Deutsche Bibelgesellschaft

(erstellt: April 2010)

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1. Der Begriff „Stein“

Das hebräische Wort אֶבֶן ’ævæn ist in allen semitischen Sprachen belegt. Der Bedeutungsumfang im Alten Testament deckt sich weitgehend mit dem Begriff „Stein“ im Deutschen und bezeichnet bewegliche Steine, sowohl naturbelassene als auch bearbeitete. Daneben benutzt das Alte Testament relativ viele Wörter mit verwandter Bedeutung, darunter besonders häufig die Begriffe סֶלַע sæla‘ „freistehender Fels / Felsformation“ und צוּר ṣûr „Fels / Felswand“. Zur Bezeichnung bestimmter Steine wie Gedenksteine, Mühlsteine, Edelsteine, Steinsäulen, Steinhaufen verwendet das Hebräische eigene Wörter. Die Septuaginta gibt sowohl אֶבֶן ’ævæn als auch viele andere Steinbegriffe mit λίθος lithos „Stein“ wieder.

2. Steine im profanen Bereich

2.1. Steine in der Baukunst

In der Kultur- und Religionsgeschichte Palästinas spielen die Steine wegen der geologischen Beschaffenheit des Landes eine bedeutsame Rolle. Basalt und Kalkstein standen in ausreichenden Mengen zur Verfügung und wurden je nach den lokalen und geographischen Gegebenheiten genutzt. Vor allem in der Baukunst sind die Steine von grundlegender Bedeutung. In Assyrien, Babylonien sowie in Ägypten wurden Tempel oder Paläste häufig aus behauenen Steinen gebaut (1Kön 5,31). Von besonderer Bedeutung war der Eck- oder Grundstein (hebr. ראשׁ פנה ro’š pinnāh). Er musste unerschütterlich und genau gelegt sein, da er den Bezugspunkt für die weiteren Bauarbeiten bildete und für die Statik des ganzen Gebäudes wichtig war (Ps 118,22; Mt 21,42). Deshalb wird als Eckstein auch immer ein besonders großer und stabiler Stein benutzt.

2.2. Steine als Geräte

Die frühesten palästinischen Steingefäße wurden aus Basalt hergestellt. Erst um 1200 v. Chr. wurden in Palästina Gefäße aus Kalkstein üblich. Alabastergefäße dienten als Behälter für Salben, Öle und Parfüms. Schon seit der Steinzeit wurden auch Geräte (z.B. Werkzeuge, Messer, Mühlen und Waffen) aus Stein hergestellt. Nach Ex 4,25 und Jos 5,2f. wurde zur Beschneidung ein scharfer Stein verwendet. Steine wurden zudem benutzt, um Feuer zu entfachen (2Makk 10,3).

Im ganzen Alten Orient spielten genormte Steine als Gewichte eine große Rolle (vgl. Lev 19,36; Dtn 25,13.15; 2Sam 14,26; Spr 11,1; Spr 16,11; Spr 20,10.23; Mi 6,11; Sach 5,8), ferner als → Siegel, → Amulette und Spielsteine (→ Spiel). → Edelsteine wurden als Schmuck getragen und sie wurden auf dem → Brustschild des Hohenpriesters eingesetzt.

Gräber wurden in den Fels gebaut; entweder nutzte man eine mit einem Stein verschließbare → Höhle oder hieb einen Hohlraum aus dazu geeignetem Fels (Jos 10,18.27; Mt 27,60). Brunnenschächte (→ Wasserversorgung) wurden mit einem großen Stein abgedeckt (Gen 29,2).

Steine wurden als Wurfgeschosse eingesetzt, ob mit oder ohne Schleuder (1Sam 17,40; 2Sam 16,6). Hagelkörner werden als „Steine“ bezeichnet, die Jhwh selbst schleudert (Jes 30,39) oder die zumindest seinem Befehl unterstehen (Ez 38,22).

Die gewöhnliche Art der → Todesstrafe war die Steinigung, bei der die versammelte Dorfgemeinschaft den Verurteilten so lange mit Steinen bewarf, bis er seinen Verletzungen erlag. Die Mehrzahl der Delikte, zu deren Bestrafung die Steinigung vorgesehen war, richteten sich unmittelbar gegen Gott selbst, wie Gotteslästerung (Lev 24,14.16.23; 1Kön 21,10-14; vgl. 2Chr 24,21), Götzendienst (Dtn 17,5); Totenbeschwörung und Wahrsagerei (Lev 20,27); Sabbatschändung (Num 15,35f.), sexuelle Vergehen und Ehebruch (Dtn 22,21; Ex 16,40; Ex 23,47; Joh 8,3-7).

3. Steine im religiösen Bereich

Stein 6
Seit der Steinzeit spielten Steine eine zentrale Rolle im religiösen Bereich und hatten vielfältige kultische Funktionen. Steine konnten als Symbole, Malzeichen oder Zeugen verwendet werden. Größere Steine konnten als Gedenksteine bzw. als Erinnerung an ein Ereignis oder als Zeugnis eines Eides dienen (Gen 28,18; Gen 31,45; Jos 7,26; Jos 15,6; 1Sam 6,14; 1Sam 7,12).

Unbehauene Steine wurden zum Altarbau eingesetzt (Ex 20,25; 1Kön 18,31) und große Steinblöcke konnten einfach als Altar benutzt werden (1Sam 6,14; 1Sam 14,33; → Kultinstallationen).

Als → Mazzebe (מַצֵּבָה maṣṣevāh) werden im Alten Testament von Menschenhand aufgerichtete monolithische Steine verschiedener Größe mit religiöser Bedeutung bezeichnet. In der kanaanäischen Fruchtbarkeitsreligion spielten solche Steinmale eine große Rolle. Der müde → Jakob benutzte einen Stein als Kopfkissen (Gen 28,11), den er dann angesichts der Gegenwart Gottes an diesem Ort aufstellt und salbt (→ Bethel). In der deuteronomistischen Tradition (→ Deuteronomismus) des Alten Testaments werden Mazzeben heftig bekämpft, weil man sie als Zeugnis für den Abfall von Jhwh betrachtet. Die prophetische Polemik gegen den Götzendienst wendet sich häufig ironisch gegen die Anbetung von Stein und Holz (Jer 2,27; Jer 3,9; Ez 20,32; Dan 5,4.23; Jes 37,19).

Von besonderer Bedeutung sind die steinernen Tafeln, auf die nach biblischer Vorstellung die Zehn Gebote geschrieben waren (→ Dekalog). Nach Ex 24,12 kündigt Jhwh an, dem → Mose Steintafeln zu übergeben, auf denen das göttliche Gesetz und das Gebot stehen, die Gott geschrieben hat. Die Tafeln stehen in gewisser Spannung zu dem „Buch des Bundes“, das Mose geschrieben hat (Ex 24,3.4.7). Dass auf den Tafeln nur die zehn Worte standen, wird erst später, erstmals in Ex 34,28, gesagt. In Ex 31,18 erfolgt tatsächlich die Übergabe der Tafeln, die „vom Finger Gottes“ beschrieben worden seien (vgl. Ex 32,15-16; Dtn 4,13; Dtn 5,22; Dtn 9,10). Doch schon als Mose mit den Tafeln in der Hand am Fuß des Berges ankommt, zerbricht er sie im Zorn (Ex 32,19; Dtn 9,17). Mose wird aber beauftragt, zwei neue Tafeln zuzuhauen, die ebenfalls wieder von Gott selbst beschrieben wurden (Ex 34,1; Dtn 10,1). Diese zweiten Tafeln wurden dann in der → Bundeslade deponiert. Dass die Vorstellung entwickelt wurde, die zehn Gebote seien von Gott selbst auf das unvergängliche Schreibmaterial der Steintafeln eingraviert worden, ist sicherlich Ausdruck dessen, dass man von ihrer Gültigkeit für alle Zeiten überzeugt war.

4. Metaphorischer Gebrauch

4.1. Im Alten Testament

Der signifikanten Bedeutung des Steins im Leben der Menschen entspricht auch seine metaphorische Verwendung. Die Härte, Kraft und Festigkeit des Steines (Hi 6,12) werden in der metaphorischen Sprache mehrfach aufgegriffen. Der Stein ist stumm (Hab 2,19) und insofern ist ein verängstigter Mensch ein Stein (Ex 15,16). Die Härte des menschlichen Herzens wird mit der Härte des Steines verglichen (Hi 41,16). Ein steinernes Herz (Ez 11,19; Ez 36,26) ist ein hartes, unbeugsames Herz, das nur Gott umformen kann.

Der Eckstein ist der Ausgangspunkt sowie tragendes Element beim Bau eines Gebäudes und gibt ihm Stabilität. In Hi 38,6 wird die gesamte Welt als Gebäude vorgestellt und in der Folge auch von ihrem Eckstein gesprochen. Jes 28,16a benutzt das Bild vom Grundstein eines Hauses metaphorisch. Aus dem Kontext wird deutlich, dass Israels Führer einen Bund mit dem „Tod“ geschlossen haben, um sich abzusichern. Jhwh dagegen legt in Zion einen erwählten, wertvollen Grundstein, auf den die Glaubenden sich verlassen können. Ähnlich ist in Ps 118,22 von einem Eckstein im Kontext einer scharfen Auseinandersetzung Gottes mit einer gegnerischen Partei („die Bauleute“) die Rede. Der Beter betont, dass ihm etwas oder jemand, der in den Augen der Bauleute unbrauchbar und verworfen war, durch Jhwhs Errettung zur unerschütterlichen Grundlage neuen Heils und der Freude wurde. Diese alttestamentlichen Stein-Metaphern wurden so gedeutet, dass Jhwh den verstoßenen und verachteten Gerechten erwählt, und schon im Frühjudentum sowie im Neuen Testament auf den Messias bezogen.

4.2. Im Neuen Testament

Gelegentlich wird im Neuen Testament Christus mit einem Stein (λίθος) verglichen (Mk 12,10; Mt 21,42; Lk 20,17; Apg 4,11). Der Sinn der Aussagen über den Eckstein im Neuen Testament entspricht im Wesentlichen dem im Alten Testament. Jesus ist der Eckstein, den die Bauleute verworfen haben (Mk 12,10; vgl. Ps 118,22; Jes 8,14; Jes 28,16). Die Bauleute, die den Stein verworfen haben, sind das jüdische Volk bzw. seine Obrigkeit; sie haben Christus verworfen, aber Gott hat ihn durch sein Heilshandeln in Tod und Auferstehung zum Eckstein eines Baues (der Kirche) werden lassen.

Nach Eph 2,20-22 ist Jesus der Eckstein (ἀκρογωνιαίος akrogōniaios, aus ἄκρον akron „Ende / Grenze / äußerster Punkt“ und γωνία gōnia „Stein“) der Kirche, der den ganzen Bau zusammenhält, während die Apostel und die Propheten ihr Fundament darstellen. Schließlich werden die Christen (1Petr 2,5) mit „lebendigen Steinen“ verglichen. Weil Christus lebt, kann er als „lebendiger Stein“ bezeichnet werden; und weil die Christen mit ihm und durch ihn leben, können sie als „lebendige Steine“ angesprochen werden.

Literaturverzeichnis

1. Lexikonartikel

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  • Biblisch-historisches Handwörterbuch, Göttingen 1962-1979
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  • Theologisches Wörterbuch zum Alten Testament, Stuttgart u.a. 1973ff
  • Wörterbuch biblischer Bilder und Symbole, 2. Aufl., München 1978
  • Exegetisches Wörterbuch zum Neuen Testament, Stuttgart, 1980-1982
  • Das große Bibellexikon, 2. Aufl., Wuppertal 1990
  • Neues Bibel-Lexikon, Zürich u.a. 1991-2001
  • New International Dictionary of Old Testament Theology and Exegesis, Grand Rapids, 1997
  • Dictionary of Biblical Imagery, Inter-Varsity Press, 1998 (auch Art. Cornerstone)
  • Calwer Bibellexikon, Stuttgart 2003 (auch Art. Eckstein, Grundstein)
  • Theologisches Begriffslexikon zum Neuen Testament, Neubearbeitete Ausgabe, Wuppertal, 2005
  • Herders Neues Bibellexikon, Freiburg i.Br. / Basel / Wien 2008 (auch Art. Eckstein, Grundstein)

2. Weitere Literatur

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  • Siegert, F., 2004, Christus, der „Eckstein”, und sein Unterbau: Eine Entdeckung an 1 Petr 2.6f, NTS 50, 139-146
  • Wildberger, H., 1982, Jesaja (BKAT X/3), Neukirchen-Vluyn
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Abbildungsverzeichnis

  • Die Stufenpyramide des Djoser ist der älteste Monumentalbau aus Quadersteinen (Sakkara, Ägypten; um 2600 v. Chr.). © public domain (Foto: Klaus Koenen, 2004)
  • In Formen aus Stein wurden Bronze bzw. Gold und Silber z.B. zur Herstellung von Äxten und Speerspitzen bzw. Schmuck gegossen. © Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart
  • Mit Maßeinheiten beschriftete Gewichtssteine legte man auf die eine Seite einer Tellerwaage. © Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart
  • Mit einem Reibstein aus rauem Basalt wurde täglich Getreide gemahlen. © Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart
  • Krieger mit Steinschleuder (Tell Ḥalāf in Nordsyrien; 9. Jh. v. Chr.). © Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart
  • Mazzeben im Freilichtheiligtum von Geser (Mittelbronzezeit II B; ca. 16. Jh. v. Chr.). © public domain (Foto: Klaus Koenen, 1994)
  • Mose zerstört die Tafeln des Gesetzes (Rembrandt; 1659).

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