Deutsche Bibelgesellschaft

(erstellt: April 2020)

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1. Lage

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Tell Halaf (arab. Tell Ḥalāf) wird mit der antiken Stadt Guzana identifiziert (akkadisch: Gūzāna; hebräisch / aramäisch גּוֹזָן Gôzān „Gosan“). Der Tell befindet sich in Nordost-Syrien in der Landschaft al-Ǧazīra, die sich zwischen → Euphrat und → Tigris erstreckt (Koordinaten: N 36° 49' 36'', E 40° 02' 23''). Er liegt direkt an der Grenze zur Türkei, etwa 4 km südwestlich von Rās el-‛Ēn, am Südufer des Wādī el Ǧirǧib, einem Quellfluss des Chabur. Die Ausgrabungen des Tells förderten wichtige Quellen für die Geschichte Obermesopotamiens und die Kultur der → Aramäer zutage.

Tell Halaf 02
Guzana war die Hauptstadt des aramäischen Königreichs Bit Bachiani, an das die Königreiche Huzirina im Westen und Gidara im Osten grenzten (Wittke u.a. 2012, 43). 3 km nordöstlich lag die Stadt Sikani (Tell Feḫerīje; Koordinaten: N 36° 50' 30'', E 40° 04' 12''). Die Lage Guzanas war von strategischer Bedeutung, da sich die Stadt am Königsweg (harran šarri) befand, der das Kernland Assyriens mit Nord-Syrien und dem Mittelmeer verband. Das Gebiet war fruchtbar und für die Landwirtschaft geeignet.

2. Ausgrabungen

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1899 entdeckte Max Freiherr von Oppenheim (1860-1946), Sohn eines Kölner Bankiers und später in diplomatischen Diensten, auf dem Tell Halaf erste monumentale Skulpturen. Daraufhin organisierte und leitete er Ausgrabungen von 1911-1913 und nach dem Ersten Weltkrieg wieder im Jahre 1929. Die wichtigsten auf dem Tell gefundenen Monumentalskulpturen stammen aus diesen Ausgrabungen. Eine Reise 1939 war ohne Erfolg. Die Monumente wurden im Museum von Aleppo und in Deutschland im Tell-Halaf-Museum in Berlin-Charlottenburg untergebracht. Allerdings wurde das Tell-Halaf-Museum im November 1943 bei einem Brandbombenangriff zerstört. Die 27000 Bruchstücke, die lange Zeit im Pergamonmuseum lagen, wurden von 2002-2009 restauriert und wieder ausgestellt. Während des Kriegs in Syrien wurde das Aleppo Museum 2016 angegriffen, aber im Oktober 2018 wiedereröffnet.

Erst 77 Jahre nach den Grabungen durch von Oppenheim wurden die Ausgrabungen 2006-2010 in einem syrisch-deutsch-schweizerischen Gemeinschaftsprojekt fortgesetzt. Ergebnisse dieser neueren Ausgrabungen zeigen, dass der West-Palast aus dem 10. Jh. v. Chr. nicht (wie bislang behauptet) auf einem früheren Gebäude (sog. „Altbau“) steht, sondern auf neuen, massiven Fundamenten erbaut wurde (Martin 2018, 389; Younger 2018, 507). Ob die kleinen Orthostaten von König Kapara oder von einem seiner Nachfolger neu geschaffen wurden, bleibt unklar.

Der Nord-Palast stammt nicht von Kapara. Bei ihm handelt es sich vielmehr um die Residenz eines späteren Statthalters (Martin 2018, 390). Dass auch die Unterstadt bewohnt war, belegen Schriftdokumente aus einem dortigen Wohnhaus (Martin 2018, 391). Aus den neuen Ausgrabungen (Baghdo u.a. 2009, 2012) stammen Rollsiegel (z.B. aus dem südlichen Anbau des Nordost-Palastes: Elsen-Novák in Baghdo u.a. 2012) und Fragmente von Orthostaten (Baghdo u.a. 2012; Cholidis / Martin 2010, 126).

3. Geschichte

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Die Besiedlung des Tell Halaf beginnt im späten Neolithikum und frühen Chalcolithikum (6000-5300 und 5300-3000 v. Chr.) (Schmidt 1943). Typisch für die neolithischen Funde ist eine feine Keramik mit schwarzer Bemalung auf rötlichem Grund (geometrische Muster, stilisierte Tiere und Menschen), die sich auch an anderen Orten findet („Halaf-Kultur“; 6000-5300 v. Chr.).

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Aus assyrischen Quellen vom Anfang des 1. Jt.s v. Chr. ergibt sich, dass die aramäische Dynastie Bit Bachiana eine Stadt auf dem Tell gründete. Der bekannte Herrscher Kapara erbaute den West-Palast in Hilani-Form (→ Palast). Er wird in keiner datierbaren schriftlichen assyrischen Quelle erwähnt, regierte aber wahrscheinlich um 935 v. Chr. Unter dem assyrischen König Adad-Nerari II. (911-891 v. Chr.) wurde Gozan eine assyrische Provinz, die von einer einheimischen Dynastie regiert wurde. Im 9. Jh. v. Chr. war nach der akkadisch-aramäischen → Bilingue auf einer Statue von Tell Feḫerīje Adad-it’ī (Hadd-yisī) Gouverneur (šakin) oder König (mlk) von Gozan. Ab der Zeit Adad-Neraris III. (810-783 v. Chr.) war die Stadt permanent unter assyrischer Verwaltung. Zu den Gouverneuren gehörte Mannu-ki-mat-Assur, der im Nordost-Palast residierte. Nach ihm wird heute ein Archiv benannt, das auf der Zitadelle gefunden wurde.

4. Materielle Kultur und Bilder

4.1. Architektur

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Der eisenzeitliche Tell ist nahezu rechteckig und besteht aus einer 20 m hohen Akropolis (oder Burg / Zitadelle ca. 6 ha.) und einer Unterstadt (ca. 60 ha.). Die Bauwerke wurden in Naumann 1950 publiziert. Umgeben war die Stadt von einer Mauer mit Türmen, doch ist von diesen nicht viel erhalten. Das Südtor führte in die Unterstadt, wo auch die reiche Elite wohnte. Unmittelbar östlich des Südtors befand sich ein sog. Kultraum. Ein Tempel stand westlich der Zitadelle. Auf diese führte ein Weg durch das Südburgtor, neben dem sich eine Gruft befand. Nördlich dieses Tors lag der West-Palast, der wegen der anscheinend kultischen Funktion mancher Räume auch als „Tempelpalast“ bezeichnet wird. Den Eingang der Anlage bildete das Skorpiontor. Eine Treppe führte zu einer 1,5 m höher gelegenen, U-förmigen Terrasse, die 600 m2 groß war. Das Zentrum des Tempelpalastes bildeten zwei lange Hallen. Der Zugang, eine Portikus von 6 m Höhe und 9 m Breite, hatte ein imposantes Aussehen. Südlich und nördlich des West-Palastes befanden sich Plätze, wobei der nördliche höher lag als der südliche. Östlich des West-Palastes und südlich des Nordost-Palastes wurde ein „Lehmziegelmassiv“ gefunden, bei dem es sich vielleicht um eine Totenkultstätte handelt.

4.2. Bildliche Darstellungen

Zeugnisse der Bildkunst in Guzana sind vor allem Statuen und Orthostatenreliefs aus dunkelgrauem Basalt, viele mit Augen aus weißem Kalkstein, vgl. Moortgat 1955 (woran sich die im Folgenden verwendete Nummerierung orientiert); auch Orthmann (2002); Cholidis / Martin (2010) (mit neuen Katalognummern).

Tell Halaf Band III (Moortgat 1955) Nummer: A, 1-2 Grabfiguren (Lehmziegelmassiv), A3, 1-178 Kleine Orthostaten; Ba, 1-7 Große Orthostaten; Bb, 1-8 Leibungsskulpturen; Bc, 1-6 Große Trägerfiguren Hilani-Eingang; Bd, 1-4 Weitere Bildwerke; C, 1-2 Bildwerk aus dem sogenannten Kultraum; D, 1-9 Verschiedenes aus aramäischer Zeit; E, 1-2 Assyrische Fragmente.

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Sehr berühmt sind die drei, fast 3 m hohen Monumentalskulpturen vom Eingang des West-Palastes, deren Repliken heute den Eingang des Museums von Aleppo bestimmen. Die mittlere zeigt einen Mann, der auf einem Stier steht, die beiden seitlichen einen Mann bzw. eine Frau, die auf einem Löwen stehen (Bc, 1-6). Die imposante, vielfach abgedruckte Rekonstruktion von Oppenheims (von Oppenheim 1931: Titelbild; Younger 2018: Fig. 7) ist allerdings eine Idealisierung, die nicht den Funden entspricht, da die Zapfen und Plinthen von Figuren und Tragtieren nicht genau zusammenpassen (Cholidis / Martin 2010, 346-354; Martin 2018, 388). Zudem ist zweifelhaft, ob die Figuren göttliche Wesen bzw. Gottheiten darstellen oder königliche, vergöttlichte Ahnen (Gilibert 2013). Eher handelt es sich um Bilder vergöttlichter Ahnen bzw. Herrscher. Ob die Formulierung der an den Skulpturen angebrachten Inschrift (s.u. 5.) „Ich Kapara“ das Bild mit dem König identifiziert, ist nicht sicher. Die Statue von Tell Feḫerīje (Abb. 5), die zeigt, wie ein aramäischer Herrscher dargestellt wurde, weist nämlich deutliche Unterschiede auf.

Die Krieger im Jagd- bzw. Streitwagen auf den Orthostatenreliefs (A3, 2-33, 56-59) haben keine eindeutig königlichen Attribute, nur bei der Darstellung eines Mannes, der eine Blüte in der Hand hält und auf einem Thron links neben einer Flügelsonne, einem wichtigen Königssymbol, sitzt (A3, 171), dürfte es sich um einen König handeln.

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Flankiert werden die Statuen von zwei großen Sphingen (Bb, 1-2). Daneben zeigen 1,5 m hohe und 2,2 m breite Orthostatenreliefs (von links nach rechts betrachtet) in der linken Hälfte der Eingangsnische des West-Palastes einen Bogenjäger mit einem Hirsch, eine Flügelsonne mit Stiermenschen und einen Löwen, in der rechten Hälfte einen Löwen, en face einen Gott (an der Hörnerkrone als solcher zu erkennen, angesichts von Keule und Wurfholz möglicherweise ein Wettergott), einen Bogenjäger mit einem Stier (Ba, 1-6). Hinter den großen Orthostatenreliefs im Inneren des Palastes (Orthmann 2002, 102) befanden sich links und rechts Orthostaten mit Sphingen, Löwengreifstatuen und zwei Orthostaten, die nur die Unterteile von Flügelwesen zeigen (Bb, 3-8).

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Schwer zu deuten ist die 1,84 m hohe Darstellung eines Vogels (Bd, 1) mit abstehenden Augen, der auf einem Blattkapitell steht. Die Skulptur befand sich auf der Terrasse vor der Fassade des West-Palastes. Von Oppenheim (1931, 118; vgl. Cholidis / Martin 2010, 243) betrachtete die Statue als „Riesensonnenvogel“, doch dürfte es sich eher um einen Greifvogel handelt, da sie den Darstellungen von Greifvögeln auf Reliefs vergleichbar ist (Bb, 3 und A3, 154-157; Cholidis / Martin 2010, 126).

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Eine große Grabfigur aus dem „Lehmziegelmassiv“ zeigt eine thronende Frau mit langen, zur Brust fallenden Zöpfen. Nur das Gesicht mit seinen Grübchen und die seitlichen Lockenpartien sind fein herausgearbeitet. Der Körper hat dagegen die Form eines Blocks. Dadurch wirkt der Unterkörper wie ein Tisch, auf dem ein Becher – wohl ein Opferbecher – steht, den die Frau mit ihrer rechten Hand hält (A, 1). Die Füße ruhen auf einem Schemel. Die Frau, die in das Mauerwerkfundament eingebettet war, soll wohl eine Ahnin darstellen. Auf ihrem Schoß können wie auf einem Tisch Opfergaben abgestellt worden sein und auch der Becher mag dort, wie Parallelen aus Ebla und Qatna zeigen, für Opfergaben gestanden haben.

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Vergleichbar ist eine deutlich kleinere Skulptur, die eine Frau darstellt, deren Unterkörper ebenfalls so gestaltet sind, dass sie als Ablage dienen können (A, 2). Sie waren nach Osten, also zum Sonnenaufgang, ausgerichtet.

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Aus dem sog. „Kultraum“ stammen Statuen (C, 1-2). Ein sitzendes Paar wird als verstorbenes Königspaar gedeutet. Bei der Darstellung eines stehenden Mannes handelt es sich vermutlich nicht um das Bild eines Gottes, jedenfalls trägt der Mann keine Hörnerkrone, die ihn als Gott ausweisen würde. Eher soll ein König dargestellt sein, vielleicht Bachianu, der Gründer der Dynastie (vgl. Niehr 2014, 148).

Das Skorpiontor erhielt seinen Namen von zwei dort gefundenen großen Skulpturen, die beide ein Mischwesen darstellen: Sie haben menschliche Köpfe, Federn und Skorpionschwänze.

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Die Wände der Türme an der Südseite des West-Palastes waren oberhalb eines 0,5 m hohen Sockels aus Lehmziegeln mit Relieforthostaten ausgestattet, die durchschnittlich 67 cm hoch und 45 cm breit sind. Zwei von ihnen waren über 1 m breit (A3, 171 und 174). Die ursprüngliche Zahl dieser Relieforthostaten könnte sich auf über 200 belaufen haben (Cholidis / Martin 2010, 136), ca. 120 sind erhalten. Die These, dass diese Orthostaten aus älteren Gebäuden stammen und hier wiederverwendet wurden, ist inzwischen verworfen worden (Cholidis / Martin 2010, 146), auch wenn es Anzeichen für eine Wiederverwendung gibt. Sie sind so aufgestellt, dass sich Reliefs aus dunkelgrauem Basalt und hellem, rötlich gestrichenem Kalkstein abwechseln.

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Die Reliefs zeigen ohne klare Anordnung sehr verschiedene Motive: Krieger (→ Aramäer Abb. 2), Jäger, Pflanzen und viele verschiedene Tiere (Löwe → Aramäer Abb. 4, Kamel, Elefant, Hirsch, Wildschwein usw., selbst eine „Tierkapelle“ A3, 174-175), schließlich auch Mischwesen (Stiermänner, Flügelwesen).

Ein Relief bietet die frontale Darstellung eines Gottes (A3, 1) mit → Hörnern auf dem Kopf und Waffen in den Händen. Auf der Brust befindet sich eine Inschrift: „Tempel des Wettergottes“. Wo das Relief ursprünglich aufgestellt war, etwa in einem nicht erhaltenen Tempel, ist nicht bekannt.

An Kleinfunden (Hrouda 1962) gibt es vom Tell Halaf z.B. Figürchen aus Metall, Stein, Elfenbein und Ton, Rollsiegel und Stempelsiegel, an Schmuck Halsketten, Ringe und Kleiderbesatz, ferner Geräte und Waffen, Lampen und Gefäße.

Die bildlichen Darstellungen von Tell Halaf werden z.B. von Tubb (2016, 134) als „etwas naiv” charakterisiert, sollten aber in ihrer Einzigartigkeit wahrgenommen werden. Sie belegen in einer eigenständigen lokalen Ausprägung eine Mischung sehr verschiedener Kulturen: Hethiter, Mitanni, Assyrien und Levante.

Als Beispiel für die Bildkunst vom Tell Halaf darf auch die oben erwähnte, 2 m hohe Statue vom Tell Feḫerīje (Abb. 5) herangezogen werden. Sie zeigt einen lokalen Fürsten bzw. Statthalter in assyrischem Stil mit den Händen im Gebetsgestus, mit gewelltem Haar und Bart, kurzärmeliger Tunika und Sandalen mit Riemen, jedoch ohne Krone, Abzeichen und Schmuck.

5. Inschriften

Auf dem Tell Halaf wurden akkadische und aramäische Texte gefunden. An den großen Statuen im Eingangsbereich des West-Palastes befinden sich mehrere Inschriften in akkadischer Sprache (Meißner 1933), wie z.B.: „Ich bin Kapara, der Sohn des Chadianu. Was mein Vater und mein Großvater, nicht taten, habe ich getan. Wer meinen Namen tilgt und seinen Namen hinsetzt ....“ (Schwemer 2001, 616).

Auf dem großen Orthostaten und auf Reliefs findet sich die Inschrift „Palast des Kapara, des Sohnes des Chadinau.“ Auf 174 der kleinen Orthostaten finden sich acht verschiedene akkadische Inschriften, von denen zwei Texte sehr häufig vorkommen: „Tempel des Wettergottes“ und „Palast des Kapara, der Sohnes des Chadinau“ (Cholidis / Martin 2010, 183-195).

Eine kopflose Statue zeigt den Schreiber Kammaki mit einem Becher in der Hand und eine akkadische Inschrift (Röllig 2003). Auf einem Sockel befindet sich eine nicht gut lesbare aramäische Inschrift (vielleicht: „Das ist das Bild …“). Weiter gibt es Tontafeln: zwei aramäische Dockets (Martin 2018, Abb. 10; 2010 gefunden), vor allem aber das Archiv des Statthalters Mannu-ki-mat-Assur. An der Statue von Tell Feḫerīje (Abb. 5) findet sich eine → Bilingue: die Vorderseite bietet den akkadischen Keilschrifttext, die Rückseite die aramäische Fassung, die wahrscheinlich den ältesten bekannten aramäischen Text darstellt (vgl. Gzella, 63; → Aramäisch; TUAT III, 634-637).

6. Religion und Kult

Wie es keine einheitliche aramäische Bildwelt gab, so gab es auch keine alle aramäischen Staaten verbindende Religion (Niehr 2014, 127). Mythen sind uns nicht überliefert. Inschriften auf den Monumenten nennen → Adad / Hadad, den Wetter- und Kriegsgott, der der Hauptgott des aramäischen Pantheons war, sowie die Liebesgöttin Ischtar aus Assyrien. Der Schreiber Kammaki erwähnt den Unterweltsgott Enmescharra.

a) → Adad dürfte in Guzana von zentraler Bedeutung gewesen sein. In einem Rechtsstreit geht es um Viehlieferungen an den Adad-Tempel. Der assyrische König befiehlt dem Statthalter Mannu-ki-mat-Assur Felderriten für Adad durchzuführen:

“Du (und) die Leute deines Landes, weint drei Tage lang vor Adad Tränen des Angesichts! Betet! Reinigt euer Land (und) eure Flur! Verbrennt Brandopfer! Man soll den Reinigungsritus dort, wo dein Feind ist, durchführen! Erfüllt den Wunsch des Adad! Am ersten Tag soll man es durchführen.” (Schwemer 2001, 616-617).

Ikonographisch ist der Wettergott von dem schon erwähnten Orthostaten bekannt (Abb. 14). Er erscheint en face mit Hörnerkrone und Waffen. Inschriften nennen den „Tempel des Wettergottes“. Wo sich dieser Tempel befand, ist unklar; vielleicht in Guzana selbst oder im nahen Sikani (Tell Feḫerīje). Die dort gefundene Statue war vor dem Wettergott Hadad aufgestellt und zeigt den Herrscher als Beter. Die Inschrift belegt die Vorstellung, dass der Wettergott in Guzana und Sikani wohnt und dass er als Herr des Chaburflusses galt. Zudem nennt sie die Göttin Schuwala und den Gott Nergal aus Assyrien. Die aramäische Fassung lautet:

1 Die Statue des Hadajisi, die er vor Hadad von Sikani, 2 dem Kanalinspektor des Himmels und der Erde, der Reichtum hinabschickt und der 3 allen Ländern 2 Weide 3 und Tränke 2 gibt und der 4 allen Göttern, seinen Brüdern, 3 Ruhe und Opfergaben gibt, 4 dem Kanalinspektor aller Flüsse, der 5 allen Ländern 4 Wohlstand verleiht, 5 dem barmherzigen Gott, zu dem es gut ist zu beten, der 6 in Sikani 5 wohnt, 6 dem großen Herrn .” (TUAT III, 636).

b) Der Sonnengott ist auf einem großen und einem kleinen Orthostaten im Bild der Flügelsonne dargestellt (Abb. 8).

c) Indizien für einen Ahnenkult gibt es in Grüften und Begräbnistempeln. Die Statue einer Frau mit Opferbecher (Abb. 10) ist wohl im Kontext des Ahnenkultes zu verstehen. Bei dem „Lehmziegelmassiv“, in dem sie entdeckt wurde, handelt es sich wohl um eine Totenkultanlage, wofür Grabbeigaben und Reste von Einäscherungen sprechen, die darin gefunden wurden. Auch die riesigen Statuen vom Eingang des West-Palastes (Abb. 7) sind kaum als Gottheiten, sondern vielleicht als Ahnen zu verstehen, da deutliche Götterattribute fehlen (Gilibert 2013).

7. Tell Halaf und das Alte Testament

7.1. Die Stadt Guzana wird im Alten Testament unter dem Namen Gosan (גּוֹזָן gôzān) erwähnt. Die insgesamt fünf Belege finden sich in zwei sachlichen Kontexten. Nach der Eroberung Samarias durch den assyrischen König Sargon II. im Jahr 722 v. Chr. wurden die Israeliten an den Fluss von Gosan deportiert (2Kön 17,6; 2Kön 18,11; 1Chr 5,26):

Und im neunten Jahr Hoscheas eroberte der König von Assyrien Samaria und führte Israel weg nach Assyrien und ließ sie wohnen in Halach und am Habor, dem Fluss von Gosan, und in den Städten der Meder (2Kön 17,6).

Im Zusammenhang mit der assyrischen Bedrohung Jerusalems unter Sanherib spottet der assyrische König darüber, dass auch die Leute von Gosan nicht von ihrem Gott gerettet wurden (Jes 37,12; 2Kön 19,12):

Haben die Götter der Völker, die von meinen Vätern vernichtet wurden, sie errettet: Gosan, Haran, Rezef und die Leute von Eden, das in Telassar liegt?

Tell Halaf 15

7.2. In Jes 6,2 (vgl. Keel 1977) sieht der Prophet Jesaja → Serafim, die jeweils sechs → Flügel haben. Auf dem Tell Halaf wurde ein Orthostat (A3, 166) mit einer Gestalt gefunden, die drei Flügelpaare, also sechs Flügel, aufweist und wahrscheinlich als Schutzfigur zu deuten ist.

Zwei Orthostaten (Ba, 2 und A3, 171 = Abb. 8) zeigen den Thron des Sonnengottes von Stiermenschen getragen, die Keel (2007, 302-303 mit Abb. 188-189) mit den Beschreibungen der Thronvision in Ez 1 vergleicht.

7.3. Die aramäische Inschrift der Statue vom benachbarten Tell Feḫerīje (Abb. 5) enthält aramäische Begriffe, die zur Klärung alttestamentlicher Begriffe beitragen können (TUAT III, 634-637; vgl. Millard / Bordreuil 1982, 140): מעדן m‘dn „der, der reich macht“ (Zeile 4) kann mit גַּן־עֵדֶן gan ‘edæn „Garten Eden“ (Gen 2-3) verglichen werden. Die Begriffe דמות dmwt „Statue“ (Zeile 1.15) und צלם ṣlm „Statue“ (Zeile 12.16) sind die Begriffe, die in Gen 1,26 im Zusammenhang der Vorstellung von der → Gottebenbildlichkeit verwendet werden: Gott sagt: Wir wollen schaffen den Menschen zu unserem „Bild“ (בְּצַלְמֵנוּ beṣalmenû), als unser „Abbild“ (כִּדְמוּתֵנוּ kidmûtenû). In der Inschrift von Tell Feḫerīje besteht zwischen den beiden Begriffen kein Unterschied und dies dürfte auch für Gen 1,26 gelten.

Literaturverzeichnis

1. Lexikonartikel

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