Tochter Pharaos
(erstellt: Oktober 2010)
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1. Einleitung
Von einer Tochter Pharaos (בת־פרעה bat-par’oh) ist im Alten Testament in drei unterschiedlichen Zusammenhängen die Rede: in der Moseerzählung (Ex 2,5
2. Die biblischen Texte
Die Beurteilung der historischen Möglichkeit und Wahrscheinlichkeit einer Hochzeit Salomos mit einer ägyptischen Pharaonentochter kann nur anhand einer Evaluierung der alttestamentlichen Texte sowie des ägyptischen Materials vorgenommen werden. Was die alttestamentlichen Texte betrifft, so fällt die Textstelle in 2Chr 8,11
Die verbleibenden fünf Textstellen lassen keine deuteronomistische Überarbeitung erkennen und waren offenbar bereits Teil der vordeuteronomistischen Salomogeschichte (1Kön 11,41
1Kön 9,16
„Der Pharao, der König von Ägypten, war herausgezogen und hatte Geser eingenommen und es mit Feuer verbrannt; und die Kanaanäer, die in [der Stadt] wohnten, hatte er getötet und sie [die Stadt] als Mitgift seiner Tochter, der Frau Salomos, gegeben“.
Ausgehend von dieser Notiz wurde postuliert, dass einer der letzten Pharaonen der 21. ägyptischen Dynastie nach Palästina / Israel gezogen sei und die zerstörte Stadt Salomo gleichsam als Hochzeitsgeschenk gegeben habe. Dabei wird – je nach Bewertung des Königreiches Salomos – entweder (1) an eine Kooperation ebenbürtiger Partner gedacht (Bright, 2000, 212), (2) an eine Unterordnung des Pharao gegenüber (dem machtvollen) Salomo (Malamat, 1982, 199) oder (3) an eine Unterordnung (des schwachen) Salomos im Sinne einer Vasalität zum ägyptischen Pharao (zuletzt Lemaire 2009). Betrachtet man den Vers jedoch genauer, so weist dieser keine der Kriterien auf, die man bei einer historischen Annalennotiz erwarten sollte. Er nennt weder den Namen des Pharao noch den der Pharaonentochter und auch kein Jahr, in dem sich der Feldzug ereignet hätte. Dieses ist jedoch für den Feldzug des Begründers der ägyptischen 22. Dynastie, Pharao → Scheschonq I.
Wenn man dennoch weiter historisch zurückfragen möchte, so ist es eventuell denkbar (wie der Verfasser dieses Artikels an anderer Stelle vorgeschlagen hat), die Tradition der Pharaonentochter mit den Baumaßnahmen Salomos zu verbinden und einer Liste zuzuordnen, die womöglich bis in salomonische Zeit zurückgeht. Ob am Anfang dieser Tradition jedoch tatsächlich ein „Haus der Pharaonentochter“ stand (Schipper, 2000), ist fraglich und historisch nur schwer plausibel zu machen. Genauso vage bleibt die Vermutung, es habe sich bei der Ägypterin an der Seite Salomos um eine vornehme Hofdame gehandelt, die aus dem Harem des ägyptischen Pharao auf heute nicht mehr rekonstruierbaren Wegen nach Israel gelangte (Pfeifer, 1995, 40; Niemann, 1997, 287; zuletzt Russell, 2009, 192).
3. Das ägyptische Material
Die Frage, ob Salomo mit einer Pharaonentochter verheiratet war, wird immer wieder mit Verweis auf ägyptische Heiratspolitik positiv beantwortet (zuletzt Jansen-Winkeln und Lemaire). Dabei wird seit Kenneth A. Kitchens epochalem Werk „The Third Intermediate Period in Egypt“ (1. Aufl., 1973; 2. Aufl. 1986; 3. Aufl. 1995) die innerägyptische Heiratspolitik der libyschen Herrscher der 21. und 22. / 23. Dynastie (1069-945; 945-713) zum Vergleich herangezogen. Die Frage ist jedoch, ob sich die Heirat einer Pharaonentochter mit einem ausländischen Herrscher wirklich nachweisen lässt, da die innerägyptische Heiratspolitik hier kein Argument darstellt. Ausgangspunkt für die Diskussion ist zunächst das bekannte Diktum → Amenophis’ III.
Karl Jansen-Winkeln hat sich dafür ausgesprochen, hier keine Kontinuität zu sehen, sondern einen Wandel anzusetzen. Hauptargument sind zwei Fälle, die seines Erachtens Eheschließungen von Pharaonentöchtern mit ausländischen Herrschern belegen: eine Notiz in der ägyptisch-hethitischen Korrespondenz von Boghazköi aus der Zeit → Ramses’ II.
Der zweite Beleg ist eine Notiz bei Herodot (III,1; Text gr. und lat. Autoren
4. Zum Problem der Historizität der Pharaonentochter
Bei der Frage nach der Historizität der Pharaonentochter lässt sich anhand des derzeit verfügbaren Materials kein abschließendes Urteil fällen (so auch Görg, 2001, 883). Der Verfasser dieses Artikels ist zwar der Meinung, dass im Zweifel das ägyptische Material den alttestamentlichen Texten vorzuziehen ist und bis zum Beweis des Gegenteils davon ausgegangen werden muss, dass das Diktum Amenophis’ III. auch in späterer Zeit gegolten hat (vgl. Ash, 1999, 114), jedoch lässt sich dieses nicht beweisen. Ein möglicher neuer Ansatzpunkt, der in der Diskussion bislang nicht beachtet wurde, könnte die eingangs genannte Notiz von einer בת־פרעה bat-par‘oh in 1Chr 4,18
5. Die Tochter Pharaos als Teil eines positiven Ägyptenbildes
Bei allen Bemühungen, einen möglichen historischen Kern der Tradition von der Pharaonentochter herauszuschälen, darf jedoch nicht deren literarische Funktion übersehen werden. Denn sowohl in der Salomogeschichte als auch in der Moseerzählung ist die Tochter Pharaos Teil eines positiven Ägyptenbildes, das verschiedenen negativen Aussagen über Ägypten gegenübersteht (als Land der Knechtschaft, Sklavenhaus usw.). In 1Kön 3-11
Die spätere Auslegungstradition knüpfte an das positive Bild an, indem das Hohelied mit der Pharaonentochter verbunden wurde. Der syrische Bischof Theodor von Mopsuestia (350-428 n. Chr.) entwickelte gegen die von Origenes vertretene allegorische Deutung die These, das Hohelied sei ein weltliches erotisches Gedicht, das Salomo zur Verteidigung seiner Ehe mit der Pharaonentochter verfasst habe. Daran knüpfte die Deutung des 17. Jh.s an, bei der das Hohelied als „Liebesgespräch zwischen Salomon und der Tochter des ägyptischen Königs“ interpretiert wurde (Hugo Grotius, „Annotationes ad Vetus Testamentum“ 1644, zitiert nach Keel, 1986, 19).
Literaturverzeichnis
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