Deutsche Bibelgesellschaft

(erstellt: November 2013)

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Tattenai war ein hoher persischer Beamter, der zur Zeit → Darius’ I. (522-486 v. Chr.) über das Gebiet im Westen des persischen Reichs regierte, zu dem auch Jerusalem gehörte.

1. Name

Der Name Tattenai (aramäisch תַּתְּנַי Tattənai) ist wohl eine Kurzform des akkadischen Namen Nabû-tattannu-uṣur, der „Nabu schütze den, den du gegeben hast“ bedeutet. Die → Septuaginta gibt den Namen mit Θανθαναι wieder.

2. Das biblische Bild von Tattenai

Tattenai tritt als Figur in der aramäischen Erzählung des Esra-Buches (Esr 4,8-6,18) auf (Esr 5,3.6; Esr 6,6.13 = 3Esr 6,3.7.27; 7,1; → Esra-Nehemia-Buch). Er wird dort durchgängig und mit stereotyper Formulierung als Amtsträger (פֶּחָה pæḥāh) der persischen Provinz → „Transeuphratene“ (עֲבַר־נַהֲרָה „Jenseits des Stromes“) ausgewiesen. Als Anführer einer persischen Delegation soll er die Legitimität des Neubaus des Jerusalemer Tempels überprüfen und alle Beteiligten am Wiederaufbau ermitteln. Unter Bezugnahme auf das zuvor ergangene Kyros-Edikt (Esr 6,3-5; → Kyros) soll er von Darius I. dann die Anweisung erhalten haben, den Bau des Tempels zuzulassen und sogar finanziell zu unterstützen, allerdings aus der Kasse des Provinzbeamten (Esr 6,1ff.). Außerdem stellt Darius den Tempel unter staatlichen Schutz. Feindseligkeiten gegen die Baumaßnahmen werden als Angriff gegen den Willen des Großkönigs angesehen und geahndet.

Auffallend ist die wohlwollende Haltung des persischen Repräsentanten gegenüber der Jerusalemer Kultgemeinde. Da der Besuch des Tattenai in den ersten Jahren des Darius I. (Regierungszeit 522/21-486 v. Chr.) situiert wird (vgl. Esr 4,24), ergibt sich ein ähnliches Bild wie beim Kyros-Edikt in Esr 1,1ff.: So wie im „ersten Jahr des Kyros“ die Heimkehr der Exulanten auf königlichen Befehl erfolgen soll, so soll auch „In den ersten Jahren des Darius“ der Wiederaufbau erfolgen: Rückkehr aus dem → Exil und Wiederaufbau des Tempels werden innerhalb des narrativen Duktus des Esra-Nehemia-Buchs quasi zur „Chefsache“ erklärt – eine Bedeutung die der eher abseitig gelegenen Provinz → Jehud historisch sicher nicht zukam.

Mit der Notiz über Tattenais anschließende Akzeptanz und weisungsgemäße Umsetzung der Anordnungen beschließt die Tattenai-Delegation ihre Arbeit (Esr 6,13). Der Tempelbau ist von königlichen Gnaden legitimiert.

3. Zur historischen Person

Mittlerweile identifiziert die Forschung den biblischen Tattenai einmütig mit einer aus babylonischen Rechtsdokumenten bekannten Person namens „Tattanu“. Im Blick auf seine genaue Amtsbezeichnung, seine Regierungszeiten und sein Einflussgebiet herrscht jedoch weithin Unklarheit, was zu vielen Hypothesenbildungen führte. Die historischen Probleme sollen zuerst behandelt werden, da sie in entscheidendem Maße die Identifizierung der historischen Person in der Forschung mitbestimmen.

3.1. Tattenais Funktion als persischer Amtsträger: פֶּחָה

Tattenai ist im Alten Testament bei jeder Erwähnung mit dem Titel פֶּחָה pæḥāh versehen, der ihn zunächst unspezifisch als Statthalter oder Gouverneur ausweist. Seine genaue Amtsfunktion ist in der Forschung sehr umstritten (zum Bedeutungsspektrum von פֶּחָה pæḥāh s. Fleishman 1995, 82; Hieke 2005, 110). Der regelmäßige Verweis auf sein Amtsgebiet „Jenseits des Stromes“ (Transeuphratene) könnte auf jeden Fall zeigen, dass er eine höhere Position innerhalb der persischen Beamtenschaft innehatte. Zumeist wird er in der Forschung daher als Satrap oder Unter-Satrap bezeichnet (→ Provinz).

3.2. Tattenais Verwaltungsgebiet: „Transeuphratene“

Da Tattenais regelmäßig als „Gouverneur von Transeuphratene“ bezeichnet wird, wurde häufig vermutet, dass es sich bei der Bezeichnung um einen offiziellen Amtstitel handelt und der Amtsträger die auch außerbiblisch belegte, persische Satrapie „Transeuphratene“ regiert. Mit dieser Annahme sind allerdings einige Unsicherheiten und Probleme verbunden:

1. Gut belegt ist für die Anfangsjahre der Regierungszeit des Darius, in der Tattenai agiert haben soll, lediglich die Großsatrapie „Babylonien und Transeuphratene“. Nun wurde in der Forschung häufig darauf verwiesen, dass im Zuge der Verwaltungsrefrom von Darius I. die Großsatrapie in eine Westregion und Teilsatrapie „Transeuphratene“ und die Ostregion „Babylonien“ geteilt wurde und fortan Eigenständigkeit besaßen. Tattenai sei mit der Teilung zum Satrapen der jetzt selbstständigen Satrapie „Transeuphratene“ ernannt worden (so der Vorschlag bei Fensham 1992, 80; ähnlich auch Fleishman 1995, 82). Allerdings blieb die Großsatrapie „Babylonien und Transeuphratene“ auch unter Darius I. zunächst erhalten (entgegen der Darstellung bei Herodot, Historien III, 89-94; Text gr. und lat. Autoren), und wurde eventuell erst unter dessen Nachfolger Xerxes I. (oder noch später) geteilt. Die Großsatrapie bestand jedenfalls nachweislich noch bis 486 v. Chr. (Stolper 1989, 283-305, bes. 288f; eine Übersicht bekannter Gouverneure von „Babylonien und Transeuphratene“ in der Liste auf S. 290).

2. Häufig wird daher auch angenommen, dass es sich bei der Gebietsangabe im Esra-Nehemia-Buch um eine (hypothetisch erschlossene) Untersatrapie der Großsatrapie gehandelt hat (etwa Berlejung 2006, 146; Williamson 1985, 76). Zwar sind zwei Gouverneure von einem Gebiet namens „Transeuphratene“ belegt (ein „Tattanu“ [s.u. 3.3.2.] um 502 v. Chr. und ein Belschunu um 407-401 v. Chr.; Stolper 1989, 290), doch ob es sich hierbei um eine Untersatrapie gehandelt hat, bleibt fraglich.

3. Das Problem wird dadurch verschärft, dass der Begriff „Satrapie“, der eine Verwaltungseinheit beschreibt, in den altpersischen Quellen (die Länderlisten altpersischer Königsinschriften, sowie die Nomoi- und Herreslisten Herodots) nicht vorkommt (→ Provinz). Zwar findet sich in den altpersischen Belegen auch das Wort für „Satrap“, doch werden die in den Texten aufgezählten Bereiche als „Länder“ bezeichnet und eben nicht als „Satrapie“ (Klinkott, Die Satrapienregister 2000, bes. 11-15). Im Unterschied zu den makedonischen Satrapienregistern, bei denen es sich um amtliche Register handelt, die auch die entsprechende Terminologie bieten, sind jene Quellen keine amtlichen und eindeutigen Verzeichnisse. Zwar lassen sich in den altpersischen Inschriften und Listen regelmäßig auch Gebietsbezeichnungen finden, deren Namen für spätere Satrapien belegt sind, doch konnte mittlerweile gezeigt werden, dass diese Listen keine präzisen Beschreibungen von Verwaltungsbereichen darstellen. Vielmehr wird „die Reichsgröße […] durch Länder- und Völkernamen umrissen“ (Klinkott, Die Satrapienregister, 11). Die genaue, amtliche Funktion Tattenais anhand einer Gebietsangabe kann daher nicht ohne weiteres erschlossen werden.

4. Mitunter muss der theologischen Perspektive des biblischen Textes bei der Erwähnung der Region „Transeuphratene“ Rechnung getragen werden, bevor auf historische Realitäten rückgeschlossen werden kann. Zum einen begenet die Wendung in Jos 24,2.3.14.15 und ist dort eindeutig negativ konnotiert. Positiv wird allerdings von König → Salomo berichtet, dass er über das ganze Gebiet „Transeuphratene“, „von Tifsach bis Gaza, über alle Könige diesseits des Stroms; und er hatte Frieden von allen Seiten ringsumher“ herrschte. Dies dürfte nie den historischen Tatsachen entsprochen haben, jedoch ähnelt der Text stark Esr 4,20, der die Gebietsbezeichnung „Transeuphratene“ deutlich theologisch-ideologisch auflädt: „Und mächtige [nämlich: judäische] Könige hat es zu Jerusalem gegeben; die haben über Transeuphratene geherrscht.“ Die persischen Könige werden als Protektoren der Jerusalemer Kultgemeinde stilisiert, die die Einführung und Geltung der Tora in „Transeuphratene“ garantieren wollen (vgl. Esr 7,25). Kyros und Darius gewährleisten per Dekret Rückkehr aus dem Exil und Wiederaufbau des Tempels. Tattenai setzt diese königlichen Anweisungen als offizieller Beamter für eben dieses Gebiet „Jenseits des Stromes“ in die Tat um (s.o. 2.). Auch die im späteren Handlungsverlauf offiziell erfolgende Einführung der Tora zeigt: Im Rahmen der ideologischen Konstruktion des Esra-Nehemia-Buchs wird das Gebiet „Jenseits des Stromes“ auf Geheiß der Perserkönige faktisch vom jüdischen Religionsgesetz regiert. „Transeuphratene“ ist selbst Teil und Symbol dieser neuen Weltordnung, in der die Herrschaft der Weltmacht vom Gottesgesetz abgelöst wird.

3.3. Zur Identifizierung Tattenais

3.3.1. Der Satrap Uschtani (521-516 v. Chr.)

1897 schlug Meissner vor, dass Tattenai (תַּתְּנַי) mit dem für die anfängliche Regierungszeit Darius I. belegten Satrapen Uschtani (griechisch: Hystanes, wohl 521-516 v. Chr.) zu identifizieren sei (die keilschriftlichen Belege bei Olmstead 1944, 46; Galling 1954, 18-22; Stolper 1989, 283-305, mit einer Übersicht aller bekannter Gouverneure von „Babylonien und Transeuphratene“ in der Liste auf S. 290). Diese Zuschreibung hatte den Vorteil, dass sie die biblischen Zeitrahmen (zu Beginn der Herschaft Darius’ I., Esr 4,24) bestätigte. Meissner nahm an, dass der Satrapenname ושׁתני wštnj zu תתני ttnj verschrieben und so der falsche Name in die biblische Überleiferung eingedrungen sei (Meissner 1897, 191f.). Diese Identifizierung wurde in der Forschung zunächst weitgehend übernommen (etwa Marti 1925, 98; Meyer 1901, 50), wenn auch nicht gänzlich ohne Skepsis (s. etwa Olmstead 1931, 569).

Mittlerweile wird diese Meinung in der Forschung verworfen. Schon 1935 wandte Leuze gegen Meissners These ein, dass es sich bei Uschtani um einen inschriftlich gut belegten Gouverneur der Doppel-Provinz „Babylon und Transeuphratene“ handle, und der biblische Tattenai nur als Amtsträger von „Transeuphratene“ ausgewiesen sei (Leuze 1935, 192-195). Tattenai und Uschtani wurden in der Folge nicht mehr miteinander identifiziert.

3.3.2. Tattannu

Bereits 1923 schlug Walther Schwenzner vor, „Tattenai“ mit einer Person namens Nabû-tattannu-uṣur („Nabu schütze den, den du gegeben hast“) zu identifizieren (Schwenzner 1923, 246), die in einem 1907 erstmals publizierten babylonischen Rechtstext erwähnt wird. Der Text, der um 502 datiert wird, erwähnt als Zeugen einen Diener von „Nabû-tattannu-uṣur, dem Gouverneur von Transeuphratene“ (die Erstveröffentlichung des Dokuments in vorderasiatische Schriftdenkmäler der königlichen Museen zu Berlin, IV, 1907, 152, Zeile 25 = San Nicolò / Ungnad 1935, Nr. 327). Tattenai könnte eine Kurzform dieses babylonischen Namens („Tattannu“) sein. Olmstead leistete später (unabhängig von Schwenzner) dieselbe Identifizierung (Olmstead 1944, 46).

Inzwischen ist der Name Tattannu aus annähernd hundert babylonischen Rechts- und Wirtschaftstexten belegt (weitere Belege u.a. bei Eilers 1940, 35f.121) – allerdings nur im oben erwähnten Textdokument mit der Amtsbezeichnung der Person als Gouverneur. In den letzten Jahren konnte auch herausgearbeitet werden, dass hier noch differenziert werden muss: bei den zahlreichen Tattanu-Belegen handelt es sich nicht um eine einzige Person – entgegen der früheren Vermutung Ungnads, der aufgrund des Personennamens dem „Tattanu-Archiv“ seinen Namen gab (hierzu Jursa / Stolper 2007; van Driel 1987, 159-181). Mindestens zwei Personen mit diesem Namen (aus derselben Familie) können in unterschiedlichen Generationen identifiziert werden (Tattanu I. soll in der Regierungszeit des Darius agiert haben, Tattanu II. dagegen um 458-433 v. Chr.; vgl. Jursa / Stolper 2007, 249).

3.4. Fazit

Die Identifizierung mit Tattanu (I.) hat sich heute weitestgehend durchgesetzt. Da Tattanu in dem babylonischen Rechtstext als Gouverneur nur über die Teilprovinz „Transeuphratene“ regiert, lassen sich in der Forschung im Wesentlichen zwei Varianten unterscheiden, wie dieser Befund mit dem biblischen in Verbindung zu bringen ist:

1. Zum einen wird vermutet, dass Tattenai bei der angenommenen Verwaltungsreform des Darius 502 v. Chr. diese Teilprovinz zugesprochen bekam und fortan als Satrap verwaltete – die Deutung der Formulierung „Gouverneur von Transeuphratene“ im Esrabuch als „Satrap von Transeuphratene“ würde somit bestätigt. Zeitlich müssten Tattenais Aktivitäten entgegen dem alttestamentlichen Befund dann allerdings 20. Jahre nach Darius’ Regierungsantritt verortet werden.

2. Es wird angenommen, dass Tattenai als Unter-Gouverneur / Unter-Satrap dem Gouverneur / Satrapen Uschtani der Doppel-Provinz „Babylonien und Transeuphratenen“ untergeordnet gewesen ist (zur Problematik der Satrapieneinteilung und der Bezeichnung „Transeuphratene“ s.o. 3.2.). Dann kann der biblische Zeitrahmen beibehalten werden. Es bleiben jedoch die Vorbehalte gegen die zeitliche Verortung wegen der deutlich theologischen Konnotation (s.o. 3.2.).

Literaturverzeichnis

1. Lexikonartikel

  • Neues Bibel-Lexikon, Zürich u.a. 1991-2001
  • The Anchor Bible Dictionary, New York 1992
  • Calwer Bibellexikon, Stuttgart 2003
  • Encyclopaedia Judaica. Second Edition, Jerusalem 2007

2. Weitere Literatur

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  • Fensham, F.C., 1992, The Books of Ezra and Nehemiah, Grand Rapids.
  • Fleishman, J., 1995, The Investigating Commission of Tattenai: The Purpose of the Investigation and its Results, Hebrew Union College Annual 66, 81-102.
  • Galling, K., 1954, Von Nabonaid zu Darius, ZDPV 70, 18-22.
  • Berlejung, A., 2006, Geschichte und Religionsgeschichte des antiken Israel, in: J.Chr. Gertz (Hg.), Grundinformation Altes Testament. Eine Einführung in Literatur, Religion und Geschichte des Alten Testaments. In Zusammenarbeit mit Angelika Berlejung, Konrad Schmid und Markus Witte (UTB 2745), Stuttgart u.a.
  • Hieke, Th., 2005, Die Bücher Esra und Nehemia (NSK-AT 9/2), Stuttgart.
  • Jursa, M. / Stolper, M.W., 2007, From the Tattanu Archive Fragment. In: Wiener Zeitschrift für die Kunde des Morgenlandes 97 (FS H. Hunger), 243-281.
  • Klinkott, H., 2000, Die Satrapienregister der Alexander- und Diadochenzeit, Stuttgart.
  • Leuze, O., 1935, Die Satrapieneinteilung in Syrien und im Zweistromlande von 520-320, Halle.
  • Marti, K., 1925, Kurzgefasste Grammatikder biblisch-aramäischen Sprache, 3. Auflage, Berlin.
  • Meissner, B., 1897, tattenay, ZAW 17, 191-192.
  • Meyer, E., 1901, Geschichte des Altertums, Bd. III, Dresden.
  • Olmstead, A.T., 1931, History of Palestine and Syria to the Macedonian Conquest, New York / London.
  • Olmstead, A.T., 1944, Tattenai, Governor of „Across the River“, Journal of Near Eastern Studies 3, 46.
  • San Nicolò, M. / Ungnad, A., 1935, Neubabylonische Rechts- und Vertragsurkunden. Band I: Rechts- und Wirtschaftsurkunden der Berliner Museen aus vorhellenistischer Zeit, Berlin.
  • Schwenzner, W., 1923, Gobryas, Klio 18, 41-64.226-252.
  • Stolper, M.W., 1989, The Governor of Babylon and Across-the-River in 486 B.C., Journal of Near Eastern Studies 48, 283-305.
  • Ungnad, A., 1959/60, Neubabylonische Privaturkunden aus der Sammlung Amherst, AfO 19, 74-82.
  • Ungnad, A., 1940/41, Keilinschriftliche Beiträge zum Buch Esra und Ester, ZAW 58, 240-244.
  • Van Driel, G., Continuity or Decay in the Late Achaemenid Period: Evidence from Southern Mesopotamia, Archaemenid History 1, 159-181.
  • Williamson, H.G.M., 1985, Ezra, Nehemiah (WBC 16), Waco.

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