Deutsche Bibelgesellschaft

Sterblichkeit / Vergänglichkeit

(erstellt: Februar 2015)

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1. Weisheitliche Annäherung

„Die Lebenden wissen, dass sie sterben müssen, aber die Toten wissen gar nichts mehr“, so formuliert → Kohelet / Prediger Salomo den Vorteil, den die Lebenden gegenüber den Toten haben (Pred 9,5). Im Wissen um das eigene Sterbenmüssen und damit um die Endlichkeit seines Daseins vermag der Mensch das irdische Leben als ein einzigartiges Gut zu begreifen, das Gott ihm geschenkt hat. Kohelet kann deshalb empfehlen, dieses eine Leben auszukosten, weil Gott schon zuvor Gefallen daran gefunden hat (Pred 9,7). Und der um eine Generation jüngere Weisheitslehrer → Jesus Sirach gibt zu bedenken, dass kein Mensch die Frist wissen kann, die ihm bis zur Unterwelt bleibt. Deshalb mahnt er seine Schüler: „Ehe du stirbst, tue dem Freund Gutes und gib ihm, was deine Hand vermag!“ (Sir 14,13). Beide Stimmen aus der jüdischen Weisheit wissen darum, dass Gott die Menschen wie auch die Tiere als sterbliche Wesen geschaffen hat. Aber nur der Mensch ist sich seiner Sterblichkeit bewusst und muss mit diesem Wissen leben. Es ist paradoxerweise ein Zuviel und ein Zuwenig an Wissen: Das Zuviel führt den Menschen aus dem Tierreich heraus und versetzt ihn in die Unruhe und Sorge um sein Dasein. Das Zuwenig lässt ihn über seinen Tod hinaus nach einem umfassenden Sinnzusammenhang fragen, der in den Religionen dem Wissen der Götter vorbehalten ist (Assmann 2003, 6-8). Wenn es darum in Ps 90,12 heißt „Lehre uns bedenken, dass wir sterben müssen, auf dass wir klug werden!“, so wird hier Gott um die Befähigung gebeten, dass wir Menschen unsere Endlichkeit annehmen und uns dadurch Spielräume einer vernünftigen Lebensgestaltung erschließen.

2. Gilgamesch auf der Suche nach ewigem Leben

Die Sterblichkeit des Menschen ist eines der großen Themen, das auch im → Gilgamesch-Epos verarbeitet wird. Protagonist der Dichtung ist Gilgamesch, der sagenumwobene König der Stadt Uruk im 3. Jahrtausend v. Chr. Zusammen mit seinem Freund Enkidu besteht er nicht nur zahlreiche Abenteuer, sondern tötet auch den Himmelsstier und begründet dadurch seinen unsterblichen Ruhm. Doch dann wird er mit dem Tod konfrontiert. Denn die Götter beschließen, dass Enkidu sterben muss. Der Verlust des Freundes erschüttert Gilgamesch so sehr, dass ihm bewusst wird, dass auch er eines Tages sterben könnte (Maul 2005, 128, Tf. 10, Z. 61f). Die Furcht vor seinem eigenen Tod treibt ihn um, so dass er bereit ist, sogar bis ans Ende der Welt zu gehen und dort Utnapischtim, den Helden der → Sintflut, aufzusuchen. Von ihm möchte er erfahren, wie er sich unsterbliches Leben erwerben könne. Denn die Götter hatten Utnapischtim einst in den Kreis der Unsterblichen aufgenommen, weil er die Menschheit durch die → Arche vor dem Untergang bewahrt hatte. Als Gilgamesch endlich bei Utnapischtim angekommen ist, scheitert er bereits bei der ersten Probe, die ihm der Unsterbliche auferlegt: Er soll sieben Tage und Nächte wach bleiben. Gilgamesch schläft ein und wird von der Frau des Utnapischtim gerade noch rechtzeitig aus dem Schlaf geweckt, der seinen Tod bedeutet hätte. Unverrichteter Dinge muss Gilgamesch die Heimreise nach Uruk antreten. Es gelingt ihm jedoch, vom Grund des Meeres ein Zauberkraut an sich zu bringen, das die Kraft besitzt, den Menschen zu verjüngen. Gilgamesch ist noch auf dem Weg in die Heimat, als ihm das Zauberkraut von der → Schlange gestohlen wird. Deshalb vermag nur die Schlange sich häutend zu verjüngen. Gilgamesch aber kehrt mit leeren Händen nach Uruk zurück. Das Ende des Gilgamesch-Epos lässt sich unterschiedlich deuten. Man kann es als ein Scheitern der Suche nach ewigem Leben interpretieren, das sich in tatenlose Resignation angesichts des Todes niederschlägt. Man kann es aber auch so verstehen, dass Gilgamesch zuletzt Einsicht in die Endlichkeit menschlichen Daseins gewinnt, die ihn an seinen Platz in der Welt zurückstellt. Nunmehr kann er sich als König von Uruk seiner eigent­lichen Aufgabe einer weisen und gerechten Regierung zuwenden (Fischer 2014, 75).

3. Der Lebensbaum in der Paradieserzählung

Der Lebensbaum, dessen Früchte unsterbliches Leben verheißen (Gen 3,22), ist gegenüber dem Baum der Erkenntnis traditionsgeschichtlich das ältere Motiv (→ Baum der Erkenntnis / Baum des Lebens). Redaktionsgeschichtlich ist es jedoch auf einer relativ späten Stufe in die → Paradieserzählung hineingekommen und hat den ursprünglich in der Mitte des Gartens stehenden Baum der Erkenntnis (Gen 2,9) ins Abseits gedrängt (Levin 1993, 92). Obwohl die Sterblichkeit des Menschen auch schon in der Grunderzählung durch seine Geschöpflichkeit gegeben ist (vgl. Gen 2,7; Gen 3,19), wird sie erst durch das Motiv des Lebensbaums thematisch. Dabei erscheint die nach dem Sündenfall erfolgte Maßnahme Gottes, dem Menschen den Zugang zum Lebensbaum zu verwehren (Gen 3,22; Gen 3,24b), nicht als eine Strafe. Vielmehr entspricht sie der von Gott gewollten Ordnung, das Wesen des Menschen zwischen göttlich und irdisch festzulegen: Mit den Himmlischen teilt der Mensch die Erkenntnis des Guten und Bösen, mit den irdischen Lebewesen das Todesgeschick (Gese 1984, 103). Durch den Sündenfall und die dadurch geschaffene Fluchwirklichkeit (Gen 3,16-19) wandelt sich die an sich positive Begrenzung des Menschen zu einer bedrängenden Vergänglichkeitserfahrung und drückenden Lebenslast (Spieckermann 2000, 374). Die weiterführende Deutung, dass der → Tod durch die Sünde in die Welt gekommen sei, gehört jedoch in die Rezeptionsgeschichte der Paradieserzählung (vgl. Sir 25,24 [= Lutherbibel: Sir 25,32]; Röm 5,12). Im Zusammenhang mit der Lebensbaum-Redaktion steht schließlich auch die in Gen 6,3 eingetragene Bestimmung, dass die Lebenszeit des Menschen höchstens 120 Jahre betragen soll. Sie wird wiederum schöpfungstheologisch damit begründet, dass der Mensch als fleischliches Wesen (בָּשָׂר bāśār „Fleisch“) der Vergänglichkeit unterworfen ist. Deshalb soll der von Gott gegebene Lebensgeist nicht für immer in ihm wirken.

4. Die Staubnatur des Menschen

Im Alten Testament gilt der Mensch als ein Geschöpf, das aus Staub besteht und im Tod wieder zu Staub zerfällt. Der Staub kennzeichnet den Menschen als ein vergängliches und flüchtiges Wesen (Ps 103,15). Entsprechend wird auch bei der Erschaffung des Menschen in der Paradiesgeschichte das Motiv der Vergänglichkeit in Gen 2,7 durch Zufügung des Wortes עָפָר ‘āfār „Staub“ nachgetragen: „Jahwe Elohim bildete den Menschen mit Staub aus dem Erdboden ...“. Der Akkusativ materiae kennzeichnet hier die Stofflichkeit des Menschen. Dabei kann → Staub bildhaft etwas Wertloses und Nichtiges bezeichnen (Sach 9,3; Hi 27,16) oder auch die Überreste einer völligen Zerstörung benennen (2Kön 13,7; Jes 41,2; Ps 18,43). Entsprechend wird das Todesgeschick in poetischen Texten häufig durch die Redewendung umschrieben, dass der Mensch zum Staub zurückkehren muss (Hi 10,9; Hi 34,15; Pred 3,20), wenn Gott seinen Lebensgeist zurückzieht (Ps 104,29; Hi 34,14f; Pred 12,7). Verstorbene können so auch als Bewohner des Staubs angesprochen werden (Jes 26,19).

5. Bilder der Vergänglichkeit

Neben dem Staub als Inbegriff der Vergänglichkeit finden sich im Alten Testament weitere Bilder, die denselben Gedanken zum Ausdruck bringen. So werden die Menschen mit einer → Blume verglichen, die in ihrer Schönheit blüht und verblüht (Jes 40,6; Hi 14,1), oder mit → Gras, das aufwächst und verwelkt respektive abgeschnitten wird (Jes 40,7; Jes 51,12; Ps 90,5f; Ps 103,15f). Im Hintergrund steht die im Vorderen Orient prägende Erfahrung tödlicher Sommerhitze, die Blume und Gras verdorren lässt. Die Flüchtigkeit menschlichen Daseins wird außerdem mit dem Bild des → Schattens (צֵל ṣel) zum Ausdruck gebracht (Ps 39,7; Ps 102,12; Ps 109,23; Ps 144,4; Hi 8,9; Hi 14,1; Pred 6,12; 1Chr 29,15). Verwandt mit dem Bild des Schattens ist der → Windhauch (הֶבֶל hævæl), der kaum spürbar verweht. Dadurch werden die Aspekte der Kurzlebigkeit, Nichtigkeit und Sinnlosigkeit menschlichen Wirkens betont (Ps 39,6; Ps 62,10; Ps 144,4; Hi 7,16; → Prediger). Das Hauch-Dasein wird bisweilen auch auf eine Schuld zurückgeführt, die der Mensch auf sich geladen hat (Ps 39,12; Ps 78,32f). Zu den aus der Natur entnommenen Vergleichen können auch solche aus dem Alltag treten, die den langsamen Zerfall des Menschen vor Augen führen, wie beispielsweise das von → Motten zerfressene Kleid (Jes 50,9; Ps 39,12; Hi 13,28). Schließlich gibt es Bilder, die den Tod als unumkehrbar vor Augen führen und damit die Einsicht untermauern, dass alle Menschen sterben müssen. Zu nennen sind hier das → Wasser, das man auf die Erde schüttet und nicht wieder aufnehmen kann (2Sam 14,14; vgl. Hi 14,10f) und das Schöpfrad, das in den Brunnenschacht stürzt und zerbricht (Pred 12,6).

6. Die Vergänglichkeitsklagen

In der Zwiesprache mit Gott beklagt der Mensch mitunter die Kürze seiner Lebenszeit (Ps 39,6) und die Vergeblichkeit seines Tuns (Ps 94,11). Man könnte meinen, dass dadurch lediglich der Schmerz über die Vergänglichkeit zum Ausdruck gebracht wird (Hi 7,7-10; Hi 9,25-28). Beachtet man aber den Kontext, wird deutlich, dass die Vergänglichkeitsklagen häufig nicht für sich stehen, sondern einer bestimmten Funktion dienen. Sie gehören in einen Appell an das göttliche Mitleid (Wächter 1967, 102-106). Gott soll an die Armseligkeit und Flüchtigkeit seines Geschöpfes denken, damit er sich als Schöpfer barmherzig zeigt (Ps 103,13f) und von seinem → Zorn absieht (Ps 89,47f; Ps 90,13). Dabei geht es nicht grundsätzlich um den Tod als Begrenzung menschlichen Lebens. Vielmehr erbittet der Beter einen Aufschub, damit er noch einmal fröhlich sein kann (Hi 10,20f). In dem Appell an Gott kann schließlich sogar das drohende Todesgeschick als argumentum ad deum verwendet werden. Denn was hätte Gott schon von einem vorzeitigen Tod? In der Unterwelt kann ja niemand mehr Gott loben und seine Taten verkünden (Ps 6,6; Ps 30,10; Ps 88,11-13).

7. Die Annahme der Sterblichkeit

Bei allem Aufbegehren, besonders gegen den vorzeitigen Tod, bezeugt das Alte Testament aber auch eine gelassene Haltung gegenüber dem bevorstehenden Lebensende. Das selbstverständliche Hinnehmen des Todes hat vor allem damit zu tun, dass der Tod im Alter als eine Erfüllung der von Gott geschenkten Lebenszeit angesehen wurde. Wenn deshalb über einen Menschen gesagt wird, dass er alt und lebenssatt stirbt, bedeutet das gerade nicht, dass er seines langen Lebens überdrüssig geworden sei. Vielmehr wird damit eine nicht nur quantitative, sondern auch qualitative Ausschöpfung seiner Lebenszeit ausgesagt (Fischer 2014, 161). Die Annahme der Sterblichkeit kann überhaupt ganz schlicht zum Ausdruck gebracht werden. So reden etwa → Josua oder → David im Blick auf ihren bevorstehenden Tod davon: „Ich gehe jetzt den Weg aller Welt“ (Jos 23,14; 1Kön 2,1). Aber auch in dem Fall eines drohenden frühzeitigen Todes bezeugt die Rahmenerzählung des → Hiobbuchs eine Ergebenheit in das von Gott verhängte Geschick und zugleich Unterwerfung unter seinen Willen: „Nackt kam ich aus dem Leib meiner Mutter, und nackt gehe ich wieder aus dem Leben dahin. Der Herr hat’s gegeben, der Herr hat’s genommen. Der Name des Herrn sei gelobt!“ (Hi 1,21). Dagegen öffnet die → Weisheit Salomos einen ganz anderen Blick auf das Lebensende, indem sie den physischen Tod dekodiert (Fischer 2014, 284). Die Frevler unterliegen nämlich der Illusion, dass der Tod eine Auslöschung des Lebens bedeute (Weish 2,21f). Für die Gerechten dagegen ist der Tod nicht Abbruch und Untergang, sondern vielmehr Abreise und Übergang in eine neue Existenzweise bei Gott (Weish 3,1f). Die Vergänglichkeit des Menschen ist darum nur eine Scheinbare, weil Gott den Menschen nach seinem Bild und damit zur Unvergänglichkeit erschaffen hat (Weish 2,23).

Literaturverzeichnis

1. Lexikonartikel

  • Biblisch-Historisches Handwörterbuch, Göttingen 1962-1979.
  • Theologisches Wörterbuch zum Alten Testament, Stuttgart u.a. 1973ff.
  • Calwer Bibellexikon, Stuttgart 2003.

2. Weitere Literatur

  • Assmann, J., 2003, Tod und Jenseits im alten Ägypten, München (Sonderausgabe).
  • Fischer, A.A., 2014, Tod und Jenseits im Alten Orient und im Alten Testament (SKI.NF 7), Leipzig.
  • Gese, H., 1984, Der bewachte Lebensbaum und die Heroen: Zwei mythologische Ergänzungen zur Urgeschichte der Quelle J (1973), in: ders., Vom Sinai zum Zion. Alttestamentliche Beiträge zur biblischen Theologie, 2. Aufl. München, 99-112.
  • Levin, Ch., 1993, Der Jahwist (FRLANT 157), Göttingen.
  • Maul, S., 2005, Das Gilgamesch-Epos. Neu übersetzt und kommentiert, München.
  • Spieckermann, H., 2000, Ambivalenzen. Ermöglichte und verwirklichte Schöpfung in Genesis 2f, in: A. Graupner / H. Delkurt / A.B. Ernst (Hgg.), Verbindungslinien (FS W.H. Schmidt), Neukirchen-Vluyn, 363-376.
  • Wächter, L., 1967, Der Tod im Alten Testament (AzTh II/8), Berlin / Stuttgart.

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