Deutsche Bibelgesellschaft

Andere Schreibweise: Tarschisch, Tarshish (engl.)

(erstellt: Mai 2019)

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Tarsis bezeichent im Alten Testament 1. einen Ort (14-mal), 2. besondere, nach dem Ort benannte Schiffe (10-mal), 3. einen Edelstein (7-mal) und ist 4. als Personenname (4-mal) belegt.

1. Name

Die Bezeichnung „Tarsis“ (תַּרְשִׁישׁ taršîš) hat keine semitische Etymologie und ist vermutlich iberisch bzw. „tartessisch“ (vgl. Lipinski, 781; Koch); auch eine ägyptische Herkunft des Terminus wurde vorgeschlagen (Görg).

2. Tarsis als Ort

An 12 Stellen wird mit „Tarsis“ auf einen Ort verwiesen: 2Chr 9,21; 2Chr 20,36.37; Ps 72,10; Jes 23,6.10; Jes 66,19; Jer 10,9; Ez 27,12; Ez 38,13; Jon 1,3 (3-mal); Jon 4,2. Auf welchen Ort sich die biblischen Schriften genau beziehen und wo dieser sich befand, ist nicht eindeutig. Meist wird Tarsis mit der phönizischen Hafen- und Handelsstadt (Handelskolonie) Tartessos in Südspanien im Mündungsbereich des Guadalquivir (westlich der „Straße von Gibraltar“), also im fernen Westen identifiziert (Koordinaten: N 36° 48' 37'', W 06° 21' 37''). Dies wird an Jon 1,3 und einer Inschrift Asarhaddons festgemacht: In Jon 1,3 heißt es, dass der Prophet (→ Jona) nach → Jafo geht, um dort ein Schiff nach Tarsis zu nehmen. Sein Ziel ist es, „weg von JHWH“ (Jon 1,3) zu fliehen, und es ist davon auszugehen, dass die Fluchtrichtung und Fluchtroute von Jafo aus nach Westen verläuft. Tarsis könnte die maximal mögliche Entfernung von Ninive, dem von JHWH befohlenen Zielort des Auftrags Jonas, darstellen. Eine Inschrift des assyrischen Königs → Asarhaddon (680-669 v. Chr.) erwähnt „Tarsisi“ als äußersten westlichen Ort des assyrischen Herrschaftsgebietes im Mittelmeerraum (vgl. Borger, 86). Tarsis war anscheinend ein weit entfernter Ort, den man am besten mit dem Schiff erreichte.

Zwei weitere archäologische Funde dokumentieren den Ort Tarsis: Der sogenannte Nora Stein („Nora stone“) mit einer phönizischen Inschrift stellt den ältesten Beleg für die Erwähnung des Ortes dar. Die Inschrift wurde 1773 auf Sardinien entdeckt und in die Zeit von der Mitte des 9. bis in die Mitte des 8. Jh.s v. Chr. datiert. Sie bezeugt Tarsis (tršš) als Ort auf Sardinien. Auch ein hebräisches Ostrakon aus der 2. Hälfte des 7. Jh.s v. Chr. belegt Tarsis (tršš) als Ort. Es ist als eine Art Spendenquittung über „silver from Tarshish for the house of YHWH“ zu verstehen (vgl. Bordreuil / Israel / Pardee). Wo sich der Ort Tarsis befindet, wird hieraus nicht ersichtlich.

In späteren Belegen aus nachexilischer Zeit (Jes 66,19; Jon 1,3; Jon 4,2) ist Tarsis nur noch eine „Chiffre für den fernen Westen“ (Koch, 140).

M. Görg verzichtet auf eine Ortssuche sowie Lokalisierung und leitet den Begriff Tarsis – in Weiterführung von Überlegungen C.H. Gordons – aus dem Ägyptischen her (dr „Grenze / Bereich“; šs „Wertvolles“), sodass sich die Bedeutung „fernes Land voll Kostbarkeiten“ (Görg, 81) ergibt. So versteht Görg Tarsis als einen „Symbolnamen für ein fernes und zugleich mit Kostbarkeiten bestücktes Land“ (Görg, 81f.).

Insgesamt muss man sagen, dass die Lokalisierung von Tarsis nicht mehr genau zu rekonstruieren ist und in der Forschung umstritten bleibt.

3. Tarsis-Schiffe

Mit der Hafenstadt Tarsis stehen die sog. Tarsis-Schiffe (אֳנִי תַרְשִׁישׁ ’ånî taršîš bzw. אֳנִיּוֹת תַּרְשִׁישׁ ’ånijjôt taršîš) in Verbindung, die im Alten Testament an neun Stellen erwähnt werden (1Kön 10,22 [2-mal]; 1Kön 22,49; 2Chr 9,21; Ps 48,8; Jes 2,16; Jes 23,1.14; Jes 60,9; Ez 27,25). Der Name „Tarsis-Schiffe“ leitet sich vermutlich vom Zielhafen ab: Für die weite Fahrt bis nach Tarsis baute man besonders große und besonders seetüchtige Schiffe.

Tarsis-Schiffe gehörten zu den Reichtümern → Salomos, die er gemeinsam mit dem phönizischen König von → TyrosHiram I. (969-936 v. Chr.) unterhielt. Nach 1Kön 10,22 fuhr die Flotte der beiden Könige alle drei Jahre aus und kam mit Gold, Silber, Elfenbein, Affen und Pfauen zurück. Neben diesen Kostbarkeiten importierten Tarsis-Schiffe auch Eisen, Zinn und Blei (Ez 27,12). Dass diese Schiffe Salomos und Hirams nach Tarsis fuhren, wird erst in 2Chr 9,21; 2Chr 20,36 explizit gesagt. Tatsächlich war das spanische Tartessos für seinen Metallreichtum bekannt, doch die Angaben von Elfenbein, Affen und Pfauen passen eher in den nordafrikanischen Raum, der im 8. Jh. v. Chr. in den Mittelmeerhandel integriert war (vgl. Schipper, 72).

Schipper weist darauf hin, dass derartige Seefahrten in das westliche Mittelmeer in salomonischer Zeit nicht realisierbar waren, sondern erst ab dem 8. Jh. v. Chr. mit solchen Fahrten zu rechnen ist, als die Phönizier expandierten und den westlichen Bereich des Mittelmeers befuhren. So ist es nach Schipper denkbar, dass in 1Kön 10,21f. historische Kenntnisse aus dem 8. Jh. v. Chr. zum Tragen kommen, die möglicherweise auf einer Handelsliste beruhen (vgl. Schipper, 71f.).

Auch König → Joschafat (868/7-851/0 v. Chr.) baute angeblich Tarsis-Schiffe und zwar in → Ezjon-Geber, die wegen des Goldes nach Ophir fahren sollten, doch noch vor der Fahrt zerbrochen sein sollen (1Kön 22,49; 2Chr 20,37).

Ezjon-Geber liegt am Roten Meer, was mit einer Lokalisierung von Tarsis im westlichen Mittelmeerraum nicht vereinbar ist. So sprechen sich J. Montenegro und A. del Castillo für eine Lokalisierung Tarsis’ „close to the Red Sea and at most on the shores of the Indian Ocean“ (Montenegro / del Castillo, 244) aus. „Tarsis-Schiff“ dürfte aber eher einen bestimmten Schiffstyp bezeichnen, den man auch für neue Handelsrouten einsetzen wollte.

In Ps 48,8 wird mit dem Ausdruck „Tarsis-Schiffe“ auf die Hochseetüchtigkeit und Widerstandsfähigkeit von Schiffen angespielt, die jedoch mit dem Oststurm von JHWH zerschmettert werden. Bei → Jesaja sind der Ort Tarsis sowie die Tarsis-Schiffe im Rahmen der Unheilsankündigungen für → Tyros negativ konnotiert (Jes 23,1.10.14). Sie sind bei ihm der „Inbegriff menschlicher Überheblichkeit“ (Lipinski, 781), über die der → Tag JHWHs kommen wird (Jes 2,16).

4. Tarsis als Edelstein

An sieben Stellen im Alten Testament ist mit „Tarsis“ ein → Edelstein gemeint (Ex 28,20; Ex 39,13; Hhld 5,14; Ez 1,16; Ez 10,9; Ez 28,13; Dan 10,6). Man kann vermuten, dass ein aus Tarsis eingeführter Edelstein nach seinem Herkunftsort benannt wurde (vgl. Lipinski, 779f.). Die → Septuaginta übersetzt den Edelstein „Tarsis“ nicht einheitlich: Θαρσις tharsis (Ez 1,16; Hhld 5,14; Dan 10,6); ἄνθραξ anthrax (Ez 10,9; Ez 28,13); χρυσόλιθος xhrysolithos (Ex 28,20; Ex 39,13). Die Vulgata übersetzt meist mit chrysolithus, in Hhld 5,14 jedoch mit hyacinthus und in Ez 1,16 wird der Ausdruck umschrieben durch quasi visio maris „wie der Anblick des Meeres / der Meeresfarbe“. Mit dem sog. Chrysolith konnte ein (spanischer) Topas (gelblich), ein Beryll (mehrfarbig; auch gelb und grün) oder Chrysoberyll (grün-gelb) gemeint sein (vgl. Lipinski, 779; Baker, 331; Gesenius, 18. Aufl., 1460); er stellt in der modernen Mineralogie den Olivin dar, einen grünen bis gelblichen Stein (vgl. Lipinski, 779).

Als ältester Beleg ist wahrscheinlich Hhld 5,14 einzuschätzen (Lipinski, 779) – hier werden die Arme des Geliebten beschrieben, die mit Tarsis besetzt sind. Im → Ezechielbuch wird Tarsis verwendet, um das Aussehen der Räder des göttlichen Thronwagens, die an allen vier Seiten der Keruben positioniert sind, zu verbildlichen (Ez 1,16; Ez 10,9). Im → Exodusbuch ist Tarsis einer der zwölf aufgezählten Edelsteine, die die Brusttasche des hohepriesterlichen Gewandes verzieren (Ex 28,20; Ex 39,13). In Aufnahme der Thronwagen- und Keruben-Tradition bei Ezechiel erscheint Tarsis im → Danielbuch als Beschreibungsmerkmal des Leibes der numinosen, überirdischen Gestalt, die Daniel eine göttliche Offenbarung vermitteln will (Dan 10,6).

5. Tarsis als Personenname

Als Personenname ist Tarsis an vier Stellen im Alten Testament belegt (Gen 10,4; 1Chr 1,7; 1Chr 7,10; Est 1,14). In allen Fällen geht es um Männer. In Gen 10,4 ist Tarsis einer der Söhne → Jawans (vgl. 1Chr 1,7) und in 1Chr 7,10 ein Sohn Bilhans (Stamm Benjamin). Est 1,14 belegt den Namen für einen der sieben Fürsten (Berater des persischen Königs Artaxerxes) von Persien und Medien.

Literaturverzeichnis

1. Lexikonartikel

  • Encyclopaedia Judaica, Jerusalem 1971-1996
  • Theologisches Wörterbuch zum Alten Testament, Stuttgart u.a. 1973-2015
  • The Anchor Bible Dictionary, New York 1992
  • Jerusalemer Bibellexikon, Neuhausen-Stuttgart 1998
  • Calwer Bibellexikon, Stuttgart 2003
  • Herders Neues Bibellexikon, Freiburg 2009

2. Weitere Literatur

  • Bordreuil, P. / Israel, F. / Pardee, D., 1998, King’s Command and Widow’s Plea: Two New Hebrew Ostraca of the Biblical Period, Near Eastern Archaeology 61/1, 2-13.
  • Borger, R., Die Inschriften Asarhaddons Königs von Assyrien (Archiv für Orientforschung, Beiheft 9), Osnabrück 1967.
  • Görg, M., Ophir, Tarschisch und Atlantis. Einige Gedanken zur symbolischen Topographie, Biblische Notizen 15 (1981), 76-86.
  • Koch, M., Tarschisch und Hispanien. Historisch-geographische und namenkundliche Untersuchungen zur phönikischen Kolonisation der iberischen Halbinsel (Madrider Forschungen 14), Berlin 1984.
  • Montenegro, J. / del Castillo, A., The Location of Tarshish: Critical Considerations, Revue Biblique 123 (2016), 239-268.
  • Schipper, B.U., Israel und Ägypten in der Königszeit. Die kulturellen Kontakte von Salomo bis zum Fall Jerusalems (Orbis Biblicus et Orientalis 170), Freiburg (Schweiz) / Göttingen 1999.

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