Todesstrafe (AT)
(erstellt: September 2014)
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1. Zur Problemlage
Das Thema der Todesstrafe im Alten Testament ist mit einer Reihe von Schwierigkeiten behaftet. Einerseits wird immer wieder auf das Alte Testament verwiesen, wenn es um die Erlaubtheit oder gar Gebotenheit der Todesstrafe in modernen Rechtsstaaten geht. Für solche direkten Schlussfolgerungen müssten sich nach Heimbach-Steins die biblischen Texte allerdings expliziter mit der Thematik auseinandersetzen. „Wenn aber keine normativ-ethische Reflexion auf Erlaubtheit oder Unerlaubtheit der Todesstrafe angestellt wird, dürfen biblische Texte, die die selbstverständliche Anwendung dieser Strafe bezeugen, aus methodischen Gründen nicht als Argumente in die ethische Reflexion und Begründung eingeführt werden.“ (Heimbach-Steins, 202) Andererseits sind mit der Thematik bereits in den Texten, aber erst recht in der Rezeption auch die Problemfelder der → Blutrache
2. Gen 9,6 – ein Gebot der Todesstrafe?
Am Ende der → Sintfluterzählung
5 Und nur euer Blut in Bezug auf eure Leben will ich einfordern;
von der Hand jedes Tieres will ich es einfordern /
und von der Hand des Menschen,
von der Hand des Mannes seines [von ihm getöteten] Bruders
will ich einfordern die Lebendigkeit des Menschen.
6 Einer, der das Blut des Menschen vergießt,
um des Menschen willen (בָּאָדָם bā’ādām) wird sein Blut vergossen werden, /
denn als Bild Gottes hat er den Menschen gemacht. (Gen 9,5f
Terminologisch und strukturell sind diese Verse sehr dicht und präzise formuliert. Die traditionelle Übersetzung von v6 lautet anders: „Wer Menschenblut vergießt, dessen Blut soll auch durch Menschen (בָּאָדָם bā’ādām) vergossen werden; denn Gott hat den Menschen zu seinem Bilde gemacht.“ (Lutherbibel von 1984). Der Vers wird so zu einer Vorschrift, dass ein Mörder oder Totschläger von Menschen getötet werden soll. Er wäre dann ein Gebot der Blutrache oder der Todesstrafe. Die Begründung in der zweiten Vershälfte muss sich in dieser Leseweise darauf beziehen, dass der Mensch zum Vollstrecker der Hinrichtung legitimiert ist, weil er als Bild Gottes dessen Vollmacht als Richter unter seinesgleichen ausübt. In Fortführung von v5 wäre auf diese Weise eine Hinrichtung erklärbar als stellvertretendes „Einfordern“ des menschlichen Blutes an Gottes statt. Die neuere Forschung hat mit guten philologischen Argumenten darauf hingewiesen, dass diese Art der Übersetzung und Deutung zumindest extrem unwahrscheinlich ist (vgl. Ernst und zusammenfassend Schnocks, 75-88). Bei entsprechend geänderter Übersetzung ergibt sich ein klareres Profil für den ganzen Bereich von Gen 9,2-6
3. Die Todesstrafe in den Rechtskorpora des Pentateuch
3.1. Das Bundesbuch (Ex 20,22-23,33)
Im → Bundesbuch
Tatbestände, die in diesem Sinne mit dem Tod bedroht werden, sind im Bundesbuch die Tötung eines Menschen (Ex 21,12
3.2. Das Deuteronomium
Im → Deuteronomium
3.3. Die priesterlich geprägten Rechtssammlungen in Leviticus und Numeri
Die Situation verschiebt sich im sog. → Heiligkeitsgesetz
Grundsätzlichere Überlegungen enthält die Passage Num 35,9-34
33 Nicht dürft ihr entweihen das Land, in dem ihr seid. Ja, das Blut, das wird das Land entweihen. / Und für das Land kann nicht gesühnt werden hinsichtlich des Blutes, das in ihm vergossen wurde, außer mit dem Blut dessen, der es vergossen hat. 34 Und nicht sollst du unrein machen das Land, in dem ihr sitzt, in dessen Mitte ich wohne, / denn ich, JHWH, wohne inmitten der Kinder Israels. (Num 35,33f
Hier wird priesterliche Theologie (vgl. oben zu Gen 9,5-6
4. Fazit
Der alttestamentliche Befund zum Thema Todesstrafe ist komplexer, als er in der Rezeption gerne gesehen wird. Nur vor dem Hintergrund, dass die Texte die Todesstrafe als bekannte Institution voraussetzen, können Aussagetendenzen herausgearbeitet werden. Im Bundesbuch und v.a. im deuteronomischen Gesetz sind trotz der grundsätzlichen göttlichen Legitimierung der Rechtskorpora Hinweise zu finden, die das Rechtswesen und so auch die Vollstreckung von Todesurteilen als menschlich-gesellschaftliche Aufgabe betrachten. Späte priesterliche Texte in Leviticus und Numeri haben demgegenüber Überlegungen zur Bestrafung von Kapitalverbrechen in ihre Konzepte von Heiligkeit und kultischer Reinheit eingefügt und vertreten im Rahmen dieser theologischen Konzepte rigoristische Positionen. Sie sind für die Rezeption damit hochproblematisch. Als kanonische Texte müssen sie rezeptionshermeneutisch eingeordnet und so in diesem Fall auch relativiert werden. Biblisch sind einerseits der in Gen 9,1-7
Literaturverzeichnis
1. Lexikonartikel
- (vgl. neben „Todesstrafe“ auch Einträge wie „Blutrache“, „Strafe“, „Punishment and Crimes“)
- Theologische Realenzyklopädie, Berlin / New York 1977-2004
- Neues Bibel-Lexikon, Zürich u.a. 1991-2001
- The Anchor Bible Dictionary, New York 1992
- Lexikon für Theologie und Kirche, 3. Aufl., Freiburg i.Br. 1993-2001
- Sozialgeschichtliches Wörterbuch zur Bibel, Gütersloh 2009
2. Weitere Literatur
- Bondolfi, A., 1990, Die Todesstrafe: eine ethisch-theologische Stellungnahme, in: A. Bondolfi (Hg.), Ethik und Selbsterhaltung. Sozialethische Anstösse (SThE 30), Freiburg / Schweiz, 126-148
- Ernst, A.B., 1990, „Wer Menschenblut vergießt…“. Zur Übersetzung von באדם in Gen 9,6, ZAW 102, 252-253
- Frevel, Ch., 2004, Das Buch Numeri, in: E. Zenger (Hg.), Stuttgarter Altes Testament, Stuttgart, 212-301
- Graupner, A., 2005, Vergeltung oder Schadensersatz? Erwägungen zur regulativen Idee alttestamentlichen Rechts am Beispiel des ius talionis und der mehrfachen Ersatzleistung im Bundesbuch, EvTh 65, 459-477
- Heimbach-Steins, M., 1995, Die Todesstrafe. Ein unerledigtes Problem christlicher Sozialethik, ThG 38, 200-210
- Hieke, Th., 2005, Das Alte Testament und die Todesstrafe, in: Th. Hieke (Hg.), Tod – Ende oder Anfang? Was die Bibel sagt, Stuttgart, 77-102
- Schnocks, J., 2014, Das Alte Testament und die Gewalt. Studien zu göttlicher und menschlicher Gewalt in alttestamentlichen Texten und ihren Rezeptionen (WMANT 136), Neukirchen-Vluyn
- Steck, O. H., 1997, Der Mensch und die Todesstrafe. Exegetisches zur Übersetzung der Präposition Beth in Gen 9,6a, ThZ 53, 118-130
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