Tobit / Tobitbuch
(erstellt: Juli 2005)
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1. Inhalt
1) Überschrift (Tob 1,1-2).
Das Schicksal Tobits als Schicksal eines ganz im Vertrauen auf Gott und entsprechend seiner Weisung lebenden Juden wird zum Sinnbild für das verborgene, rettende Handeln des Gottes Israels
2) Exposition (Tob 1,3 - 3,17). Die Exposition des Buches gliedert sich in mehrere Abschnitte. Tob 1,3-3,6 erzählt das Leben Tobits aus der Ich-Perspektive. Bereits Tob 1,3 fasst Entscheidendes zusammen, vor dem das Folgende gelesen sein will: Tobit hat sich sein ganzes Leben lang an die Wege der Wahrheit und der Gerechtigkeit gehalten. Während sich sein ganzer Stamm vom Tempel in Jerusalem losgesagt hat, zieht Tobit in seiner Jugend als einziger regelmäßig zu den großen Festen nach Jerusalem und leistet dort die vorgeschriebenen Tribute. Nach dem Tod seines Vaters verwaist, heiratet er Hanna und wird Vater eines Sohnes, Tobias. Tobits Frömmigkeit wird von Gott belohnt, er wird Einkäufer am Hofe des assyrischen Königs → Salmanassars
Tobit reagiert auf diesen Vorwurf mit einem Gebet (Tob 3,1-6), in dem er, der leidende Gerechte, sich an den gerechten Gott wendet und diesen um den Tod bittet.
Mit Tob 3,7 endet die Ich-Erzählung Tobits und beginnt ein gleichzeitig situierter zweiter Handlungsstrang, der in Ekbatana (Medien) spielt. Wie Tobit befindet sich auch Sara, die Tochter Raguëls, ohne eigene Schuld in einer verzweifelten Situation: Sie hat bereits sieben Männer geheiratet, jeder von ihnen ist jedoch durch den Dämon Aschmodai noch im Brautbett getötet worden. Von ihren Mägden als Mörderin beschimpft, wünscht sich Sara den Tod. Auch sie betet zu Gott (→ Frauen in der Literatur des AT
Der kurze Abschnitt Tob 3,16-17 verbindet nun die beiden zwar strukturell parallelen, als „gleichzeitig“ geschilderten, aber geographisch weit voneinander entfernt spielenden Handlungsstränge miteinander: Auf das Gebet Tobits und Saras wird Rafael gesandt, um Tobits Blindheit zu heilen, Sara mit Tobias zu vermählen und den Dämon zu fesseln.
3) Hauptteil (Tob 4,1 - 14,1). Damit sind bereits die wichtigsten Ziele der Handlung des nun beginnenden Hauptteils genannt. Dieser Hauptteil lässt sich als eine Ringkomposition (Engel) aus sieben einander entsprechenden Teilen auffassen.
(a) Tobit erinnert sich an das in Rages hinterlegte Geld (Tob 4,1-2). Seine Abschiedsrede (Testament) vermittelt wichtige Eckpfeiler eines gelungenen Lebens. Die Rede schließt mit dem Hinweis auf das große Vermögen, das in Rages in Medien liegt (Tob 4,20-21).
(b) Kapitel 5 erzählt von der Suche und Anwerbung eines Reisegefährten für den jungen Tobias, der sich nun auf den Weg nach Medien machen will. Als Begleiter des Tobias bietet sich – unerkannt und unter dem Namen Asarja – der Engel Rafael an.
(c) Ziel der Reise der beiden ist zunächst nicht Rages, sondern Ekbatana (Tob 6,1-7,9a). Mit dem Fang eines Fisches am Fluss Tigris deutet sich eine Lösung der beiden in der Erzählung thematisierten Probleme an: „Das Herz und die Leber des Fisches, lass (sie) in Rauch aufgehen vor einem Mann oder einer Frau, die das Widerfahrnis eines Dämons oder eines bösen Geistes haben, und es wird von ihm jede Widerfahrnis fliehen, und sie werden nicht bleiben in Ewigkeit. Und die Galle streiche auf die Augen eines Menschen, der auf ihnen mit weißen Flecken befallen ist; blase gegen sie auf die weißen Flecken und sie werden geheilt.“ (Tob 6,8-9 GII; Ego).
Rafael eröffnet Tobias seinen Plan, dass er Sara heiraten soll: Als Verwandte ist Sara für Tobias bestimmt.
(d) Der nun folgende Abschnitt von der Hochzeit des Tobias mit Sara, bei der der Dämon vertrieben wird, bildet das Zentrum der Erzählung (Tob 7,9-10,13).
(c*) Nach der Heimreise werden Tobits Augen durch die Galle des Fisches geheilt (Tob 11,1-15), Sara wird durch Tobit freudig empfangen und erneut feiert man ein Fest (Tob 11,16-19).
(b*) Als Tobit und Tobias beschließen, den Reisebegleiter reichlich zu entlohnen, ruft dieser zum Lobpreis Gottes und zur Barmherzigkeit auf. Er offenbart sich als „Rafael, einer der sieben Engel, welche stehen und vor die Herrlichkeit des Herrn hintreten“ (Tob 12,15 GII; Ego) und kehrt zu Gott zurück (Tob 12,1-22).
(a*) Dem in Kapitel 4 in äußerster Verzweiflung gesprochenen Testament Tobits entspricht in Kapitel 13 ein Hymnus zum Lob Gottes (Tob 13,1-14,1). Dabei wird die Größe und das wunderbare Handeln Gottes, aber auch das rechte Verhalten des Beters thematisiert und auf den Wiederaufbau Jerusalems in ungeheuerer Pracht vorverwiesen.
Tobit stirbt und wird ehrenvoll begraben (Tob 14,11b). Nach dem Tode Hannas zieht Tobias mit Sara nach Ekbatana, wo er hochbetagt nach dem Fall Ninives stirbt.
Daraus ergibt sich die Gliederung der Tabelle (Engel).
2. Einleitungsfragen
2.1. Der Text
Anders als bei den meisten anderen biblischen Texten ist es im Falle des Buches Tobit nicht möglich, aus den Texten der vorhandenen alten Handschriften eine Urfassung zu rekonstruieren. Die Tobit-Texte der verschiedenen überlieferten Manuskripte sind zu unterschiedlich, als dass es möglich wäre, auch nur mit einiger Sicherheit einen „Urtext“ des Buches Tobit wiederherzustellen.
Bis zu den Textfunden in der Wüste von Juda (Qumran) konnte eine semitische, d.h. hebräische oder aramäische Urform des Buches Tobit nur vermutet oder anhand von Semitismen im überlieferten Text vorsichtig rekonstruiert werden. Auch heute kann die Exegese, die sich für längere Passagen des Textes interessiert, nicht auf die griechischen Texte des Buches Tobit verzichten. Die Texte der erhaltenen griechischen Handschriften aber lassen sich nicht auf eine gemeinsame Urform reduzieren; sie müssen vielmehr in insgesamt drei Gruppen gegliedert werden:
1) Der Kurztext (GI). Die breite Masse der Überlieferung bezeugt eine Kurzform des Tobitbuches, die als GI bzw. als Vulgärrezension bezeichnet wird. Diese Textform findet sich in der großen Mehrheit der Minuskeln (d.h. eher späten Handschriften, in denen zwischen Groß- und Kleinbuchstaben unterschieden wird), in den textgeschichtlich sehr bedeutenden Majuskeln (d.h. Handschriften, in denen der gesamte Text in Großbuchstaben niedergeschrieben ist) Codex Alexandrinus (5. Jh.) und Codex Vaticanus (4. Jh.), daneben auch in Codex Venetus (8. Jh.). Frühe Zeugen dieser Textform sind zudem die Fragmente P.Oxy. xiii 1594 (2. Jh.) sowie PSI inv. Cap.46 (1. Hälfte 3. Jh.). Die Übersetzungen des Tobitbuches ins Äthiopische, Armenische, ins sahidische Koptisch (d.h. einen späten Dialekt des Ägyptischen) sowie die Texte einiger syrischer Handschriften lassen sich aus GI ableiten. Bis ins 20. Jahrhundert hinein wurde GI von vielen Exegeten als die älteste Textform des Tobitbuches angesehen (Deselaers, 1982; Groß), weshalb noch die Einheitsübersetzung der Bibel ins Deutsche diese Textform zugrunde legt.
2) Der Langtext (GII). Mit der Entdeckung des ins 4. oder 5. Jh. zu datierenden Codex Sinaiticus (S) durch C. von Tischendorf im Jahre 1844 wurde eine zweite, deutlich längere Textform des Buches Tobit bekannt, die als GII bezeichnet wird. Während GI sich aber aus einer Vielzahl verschiedener Handschriften rekonstruieren lässt, ist GII eigentlich nur durch das oben genannte Manuskript, dessen Tobit-Text zudem lückenhaft ist – es fehlen Tob 4,7a-19g und Tob 13,6i-10b –, bezeugt. Immerhin bietet auch die auf das 11. Jh. zurück gehende Handschrift 319 (Athos) von Tob 3,6-6,16 einen Tobit-Text, der sich GII zuordnen lässt. In die Nähe des GII-Textes ist zudem die altlateinische Version (Vetus Latina) einzuordnen, die allerdings immer wieder auch recht deutliche Abweichungen von GII zeigt und deswegen für sich betrachtet werden sollte.
3) GIII. Wenig beachtet ist die Tatsache, dass es neben GI und GII noch eine dritte Gruppe von griechischen Textzeugen gibt: Die Minuskeln 44 (Codex Cittaviensis), 106 (Codex Ferrariensis) und 107 (Codex Ferrariensis, etwa 1337) sowie die von 107 abhängigen Handschriften 125 und 610 bieten zwischen Tob 1,1 und Tob 6,8 sowie in den beiden Schlusskapiteln einen GI-Text, zwischen Tob 6,9 und Tob 12,22 gehen sie aber eigene Wege, so dass sie an dieser Stelle als GIII bezeichnet werden. Die syro-hexaplarische Übersetzung des Tobitbuches ist eng mit diesem „Mittelglied zwischen Textform und Rezension“ (Hanhart) verwandt.
Neben den griechischen Textzeugen sind zwei wichtige lateinische Fassungen des Textes von text- wie auch rezeptionsgeschichtlicher Bedeutung:
4) Vetus Latina. Bereits erwähnt wurde die so genannte → Vetus Latina
5) Vulgata. Über viele Jahrhunderte aber wurde in den Kirchen des Westens vor allem die Tobit-Übersetzung des → Hieronymus
6) Qumran. Die bereits aufgrund dieser Quellenlage komplizierte Textgeschichte wurde durch die Textfunde der Wüste von Juda noch einmal auf eine neue Basis gestellt, wobei einige Probleme einer Lösung näher geführt werden konnten:
In Höhle 4 von → Qumran
Von den in Qumran gefundenen Fragmenten zu unterscheiden sind eine mittelalterliche Rückübersetzung wohl eines griechischen Textes in ein spätes Aramäisch sowie spätantik-mittelalterliche Übersetzungen ins Hebräische.
Leider überliefern die in die Zeit zwischen etwa 100 v. Chr. und die ersten Jahrzehnte unserer Zeitrechnung datierbaren Fragmente aus Qumran nur recht kurze Ausschnitte des gesamten Tobit-Textes. Zudem erlauben sie nur an wenigen Stellen Vergleiche untereinander aufgrund von Überlappungen. Einige Folgerungen sind aber bereits möglich:
(1) Das Buch Tobit erfreute sich bei der Gemeinschaft von Qumran offensichtlich großer Beliebtheit.
(2) Das Buch Tobit wurde in einer semitischen Sprache (hebräisch oder aramäisch) verfasst.
(3) Die Qumranfragmente lassen sich nicht für eine frühe Einheitlichkeit des Tobit-Textes auswerten, aus der sich dann in verschiedenen Zweigen die heutigen Textformen entwickelt hätten. Vielmehr scheint bereits in Qumran möglicherweise eine (begrenzte) Vielfalt von verschiedenen Tobit-Texten gesammelt worden zu sein (Nicklas / Wagner).
(4) Insgesamt aber zeigt sich, dass die Tobit-Texte aus Qumran an vielen Punkten, aber nicht ausschließlich der längeren Textform GII nahe stehen. Dies bedeutet aber keineswegs, dass GII schon den „Urtext“ des Tobitbuches bieten würde. Weder ist davon auszugehen, dass schon die Qumran-Texte für den „Urtext“ Tobit stehen, noch weisen diese eindeutig auf GII: Genauso finden sich Übereinstimmungen zu Lesarten der Vetus Latina, seltener auch zu GI und zur Vulgata.
(5) Ein „Urtext“ des Tobitbuches ist deswegen zumindest bei der heutigen Quellenlage nicht einmal annähernd rekonstruierbar. Für die wissenschaftliche Auseinandersetzung bedeutet dies, dass in jedem Fall sehr genau begründet werden muss, welcher Textform man folgen möchte. Häufig ist auch ein synoptischer Zugang (Nicklas / Wagner) sinnvoll, um Tendenzen, Entwicklungen und Schwerpunkte der verschiedenen Tobit-Texte auch inhaltlich miteinander vergleichen zu können.
2.2. Die Originalsprache
Wie bereits im Abschnitt zur Textgeschichte angedeutet, ist spätestens seit den Funden von Qumran von einer semitischen Urform des Buches Tobit auszugehen. Dabei sind grundsätzlich zwei Möglichkeiten vorgeschlagen worden:
(1) Tobit wurde ursprünglich in hebräischer Sprache verfasst und später ins Aramäische übersetzt (z.B. Beyer) oder – wahrscheinlicher – (2) Tobit wurde ursprünglich in aramäischer Sprache verfasst und dann ins Hebräische übersetzt (Greenfield, Milik, Fitzmyer).
Eine sichere Entscheidung ist so schwierig, weil einerseits das palästinische Aramäisch der Zeit durch das Hebräische beeinflusst war, aber auch, weil kaum Überlappungen zwischen den Fragmenten aus Qumran existieren, die Vergleiche erlaubten, welche Version aus der jeweils anderen übersetzt worden sein könnte.
2.3. Die Gattung – Ironie als Stilmittel
Die Frage nach der Gattung des Buches Tobit ist umstritten. Immer wieder wurde auf die märchenhaften Elemente des Buches hingewiesen, bei einer Einordnung des Tobitbuches als Märchen wäre aber der weisheitlich-lehrhafte Charakter des Buches nicht voll getroffen. Auch die Bezeichnung als „didaktische Wegerzählung“ (Schüngel-Straumann) verkennt m.E., dass der Protagonist des Buches, Tobit, nicht einmal im übertragenen Sinne auf der Reise zu finden ist. Weder finden wir ihn an der Seite seines Sohnes und des Engels unterwegs, noch lässt sich auch sein Leben als Weg beschreiben. Vielmehr bildet er in seiner auf tiefem Gottvertrauen beruhenden Barmherzigkeit eine Konstante innerhalb des Textes. So könnte man den Text vielleicht als „romanhafte Lehrerzählung“ (Deselaers, Engel) oder als „weisheitliche Lehrerzählung“ (Ego) charakterisieren. Damit ist das Buch Tobit in jedem Fall einer fiktiven Gattung zugeordnet.
Im Text integriert sind verschiedene andere Gattungen so z.B. testamentarische Reden (Tob 4 und Tob 14), Hymnen und Gebete (Tob 3,2-6.11-15; Tob 8,5-6.15-17; Tob 13,1-18) oder weisheitliche Elemente (Tob 12,7-11), deren didaktischer Charakter offenkundig ist.
Dass das Buch Tobit sich an vielen Punkten als ironisch lesen lässt, wurde bereits mehrfach gesehen (z.B. Nowell, Nickelsburg). Diese Ironie wird meist durch die Perspektive der Erzählung vermittelt, die sich über weite Strecken von der Perspektive der Charaktere unterscheidet: Ab Tob 3,7 ist diese durch einen „allwissenden“ Erzähler vermittelt, der sogar die Pläne Gottes kennt und den Leser in diese einweiht (Tob 3,16-17). Der Leser des Tobitbuches weiß von daher immer mehr als die Charaktere. Von daher mögen Szenen wie Tob 5,17, wenn Tobit zu Tobias sagt, dass der gute Engel Asarja (= Rafael) die beiden begleiten solle, oder Tob 5,22, wo Tobit davon spricht, dass ein guter Engel Tobias begleite, ohne zu wissen, wie wahr seine Worte sind, durchaus einen ironischen Effekt haben. Ähnlich wirkt Tob 8,10, wo davon erzählt wird, dass Raguël aufsteht, um ein Grab für den frisch vermählten Tobias auszuschaufeln, weil er diesen wie die ersten sieben Ehemänner Saras für tot hält.
Diese äußerst feinsinnig eingesetzte Ironie sollte aber nicht wie im modernen umgangssprachlichen Gebrauch zu sehr mit Humor gleichgesetzt werden (Cousland) – das Buch Tobit will nicht als Komödie gelesen werden (so aber etwa McCracken; Wills): Saras Versuche verheiratet zu werden, oder die Erblindung Tobits durch den Kot der Vögel wollen im Kontext der Erzählung nicht als komisch, sondern als tragisch verstanden werden, führen sie doch in beiden Fällen zu einem äußerst ernst gemeinten Todeswunsch.
2.4. Literarkritik – Quellenkritik
Die Frage nach der Möglichkeit der Anwendbarkeit literarkritischer Techniken an den Text des Tobitbuches hängt eng mit der Einstellung zu Problemen der Textkritik zusammen. Das literarkritische Arbeiten an einem Text, die Suche nach Indizien wie Spannungen, Doppelungen oder Brüchen, die möglicherweise die Entstehungsgeschichte des Textes, literarische Schichtungen bzw. redaktionelles Eingreifen erhellen können, ist grundsätzlich nur möglich, wenn der Text in seiner ältesten erreichbaren Form – idealer Weise als „Ur“– oder „Originaltext“ bezeichnet – rekonstruierbar ist. Im Falle des Buches Tobit aber ist dies, wie oben gezeigt wurde, nicht möglich. Während literarkritische Operationen an der grundsätzlich eine spätere Stufe der Textentwicklung repräsentierenden Textform GI nicht sinnvoll erscheinen (anders: Deselaers, 1982), wäre zumindest daran zu denken, dass möglicherweise GII in vielen Partien so nahe an einem „originalen“ Tobit ist, dass literarkritische Überlegungen eine gewisse Berechtigung beanspruchen können (so die Versuche von Rabenau).
Dies schließt nicht aus, dass Tobit auf einige ältere Quellen zurückgreift und diese verarbeitet.
Die wichtigsten Intertexte des Buches Tobit stammen aus dem Alten Testament:
(1) Wichtig für die Ethik des Buches ist die Befolgung der Gebote im „Buch des Mose“ (Tob 6,13; Tob 7,11-13) oder im „Gesetz des Mose“ (Tob 7,13). Dies ist erst denkbar in einer Zeit, in der eine redaktionell weitgehend abgeschlossene Tora in weiten Kreisen Israels als Autorität anerkannt war, und erinnert neben 2Chr 23,18
(2) Die Bezüge zu Passagen des Buches Genesis gehen so weit, dass Tob als „nachgestaltende Erzählung“ (Ruppert) bezeichnet werden könnte. Dabei kommt besonders die Nähe zu Gen 24 in den Blick, die sich nicht nur in der Parallelität der Namen Sara, sondern auch in der Besorgtheit des Vaters bei der Brautsuche seines Sohnes, in der notwendigen Reise, aber auch in Details wie dem Motiv, dass vor der Zustimmung zur Hochzeit nicht gegessen wird, zeigt. Nicht zu übersehen sind auch die Bezüge zur Josefsgeschichte.
(3) Doch nicht nur die Tora scheint anerkannt zu sein: Tob 2,6 zitiert Am 8,10
(4) Offensichtliche intertextuelle Bezüge weisen auch in die Richtung literarischer Abhängigkeit von Abschnitten des Richterbuches (Ri 13,2-20
(5) Eine deutliche Parallele zum wohl in hellenistischer Epoche verfassten Buch Esra-Nehemia ist die in Tobit ins Extreme gesteigerte Tendenz zur Vermeidung von Mischehen. Endogamie bezieht sich hier nicht nur auf das eigene Volk, sondern – vor allem im Text von GII – auf die eigene engere Sippe, die nächste Verwandtschaft (Hieke).
(6) In der vom Buch Tobit berührten Frage nach dem Leid des Gerechten und der Barmherzigkeit Gottes zeigen sich Parallelen zum ebenfalls nachexilischen Buch Hiob (Dimant).
(7) In der betonten Forderung, den verstorbenen Volksgenossen, v.a. aber den verstorbenen Eltern ein ehrenvolles Begräbnis zukommen zu lassen, lassen sich Parallelen zum Buch Jesus Sirach (Sir 7) aufzeigen (weitere Bezüge zu Sirach: Tob 4,3 – Sir 3,1-16
Darüber hinaus wurden intertextuelle Berührungen zu einer Reihe von jüdischen Texten der hellenistischen Zeit diskutiert: Josef und Aseneth (Schwartz; Baslez), 1 Henoch (Nickelsburg), das Genesis-Apokryphon (Miller), das Buch der Jubiläen oder die Testamente der 12 Patriarchen (Moore). In jedem Falle aber ist umstritten, ob hier von literarischen Abhängigkeiten, gemeinsamen Traditionen oder einfach auf Leserebene zu entdeckenden Parallelen gesprochen werden kann.
Daneben kommen einige andere Texte als Quellen des Buches Tobit in Betracht.
(1) Tob 1,21-22; Tob 2,10; Tob 11,18 und Tob 14,10 erwähnt eine Gestalt namens Achikar, die mit Tobit in verwandtschaftliche Beziehung gestellt wird. Diese Gestalt ist auch aus der Erzählung „Die Weisheit des Achikar“ bekannt, die wohl auf assyrische Wurzeln zurückgeht und die bereits im 5. Jh. v. Chr. fragmentarisch unter den so genannten Elephantine-Papyri belegt ist. Interessanterweise zeigen sich nicht nur in der Gestalt des Achikar, sondern auch in einigen Ratschlägen, die Tobit dem Tobias gibt (Tob 3,15; Tob 4,10.15.17.18; Tob 14,10), Anklänge an diesen Text. Von daher damit zu rechnen, dass das Buch Tobit die „Weisheit des Achikar“ voraussetzt (Greenfield). Die Einfügung der Achikar-Notizen hatte offensichtlich nicht nur die Funktion, die Gestalt Tobits aufzuwerten, sondern auch, den Text des Buches nach dem Vorbild der Josefserzählung des Buches Genesis zu gestalten (Ruppert).
(2) Die Tatsache, dass Motive aus auch anderweitig bekannten Märchen (z.B. die „Braut des Unholds“, „Der große Fisch“, „Vom dankbaren Toten“) begegnen, muss nicht bedeuten, dass Tobit diese Texte als (schriftliche) Quellen benutzt hat.
2.5. Theologische Themen und Inhalte
Das Buch Tobit möchte als Beispiel erzählender Theologie verstanden werden: Die Erzählung des Lebensschicksals zweier jüdischer Familien wird zum Beispiel für die Möglichkeiten, dem Willen Gottes entsprechend jüdische Identität in der Diaspora zu entwickeln, wie auch zum Bild für das gerechte und barmherzige, wenn auch für den Menschen lange undurchschaubare Handeln Gottes.
In dieses Grundkonzept lassen sich verschiedene theologische Themen einordnen:
1) Gottesbild. Das Buch setzt eine bereits recht weit entwickelte Vorstellung des Monotheismus der nachexilischen Zeit voraus. Gott als der Gott Israels (Tob 13,18) ist gleichzeitig Richter über die Welt (Tob 3,2; vgl. Tob 13,2) und Schöpfergott (Tob 8,6). Ihm kommen Gerechtigkeit (Tob 3,2; Tob 13,6), Herrlichkeit (Tob 13,1.6) und Barmherzigkeit (Tob 6,18; Tob 8,16; Tob 11,17; Tob 13,2.5) zu. Auch die Namen der Protagonisten Tobit und Tobias – „Gott ist gut“ – sind Teil des theologischen Programms des Buches. Über seinen Engel (s.u.) greift Jahwe handelnd in die Lebensgeschichte Tobits, Tobias’ und Saras ein und löst dabei aussichtslos erscheinende Situationen durch die Überwindung kaum überbrückbar erscheinender Entfernungen und Hindernisse, die das Ende derer, die ihm treu sind, zu bedeuten scheinen. Als der Gott, der dazu beiträgt, dass „Ehen im Himmel geschlossen werden,“ (Tob 6,18; Tob 7,11 GII; Tob 8,21 GII) trägt er ganz konkret Sorge für Leben und Weiterbestand seines Volkes.
2) Der Engel Rafael. Gottes Handeln wird indirekt über den Engel Rafael, der als der „große Rafael“ bezeichnet wird und dem Majestät zukommt, ausgeführt. Dieser empfängt das Gebet Tobits und Saras (Tob 3,16) und bringt es vor den heiligen Gott (Tob 12,12.15). Er ist bei den Gerechten in ihren guten Taten (Tob 12,12-13); als Bote Gottes führt er dessen Willen aus und begleitet beschützend wie auch die Dinge fügend den jungen Tobias auf seinem Weg. Er ist es, der den bösen Dämon Aschmodai, den „personifizierten Tod Israels“ (Ego), bindet (Tob 8,3). Dieses heilend-rettende Tun im Auftrag Gottes wird auch in beiden Namen ausgedrückt: Rafael heißt: „Gott hat geheilt“, Asarja „Gott hat geholfen.“ Der Text macht zudem deutlich, dass Rafael nur als Asarja erscheint: Von dieser Erscheinung ist sein Wesen als Engel offensichtlich so unberührt, dass er als Asarja weder isst noch trinkt. Nachdem er den Willen Gottes erfüllt hat, steigt er wieder zu Gott auf (Tob 12,20), nicht ohne den Anwesenden den Auftrag erteilt zu haben, das Geschehene in einem Buch festzuhalten. – Allgemein setzt das Buch Tobit die Vorstellung voraus, dass Menschen von schützenden Engeln behütet werden (Tob 5,17.22).
3) Anklänge an deuteronomistische Theologie. Durch das gesamte Buch hindurch, vor allem in der zweiten Abschiedsrede Tobits zeigen sich deutliche Anklänge an Vorstellungen, ja konkrete Texte des Deuteronomiums wie auch deuteronomistische Theologie (Di Lella; Hofmann), die natürlich mit dem zugrunde liegenden Bild Gottes zusammenhängen: Grundsätzlich ist in diesem Zusammenhang bereits darauf zu verweisen, dass das Buch Tobit regelmäßig an das „Gesetz des Mose“ erinnert und damit wohl schon einen (weitestgehend) abgeschlossenen Pentateuch vorauszusetzen scheint. Bei diesen Bezugnahmen ist aber meist kein konkreter Text gemeint, vielmehr wird ein Verhalten oder eine Anweisung eher allgemein aus der überlieferten Tradition begründet (Gamberoni). Zu den konkreteren Parallelen zu deuteronomistischer Theologie, die sich aber auch in anderen Texten des Alten Testaments finden, gehört die Einhaltung von Speisevorschriften (Tob 1,11), die Verpflichtung, Tote zu bestatten (Tob 1,17-20; Tob 2,38 u.a.), und die Solidarität mit den Bedürftigen (Tob 4,7-11.16). Die Vorstellung der Erwählung Jerusalems als kultischem Zentrum (Tob 1,4) lässt sich am ehesten vor dem Hintergrund der im Dtn zum Tragen kommenden Zentralisation des Kultes einordnen (vgl. den Bezug von Tob 1,4 GII auf Dtn 12,5.14 LXX). Tob wie Dtn gemeinsam ist auch das Gedenken an Gott, die rückschauende Erinnerung an seine Machttaten und die Gabe der Tora. Tob ist hier mit Dtn LXX durch das Schlagwort „Erinnern“ verbunden. Wie für das Dtn ist für Tob die Idee der Gottesfurcht (Tob 4,3-21; Tob 14,1-11) bzw. der Liebe Gottes (Tob 14,7) bedeutsam, die sich auch in der Freude äußert (Tob 13). Vor allem zwischen Tob 14,6-9 und Dtn 10,12-13
Daneben finden sich wörtliche Berührungen, die konkrete Bezugnahmen des Tobitbuches auf Dtn nahe legen: Die in Tobit mehrfach begegnende Wendung „mit ganzem Herzen und ganzer Seele“ (Tob 13,6; vgl. auch Tob 1,12; Tob 2,2) begegnet auch im Dtn 4,29
4) Eschatologie. Das Buch Tobit geht mit dem Problem jüdischer Identität in der Diasporasituation in zweierlei Weisen um: Einerseits gibt es Weisungen für das Hier und Jetzt des Gott gefälligen Lebens. Andererseits werden diese aber zum Schluss des Textes hin mit eschatologischen Gedanken verwoben (Beyerle). Zwar fällt auf, dass sich im Buch Tobit zumindest keine expliziten Spuren messianischer Erwartung aufweisen lassen. Allerdings spricht der Text von der Wiederherstellung Jerusalems „aus Saphir und Smaragd“ mit Mauern „aus Edelstein“ und Plätzen, die „mit Beryll und Rubinen und mit Steinen aus Ofir“ ausgelegt werden (Tob 13,17). Tobits Abschiedsrede unterscheidet den Tempelbau nach dem Exil von einem Bau, der erst errichtet wird, wenn „die Zeit dieser Welt abgelaufen ist“. Dann ist das Ende jeder Diasporasituation und der Aufbau Jerusalems „in seiner ganzen Pracht“ wie auch die Zuwendung aller Völker zum einen Gott zu erwarten (Tob 14,4-5; vgl. andeutungsweise auch Tob 13,9-10).
Schwierig zu entscheiden ist auch die Frage individueller Eschatologie: Kennt das Buch Tobit ein Leben nach dem Tode oder nicht? Diese Vorstellung tritt hier zumindest sehr weit zurück, im Vordergrund steht die Belohnung der Gerechten – trotz erfahrender Leiden – mit Reichtum, Nachkommenschaft und einem langen, glücklichen Leben noch im Diesseits. Bezieht sich die Rede davon, dass Barmherzigkeit vor dem Tode rette (Tob 12,9a), nur auf das diesseitige Leben? Tob 12,9b scheint dies zu suggerieren. Zu sterben bedeutet zu Staub zu werden (Tob 3,6a), aber auch „zur ewigen Ruhestatt“ zu gelangen (3,6b). Zumindest 3,6b ist offen für verschiedene Interpretationen: Während viele Autoren hier nur an das Grab denken, hat Beyerle mit Hilfe einer Vielzahl von Parallelen gezeigt, dass der Text hier möglicherweise von einer „jenseitigen Heimstatt“ spricht.
5) Ethik. Die ethischen Forderungen des Buches Tobit orientieren sich an den Vorgaben der Tora, die als „Buch des Mose“ bezeichnet wird. Als Leitwort dient dabei Barmherzigkeit – entsprechend dem Erbarmen Gottes –, die sich immer wieder darin äußert, Almosen zu geben (also solidarisch mit den in Not geratenen Gliedern des Volkes zu leben) und Gerechtigkeit zu üben. Allerdings kennt das Tobitbuch hier auch Grenzen: keine Barmherzigkeit gegenüber Unbarmherzigen (Oeming). Gipfelpunkt der ethischen Weisungen des Tobitbuches ist sicherlich die in Tob 4,15a erwähnte, negativ formulierte „Goldene Regel“.
Eine besonders wichtige Funktion innerhalb der Handlung des Buches kommt dem Begraben von Toten als einem unter Todesgefahr ausgeführten Akt der Barmherzigkeit wie auch des Bekenntnisses zu. Das Gebot der Ehrfurcht gegenüber den Toten wird im Buch Tobit zudem in enge Verbindung mit dem Gebot der Ehre der Eltern gebracht. Dies wird auch daran deutlich, dass breit erzählt wird, dass Tobias nicht nur seinen Vater, sondern auch seine Mutter und seine Schwiegereltern nach ihrem Tode ehrenvoll begräbt (Tob 14,11-13).
6) Mann und Frau. Das Bedürfnis, eine jüdische Identität auch in der Situation der Diaspora in einer heidnischen Umgebung zu wahren, zeigt sich ganz besonders an der Lehre des Buches Tobit von der Ehe und Familie. Die auch in anderen Texten des Alten Testaments (z.B. Esra-Nehemia) begegnende Forderung nach Endogamie ist im Buch Tobit ins Extrem weitergeführt – Ehe ist nur noch im Verwandtenkreis erlaubt (Hieke). Diese Forderung hängt eng zusammen mit dem Ideal einer stabilen jüdischen Familie bzw. Verwandtschaft von „Brüdern“ und „Schwestern“ (Skemp), innerhalb derer Gastfreundschaft selbstverständlich ist (Tob 7,8-9), die im Kontrast zur chaotisch instabilen Außenwelt steht. Das Buch Tobit begründet die Forderung nach Endogamie mit dem Hinweis auf die Patriarchen (Tob 4,12), mit der Solidarität zum Volk (Tob 4,13) und den Forderungen des Gesetzes (Tob 6,13; Tob 7,11.12). Endogame Ehe und Liebe der beiden Partner schließen sich dabei nicht aus. Eher das Gegenteil ist der Fall: Für das Buch Tobit, wie zumindest in der Textform GII aus Tob 6,19 deutlich wird, ist angemessene Liebe zwischen Partnern zu finden, deren Verbindung dem Willen Gottes entspricht und von daher seit Ewigkeit bestimmt ist (Tob 6,18), jedes andere Verhältnis zwischen Mann und Frau ist dagegen als „Unzucht“ zu bezeichnen (Tob 4,12; Tob 8,7) (Nicklas).
In seiner Zeichnung jüdischer Familien ist das Buch Tobit gleichzeitig Zeuge eines patriarchalen Systems, in denen die Rollen von Mann und Frau nach vorgegebenen Mustern festgelegt sind. Frauen sind v.a. im Haushalt zu finden, sie kümmern sich um ihre Ehemänner, Kinder, Eltern oder die Gäste des Hauses. Die Männer dagegen sind auch außerhalb der häuslichen Welt in der Öffentlichkeit zu finden. Sie sind mit wirtschaftlichen, rituellen, aber auch religiösen Aufgaben beschäftigt und unterhalten Beziehungen außerhalb der Familie. Allerdings folgen nicht immer alle Charaktere diesem Muster vollständig: Hanna, Tobits Frau, tritt anstelle ihres blinden Mannes in der Öffentlichkeit auf – sie arbeitet – und sie hinterfragt und kritisiert immer wieder die Entscheidungen Tobits (Bow, Nickelsburg).
7) Gebete. An mehreren entscheidenden Stellen des Buches Tobit finden sich Gebete, in denen sich das Verhältnis der Protagonisten zu Gott zeigt. Vor allem die parallelen Bittgebete Tobits und Saras (Tob 3,1-6.11-15) setzen die Vorstellung eines Gottes voraus, der sich nicht nur um sein Volk als Ganzes, sondern auch um die Not jedes Einzelnen kümmert. Beide Beter drücken ihre Verzweiflung über ihr Leid aus und bitten um den Tod. Die Antwort auf die Gebete ist unerwartet: Gott zeigt sich in wunderbarer Weise als der Gerechte, der über die Hilfe des Engels die Ausweglosigkeit der Situation überwindet – und mit den Bittenden ist. Gleichzeitig ist Gott als der vom Beter zu Preisende gezeichnet. Selbst in den Bittgebeten sind Elemente des Lobpreises enthalten (Tob 3,2.11; Tob 8,5). Als sich zeigt, dass Tobias die Hochzeitsnacht überlebt hat, stimmt Raguël einen Lobpreis an (Tob 8,15-17), Tobit preist nach seiner Heilung wie auch beim Eintreten Saras in sein Haus den sich erbarmenden Gott (beide Male Tob 11,17). Als in der Angelophanie des 12. Kapitels Gottes heilsames Wirken dem Tobit offenbar wird, bricht dieser in einen hymnischen Lobpreis Gottes aus (Tob 13,1-18): Im Mittelpunkt steht hier Gottes rettendes Handeln in der Vergangenheit und die Hoffnung auf die eschatologische Zukunft.
8) Magie. Dass die neuzeitliche Unterscheidung zwischen Magie und Religion einerseits bzw. Magie und (medizinischer) Wissenschaft andererseits in der Antike nicht trägt, zeigt sich exemplarisch auch am Buch Tobit. Sowohl die Vertreibung des Dämons Aschmodai mit Hilfe des Verbrennens von Leber und Herz des Fisches aus dem Tigris, als auch die Heilung des blinden Tobit mit Hilfe der Fischgalle (Tob 6,8-9.17; Tob 8,2; Tob 11,11-12) hat zweifellos magischen Charakter, der sich aber v.a. im zweiten Fall kaum trennscharf vom Einsatz „medizinischer“ Medikamente unterscheiden lässt. Die Tatsache, dass diese Heilmittel aber von Rafael, der für den „heilenden Gott“ steht, vermittelt sind, ist gleichzeitig Zeichen dafür, dass für das Buch Tobit heilendes Handeln des lebendigen Gottes in ganz konkret einsetzbaren, für menschliches Wissen geheimnisvollen Mitteln wirksam wird. Diese Verbindung abwertend negativ als Abfall des ursprünglich Religiösen in Magie zu bezeichnen, wie es noch in manchen älteren Einleitungswerken (z.B. Rost) mehr oder weniger explizit geschieht, kann nur als neuzeitlicher Anachronismus angesehen werden (weiterführend Kollmann, Stuckenbruck).
Ein Beispiel der Rezeption des Buches in magischen Papyri findet sich auf dem magischen Papyrus London Oriental Manuscript 6795 (6./7. Jh.).
2.6. Zeit und Ort
1) Zeit. Die Ereignisse des Buches Tobit sind in Assyrien und Medien des 8. bzw. 7. Jahrhunderts vor unserer Zeitrechnung (neo-assyrische Epoche) angesiedelt. Der Text erinnert an die Eroberung Nordisraels durch Tiglatpileser III. (744-727) und die anschließenden Deportationen (2Kön 15,29
(1) Tob 1,4-5 spricht davon, dass sich in Tobits Jugend der Stamm Naftali vom Tempel in Jerusalem losgelöst habe. Damit kann eigentlich nur der Bruch der nördlichen Stämme mit dem Haus Davids unter Jerobeam I. (922-901 v. Chr.) gemeint sein. Dass dies als Lösung vom „Tempel in Jerusalem“ bezeichnet wird, ist gleichzeitig ein Anachronismus aus der auch sonst (z.B. 2Kön 17,1-23
(2) Tob 1,2 spricht davon, dass Tobit in den Tagen Salmanassars (V.) als Gefangener verschleppt worden sei. Dies passt nicht zu den Angaben von 2Kön 15,29
(3) Tob 1,15 nennt als Nachfolger Salmanassars (727-722) Sanherib (705-681) als dessen Sohn. Tatsächlich regierte zwischen Salmanassar und Sanherib noch Sargon II. (722-705), den das Tobitbuch offensichtlich nicht kennt. Sanherib ist ein Sohn Sargons.
(4) Tob erzählt, dass Tobit in Ninive die Gunst Salmanassars errungen habe. Dies ist historisch wenig plausibel, da Salmanassar V. mit großer Wahrscheinlichkeit in Nimrud (Kalach) residierte, wo auch die einzigen Inschriften, die auf ihn zurückgehen, gefunden wurden.
Auch wenn unsere Kenntnisse assyrischer Geschichte lückenhaft sind und sich möglicherweise einige der Angaben des Tobitbuches noch mit historischen Ereignissen ein Einklang bringen ließen (Millard), so sind im Grunde schon diese Argumente gewichtig genug, um an einer Frühdatierung des Tobitbuches zu zweifeln. Doch es lassen sich noch weitere Punkte anführen:
(5) Äußerst unwahrscheinlich sind die Angaben über das Leben des Tobias: Dieser sei noch vor der Deportation geboren worden (Tob 1,9), als Kind, also um 732, nach Ninive gelangt, er habe 117 Jahre lange gelebt (Tob 14,14) und doch den Fall Ninives (612 v. Chr.) erlebt.
Auch die geographischen Angaben über die Entfernungen von Ekbatana nach Rages (Tob 9,2) und ihre jeweilige Lage, Vorstellungen über eine mögliche Reiseroute, bei der der Fluss Tigris überquert werden muss (Tob 6,2), entsprechen nicht den tatsächlichen Gegebenheiten.
Darüber hinaus finden sich zumindest im erhaltenen griechischen Text Spuren, die Verbindungen zur Realität der griechisch-hellenistischen Diaspora aufweisen (Baslez): Tobit will Asarja in „Drachmen“ auszahlen, der Heiratsvertrag zwischen Tobias und Sara wird als „Syngraphē“ bezeichnet (Tob 7,13), während Tobit von Gabaël ein „Cheirographōn“ (d.h. einen eigenhändig unterzeichneten Schuldschein) erhalten hat (Tob 5,3; Tob 9,2). Da diese Eigenheiten aber auch erst in der griechischen Übersetzung in den Text eingeflossen sein könnten, sollte ihnen kein zu hohes Gewicht beigemessen werden.
Die Fiktion, der Text sei im 8./7. Jahrhundert v. Chr. entstanden, wird aber im Buch Tobit selbst nicht ganz durchgehalten: Tobits Hymnus spricht etwa in Tob 13,17 vom Wiederaufbau Jerusalems, von dessen Zerstörung bisher gar nicht die Rede war, seine Abschiedsrede scheint zudem die Zerstörung Ninives und nicht nur die Babylonische Gefangenschaft, sondern bereits die Rückkehr der Deportierten vorauszusetzen.
Am wichtigsten aber ist das innere Argument, dass der Text die Existenz einer Reihe biblischer Schriften bereits voraussetzt und eine Vielzahl von Berührungen zu Gedanken und Vorstellungen aufweist, die sich in jüdischen Texten der hellenistischen Epoche finden (s.o.). Für das Problem einer genaueren Datierung wichtig ist allerdings die umstrittene Frage, ob das Buch Tobit Spuren der seleukidischen Hellenisierungskampagne unter Antiochus Epiphanes IV. (175-164 v. Chr.), die schließlich in die makkabäischen Aufstände (ab 165 v. Chr.) führte, aufweist. Während viele Autoren (z.B. Fitzmyer, Nickelsburg, DeSilva) keine Bezüge erkennen, könnte zumindest in der Beschreibung der Zustände in Ninive, wo Leichen ermordeter Juden auf den Straßen liegen, ein Spiegel der Verhältnisse zur Zeit des Antiochus Epiphanes gesehen werden (z.B. Rabenau, der diese Darstellung aber einer redaktionellen Bearbeitung zuordnet).
So dürfte das Buch Tobit am ehesten in eine Zeit um etwa 200 v. Chr., möglicherweise später, zu datieren sein. Diese Datierung schließt nicht aus, dass der „Stoff“, der hier verarbeitet ist, ältere Wurzeln hat, die eventuell in die persische Zeit zurückreichen (für eine Frühdatierung votiert Greenfield). Gleichzeitig ist aber auch daran zu erinnern, dass die verschiedenen erhaltenen Textformen des Tobitbuches eine bis in die christliche Zeitrechnung hinein währende mehr oder weniger behutsame „redaktionelle“ Tätigkeit (z.B. die Kürzung einer ursprünglich ausführlicheren Fassung in GI oder die auch theologisch bedeutsame Umdeutung in der Vulgata des Hieronymus) bezeugen.
2) Ort. Der Ort der Entstehung des Tobitbuches ist nicht leicht zu bestimmen. Die Erzählung ist zwar in der östlichen Diaspora des Zweistromlandes angesiedelt, dies aber muss nicht bedeuten, dass sie dort auch entstanden sei. Einerseits interessiert sich das Buch sehr für eine aus seiner Perspektive in der Zukunft aufgehobene Diaspora-Situation des Judentums, es bietet einen Entwurf jüdischer Identität in der Diaspora (Ego, Levine) und legt von daher auch für seine Entstehung eine östliche Diasporasituation nahe. Der genauere Ort wird in der wissenschaftlichen Literatur entweder offen gelassen (Moore; Otzen) oder auf Persien (Greenfield, Ego), Mesopotamien (Nickelsburg) oder Medien (Bauckham) optiert. Wegen des großen Interesses an Jerusalem und für den dortigen Tempel ist aber auch eine Entstehung des Buches in Palästina denkbar (Milik, Fitzmyer). Eine Entstehung in Ägypten (Schwartz; vorsichtig: Delcor) wurde ebenfalls in Betracht gezogen. M.E. am wahrscheinlichsten aber ist eine Entstehung in der östlichen Diaspora.
3. Tobit und das Neue Testament
Innerhalb des Neuen Testaments finden sich keine expliziten Zitate des Buches Tobit. Trotzdem zeigen sich an vielen Stellen Berührungspunkte oder Parallelen zwischen dem Denken des Buches Tobit und dem Neuen Testament (weiterführend z.B. DeSilva)
1) Goldene Regel. Schon oft wurde gesehen, dass die im Neuen Testament (Mt 7,12
2) Almosen. Wie das Buch Tobit (Tob 4,7.16; Tob 12,8) betont auch das Neue Testament an vielen Stellen die Forderung, Almosen zu geben; das freudige Geben von Almosen ist ein besonderes Kennzeichen des Gerechten (z.B. Mt 6,1-18
4. Tobit und der biblische Kanon
Das Buch Tobit ist nicht Teil der Hebräischen Bibel, es findet sich aber in der Septuaginta. Im frühen Christentum war die Kanonzugehörigkeit des Buches Tobit umstritten. Vor allem Autoren des kirchlichen Ostens wie Melito von Sardes, Athanasius von Alexandrien, Cyrill von Jerusalem, Epiphanius von Salamis oder Gregor von Nazianz sprachen ihm den kanonischen Status ab. Bei Clemens von Alexandrien, Origenes, Dionysios von Alexandrien, vor allem aber in den Kirchen des Westens (Autoren: Cyprian von Karthago, Hilarius von Poitiers, Ambrosius von Mailand oder Augustinus) ist es weitgehend anerkannt. Wie bereits erwähnt, berücksichtigte Hieronymus das Buch Tobit in seiner Vulgata, allerdings nur wegen des Insistierens der Bischöfe Heliodor und Chromatius, während er selbst es offensichtlich nicht als kanonisch anerkannte. Das Buch Tobit ist nicht im Kanon des Synode von Laodicaea (360 n. Chr.) erwähnt, findet sich aber von den Konzilien von Hippo (393), Karthago (397), im Kanonverzeichnung des Codex Claromontanus (D 06; 6. Jh.) im Decretum Gelasianum (Gallien, 6. Jh.), der so genannten Stichometrie des Nikephoros (Patriarch von Konstantinopel zwischen 806 und 815), dem Konzil von Florenz (1442) und schließlich vom Konzil von Trient (1546) als kanonisch anerkannt. Das Buch Tobit ist heute Teil des Alten Testaments der römisch-katholischen Kirche und der orthodoxen Kirchen. In der römisch-katholischen Kirche wird es häufig als „deuterokanonisch“ bezeichnet, in den Kirchen der reformatorischen Tradition dagegen traditionell als „apokryph“ eingestuft.
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2.3. Weitere antike Übersetzungen
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2.4. Deutsche Ausgabe
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3. Sekundärliteratur
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3.3. Kommentare
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Abbildungsverzeichnis
- Tobias und Rafael (Pietro Perugino; um 1500).
- Vögel lassen Tobit erblinden (Matthäus Merian d. Ä.; 17. Jh.).
- Tobit wirft seiner Frau Diebstahl vor (Rembrandt; 17. Jh.).
- Tobias fängt einen Fisch (Gustave Doré; 19. Jh.).
- Tobits Heilung (Jan Massys; um 1550).
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