Heils- oder Gerichtshandeln zuweisen (vgl. Jes 13,10
3.3. Hinweise auf Sonnenkulttraditionen in Jerusalem
Auf die Existenz des Sonnenkults im vorisraelitischen Kanaan weisen mit den Elementen שֶׁמֶשׁ šæmæš oder חֶרֶס ḥæræs „Sonne“ gebildete Ortsnamen hin. Es werden Orte namens → Bet-Schemesch
Auch für Jerusalem selbst als dem wichtigsten Begegnungsort des JHWH-Glaubens mit kanaanäischen Gottesvorstellungen und Traditionen weisen verschiedene Indizien auf eine solare Kulttradition hin, in die der JHWH-Glaube eingetreten ist und deren Elemente er teilweise integriert hat.
3.3.1. Theophore Namenselemente
Das theophore Bildelement *šalim / šalem im zuerst in den aus der Mittel- und Spätbronzezeit stammenden ägyptischen Ächtungstexten belegten Ortsnamen → Jerusalem
In dieselbe Richtung weist das auf die hurritische Sonnengöttin Chepa verweisende theophore Element im in den → Amarna-Briefen
3.3.2. Der Gott Zedeq
Verschiedene Verwendungszusammenhänge der Nomina צֶדֶק ṣædæq bzw. צְדָקָה ṣədāqāh setzen die Kenntnis der Ausdrucksformen und Vorstellungen voraus, die in Babylonien und Assyrien sowie davon abhängig im syro-kanaanäischen Raum mit dem Begriffspaar mēšaru / mīšaru („Geradheit / Richtigkeit“) und kittu („Festigkeit / Wahrheit“) verbunden waren: In akkadischen Texten bezeichnet der Doppelbegriff Eigenschaften des als Richter fungierenden Sonnengottes Utu / Schamasch, die er als Gabe dem König übermittelt. Die Begriffe können aber auch als (genealogisch als Sohn und Tochter des Sonnengottes personifizierte) göttliche Hypostasen (Mischor / Kittu) dieser Eigenschaften eine (der ägyptischen → Maat
Die nordwestsemitischen Sprachen greifen den Ausdruck in der Form Mischor (alttestamentlich מִישׁוֹר mîšôr „Geradheit“ / מֵישָׁרִים mêšārîm „Geradheit“ bzw. literarisch nachweisbar seit dem 8. Jh. מִשְׁפָּט mišpāṭ „Recht“) und (als Äquivalent zum akkadischen Kittu) Zedeq (צֶדֶק ṣædæq „Gerechtigkeit“ / צְדָקָה ṣədāqāh „Gerechtigkeit“) auf (vgl. Ps 9,9
Indizien für die vorisraelitische Verehrung Zedeqs sind die theophoren Personennamen der vorisraelitisch-kanaanäischen Könige → Adoni-Zedek
Reminiszenzen der Verehrung der solar konnotierten Gottheiten Zedeq und Schalim (vgl. 3.3.1) sind die in der Jerusalemer Kulttradition wurzelnden Formulierungen in Ps 85,11
Einige Stellen lassen eine Identifikation JHWHs mit Zedeq erkennen (Ps 4,6
3.3.3. Die architektonische Ausrichtung des Tempels
Einen Anhaltspunkt für die Annahme einer solaren Komponente im Jerusalemer Tempelkult bieten die architektonischen Angaben etwa in 1Kön 8,11
3.3.4. Der Tempelweihspruch 3Kön 8,53 [LXX]
Seit → Julius Wellhausen
Nach Auffassung von Keel ist dort davon die Rede, dass der ursprüngliche Wettergott JHWH mit der Inbesitznahme des bereits vorisraelitisch bestehenden Jerusalemer Tempels den bis dahin dort verehrten Sonnengott aus dem Tempel verdrängt und an den Himmel verweist (vgl. Keel 1993; Keel / Uehlinger 1994):
Damals sagte Salomo: / „Jahwe hat der Sonne(ngottheit) ihren Platz am Himmel angewiesen, / er hat erklärt, er wolle im Wolkendunkel wohnen. / So habe ich denn ein Herrschaftshaus für die gebaut, / eine Stätte für dein Thronen für alle Zeiten.“ (vgl. Keel / Uehlinger 1994, 287).
Nach einer anderen Interpretation ordnet die Sonnengottheit selbst als Besitzer des Ortes den Bau eines Heiligtums für JHWH an (vgl. Keel 2002; ders. 2007, 267-272).
Die Rekonstruktionen bleiben allerdings spekulativ (vgl. etwa alternativ die aus religionsgeschichtlichen und stichometrischen Erwägungen vorgenommenen Ergänzung des Wortlauts, die → El
3.3.5. Reaktion auf die „assyrische Krise“
Eindeutige Hinweise auf die Existenz solarer (und astraler) Kulte im Tempel von Jerusalem finden sich in der deuteronomisch-deuteronomistischen Literatur (→ Deuteronomismus
In der deuteronomistischen Darstellung begann die Adaption assyrischer Kultpraktiken mit → Ahas
Historisch ist allerdings zweifelhaft, dass die assyrischen Praktiken von Beginn an als aufgezwungener Fremdkult wahrgenommen wurden. Eher dürfte der assyrische Einfluss zu einer Repristination und Betonung ohnehin vorhandener kanaanäischer Elemente im Umkreis der JHWH-Religion geführt haben. Die solaren Kultpraktiken wurden wohl zunächst als eine theologisch treffende liturgische Interpretation des JHWH-Glaubens angesehen. So finden sich bei dem zur Zeit der neuassyrischen Religionshegemonie wirkenden Jesaja keine Hinweise auf eine Ablehnung der zeitgenössischen Sonnenverehrung, weshalb anzunehmen ist, dass diese auch in der Sicht des Propheten einen legitimen Ausdruck des JHWH-Glaubens darstellte.
Die kritische Bewertung des solaren Kults in der scharfen Ablehnung durch die deuteronomistische Reformbewegung erklärt sich wohl durch die Befürchtung einer zunehmenden synkretistischen Überlagerung legitimer solarer Beschreibungen JHWHs durch fremdreligiöse Anschauungen und damit der Gefährdung des monotheistischen Gottesbildes (→ Monotheismus
3.4. Sonnenmetaphorische Beschreibungen JHWHs und seines Handelns
Die wohl entscheidend durch die Begegnung mit der Jerusalemer Kulttradition angestoßene und zwischen metaphorischer Rede bzw. der Aufnahme mythologischer Vorstellungen oszillierende Solarisierung JHWHs nach dem Vorbild der altorientalischen Sonnengott-Theologie verleiht dem alttestamentlichen Gottesbild zwei wesentliche Züge, die dem familienbezogenen Vätergott und dem gruppenbezogenen Exodusgott noch fehlen: den Aspekt der Universalität, der den altorientalischen Sonnengottheiten als Verkörperung der alles durchdringenden Sonne eigen ist, und den Aspekt der Wirksamkeit für die Durchsetzung der Gerechtigkeit, das Hauptcharakteristikum der altorientalischen Sonnengottheiten (vgl. Janowski 1995, 240-241). Dabei sind verschiedene Motivkomplexe zu unterscheiden:
3.4.1. „Gottes Hilfe am Morgen“
Das in verschiedenen Überlieferungs- und Vorstellungszusammenhängen zu belegende Motiv von der „Hilfe Gottes am Morgen“ kontrastiert die Nacht als die Zeit der Not und Bedrängnis (vgl. Jes 38,13
Frühester Belege ist die exilische oder frühnachexilische Stelle Zef 3,5
Die Jerusalemer Kulttradition erwartet Gottes Hilfe am Morgen außerdem im Zusammenhang der mythischen Völkerkampfvorstellung (vgl. etwa Ez 38-39
In späteren Texten tritt dann der Aspekt einer zeitlichen Korrelation zwischen dem kosmischen Ereignis des Sonnenaufgangs und dem Heilshandeln JHWHs zugunsten der Identifizierung des von JHWH gewirkten Heilszustands mit dem Vorgang des Sonnenaufgangs zurück.
Der früheste Beleg dafür ist der [nach der LXX zu emendierende] Vers Hos 6,5
3.4.2. JHWH als „Sonne“
Neben dieser Traditionslinie, die den von JHWH erwirkten Heilszustand unter Verwendung von Licht- und Sonnenmetaphorik beschreibt, lässt sich ein zweiter Traditionsstrang aufweisen, der JHWH selbst als Granaten gerechter Ordnung mit der Sonne und ihrem Licht metaphorisch verbindet.
Eine solare Beschreibung JHWHs findet sich zuerst in der zwischen das 11. und 8. Jh. zu datierenden Theophanieschilderung Dtn 33,2
Eine weitere indirekte Form der Beschreibung JHWHs als Sonne sind die zum Teil bereits vorexilischen Formulierungen der Jerusalemer Tempelliturgie, wonach der von Feinden bedrängte Beter darum bittet, dass ihm „JHWHs Angesicht aufstrahlen“ möge (vgl. Num 6,25
Eine gegenüber der bisher angeführten impliziten solaren Metaphorik für JHWHs ausdrückliche – wenn auch wegen ihrer Singularität häufig skeptisch beurteilte – metaphorische Identifikation mit der „Sonne“ begegnet im nachexilischen Ps 84
Die von der Ikonographie der Flügelsonne (vgl. 3.5.5; → Flügel
Solare Metaphorik bezieht sich in einer Weiterentwicklung des Gedankens der solaren Präsenz Gottes als Helfer und Richter auch auf den כָּבוֹד kāvôd JHWHs, seine „Herrlichkeit“ (→ Ehre / Herrlichkeit
Der solare Charakter der „Herrlichkeit“ JHWHs ist auch in Ez 43,2
Die Solarisierung JHWHs zeigt sich schließlich auch in der nachexilischen Zionstheologie. In dem von Ez 1,22
3.5. Sonnenmetaphorik in der Königsideologie
In einer Reihe von spätvorexilischen Texten wird eine Funktionsentsprechung von König und Sonnenlicht ausgedrückt. Der gerechte Herrscher wird in Ps 72,5-7
In spätnachexilischer Zeit wird die auf den König bezogene solare Metaphorik „demokratisiert“ und etwa in Jes 58,8-10
Literaturverzeichnis
1. Quellen
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- Borger, R., 1967, Das dritte „Haus“ der Serie bīt rimki (VR 50-51, Schollmeyer HGŠ Nr. 1), JCS 21, 1-17
- Ebeling, E., 1953, Literarische Keilschrifttexte aus Assur (Berlin) [= LKA]
- Falkenstein, A. / v. Soden, W., 1953, Sumerische und Akkadische Hymnen und Gebete (Bibliothek der Alten Welt) Zürich / Stuttgart [= SAHG]
- Keilschrifturkunden aus Boghazköi, 1921-1990, 60 Bde., Berlin = [KBU]
- Dietrich, M. / Loretz, O. / Sanmartin, J., Die keil-alphabetischen Texte aus Ugarit, Bd. 1, Neukirchen 1976 [KTU]
- Dietrich, M. / Loretz, O. / Sanmartin, J., The Cuneiform Alphabetic Texts from Ugarit, Ras Ihn Hani, and Other Places, Münster 1995 [KTU2]
- Laroche, E.,1971, Catalogue des Textes Hittites (Études et Commentaires 75) Paris = [CTH].
2. Lexikonartikel
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- Reallexikon für Antike und Christentum, Stuttgart 1950ff
- Biblisch-historisches Handwörterbuch, Göttingen 1962-1979
- Wörterbuch der Mythologie, Stuttgart, 1965-2004
- Lexikon der christlichen Ikonographie, Freiburg i.Br. 1968-1976 (Taschenbuchausgabe, Rom u.a. 1994)
- Theologisches Wörterbuch zum Alten Testament, Stuttgart u.a. 1973ff
- Lexikon der Ägyptologie, Wiesbaden 1975-1992
- Theologische Realenzyklopädie, Berlin / New York 1977-2004
- Biblisches Reallexikon, 2. Aufl., Tübingen 1977
- Lexikon der Götter und Dämonen, 2. Aufl., Stuttgart 1989
- Theologisches Handwörterbuch zum Alten Testament, 5. Aufl., München / Zürich 1994-1995
- Neues Bibel-Lexikon, Zürich u.a. 1991-2001
- The Anchor Bible Dictionary, New York 1992
- Lexikon für Theologie und Kirche, 3. Aufl., Freiburg i.Br. 1993-2001
- Bibeltheologisches Wörterbuch, Graz 1994
- Gods, Demons and Symbols of Ancient Mesopotamia, 4. Aufl., Austin 2000
- British Museum Dictionary of the Ancient Near East, London 2000
- Eerdmans Dictionary of the Bible, Grand Rapids 2000
- The Oxford Encyclopedia of Ancient Egypt, Oxford 2000
- Calwer Bibellexikon, Stuttgart 2003
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3. Weitere Literatur
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Abbildungsverzeichnis
- Die Barke des Sonnengottes bei der Nachtfahrt über das Urmeer, das von der Apophis-Schlange symbolisiert wird (Holzsarg; Theben; 20.-22. Dyn., 1100-900 v. Chr.; BIBEL+ORIENT Datenbank Online
). © Stiftung BIBEL+ORIENT, Freiburg / Schweiz - Sonnenaufgang als „Epiphanie des Heils“ (Papyrus der Anhai; 20. Dyn., 1200-1085 v. Chr.). Mit Dank an © The Trustees of the British Museum; BM 10472
- Pharao Echnaton mit Familie unter der Sonnenscheibe vermittelt den Menschen den Segen. © Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart
- Aufstieg des Sonnengottes Utu zwischen den Bergen (Rollsiegel der Akkad-Zeit). Aus: H. Greßmann, Altorientalische Bilder zum Alten Testament, Berlin / Leipzig 2. Aufl. 1927, Abb. Nr. 320
- Der thronende Gott Schamasch stattet König Hammurabi mit den Herrschaftsinsignien aus (Flachrelief am oberen Ende der Gesetzesstele des Codex Hammurabi; Babylonien; 18. Jh.). Aus: Wikimedia Commons; © public domain; Zugriff 30.10.2009
- Flügelsonne als königliches Wappen Hiskias (lmlk-Stempelabdruck, um 700 v. Chr.). Mit Dank an © The Trustees of the British Museum; BM 132072
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