Deutsche Bibelgesellschaft

Tor / Torheit (AT)

(erstellt: Juli 2007)

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1. Die hebräischen Begriffe

Der deutsche Begriff „Tor“ bezieht sich auf mehrere hebräische Begriffe der alttestamentlichen Weisheitsliteratur. Sie alle beschreiben einen Menschentypus, dessen Handeln in praktischer, ethischer und religiöser Hinsicht falsch orientiert ist: kəsîl „dumm“ (Spr 10,18; Spr 28,26), ’äwîl „einfältig“ (Spr 12,15; Hi 5,3) und pætî „unerfahren / unwissend“ (Spr 1,22; Ps 19,8), nāvāl „der Gottlose“ (Ps 14,1; Ps 53,2) und chǎsar-lev „einer, dem es an Verstand mangelt“ (Spr 7,7; Spr 9,4). Die hebräischen Begriffe werden häufig synonym verwendet. Sie können sich auf beide Geschlechter beziehen, wenngleich der Inhalt der Sentenzen und Sprichworte meist auf einen Mann als exemplarischen Adressaten verweist. Der im Griechischen am häufigsten verwendete Begriff für den Toren ist ἄφρων „unvernünftig / töricht“, der im Kontext griechischer Anthropologie den Mangel an → Vernunft betont.

Torheit kann das Wesen des Toren bezeichnen (hebräisch ’iwwælæt Spr 12,23; Spr 15,21) oder eine einzelne Tat (hebräisch nəvālāh), die die Gemeinschaft empfindlich stört wie die Verletzung des Gastrechts (Ri 19-20), sexuelle Vergehen (Gen 34,7; Dtn 22,21; 2Sam 13,12) und der Verstoß gegen göttliche Gebote (Jos 7,15). Das Wesen des Toren wird durch die griechischen Begriffe ἄφρoσύνη „Unvernunft / Torheit“ und μωρία „Torheit“ wiedergegeben (Sir 8,15; Sir 20,31 [Lutherbibel: Sir 8,18; Sir 20,33]; Weish 10,8; Weish 12,23), wobei die Torheit ganz selten personifiziert erscheint. Spr 9,13 charakterisiert sie jedoch als Frauengestalt (hebräisch ’ešæt kəsîlût) und Gegenspielerin der personifizierten Weisheit (s.u. 3).

2. Der Tor als Mensch ohne Orientierung

Nach Ausweis der weisheitlichen Sentenzenliteratur ist ein Tor nicht nur ein unerfahrener junger Mensch, der noch erzogen werden muss (Spr 10,13), sondern einer, der faul ist (Spr 12,11; Spr 24,30), leichtgläubig (Spr 9,16; Spr 14,15) und unbelehrbar (Spr 1,22; Spr 23,9; Sir 21,14 [Lutherbibel: Sir 21,17]). Ein Tor zeichnet sich durch seine unbedachte Rede aus (Spr 10,14; Spr 18,2; Pred 5,2; Sir 20,7), die falsch oder gar verleumdend sein kann (Spr 18,6-7). Die Listen törichter Verhaltensweisen in Spr 17,12-26 und Sir 21,1-22,18 [Lutherbibel: Sir 21,1-22,22] zeichnen den Toren als Gegentyp zum weisen Menschen, der gute Ratschläge zu schätzen weiß, klug handelt (Spr 10,8; Spr 13,1) und vor allem mit Bedacht redet. Demnach ist eine Person töricht, die letztlich die göttliche Ordnung der Welt nicht anerkennt und damit auch ihre Abhängigkeit von Gott leugnet und die göttliche Weisung missachtet. Dieser Haltung entspricht ein gemeinschaftsschädigendes Verhalten, das gemäß weisheitlichem Denken letztlich zum eigenen Verderben führt.

Die im → Sprüchebuch und → Sirachbuch gesammelten Sentenzen und Mahnreden stellen lebenspraktische Regeln für den Alltag auf, die zu einem gelingenden Leben anleiten sollen. Obwohl der Unerfahrene und Unvernünftige potentiell erster Adressat dieser Lebensweisheiten ist, finden sich viele resignative Aussagen, die das Wesen des Toren für unabänderlich halten (Spr 15,21; Spr 26,11). In manchen Psalmen wird der Tor als Mensch dargestellt, der Gott schmäht (Ps 74,18.22) oder sogar die Existenz Gottes in Zweifel zieht (Ps 14,1; Ps 53,1), was den Toren näher an die stark typisierte Charakteristik der Frevler (→ Sünder) und Gottesfeinde rückt. Analog dazu werden im Neuen Testament die Heiden als unvernünftig und unwissend charakterisiert (Eph 4,18; 1Petr 1,14).

Gelegentlich wird die Torheit des Gottesvolkes mit Götzendienst in Verbindung gebracht (Dtn 32,6; Jer 5,21-24; Weish 12,23-24; Röm 1,22-23). Die Unwissenheit und Unbelehrbarkeit des Volkes führt sozusagen zu einer Verkennung des wahren Gottes.

Im Neuen Testament begegnet Torheit (μωρία) und „töricht sein“ mit ähnlicher Bedeutung wie im Alten Testament. Töricht ist, wer sich nicht angemessen auf das Kommen der Gottesherrschaft vorbereitet (Mt 25,1-13), die Worte Jesu nicht befolgt (Mt 7,24-27) oder das Leben durch eigene Vorsorge sichern will (Lk 12,20). Jesus warnt zwar davor, andere Menschen als Toren zu bezeichnen (Mt 5,22), nennt aber selbst die Pharisäer und Schriftgelehrten töricht (Mt 23,17; Lk 11,40).

3. Die Torheit als Gegenspielerin der Weisheit

In Spr 9 wenden sich Frau Weisheit und die fremde Frau, die die Torheit verkörpert, an dieselben Adressaten, die unerfahrenen jungen Männer. Während das Haus der Weisheit Einsicht (Spr 9,6) und Leben (Spr 8,35) birgt, endet der Weg der Torheit im Verderben (Spr 9,18). Der Torheit vergleichbar wird in Spr 2-7 die sog. „fremde Frau“ (hebräisch ’iššāh zārāh und nåkhrijjâh Spr 2,16; Spr 7,5; vgl. die Beschreibung im Qumrantext 4Q184) charakterisiert, die unerfahrene junge Männer sexuell verführt. Dieser Frau zu folgen, gilt als große Torheit, die zu öffentlicher Schande und Verlust des Vermögens führt (Spr 5,9-10; Spr 6,32-35). Durch drastische Schilderung der Folgen warnen die Mahnreden in Spr 1-9 vor der „fremden Frau“ und ermuntern die männlichen jungen Adressaten zur Suche nach Weisheit. Der in Spr 1-9 beschworene Gegensatz zwischen Frau Weisheit und „fremder Frau“ / Torheit wird jedoch in Spr 31 teilweise ausgeglichen, indem zwei weitere Frauengestalten Züge von Weisheit und „fremder Frau“ tragen. Die ausländische Königsmutter weiß guten Rat zu geben (Spr 31,1-9) und die starke Frau (hebräisch ’ešæt-chajil), die Haus und Hof erfolgreich verwaltet, geht selbstverständlich mit fremden Händlern um (Spr 31,10-31).

Der Gegensatz von Torheit und Weisheit findet sich neben Spr 9; Pred 2,13 und Pred 7,25 auch in der griechischen Philosophie, in der die σoφία (Weisheit) und die φρóνησις (praktische Vernunft) unter die Tugenden gerechnet werden (Platon, Symposion 184c; Nomoi VIII 837c; Aristoteles, Nikomachische Ethik I 8 p 1178a 16-19), während die Torheit (griechisch ἀφρoσύνη) in der Liste der Laster auftaucht (Aristoteles, Eudemische Ethik III 7 p 1234a 33f; vgl. auch Mk 7,21-22). In dieser Gegenüberstellung meint Torheit das unbedachte, gegen die Regeln der Gemeinschaft gerichtete Verhalten oder die mangelnde Einsicht in die von den Göttern geschaffene Ordnung. Aufs Ganze gesehen ist Torheit somit nicht auf sexuelles Fehlverhalten beschränkt.

In paradoxer Weise verschränkt Paulus Weisheit und Torheit, wenn er in 1Kor 1-3 die Weisheit der Welt als Torheit und die Torheit um Christi willen als Weisheit bezeichnet (vgl. noch 2Kor 11). Die späteren Schriften bieten wieder das traditionelle Verständnis von Torheit (Eph 5,15; 2Tim 2,23; Tit 3,9).

Literaturverzeichnis

1. Lexikonartikel

  • Theologisches Wörterbuch zum Neuen Testament, Stuttgart 1933-1979
  • Die Religion in Geschichte und Gegenwart, 3. Aufl., Tübingen 1957-1965
  • Theologisches Wörterbuch zum Alten Testament, Stuttgart u.a. 1973ff
  • Theologisches Handwörterbuch zum Alten Testament, München / Zürich 1978-1979
  • Neues Bibel-Lexikon, Zürich u.a. 1991-2001
  • Exegetisches Wörterbuch zum Neuen Testament, 2. Aufl., Stuttgart u.a. 1992
  • Dictionary of Judaism in the Biblical Period. 450 B.C.E. to 600 C.E., New York 1996
  • Calwer Bibellexikon, Stuttgart 2003
  • Handbuch theologischer Grundbegriffe zum Alten und Neuen Testament, Darmstadt 2006

2. Weitere Literatur

  • Hausmann, J., 1995, Studien zum Menschenbild der älteren Weisheit (Spr 10f.), (FAT 7), Tübingen
  • Maier, C. 1994, Die „fremde Frau“ in Proverbien 1-9. Eine exegetische und sozialgeschichtliche Studie (OBO 144), Freiburg (Schweiz) / Göttingen
  • Wolff, H.W., 1990, Anthropologie des Alten Testaments, 5. Aufl. München

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