Transliteration / Transkription
(erstellt: Februar 2016)
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1. Definition
Unter Transliteration versteht die Sprachwissenschaft den Vorgang (und das Resultat) der Übertragung eines geschriebenen Textes von einem Schriftsystem in ein anderes („from script to script“). Diese Übertragung sollte eineindeutig sein, d.h. die Rekonstruktion des Ausgangstextes gestatten.
Transkription hingegen meint die Wiedergabe von Sprache durch metasprachliche Schriftzeichen, meist im Sinne der Darstellung von Sprachlauten durch solche Zeichen („from sound to script“). Je nach angestrebter Wiedergabe-Genauigkeit gibt es hier engere und weitere Transkriptionen (Lyons 8. Aufl. 1995, 103). Grundsätzlich zu unterscheiden ist die phonetische (Beschreibung der tatsächlich im Einzelfall geäußerten Sprachlaute) von der phonologischen Transkription (Beschreibung nur der für das Sprachsystem funktional relevanten Phoneme).
2. Transliteration im Bereich der Hebraistik
In der Hebraistik sind von besonderer Bedeutung Editions-Transliterationen, die beispielsweise folgende Schriftsysteme darstellen: paleohebräisch bei vorexilischen Inschriften, aramäische Quadratschrift bei den Texten vom Toten Meer (→ Qumran
Bei einer Interpretations-Transliteration können zusätzlich Urteile über die morphologische und syntaktische Struktur eingetragen werden, indem beispielsweise Matres lectionis in Klammern gesetzt, Pro- und Enklitika durch Bindestrich oder Gleichheitszeichen abgetrennt und Satzgrenzen durch vorangestellte Kleinbuchstaben angezeigt werden.
Alttestamentler sprechen gelegentlich dort, wo es in Wirklichkeit um Transliteration geht, von „Transkription“, nämlich dann, wenn bei der Darstellung des masoretischen Textes auch die Vokalzeichen mitberücksichtigt werden. So geben manche Lexika, Zeitschriften und Buchreihen „Hinweise zur Transkription“, wo lediglich die im Prinzip reversible Eins-zu-Eins-Übertragung des tiberisch-masoretischen Schriftsystems (Konsonatentext plus Vokalzeichen) durch Zeichen eines erweiterten lateinischen Alphabets normiert werden soll.
Zur Illustration sei auf die BHT-database (Transliterated BHS © 2001 by Matthew Anstey, basierend auf Michigan-Claremont-Westminster electronic database) verwiesen, wie sie in Bibleworks enthalten ist. Ihre Absicht ist offensichtlich, bei Unsicherheiten die richtige Lesung des Textes sicherzustellen. So wird Qamatz (/ā/ vs. /o/) differenziert und Dagesch (lene: fehlender Strich vs. forte: Doppelschreibung), ferner bei Pänultima-Betonung (שָׁמַיִם) ein Akzent gesetzt. Das ändert aber nichts an der Reversibilität der Transliteration (Eine Übersicht zur gängigen Systemen von Transliterationen [und Mischsystemen] findet sich bei Weinberg 1969/70, ein neuer Vorschlag bei Ornan 2003.2008).
3. Transkription im Bereich der Hebraistik
3.1. Antike Umschriften
Von großer Bedeutung für die Hebraistik sind die antike Wiedergabe hebräischer Eigennamen in syllabischer Keilschrift oder mittels griechischer Buchstaben und die Sekunda des Origenes, jene zweite Kolumne seiner Hexapla, die den hebräischen Text in griechischer Schrift darstellt. Hier kann zurecht von (vorwissenschaftlicher) Transkription gesprochen werden, da die Schreiber wenigstens im Wesentlichen den Sprachlaut und nicht die Graphemfolge abbilden wollten. Bei den griechischen Umschriften ergibt sich dies vor allem aus dem Umgang mit Matres lectionis sowie der doppelten Wiedergabe von Chet (∅ vs. Χ) und Ayin (∅ vs. Γ). Bei Keilschrift kommt Transliteration schon wegen der grundlegenden Inkompatibilität der Zeichensysteme (Silben- vs. Konsonantenschrift) nicht in Betracht.
Sprachgeschichtliche Rückschlüsse sind nur bedingt möglich. So ist z.B. σιρ für שִׁיר lediglich dem Fehlen eines geeigneten Lautes im Griechischen geschuldet. Dagegen lässt die Behandlung der Begadkefat vermuten, dass zur Zeit des Origenes noch keine zweifache Aussprache bestand, sondern stets /b/, /g/, /d/ und /f/, /ḵ/, /ṯ/ (auch bei Doppelkonsonanz!) gesprochen worden ist.
3.2. Objektsprachliche Transkription
Im Bereich der modernen Systeme wissenschaftlicher Transkription kann zunächst zwischen solchen objektsprachlicher und solchen metasprachlicher Art unterschieden werden. Bei den Ersteren wird versucht, die Phonetik oder Phonologie darzustellen. Bei den Letzteren geht es um die grammatische oder semantische Struktur.
Für die wissenschaftliche Arbeit am Alten Testament scheidet phonetisches Transkribieren aus, es sei denn, man würde eine aktuelle Rezitation des Textes z.B. in einer Synagoge beschreiben wollen. Bei der phonologischen Transkription sind sodann zwei Richtungen bedeutsam: zum einen die Darstellung der vermuteten Lautgestalt zu einer bestimmten sprachgeschichtlichen Periode in einer bestimmten Region, d.h. es wird versucht, historische Aussprache zu rekonstruieren; zum anderen die Darstellung einer phonologischen Struktur, jenseits der nach Ort und Zeit unterschiedlich realisierten Lautung, d.h. es werden die bedeutungsunterscheidenden Lautwerte und die morphologischen Strukturen abgebildet.
3.2.1. Transkription historischer Aussprache
Diesen Versuch hat beispielsweise Klaus Beyer in seiner „Althebräischen Grammatik“ (Beyer 1969) unternommen. Unter Absehung von den tiberischen Vokalzeichen wird aufgrund des Konsonantentextes und eines rekonstruierten Vokalismus versucht, die vorexilisch-hebräische Aussprache zu rekonstruieren im Sinne einer weiten Phonologie, d.h. feinere Aussprachedifferenzen regionaler und historischer Art sollen unberücksichtigt bleiben. Grundlage dieser Rekonstruktion sind die vergleichende semitische Sprachwissenschaft sowie „kanaanäische Dialekte“ (nach Beyer Amurritisch, Ugaritisch etc.) sowie jüngere Ausspracheüberlieferungen. Fraglich ist, ob aus diesen Quellen tatsächlich eine historisch reale Aussprache erschlossen werden kann. Abgesehen von grundsätzlichen Fragen (Ist Amurritisch ein kanaanäischer Dialekt?) gibt der Befund in vielen wichtigen Punkten keine befriedigende Auskunft.
Gegenüber der tiberischen Masora fällt u.a. auf, dass bei wayáqrā ein betonter Präfixvokal /a/ (vs. tiberisch unbetontes /i/) angenommen wird. Das wird mit dem Hinweis auf die Druckverhältnisse bei den Verba tertiae infirmae und die protosemitischen Verhältnisse begründet (Beyer 1969, 59). Es ist aber wahrscheinlicher, dass sich im vorexilischen Hebräisch bereits Ultima-Betonung und Präfixvokal /i/ durchgesetzt haben (zu Letzterem vgl. Tropper 2000, 456, der für die entsprechende ugaritische Form /yiqrâ/ transkribiert).
3.2.2. Phonologisch-morphologische Transkription
Eine phonologisch-morphologische Transkription, wie sie Wolfgang Richter entwickelt und an der gesamten Biblia Hebraica durchgeführt hat (Richter 1983.1991-93), verfolgt demgegenüber ein bescheideneres Ziel. Nicht die Aussprache eines David, Omri oder Manasse, sondern die morphologische Struktur, die den nach Ort und Zeit unterschiedlichen lautlichen Realisierungen (und auch noch der tiberischen Masora) zugrunde liegt, soll dargestellt werden. Die Morphologie des Hebräischen, wie überhaupt der semitischen Sprachen kommt einem solchen Projekt entgegen, insbesondere wegen dem sehr begrenzten Inventar von Bauformen aus Wurzelradikalen, kurzen und langen Vokalen sowie Prä-, In- und Suffixen, wie sie auch in der klassischen Grammatik, insbesondere für die Nominalformen bereits beschrieben worden sind (z.B. Bauer-Leander 1922, § 61). Das Resultat ist in jedem Fall eine theoretisch-abstrakte Größe. Sie gibt Auskunft über das Verständnis des Textes durch den Transkribenten, entscheidet im Fall ambivalenter Formen (z.B. bei נִחַם, ob N-Stamm – dann ni[ḥ]ḥam – oder D-Stamm – dann niḥ[ḥ]am – vorliegt) und vermeidet die entscheidende Schwäche der tiberischen Masora, nämlich den Umstand, dass sie vielfach die morphologische Struktur der Sprache verdeckt (so erscheint beispielsweise strukturaler Kurzvokal /a/ tiberisch als Schwa, Patach, Segol und Qamatz). Auch Zufälligkeiten und Inkonsequenzen der Tiberer werden vermieden.
Pro- und Enklitika werden durch Gleichheitszeichen abgetrennt. Etymologische Orthographie (Alephschreibung in יקרא) wird durch runde Klammern angezeigt, restituierte Phoneme durch eckige Klammern (ursprüngliche Doppelkonsonanz in kull). Wo die Qualität eines Kurzvokals unklar ist, zeigt dies ein hochgestellter Punkt an (l˙= für ursprüngliches li= oder la=), wo tiberisch ein Kurzvokal ausgefallen oder umgefärbt ist, steht der angenommene Vokal mit Oberpunkt (bȧhimā für בְּהֵמָה)
3.3. Metasprachliche Transkription
Bei diesen Transkriptionen wird nicht mehr die Objektsprache gespiegelt, sondern mithilfe von Metasprachen der Grammatik und Semantik die Strukturen von der Morphem- bis zur Satz- und Satzfügungsebene dargestellt. Als mögliches Ziel gibt Irsigler (1984, 154) an: „Die […] Transkription dokumentiert das morphologisch-syntaktische Textverständnis, macht auf neuralgische Punkte aufmerksam und präzisiert die Grundlage nicht nur für strukturanalytische, sondern vor allem auch semantische Untersuchungen am Text.“ Ein anderes Ziel ist die elektronische Verarbeitung der Daten. Für die Hebraistik haben Wolfgang Richter und seine Schüler ein sehr differenziertes System entwickelt. Einfachere Systeme basieren auf interlingualen Normierungen, wie z.B. den „Leipzig Glossing Rules“, die beim Sprachvergleich u.a. in der Anthropologie eine wichtige Rolle spielen. So schlägt Anstey (2005.2006) eine Präsentation der Daten in Form einer „interlinear morphemic translation“ (IMT) vor.
Bei Anstey wird zusammen mit einer Transliteration der tiberischen Masora (Metazeichensystem: Internationales Phonetisches Alphabet; Matres lectionis in Klammern; Haupt- und Nebenton durch Akzente notiert) eine grobe morphologisch-semantische Analyse geboten, die weitgehend selbsterklärend ist: Semantisch relevante Funktionen der Morpheme werden in Kapitälchen notiert (Konjunktion גַּם „additive“, 2. mask. sg. beim Pronomen etc., der Infinitiv absolutus wird nach seiner Funktion als „certainty“ bestimmt, die Verbfunktion als „nonpast“). Bedeutungstragende Hauptwörter sind durch ein englisches Wort präsentiert.
Der von Richter (1985) entwickelte ebenenspezifische Ansatz metasprachlicher Transkription wurde von ihm selbst fortgeschrieben (Rechenmacher / van der Merwe 2005). Das Resultat ist in der BHt-Forschungsdatenbank 3.0
Literaturverzeichnis
1. Lexikonartikel
- Lexikon der Sprachwissenschaft, Stuttgart 2002
- Linguistisches Wörterbuch, Heidelberg 6. Aufl. 1994
- Neues Bibel-Lexikon, Zürich u.a. 1991-2001
2. Weitere Literatur
- Anstey, M.P., 2005, Towards a Typological Presentation of Tiberian Hebrew, Hebrew Studies 46, 71-128
- Anstey, M.P., 2006, The Grammatical-Lexical Cline in Tiberian Hebrew, JSS 51, 59-84
- Bartelmus, R., 2007, Transliteration und Transkription – Religion und Übertragung von Sprache in Schrift (und umgekehrt) – unter besonderer Berücksichtigung der Umschrift von Namen, in: J. Luchsinger / H.P. Mathys / M. Saur (Hgg.), „... der seine Lust hat am Wort des Herrn!“ (FS E. Jenni), 1-9
- Beyer, K., 1969, Althebräische Grammatik, Göttingen
- Bauer, H. / Leander P., 1922, Historische Grammatik der hebräischen Sprache, Halle
- Irsigler, H., 1984, Psalm 73 – Monolog eines Weisen. Text, Programm, Struktur (ATSAT 20), St. Ottilien
- Lyons, J., 8. Aufl. 1995, Einführung in die moderne Linguistik, München
- Meyer, R., 1960, Hebräisches Textbuch, Berlin
- Müller, A.R., 1992, Ein Mißbrauch des Wortes Transkription, BN 63, 42-43
- Ornan, U., 2003, Latin Conversion of Hebrew. Grammatical, Full and Deficient, Hebrew Studies 44, 185-202
- Ornan, U., 2008, Hebrew Word Structure. Its Rendering in Pointing and in Latin Conversion, Hebrew Studies 49, 207-233
- Rechenmacher, H. / van der Merwe, C.H.J., 2005, The Contribution of Wolfgang Richter to Current Developments in the Study of Biblical Hebrew, JSS 50, 59-82
- Richter, W., 1983, Transliteration und Transkription. Objekt- und metasprachliche Metazeichensysteme zur Wiedergabe hebräischer Texte (ATSAT 19), St. Ottilien
- Richter, W., 1985, Untersuchungen zur Valenz althebräischer Verben. 1. ’RK (ATSAT 23), St. Ottilien
- Richter, W., 1986, Untersuchungen zur Valenz althebräischer Verben. 2. GBH, ‘MQ, QṢR (ATSAT 25), St. Ottilien
- Richter, W., 1991-93, Biblia Hebraica transcripta. BHt – das ist das ganze Alte Testament transkribiert, mit Satzeinteilungen versehen und durch die Version tiberisch-masoretischer Autoritäten bereichert, auf der sie gründet (ATSAT 33.1-16), St. Ottilien
- Riepl, C., 2016, Biblia Hebraica transcripta – das digitale Erbe, in: H. Rechenmacher (Hg.), In Memoriam Wolfgang Richter (ATSAT 100), St. Ottilien, 295-311
- Tropper, J., 2000, Ugaritische Grammatik (AOAT 273), Münster
- Weinberg, W., 1969/70, Transliteration and Transcription of Hebrew, HUCA 40/41, 1-32
Abbildungsverzeichnis
- Gen 2,20a in der BHT-database.
- Ps 30,1 in der Sekunda (nach Meyer 1960, 69).
- Gen 2,20a in der Transkription von Beyer (1969, 68).
- Gen 2,20a in der Transkription von Richter (1991, 30).
- 2Sam 2,14 in der Transkription von Anstey (2005).
- Die Wortgruppe הַבֵּן הַיִּלּוֹד לְךָ aus 2Sam 12,14 nach BHt-Forschungsdatenbank 3.0.
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