Deutsche Bibelgesellschaft

Speisegebote (AT)

(erstellt: August 2012)

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1. Speisegebote als anthropologisches Phänomen

Speisegebote gehören zur kulturellen Ordnung einer bestimmten sozialen Gruppe. Sie stellen insofern ein historisch-anthropologisches Phänomen dar. Ihre Funktion als religiöses Symbol ist, eine Beziehung zwischen Lebensform und Selbst- bzw. Weltdeutung, zwischen natürlichen Gegebenheiten bzw. ökologischen Bedingungen und transzendenter Sinngebung herzustellen. Dabei bilden sie Wirklichkeit ab und strukturieren sie gleichzeitig. Da sie auf der Übereinkunft eines Kollektivs beruhen, sind sie soziale Ereignisse und geben Orientierung. Was als Nahrung gewählt wird, ist weniger individuell, sondern ist sozial vorgegeben. Kulinarische Vorlieben und Abneigungen geben Auskunft über das Selbstkonzept der kulturellen Gemeinschaft. Dieser Entwurf der kollektiven Identität materialisiert sich in tradierten gemeinsamen Ansichten und auch autorisierten Vorstellungen wie den Speisegeboten. Für die Mitglieder der Gemeinschaft sind sie identitätsstiftend. Nach innen wirken sie sozialintegrativ, aber auch gemeinschaftsstrukturierend in Bezug auf Klassen, Geschlechter und Generationen. Speisegebote sind also Ausdruck sozialer Macht und dienen der Stabilisierung gesellschaftlicher Verhältnisse. Nach außen grenzen sie von anderen Kulturen und Völkern ab, verweisen also in den Bereich der Ethnologie. Speisegebote sind in der Regel an Tabu-Systeme und Konzeptionen bzw. Zuschreibungen von rein – unrein gebunden. Sie gehören somit zur religiösen Sphäre und fallen in den Bereich der Grenzziehung von Heiligem und Profanem. Eine solche Grenzziehung wird z.B. vorgenommen, wenn das Opfertier der Gottheit nicht gegessen werden darf.

Zu unterscheiden sind Speisegebote in Bezug auf ihre Referenzobjekte (erlaubte bzw. nicht-erlaubte Nahrung) und in Bezug auf die Personengruppen, für die sie gelten. Sie geben Auskunft darüber, welche Handlungen unter welchen Umständen erlaubt sind oder sanktioniert werden. Geregelt werden die Frage der Mahlgemeinschaft verschiedener Gruppen bzw. soziale Abgrenzungsbedürfnisse innerhalb der Gemeinschaft. Die zeitliche Ausdehnung der Speisegebote wird festgelegt. So ist z.B. das Fasten auf eine bestimmte Zeit begrenzt, während andere Regelungen immer währende Geltung beanspruchen. Biographische Ereignisse (z.B. Schwangerschaft) können mit bestimmter Nahrungsaufnahme bzw. -abstinenz verknüpft oder jahreszeitliche Festzeiten durch besondere Vorschriften konstruiert werden.

2. Speisegebote im Alten Testament

2.1. Die Speisegebote

2.1.1. Vegetarischer Urzustand (Gen 1)

Die Schöpfungsordnung sieht vor, dass sich der Mensch vegetarisch ernährt (→ Vegetarismus). Gott übergibt dem Menschen nämlich nur die Samen tragenden Pflanzen und Frucht bringenden Bäume zur Speise (Gen 1,29). Ein schöpfungsgemäßes Leben ist demnach ein Leben ohne Blutvergießen.

2.1.2. Erlaubnis des Fleischgenusses (Gen 9)

Bei der → Sintflut rettet Noah reine und unreine Tiere (Gen 7,2-3; Gen 7,8-9) und bringt am Ende von den reinen Tieren und Vögeln JHWH ein Brandopfer dar (Gen 8,20). Danach vertraut Gott ihm und seinen Söhnen die Tiere der Erde, Vögel des Himmels und Fische des Meeres an und bestimmt auch alles Lebendige als Nahrung der Menschen (Gen 9,2-3). Dies wirkt wie ein Zugeständnis von Seiten Gottes an den zur Gewalt neigenden Menschen (Milgrom, 104). Allerdings umfasst dieses Entgegenkommen eine strenge Restriktion: „Fleisch, in dem noch Blut ist, dürft ihr nicht essen.“ (Gen 9,4; vgl. Lev 19,26).

2.1.3. Vorgang des Schlachtens

Im Rahmen der Gesetzgebung des Buches Leviticus wird die genannte Bestimmung von Gen 9,4 näher entfaltet.

Zum einen wird ergänzt, dass jedes Rind, Schaf oder Ziege, das geschlachtet wird, unter priesterlicher Beteiligung JHWH zu opfern ist. Das → Blut soll auf den Altar gegossen und das Fett, das als göttliche Opfermaterie (→ Opfer) ebenfalls nicht gegessen werden darf (Lev 7,22-25), soll verbrannt werden und damit in Rauch aufgehen (Lev 17,3-6; vgl. Lev 7,26-27). Wer ein Tier nicht als Opfertier schlachtet, wird aus dem Volk getilgt werden (Lev 17,8f).

Zum anderen wird das Verbot des Blutgenusses und Blutvergießens begründet: „Die Lebenskraft des Fleisches sitzt im Blut.“ (Lev 17,11; vgl. Dtn 12,6.23-24). Deswegen muss das Tier ausgeblutet werden (Lev 17,13). Im narrativen Kontext wird → Sauls Leuten vorgeworfen, Fleisch mit Blut gegessen und damit gegen JHWH gesündigt zu haben. Deswegen baut Saul einen Altar, auf dem die Tiere rechtmäßig geschlachtet werden (1Sam 14,32-35).

Später wurde die rituelle Schlachtung auf einem Altar durch das deuteronomistische Konzept der Kultzentralisation überflüssig und die Schlachtung auch unabhängig vom Tempel freigegeben (Dtn 12,15-21; → Deuteronomismus).

2.1.4. Gebote für die Essenden

Wer Opferfleisch essen will, muss sich im Zustand der kultischen Reinheit befinden (Lev 7,19). Das Essen von Fleisch, das durch kultisch Unreines kontaminiert wurde, führt ebenso wie der Genuss des Opferfleisches in unreinem Zustand zur Ausmerzung aus dem Volk (Lev 7,19-21). So erklärt sich → SaulDavids Abwesenheit bei einem Neumondmahl zunächst mit dessen kultischer Unreinheit (1Sam 20,26), und → Ahimelech gibt David und seinen Männern heiliges Brot nur unter der Bedingung, dass sie vorher sexuell abstinent waren (1Sam 21,5).

Für die Priester werden Reinheitsvorschriften für den Genuss des Opferfleisches bzw. Riten zur Wiedererlangung der Reinheit gesondert ausgeführt (Lev 22,1-9). Als Vorbereitung für den Empfang einer Offenbarung fastet Daniel drei Wochen lang (Dan 10,2-3).

Wer ein Naziräergelübde ablegt (→ Naziräer), muss sich des Genusses von Bier und Trauben in jeder Form enthalten (Num 6,3-4). Ein Gebot der Abstinenz vom Wein besteht auch für den Priester (Ez 44,21 und Lev 10,9).

2.1.5. Beschaffenheit der Nahrung

2.1.5.1. Reine und unreine Tiere. Bestimmte Tiere dürfen nicht gegessen werden:

● Alle Landtiere, die wiederkäuende Paarhufer mit gespaltenen Zehen sind, dürfen gegessen werden. Verboten sind damit jedoch → Kamel, → Klippdachs, → Hase und → Schwein (Lev 11,2b-8).

● Auch alle Wassertiere, die Flossen und Schuppen haben, dürfen als Nahrung dienen (Lev 11,9-12; → Fisch).

● Von den Vögeln dürfen eine ganze Reihe nicht gegessen werden (Lev 11,13-19), wobei in Einzelfällen nicht geklärt werden kann, auf welche Tierarten sich die hebräischen Lexeme, oft nur onomatopoetische Wortbildungen, beziehen (vgl. Staubli 1993, 100).

● Insekten dürfen nicht gegessen werden, abgesehen von bestimmten Heuschreckenarten (Lev 11,20-23).

Tiere, deren Verzehr nicht erlaubt ist, sollen als unrein (hebr. טָמֵא ṭāme’) gelten (Lev 11,8) und verabscheut werden (Lev 11,11 u.ö.). Weder darf das Fleisch gegessen noch der Kadaver eines verendeten (hebr. נְבֵלָה nəvelāh) oder gerissenen (hebr. טְרֵפָה ṭərefāh) Tieres berührt bzw. getragen werden (Lev 11,8.24-25).

Die Berührung von unreinen Tieren bzw. Aas kontaminiert Menschen und Gegenstände, z.B. Gefäße und Kochstellen (Lev 11,24-31.32-40). Ausgenommen sind nur das Wasser von Quellen, Brunnen und Zisternen (Lev 11,36) sowie Saatgetreide (Lev 11,37). Der Zustand der Unreinheit ist zeitlich bis zum Abend begrenzt (Lev 11,24) und fordert Reinigungsriten (Lev 11,25.32).

Eine Parallelüberlieferung findet sich in Dtn 14,3-21. Die Vorschriften stimmen weitgehend überein. Die Frage nach der zeitlichen Vorordnung einer der beiden Fassungen wird unterschiedlich beantwortet, mehrheitlich damit, dass mit der Deuteronomium-Fassung die ältere vorliegt (vgl. Gerstenberger, 127.133). Im Buch → Deuteronomium erfolgt eine Aufzählung zehn erlaubter Großtiere. Angeschlossen wird zudem die Anordnung, das dem Israeliten unrein geltende Aas solle dem Fremden als Essen überlassen werden (Dtn 14,21). In Lev 11 lesen sich Lev 11,24-45 (mit sekundärer Ergänzung Lev 11,43-45 und redaktionellem Subskript Lev 11,46-47) wie ein nachträglicher Kommentar zu Lev 11,2b-23, die ihrerseits Spuren von Wachstum aufweisen (vgl. Staubli 1993, 96; Gerstenberger, 128).

2.1.5.2. Besonderes Speiseverbot. Die Erzählung vom Kampf am → Jabbok erklärt ätiologisch das Verbot, den Hüftmuskel zu essen (Gen 32,33; → Pnuel).

2.1.5.3. Art der Zubereitung. Verboten ist ferner, ein Ziegenjunges in der Milch der Mutterziege zu kochen (Dtn 14,21b; Ex 23,19; Ex 34,26; → Ziege / Ziegenbock 4.3.3).

2.1.5.4. Pflanzen. Die Früchte von neu gepflanzten Obstbäumen dürfen in den drei ersten Jahren nicht gegessen werden und sind im vierten Jahr JHWH als Festgabe zu übereignen. Erst im fünften Jahr dienen sie dem Menschen als Nahrung (Lev 19,23-25). Die Erstlingsfrüchte eines jeden Jahres dürfen nicht vor der Darbringung der vorgeschriebenen Opfer gegessen werden (Lev 23,9-14).

2.1.6. Besondere Zeiten

Opferfleisch darf nur am selben oder am folgenden Tag verzehrt werden (Lev 7,2-18). Besondere Regelungen gelten für das Passamahl (→ Passa) bzw. das → Mazzotfest im Hinblick auf Zubereitung und Zubereitetes: Ein fehlerfreies, einjähriges Lamm muss über Feuer gebraten sein; nichts darf davon am nächsten Tag gegessen werden (Ex 12,5-11). Sauerteig wird aus den Häusern verbannt; sieben Tage lang wird ungesäuertes Brot gegessen (Ex 12,15; vgl. Dtn 16,1-8).

Während der Schwangerschaft darf die Mutter des → NaziräersSimson weder Wein noch Bier trinken und nichts Unreines essen (Ri 13,4). Trauernde brechen und essen das Trauerbrot (Jer 16,7 u.ö.).

2.1.7. Speisen anderer Völker

Die Speisen in Assur, in der Fremde, gelten als unrein (Hos 9,3), zumal die korrekte Durchführung der Opfer nicht möglich ist (Hos 9,4). Im Buch → Daniel werden Speisen und Getränke des babylonischen Königs per se als unrein bezeichnet (Dan 1,8), und auch → Judit isst nichts von den Speisen, die → Holofernes ihr anbietet (Jdt 12,1-2). → Tobit berichtet im Rückblick davon, dass er anders als seine Stammesgenossen in Gefangenschaft in → Ninive keine Speisen der Heiden zu sich genommen habe (Tob 1,10-11).

2.2. Mögliche Deutungen der Speisegebote

Die Speisegebote zielen darauf, zwischen göttlicher und menschlicher Sphäre zu trennen bzw. diese Sphären überhaupt erst zu generieren. Das gilt auch für die Gebote zur Darbringung der Erstlingsfrüchte und der Fettanteile an JHWH, bei denen es sich um ein göttliches Privilegrecht (→ Recht) handelt.

2.2.1. Achtung vor dem Leben

2.2.1.1. Das Verbot des Blutgenusses, das anderen Verboten zugrunde liegt, wird in den Texten selbst damit begründet, dass das Blut der Sitz des von Gott gegebenen Lebens ist (Gen 9,3-6; Lev 17; Dtn 12,20-25). Die Verfügungsgewalt über das Leben kommt Gott allein, nicht dem Menschen zu. Daher gilt selbst das Aas des reinen Tieres, das nicht ausgeblutet wurde, als unrein, und seine Berührung ist verboten.

2.2.1.2. Das Verbot, ein Jungtier in der Milch seiner Mutter zu kochen, mag, da Verbote in der Regel reale Praktiken voraussetzen, auf die Abgrenzung von kanaanäischen Kultpraktiken zielen. Zumindest ist in → Ugarit ein Ritual belegt, bei dem ein junger Ziegenbock in Milch gekocht wird (CTA 23,14f.). In der Levante wurde die Ziegenmutter mit der Göttin Astarte verbunden, wie zahlreiche ikonographische Repräsentationen zeigen (vgl. Staubli / Klinghardt, 544). Auf symbolischer Ebene bezieht sich die Vorschrift auf die Trennung der Bereiche von Tod (totes Ziegenjunges) und Leben (die Ziegenmutter als göttliche Lebensgeberin par excellence) (vgl. Willi-Plein 2004, 1551). Näheres → Ziege / Ziegenbock 4.3.3.

2.2.2. Gründe für die Unterscheidung von reinen und unreinen Tieren

Die biologische Stringenz, die die Unterscheidung von reinen und unreinen Tieren mit dem Verweis auf die Anatomie des tierischen Fußes und den Verdauungsprozesses vorgeben will, und deren Durchführung befriedigen letztlich nicht. Die biblische Kategorisierung in reine und unreine Tiere hat daher unterschiedliche Erklärungen hervorgerufen.

2.2.2.1. Hygienische und ästhetische Gründe.Maimonides (1135-1204 n. Chr.) entwickelt ein hygienisches System, dem zufolge der Verzehr unreiner Speisen der Gesundheit schadet. So würde Fett dick machen und dem Magen schaden.

Doch ist das Empfinden für Hygiene bzw. auch Ekel kulturell geprägt. Beides gründet nicht in der Beschaffenheit des Tieres selbst bzw. in bakteriologischen Gegebenheiten. Auch die Folgerung, die reinen Tiere seien bekömmlicher, ist nicht zutreffend. Stünden hygienische Gründe im Hintergrund von Lev 11, wäre vielmehr eine Differenzierung in reine (bekömmliche) und unreine (giftige) Pflanzen zu erwarten gewesen.

2.2.2.2. Abgrenzung von anderen Kulten. Immer wieder wurde darauf verwiesen, dass die als unrein erklärten Tiere in den Kulten der Nachbarkulturen Israels eine Rolle gespielt haben. Durch sie sei die religiöse Identität gefährdet worden und deswegen habe man sich von diesen Kulten abgrenzen müssen.

Um die Entstehung der Speisegebote zu erhellen, ist diese Erklärung allerdings unbefriedigend. Zur mutmaßlichen Zeit ihrer Herausbildung spielten gerade die als rein und kultfähig erklärten Tiere eine maßgebliche Rolle in den Israel benachbarten religiösen Symbolsystemen. So wurde in Ägypten die Kuh der → Hathor, der Widder des → Amun oder des → Chnum und in → Ugarit der Stier des → Baal, in → Aleppo der Stier des → Hadad verehrt, und auch Schaf- und Stieropfer waren im gesamten Raum des Alten Orients verbreitet.

2.2.2.3. Moralisierende Deutung. Im hellenistischen und römischen Judentum versuchte man eine moralisierende Erklärung. Die Tiere wurden als Allegorien von Tugenden und Laster verstanden. So bestehe der Zweck der Gebote darin, fromme Gedanken zu wecken und den Charakter zu bilden. Essbare Vögel seien zahm und zeichnen sich durch Reinheit aus; verbotene Vögel seien fleischfressend und vergewaltigen durch ihre Stärke die anderen. Die Besitzer des Gesetzes jedoch sollen Gerechtigkeit pflegen wie die zahmen Vögel und nicht an Schwächeren Gewalt ausüben (→ Aristeasbrief, bes. 142-147). Auch → Philo von Alexandrien begründet das Essverbot bestimmter Tiere mit deren bösem Charakter, der sich durch Genuss auf den Menschen übertragen würde (Spec 4,118).

2.2.2.4. Pädagogische Erklärung. Man hat der Auswahl der für den Verzehr frei gegebenen Tiere auch jeden Sinn abgesprochen, sie als irrational und rein willkürlich bezeichnet, da gerade ihre Willkürlichkeit zum Gehorsamstest des Gläubigen werden kann (z.B. auch Maimonides). Die Speiseverbote hätten also eine rein pädagogische Funktion.

2.2.2.5. Nachträgliche Kodifizierung bestehender Gewohnheiten als göttliches Recht. Als Symbole, die eine Verbindung von natürlichen Gegebenheiten und Weltdeutung schaffen, stellen die Speisegebote überkommene Gewohnheiten in den Zusammenhang einer religiösen Ordnung. Vor dem Hintergrund zooarchäologischer Erkenntnisse über Tierhaltung (Ziegen, Schafe und Rinder seit der Steinzeit) und Jagd (wiederkäuende Tiere mit gespaltenen Hufen wie Gazellen und Antilopen) lassen sich die Speisegebote als nachträgliche Legitimation bestehender Bräuche durch das göttliche Wort verstehen (anders Milgrom, 110). Das Kamel war wegen seiner geringen Reproduktionsrate als Fleischspender uninteressant, Schweinehaltung mit der zunehmenden Bedeutung tierischer Sekundärprodukte ein entbehrlicher Luxus, jedoch nicht gänzlich unüblich (Jes 65,4; Jes 66,3; Jes 66,17; vgl. Staubli 2001, 47).

2.2.2.6. Aufrechterhaltung der Schöpfungsordnung. Die nachträgliche theonome Begründung der aus ökologischen Gründen bestehenden Essgewohnheiten erklärt aber nicht die Logik des religiösen Symbolsystems, wie es die Texte vorgeben und wie es vor dem Hintergrund ethnologischer Erkenntnisse zu verstehen ist. Maßgeblich beeinflusst hat Erklärungsansätze im Bereich der Exegese die Studie Impurity and Danger von Mary Douglas aus dem Jahr 1966. Das Unreine, das Zweideutige ist das die Ordnung Gefährdende, vor dem das Heilige rituell geschützt werden muss (→ Tabu). Nur das Reine ist das Unvermischte. Es ist lebensförderlich und erlaubt Kontakt mit dem Heiligen. Bei der Herausbildung der Speisegebote, wie Lev 11 und Dtn 14 sie wiedergeben, haben sicherlich mehrere Faktoren eine Rolle gespielt, in deren Hintergrund das Symbolsystem von rein – unrein steht:

Die Kategorisierung nach Lebensräumen in Tiere des Landes, der Luft und des Wassers entspricht der Schöpfungsordnung (vgl. Gen 1,20-25). Als rein gelten nur die Tiere, die ihren Lebensraum vollkommen repräsentieren und so den Aufbau der Welt nicht wieder in Unordnung und in ein vorgeschöpfliches Chaos bringen (Douglas, 1988, 76; vgl. Ego, 139-141). Zwischenwesen wie Kriechtiere oder fliegende Vierfüßler sind demnach unrein. Raubtiere und Aasfresser gehören der dämonischen Sphäre an, da sie die göttliche Macht über das Leben in Frage stellen – so auch die talmudische Interpretation. Die Gesetzesregelungen wollen also weniger eine Erklärung geben, sondern ein Ordnungssystem beschreiben. Nahrungsauswahl strukturiert die Wahrnehmung von Welt.

2.2.2.7. Heiligung des Volkes. Vor dem Hintergrund der Theologie der → Priesterschrift, wie sie das Buch → Leviticus repräsentiert, ist die Einhaltung der Speisegebote in erster Linie eine Möglichkeit zur Heiligung des Volkes. → Mose und → Aaron werden beauftragt, sie an das ganze Volk Israel weiterzugeben (Lev 11,2). Ihre Mitteilung kulminiert in der zweifachen Aufforderung an das Volk, sich als heilig zu erweisen (Lev 11,44-45). Dieser Appell wird begründet mit der Heiligkeit JHWHs selbst und dem Verweis auf das Exodus-Ereignis. Die Speisegebote sind zu sehen im Rahmen der Etablierung von Ordnung, die Freiheit ermöglicht und sichert. Die Scheidung von rein und unrein ist vornehmliche Aufgabe der → Priester (Lev 11,47; vgl. Lev 10,10). Diese Ordnung ist Zeichen der Aussonderung Israels aus den Völkern und der Zugehörigkeit zu JHWH (Lev 20,25-26; vgl. Ego, 137-139). Zwar markieren die Speisegebote durch ihre Grenzziehung menschliche und göttliche Sphäre (nur reine Tiere als menschliche Nahrung; Blut und Fett als allein Gott vorbehalten). Andererseits wird durch sie die alltägliche Nahrungsaufnahme zum rituellen Vollzug, deren Ort nicht der Tempel, sondern das Leben ist (Gerstenberger, 118).

Indem die Speisegebote durch das Verbot des Blutgenusses zur Achtung des Lebens mahnen und Fleischkonsum einschränken, erhalten sie ethischen Charakter. Sie zähmen die menschliche Neigung zu Gewalt, lehren, in Ehrfurcht jede Form von Leben zu schützen (Bratsiotis, 853; vgl. Milgrom, 103; Douglas 1993), und zeigen weniger Gottes Abneigung gegenüber Unreinheit, sondern sein Mitleid mit jeder Kreatur (Douglas 2002, 73).

2.3. Entwicklung der Speisegebote zum Identity Marker Israels

Die Abgrenzung zu anderen Völkern kann nicht primärer und alleiniger Grund für die Entstehung der Speisegebote sein, bzw. eine Abgrenzung von den Nachbarkulturen ist durch sie zunächst nicht gegeben. Unabhängig von der Begründung der Speisegebote lässt sich jedoch beobachten, dass sie sich zum Identity Marker Israels entwickeln. In den narrativen Überlieferungen spielen sie kaum eine Rolle. Ausformuliert werden die Speisevorschriften in der priesterschriftlichen Systematik frühestens in der Exilszeit. Bedeutung in Abgrenzung von anderen Völkern und gemeinschaftsbildende Funktion erhalten sie erst in nachexilischer Zeit. Tischgemeinschaft mit Nichtjuden ist nicht möglich (Jdt 12,2; Dan 1,8-16). Die Speisegebote ermöglichen zugleich eine innerjüdische Abgrenzung der Gesetzesobservanten von Abtrünnigen im Volk, die am Genuss bzw. Opfer von Schweinefleisch zu erkennen sind (Jes 65,3-5; Jes 66,3).

Erweckt schon die Kriteriologie von Lev 11 den Eindruck, die biologischen Kriterien seien speziell zum Ausschluss des → Schweins geschaffen (so auch Babylonischer Talmud, Traktat Chullin 59a: „Der Herrscher des Universums weiß, dass es kein anderes Tier gibt, das gespaltene Hufe hat und unrein ist wie das Schwein“), so spitzt sich der Fokus auf das Schwein als pars pro toto der Speisegebote im historischen Verlauf zu. Für die nachexilische Jerusalemer Kultgemeinde wird die Tabuisierung des Schweins zum Charakteristikum der eigenen religiösen Identität. In der Darstellung der → Makkabäer-Bücher ist sie in seleukidischer Zeit 167 v. Chr. Stein des Anstoßes des Aufstands der → Makkabäer, als auf Erlass → Antiochus IV. Epiphanes im Jerusalemer Tempel im Rahmen seiner Kultreformen Schweine für fremde Götter geopfert werden (1Makk 1,47 [Lutherbibel: 1Makk 1,50]). Kriterium der JHWH-Gläubigkeit ist die Weigerung, Schweinefleisch zu essen, so dass Eleasar und die sieben Brüder das Martyrium vorziehen (2Makk 6,18-20; 2Makk 7,1-3; vgl. 1Makk 1,62-63 [Lutherbibel: 1Makk 1,65-66]).

3. Frühjudentum und neutestamentliche Bezüge

Die Beachtung der Speisegebote galt bei Juden sowohl in Israel als auch in der Diaspora als Teil der zu befolgenden Weisung für Israel. Das Spektrum möglicher Interpretation, welches konkrete Verhalten die Tora jeweils erfordere, hingegen war im Frühjudentum weit (vgl. Niebuhr, 16). Mit Bezug auf die Tora, die auch dem Fremden im Land den Genuss von Blut und Aas verbietet (Lev 17,10-16), konnten diese Weisungen in frühjüdischer Zeit auch für Nichtjuden als verbindlich gefordert werden. Das Konzept einer Tora für die Völker bildet sich mit den noachitischen Geboten (→ Noah) erst in rabbinischer Zeit heraus.

3.1. Die Frage nach der Gültigkeit der Speisegebote für Nichtjuden

Die paulinische Briefliteratur spiegelt Fragestellungen wider, die sich in den Gemeinden des Paulus beim Zusammentreffen von Nichtjuden und Juden im Hinblick auf das Essen ergeben. Die Stellungnahmen von → Paulus können als ein Ringen um eine situationsadäquate Auslegung der Tora unter endzeitlichen Voraussetzungen im Hinblick auf eine Gemeinschaft von Juden und Nichtjuden gewertet werden.

Die Frage nach der Tischgemeinschaft wird zum Auslöser des sog. → Antiochenischen Zwischenfalls. → Petrus fällt hinter die mit Paulus in Jerusalem getroffenen Vereinbarungen zurück (Gal 2,1-10). Als Anhänger des Jakobus in Antiochia eintreffen, isst er nun nicht mehr gemeinsam mit den Nicht-Juden. Daraufhin stellt ihn Paulus zur Rede. Zu beachten ist: Die Tora fordert weder die rigidere Position der Jakobs-Leute noch begibt sich Paulus mit seiner Haltung, die im Rahmen frühjüdischer Lebensweise in der Diaspora liegt, in Opposition zu ihr. Frühjüdische Positionen, die eine Einschränkung der Tischgemeinschaft mit Nichtjuden problematisieren (→ Aristeasbrief, 180-186), legen nahe, dass wohl die Möglichkeit des Miteinanders unter Beachtung bestimmter Sonderregeln, so des Verbotes von Blut und Aas, ermöglicht wurde. Die Bestimmungen des sogenannten Aposteldekrets (Apg 15,29; Apg 21,25) entsprechen dieser Mahlpraxis. Sie beziehen sich allerdings auch auf Fremde in der Fremde (vgl. Niebuhr, 35-37).

Bei den Auseinandersetzungen in Korinth, die sich im 1.Korintherbrief spiegeln, steht nicht die Frage nach der Tischgemeinschaft im Vordergrund, sondern die nach den Speisen heidnischer Gastgeber, dem Götzenopferfleisch, das in Verbindung mit fremden Kultpraktiken steht (1Kor 8-10). Problematisch ist für Paulus der Genuss des Götzenopferfleisches, wenn dieser für „Schwache“ zum Anlass des Abfalls von Christus werden kann. Gerade der heidenchristlichen Mehrheit der Gemeinde muss deutlich sein, dass die Bindung an Christus verlangt, die bisherige religiöse Praxis aufzugeben. Dies bedeutet entsprechend der Praxis der Juden in der Diaspora das Verbot von Götzenopferfleisch. Im Alltag ist nicht ein objektiver Status der Speisen entscheidend, sondern die bewusste Intention, mit der heidnischen Bräuchen gefolgt wird (1Kor 10,25-28).

Auch in der Gemeinde von Rom gibt es einen Disput zwischen den Gemeindemitgliedern, die alles essen, und anderen, die gewisse Speisen als „unrein“ betrachten (Röm 14,1 - Röm 15,6). Bewertungsmaßstab sind die jüdischen Kategorien von rein und unrein (vgl. Niebuhr, 32-33). Paulus gibt einen diplomatischen Ratschlag: Zwar seien mit dem Dienst an Christus alle Dinge rein, wenn ein Gemeindemitglied dennoch an den Speisegeboten festhalten wolle, sei ihm das freigestellt. Beide Praxen sind für Paulus möglich, solange die Einheit der Gemeinde und ihr Selbstverständnis als endzeitliches Gottesvolk nicht gefährdet sind (vgl. Niebuhr, 40).

Eine definitive Abwendung von den Speisegeboten erfolgt erst in der deuteropaulinischen Literatur. Im Rahmen einer Warnung vor Irrlehren werden Essensvorschriften zurückgewiesen (Kol 2,16; 1Tim 4,3; Hebr 13,9), da durch das Blut und Opfer des himmlischen Hohepriesters Jesus Christus alles gereinigt sei (Hebr 9,22; Hebr 10,2-3). Narrativ wird diese Abwendung von den Speisegeboten in der Vision des Petrus inszeniert (Apg 10,11-15): Petrus weigert sich, vierfüßige und kriechende Tiere der Erde und Vögel des Himmels zu schlachten und davon zu essen, mit der Begründung, er habe nie etwas Unreines gegessen. Dieser Einwand des Petrus und damit auch die Observanz der Speisegebote wird mit göttlicher Autorität für überflüssig erklärt: „Was Gott für rein erklärt, nenne du nicht unrein!“ (Apg 10,15; vgl. Apg 11,9). Im Kontext wird mit dieser Aussage verdeutlicht, dass Petrus auch zu den „unreinen Menschen“, also den Nichtjuden, gesandt ist (Apg 10,28).

3.2. Speisegebote im Kontext der Jesus-Überlieferungen

Die Frage, wie die Tora adäquat auszulegen ist, wird auch mit Rekurs auf das Wirken Jesu erörtert. Zur Bewertung dieser Auslegungen der Tora ist zu beachten, dass eine Unterscheidung zwischen kultischen und ethischen Geboten eine moderne Differenzierung darstellt.

Die markinische Überlieferung präsentiert eine Praxis der Pharisäer und „der Juden“, die nicht mit unreinen, also ungewaschenen Händen essen und auch Gefäße mittels Waschungen reinigen. Mit Rückgriff auf Jesaja (Jes 29,13) wird eine Überordnung ritueller über soziale Handlungen, der „äußeren Reinheit der Hände bzw. Gegenstände“ über eine „innere Reinheit des Herzens“ problematisiert. Diese Kritik an Reinigungsvorschriften wird verschränkt mit der Frage nach der Reinheit der Speisen. So erklärt der markinische Jesus (→ Markus), alle Speisen seien rein. Verunreinigungen können nicht durch den Verzehr von Speisen geschehen, sondern durch fragwürdiges Verhalten (Mk 7,1-23).

Matthäus dagegen entschärft diese Aussage, indem er Jesus nur sagen lässt, Essen mit ungewaschenen Händen verunreinige nicht (Mt 15,20). Die Gültigkeit einer Unterscheidung von reinen oder unreinen Speisen wird also nicht in Frage gestellt.

4. Wirkungsgeschichte

4.1. Judentum

4.1.1. Begründung und Bedeutung der Speisegebote

Unter dem äußeren Druck der griechisch-römischen Intellektuellen (vgl. Tacitus, Petronius, Iuvenal), die die „barbarischen Sitten“ der Juden wie das Schweinefleischtabu diffamieren, suchen jüdische Kreise angesichts der rational nicht nachvollziehbaren Taxonomie der Speisegebote Vernunftgründe für diese (s.o. 2.2).

Andere Traditionen verstehen die Speisegebote als unergründlichen Willen Gottes: „Lass den Mann nicht sagen, ich esse kein Schweinefleisch. Er sollte vielmehr sagen, ich esse es gerne, aber ich darf es nicht essen, denn die Tora verbietet es mir.“ (Sifra 11,22). Im Babylonischen Talmud (Traktat Yoma 67b; Text Talmud) werden die Speisegebote aus Dtn 14 und Lev 11 als „göttliche Statuten“ (hebr. חֻקִּים ḥuqqîm) klassifiziert, die per se nicht im Text erklärt werden müssen.

4.1.2. Ausfaltung der Kaschrut

Unabhängig von der Frage ihrer Begründung werden die mosaischen Gebote weiter im Hinblick auf für den Konsum erlaubte Tiere, die Art der Zubereitung und die Trennung von Milchigem und Fleischigem ausgefaltet und so ein Zaun um die Bestimmungen der Tora gezogen. Die mündliche Tora füllt die Leerstellen, die die schriftliche Tora gelassen hatte, indem z.B. Charakteristika reiner Vögel genannt werden (Mischna, Traktat Chullin 3,6) oder mehr als siebzig Verletzungen aufgeführt werden, die den Tatbestand טְרֵפָה ṭərefāh (unverzehrbares, gerissenes Tier, Ex 22,30) erfüllen (Mischna, Traktat Chullin 3). Auch spielen praktische Gründe beim Entstehen der Regelungen eine Rolle: Kommt es zum versehentlichen Vermischen von erlaubten und nicht erlaubten Flüssigkeiten, so gilt die erlaubte als koscher, solange der nicht erlaubte Anteil den Geschmack nicht beeinflusst. Um jede Unsicherheit zu umgehen, wurde dieser auf nicht mehr als 1/60 definiert. Im Allgemeinen sind regionale Vielfalt und Unterschiede zwischen sephardischer und askenasischer Tradition zu verzeichnen. In strittigen Fällen entscheidet die lokale rabbinische Autorität vor Ort.

Die Wurzel כשׁר kšr „angemessen sein“ begegnet in der Hebräischen Bibel nur in Est 8,5; Pred 10,10 und Pred 11,6, allerdings nicht im Zusammenhang mit kultischer Reinheit oder Speisegesetzgebung. Erst in rabbinischer Zeit erhält das Wort „koscher“ seine spezielle Bedeutung in Bezug auf rituelle Tauglichkeit. Das Adjektiv „koscher“ beschreibt ganz allgemein die rituelle Eignung eines Sachverhaltes, so wird z.B. auch eine Tora-Rolle als „koscher“ qualifiziert. Die Bezeichnung „Kaschrut“ bezieht sich speziell auf die Speisegesetzgebung.

4.1.2.1. Bestimmung erlaubter Tiere. Die Tatsache, dass nicht alle biblisch genannten Tiere zweifelsfrei identifiziert werden können, führt ebenso wie die Tatsache, dass sich die jüdische Religion in andere Länder und Kontinente verbreitet, zur Notwendigkeit, weitere Kategorien zur Bestimmung reiner und unreiner Tiere zu bilden.

4.1.2.2. Zubereitung. Die rituelle Schlachtmethode des Schächtens (→ Schlachtung) muss von einem ausgebildeten und authorisierten Schächter ausgeführt werden (Mischna, Keritot 5,1). Sie setzt sich zusammen aus dem Akt des Schlachtens selbst, der mit einem Schächtmesser ausgeführt werden muss, und der nachfolgenden Examinierung des Tieres. Ein innerer Defekt schließt den späteren Konsum aus. Das Koschern des Fleisches erfolgt durch Salzen oder Braten über der offenen Flamme, um das Fleisch ganz zu entbluten. Der erste Traktat der Mischna-Ordnung Toharot (Reinheiten) führt näher aus, welche Grade von Unreinheit Geräte annehmen können.

4.1.2.3. Trennung von Milchigem und Fleischigem. Aus dem Verbot, das Junge nicht in der Milch der Mutter zu kochen, leiten die Rabbinen die Unterscheidung von Milchigem und Fleischigen ab (Mischna, Traktat Chullin). Diese wird zu den wichtigsten Elementen der Kaschrut-Gesetzgebung. Dabei gelten alle aus Milch gewonnen Produkte als „milchig“. Auch Behälter, Geschirr, Besteck müssen getrennt aufbewahrt, gespült und mit unterschiedlichen Tüchern abgetrocknet werden. Zwischen dem Verzehr einer fleischigen und einer milchigen Speise muss je nach Tradition ein unterschiedlicher Zeitraum vergehen. Früchte, Gemüse und Fisch gelten als neutral (parve).

4.1.3. Gegenwärtige Entwicklung

Vertreter der Reformbewegung versuchten Ende des 19. Jh.s, die Speisegebote für überholt zu erklären. Ebenso wie die mit ihnen in Verbindung stehenden Reinheitsgebote und die priesterlichen Opferbestimmungen wurden sie als zeitbedingt und daher nicht für religiöse und ethische Anweisungen bindend bestimmt. Auch wenn die Pittsburgh Conference (1885) sich in diesem Sinne aussprach, hielt sie jedoch niemanden von der Observanz der Speisegebote ab. Gegenwärtige Vertreter des Reformjudentums kehren wieder zu traditionellen Bräuchen zurück, ermutigen zur Beachtung der Speisegebote als Teil des alltäglichen spirituellen Lebens. Für konservativ ausgerichtete Juden steht die Bedeutung der Speisegebote außer Frage.

Da jüdisches Leben immer und überall in Auseinandersetzung mit anderen Kulturen gestanden hat, gibt es nicht die jüdische Küche. Nicht einzelne Speisen oder Gerichte sind „typisch jüdisch“, sondern Merkmal jüdischer Küche ist die Befolgung der Kaschrut. Sie ist allgemein gesprochen neben jüdischer Erziehung und Synagogenbesuch auch in der Gegenwart einer der wichtigsten Identity Marker der jüdischen Religion (vgl. Mitz Geffen, 658).

4.2. Christentum

Unter Berufung auf Evangelien und Briefe (Mk 7,19; Röm 14,14; Tit 1,15) wird die Frage nach der Reinheit der Speisen für die frühen Christen immer unwichtiger. Angesichts des kommenden Gottesreiches sieht man das Evangelium in Konkurrenz zum Gesetz des Mose. Unter „Unreinheit“ wird allein „ethische Unreinheit“ verstanden. Zum Kriterium der Reinheit derer, die Mahl halten, entwickelt sich das Dankgebet, nicht der Zustand der Speisen. Diese Auslegungstradition steht im Zusammenhang des Ausdifferenzierungsprozesses von Judentum und Christentum und der Notwendigkeit der Herausbildung einer eigenen religiösen Identität. Die Ablehnung der Speisegebote wird soziologisch gesehen zum Abgrenzungsmerkmal der Christen.

Gleichzeitig wird aber auch das Konzept kultischer Reinheit, zu der essentiell auch die Speisegebote gehören, fortgeführt. Sowohl im westchristlichen Kontext als auch im byzantinischen und orientalisch-orthodoxen Raum entwickeln sich v.a. seit dem 6. Jh. Sammlungen und Rechtsvorschriften, die als „eine Form christlicher Halacha zur Reinheitstora“ (Synek, 24) einzuordnen sind. Diesem Konzept entsprechend haben Verunreinigungen Konsequenzen für die Kulttauglichkeit, also den Zugang zum Heiligen.

Die christliche Entwicklung kann also nicht für sich reklamieren, die Reinheitsthematik allein auf die ethische Ebene zu verlagern. Sie tut dies auch nicht exklusiv, da sich eine ethische Akzentuierung sowohl biblisch als auch in der jüdischen Rezeption seit dem Hellenismus findet.

4.3. Islam

Positive Hinweise zum Verzehr von Nahrungsmitteln finden sich im Islam mit der Aufforderung, Arme zu speisen (Sure 76,8-9; 74,44; Text Koran). Neben dem Koran enthält die Sunna weitere Speisevorschriften im Zusammenhang mit den Fastenregeln des Fastenmonats Ramadan, so z.B. die auf Mohammed zurückgeführte Tradition des Fastenbrechens mit Datteln. Anders als Lev 11 wird Kamelfleisch wertgeschätzt. Es gehört zu den typischen Fastenspeisen. In der Überlieferung zu Mohammed wird der Verzehr des Kamels explizit als vereinendes Merkmal der Muslime benannt: „Wer nicht von meinen Kamelen isst, gehört nicht zu meinem Volk.“

Der Islam übernimmt das Verbot von Aas, Blut und Schweinefleisch, räumt aber als Ausnahme Zwang und Bedrängnis durch Hunger ein (Sure 2,173; 5,3). Als Aas gilt das verendete oder nicht rituell geschlachtete Tier. Damit der Verzehr von Fleisch erlaubt (arab. ḥālal) und nicht unrechtmäßig (arab. ḥāram) ist, muss das Blut vollständig ausfließen. Die rituelle Schlachtung erfolgt Richtung Mekka und unter Anrufung des Namens Gottes. Allerdings werden in den Hadithen lokale Essgewohnheiten als kulturell bedingt reflektiert (Sahih al Buchārī, VII, 65, 303).

Speisen der „Schriftbesitzer“ (im Koran Bezeichnung für Juden und Christen) werden nicht abgelehnt. Zum Boundary Marker des Islam entwickelt sich das Verbot von Alkohol mit dem Verweis auf den Satan, der durch Rauschmittel den Menschen vom Gedanken an Allah abhalten wolle (Sure 5,90-91).

Literaturverzeichnis

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