Treue (AT)
(erstellt: August 2012)
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Treue erscheint in vielen alttestamentlichen Texten als eine Eigenschaft, die sich in einem zuverlässigen und beständigen Verhalten verwirklicht. Treue ist dabei auch ein Relationsbegriff. Sie zeigt und realisiert sich in einem Verhältnis, einer Beziehung. Zum Wortfeld „Treue“ gehören im Hebräischen wie im Deutschen eine Fülle von Begriffen, für die es keine festen Entsprechungen gibt (→ Gerechtigkeit
1. Begriffsbestimmungen
1.1. Treue im Deutschen
Im Deutschen zeigen die Begriffe „Treue / treu“ eine relativ große Bedeutungsbreite. Treue kann eine treue Gesinnung bzw. ein treues Verhalten, eine unverändert feste Verbundenheit mit jemandem oder einer Sache, Gewissenhaftigkeit, Aufrichtigkeit, Ehrlichkeit, Genauigkeit (als Nähe zur Vorlage) bis hin zu den Aspekten von Versprechen, Gelübde, ja sogar Bund / Bündnis bezeichnen (Wahrig). Das verwandte englische „true“ weist auf die Konnotation mit „wahr“, „richtig“ und „echt“ hin. Bei der Treue von Eltern gegenüber Kindern und umgekehrt bzw. zwischen Geschwistern vereinigen sich Elemente der Liebe, Fürsorge, Güte, Dankbarkeit sowie des Gehorsams und lassen sich auch leicht verwechseln (Grimm).
1.2. Treue in deutschen Bibelübersetzungen
Ein vergleichender Blick in verschiedene deutsche Bibelübersetzungen zeigt eine ähnliche Vielfalt. So übersetzt die Lutherbibel (1984) verschiedene hebräische Begriffe mit „Treue“ (z.B. Ex 34,6
2. Wortbedeutungen und Äquivalente
2.1. Hebräische Bibel
Viele für das Wortfeld der Treue relevante Begriffe haben als Basis die Verbwurzel אמן ’mn „fest / beständig / sicher / zuverlässig sein“. Dabei sind Formen im Nif. „Bestand haben / dauern / zuverlässig sein / treu sein“, und im Hif. „fest stehen / vertrauen / Glauben haben / glauben“ relativ häufig. Unter den nominalen Ableitungen sind am wichtigsten אֱמוּנָה ’ämûnāh „Festigkeit / Zuverlässigkeit / Treue / Redlichkeit“ und אֱמֶת ’ämæt „Beständigkeit / Dauer / Zuverlässigkeit / Treue / Wahrheit“. Als Adjektiv „zuverlässig / treu“ wird meist נֶאֱמָן næ’ämān (Part. Nif.) verwendet.
Die hebräische Wurzel findet sich auch in dem liturgischen Ausruf → „Amen
Es gibt eine Reihe von Begriffen, die wie „Treue“ eine Zuwendung Gottes zur Welt umschreiben und nicht klar voneinander abgrenzbar sind. אֱמוּנָה ’ämûnāh und אֱמֶת ’ämæt sind häufig mit dem Nomen חֶסֶד ḥæsæd verbunden (s.u. 3.5.), das eine Fülle von Bedeutungen hat: „Güte / Huld / Gnade / Gnadenerweise / Gemeinschaftspflicht / Loyalität“ bis hin zu „Treue“ (HALAT, 323). Weiterhin sind z.B. zu nennen: כוּן kûn Nif. „fest sein / fest stehen“ (Ps 89,38
Als Kontrastbegriffe sind als Verbwurzeln insbesondere zu nennen: בגד bgd „treulos handeln“ (Jer 3,20
2.2. Septuaginta
Die griechischen Äquivalente der → Septuaginta
Als Kontrastbegriffe sind insbesondere ἀσυνθεσία asynthesía „Untreue“ (Esr 9,2
3. Treue Gottes
3.1. Treue als Wesensausage Gottes im Gegenüber zu seinem Volk
Wenn von der Treue Gottes als einer seiner Eigenschaften die Rede ist, wird damit weniger eine Aussage über sein Wesen an sich getroffen, als sein Verhältnis (Relationsbegriff) zu den Menschen beschrieben (Preuß, 274). Die Treue bringt ebenso wie die Güte (חֶסֶד ḥæsæd) und die Gerechtigkeit (צְדָקָה ṣǝdāqāh) als Eigenschaft Gottes zum Ausdruck, „dass Gott den Menschen heilsam verändern will“ (Janowski / Scholtissek, 142). Dieser Wille zur freundschaftlichen Verbundenheit zielt wesentlich auf die Verlässlichkeit seiner freundlichen Zuwendung.
Dies zeigt sich z.B. prominent im kleinen „Kompendium“ (Preuß, 277) von Ex 34,6-7
In Dtn 7,9
Viele der Aussagen stellen nicht ein „Eigenlob“ Gottes dar, sondern sind direktes oder indirektes Gotteslob (vgl. Spieckermann, 9) bzw. eine Mahnung zur Treue gegenüber der (tendenziellen) Untreue des Menschen.
3.2. Treue Gottes in der Geschichte des Gottesvolkes
Gott steht zuverlässig zu seinen Verheißungen und verwirklicht sie in seinen Taten (vgl. 3.1. mit Dtn 7,6-9
Dies wird deutlich im Exodusgeschehen (vgl. 3.1. mit Dtn 7,6-9
Gott erinnert sich an seine Treue zum Hause Israel (Ps 98,3
3.3. Treue Gottes und der Bund
Die Beziehung Gottes zu Israel wird oft mit dem Bild des → Bundes
Das Bild vom Ehe-Bund oszilliert mit dem Bund als Vertrag. Gott erweist seine Huld (חֶסֶד ḥæsæd) allen, die den Bund einhalten und die damit verbundenen Abmachungen / Gebote einhalten (vgl. Ps 103,17-18
Hier tritt auch die → Gerechtigkeit
3.4. Erinnerung und Appell an die Treue Gottes im Gebet
Gerade in den → Gebeten
Ps 89
3.5. Huld und Treue Gottes
Häufig bildet אֱמֶת ’ämæt mit חֶסֶד ḥæsæd (Ex 34,6
4. Treue des Menschen
Treue Gottes und Treue des Menschen stehen in einem engen Beziehungs- und Bezugsgeflecht.
4.1. Treue des Menschen im Alltag
Für ein lebensförderndes Verhalten ist es wichtig, dass sich Menschen in den sozialen Ordnungen des Zusammenlebens als zuverlässig, aufrichtig und treu erweisen. Dies zeigt die Weisheitsliteratur. Treue ist hierbei kein starres Prinzip, sondern handlungsleitende Orientierung auf das Leben hin. Richtschnur dafür bildet die Treue und Zuverlässigkeit Gottes, die der Mensch als Vorbild betrachten kann und soll (Sir 15,15
Ein redliches Verhalten gegenüber den Menschen und gegenüber Gott behütet den König (Spr 20,28
Im Bezug auf das Eheleben (→ Ehe
Ein anderer menschlicher Bereich, in welchem Zuverlässigkeit gefragt ist, ist die Freundschaft. Ein treuer Freund ist eine Lebensarznei (Lutherübersetzung: „Trost“; Sir 6,16
4.2. Treue des Menschen beim Reden und vor Gericht
Die Treue des Menschen zeigt sich auch in der Verlässlichkeit im Reden. Dies ist besonders bei Gericht wichtig, wo man verlässliche Zeugen braucht (Spr 14,5
In diesen Gesamtkontext der rechten Rede kann man auch die eidliche Zusage einordnen, bei welchem die Erfüllung von Zusagen, Verträgen und religiösen Pflichten garantiert wird (Gen 47,29
4.3. Treue des Menschen zu Gott
Treue gefällt Gott gut (Sir 1,27
Gerade der Kontakt mit anderen Göttern zerstört den festen Bezug zum Gott des Lebens (Jos 24,14
Im Zusammenhang von Ehen mit fremden Frauen vermischen sich die Motive der Untreue (Esr 10,2
Im Kult ist der priesterliche und levitische Dienst gegenüber Gott gewissenhaft und stetig durchzuführen (vgl. Lev 5,15
4.4. Beispiele gelebter Treue
Mehrere Menschen werden dezidiert als treu bezeichnet.
→ Abraham
→ Josua
→ Samuel
Von den Königen erhalten nur → David
In der Gestalt des → Daniel
Von der Sache her könnten weitere Figuren eingereiht werden, die eine zuverlässige Haltung gegenüber jemanden bewahrt haben, u.a.:
→ Rizpa
→ Tobit
Die → Rechabiter
Ziba ist ein treuer Knecht und Verwalter (2Sam 9,2-11
Obadja („Diener JHWHs“), Hofmeister König → Ahabs
Summarisch werden anonym noch „die Treuen“ (אֱמוּנִים ’ämûnîm [Lutherübersetzung: „Gläubigen“]) als Parallele zu den Frommen erwähnt (Ps 12,2
In Spr 8,30
Zu erwähnen ist noch der → Hund
Literaturverzeichnis
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