Tod (AT)
(erstellt: November 2011)
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→ Bestattung
1. Allgemeine Orientierung
Alle Menschen müssen sterben. Und wer stirbt, wird nicht wieder lebendig (Hi 14,14
1.1. Der natürliche Tod
Im Alten Testament spiegelt sich zunächst ein durchaus natürliches Verhältnis zum Tod. Das belegen zahlreiche Verben, die für das Sterben verwendet werden. Neben dem gebräuchlichen מות mwt „sterben“ begegnen גוע gw‛ „ausatmen“ (eigentlich: „nach Luft schnappen“); הלך hlk „fortgehen“; שׁכב škb „sich hinlegen, schlafen“. Danach gehört der Mensch zur geschöpflichen Welt und verdankt sein Lebendigsein dem göttlichen Odem (Gen 2,7
Einen aufschlussreichen Sprachgebrauch belegen zwei weitere Redewendungen (Krüger, 137-144). Die ältere, deuteronomistische (→ Deuteronomismus
Die → Bestattungskultur
Die im eisenzeitlichen Israel gängigen → Grabformen
1.2. Der unzeitige Tod
Eine erfüllte Lebenszeit von siebzig oder achtzig Jahren (Ps 90,10
1.3. Der soziale Tod
Eine Form des vorzeitigen Todes vollzieht sich mitten im Leben. Um sie vom verfrühten physischen Tod zu unterscheiden, kann man sie als sozialen Tod bezeichnen. Im Hintergrund steht die alttestamentliche Vorstellung, dass sich ein Mensch in Not, Krankheit und Feindeshand nicht nur vom Tod bedroht sieht, sondern bereits spürbar die Unterwelt berührt (נגע ng‛ Ps 88,4-5
In den Klage- und Dankpsalmen finden sich zahlreiche Beispiele für diese biblische Anschauung (Ps 18,5-6
1.4. Der verschuldete Tod
Im Rahmen des weisheitlichen → Tun-Ergehen-Zusammenhangs
Der Tun-Ergehen-Zusammenhang erlaubt freilich auch eine umgekehrte Lesung und lässt fragen, ob Menschen, die von Krankheit, Not und Anfeindung betroffen sind, eine (ggf. verborgene) Schuld auf sich geladen haben (Hi 4,7
1.5. Der bebilderte Tod
Die unterschiedlichen Facetten des Todes, die bereits angesprochen wurden, werden im Alten Testament häufig bildhaft zum Ausdruck gebracht. Die Rede vom Tod ist notwendig auf Bilder angewiesen, die ihr als Bedeutungsspender dienen. Die einzelnen Metaphern bringen dabei jeweils einen bestimmten Aspekt des Todes zum Ausdruck und lassen sich somit als „Gesichter des Todes“ ansprechen.
1.5.1. Der Aspekt der Vergänglichkeit wird dabei gerne durch Bilder aus der Natur veranschaulicht. An erster Stelle steht die → Blume
Noch drastischer erscheint das Bild in Ps 90
Zum Bereich der Natur gehören ferner die Bilder vom verdunstenden → Wasser
1.5.2. Aggressiver und schrecklicher wirken die Sprachbilder, die den unzeitigen Tod ins Auge fassen. Sie sind vornehmlich der Berufswelt des Jägers entnommen (→ Jagd
1.5.3. Mit dem Element des Wassers treten die Aspekte des elementaren und naturgewaltigen Todes in den Gesichtskreis, dem niemand standzuhalten vermag. Für die Erfahrung der Ohnmacht, wehrlos fortgerissen, unter Wasser getaucht oder in die Tiefe gezogen zu werden, stehen die Bilder vom plötzlichen Wassereinbruch im Trockenbachtal (→ Wadi
1.5.4. Im Kontext von Gottes Gerichtshandeln wird der strafende Tod überwiegend durch Erntebilder veranschaulicht. Als traditioneller Gerichtsplatz gilt die → Tenne
1.5.5. Das Totenreich als solches wird im Alten Testament als ein Teil der Wirklichkeit betrachtet. Das bedeutet freilich nicht, dass man eine zu scharfe Trennungslinie zwischen Bild und Wirklichkeit ziehen dürfte. Vielmehr können auch räumliche Vorstellungen der Unterwelt als Sprachbilder für den einschließenden und isolierenden Tod verwendet werden wie beispielsweise die Zisterne (Ps 30,4
2. Theologische Vertiefung
Im Alten Testament kommt der Tod zwar in seiner ganzen Breite in den Blick, aber nirgends wird er selbst zum Gegenstand einer eigenen Betrachtung oder einer systematischen Abhandlung gemacht. Trotzdem lassen sich ein paar biblische Texte und Bereiche nennen, in denen intensiver über den Tod nachgedacht wird. Vor allem in der spätbiblischen → Weisheit
2.1. Tod und Sündenfall (Urgeschichte)
Für einen Zusammenhang zwischen natürlichem Tod und menschlicher Schuld wird immer wieder auf die sogenannte Sündenfallgeschichte verwiesen, die aber diesen Zusammenhang nicht trägt (→ Paradieserzählung
Man darf freilich nicht darüber hinweg sehen, dass der ursprüngliche Schluss der Sündenfallgeschichte, nämlich die Vertreibung aus dem → Paradies
2.2. Tod und Gerechtigkeit (Buch Hiob)
Das Hiobbuch verhandelt die Frage der Gerechtigkeit Gottes (Theodizee). Dabei rückt der Tod teils direkt, teils indirekt in seinen hermeneutischen Horizont. In den Begründungszusammenhängen tritt er in drei Hinsichten vor Augen:
2.2.1. Im Hintergrund des Gesprächs zwischen Hiob und seinen Freunden, in dem der → Tun-Ergehen-Zusammenhang
2.2.2. Damit ist nicht gesagt, dass das Hiobbuch den Tun-Ergehen-Zusammenhang als definitiv widerlegt betrachtet hätte. Vielmehr bleibt dieser als gemeinsame Gesprächsgrundlage bestehen und stützt einen weiteren Gedankenzusammenhang: Wenn nämlich ein gerechter Ausgleich nur innerhalb des irdischen Lebens geschaffen werden kann, bleibt Gott im Falle Hiobs nicht mehr viel Zeit, die „Gerechtigkeitslücke“ zu schließen. Deshalb appelliert Hiob an Gott: „Lass ab von mir, denn meine Tage sind nur ein Hauch!“ (Hi 7,16
2.2.3. Eindrucksvoll und zugleich erschütternd kommt der Tod in der Selbstverwünschung Hiobs zur Sprache, in der er seinen Geburtstag verflucht (Hi 3,3
Auch die Griechen haben die Ruhe im Grab betont (Sophokles, Trachinierinnen 1173; Oedipus Col. 955; Euripides, Troades, 606f, 634f; Text gr. und lat. Klassiker
2.3. Der absolute Tod (Buch Kohelet)
Mit Hiob teilt der → Prediger Salomo / Kohelet
Mit dieser radikalen Sicht auf den Tod steht das Buch Kohelet biblisch allein und der Moderne erstaunlich nahe. Sein schonungsloses Aufdecken der Todeswirklichkeit führt allerdings nicht in die Verzweiflung, sondern erhellt die Existenz: Sie öffnet den Blick für das eigentliche Leben. Denn nur der Mensch, der um sein eigenes Sterbenmüssen weiß (Pred 9,5
Aus der Zeitstellung des Buches Kohelet im 3. Jh. v. Chr., in dem erste Texte im apokalyptischen Horizont formuliert werden (äthHen 6-36; Sach 9-14
2.4. Der illusionäre Tod (Weisheit Salomos)
Die → Weisheit Salomos / Sapientia
„In den Augen der Toren schien es, als seien sie tot, und ihren Heimgang betrachtete man als ein Verderben, und ihre Abreise von uns als einen Untergang. Doch sie leben in Frieden!“ (Weish 3,2-3
In diesen Versen dekodiert die Weisheit Salomos den physischen Tod. Er ist kein Abbruch und kein Verderben, sondern ein Übergang. Die verstorbenen Gerechten gehen in ein neues Sein über, das in Gottes Erbarmen gründet. An welchem Ort sie sich künftig befinden, wird nicht ausdrücklich gesagt, sondern lediglich durch Bilder umschrieben: Die Verstorbenen befinden sich in Gottes Hand (Weish 3,1
3. Resümee
Die Spätschriften des Alten Testaments führen damit bis vor die Tür, die den Toten eine Zukunft öffnet. Die spätbiblische Weisheit klopft an diese Tür, indem sie den Tun-Ergehen-Zusammenhang problematisiert und seine immanente Lösung für einen gerechten Ausgleich strapaziert. Die frühjüdische Apokalyptik stößt diese Tür auf, indem sie das Geschick der Märtyrer bedenkt und in Zweifel zieht, dass sie durch ihren Tod von der kommenden Welt ausgeschlossen würden (vgl. 2Makk 7,9
Die Frage nach einer Zukunft der Toten ist damit schon im Alten Testament in unterschiedlicher Weise präsent. Die Erwartung einer Totenauferweckung wird jedoch nur in Jes 26,19
Literaturverzeichnis
1. Lexikonartikel
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2. Weitere Literatur
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Abbildungsverzeichnis
- Vogelfalle. © Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart
- Adam und Eva (Paul Gauguin; 1902).
- Stillleben mit Schädel (Paul Cézanne; 1895-1900).
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