Deutsche Bibelgesellschaft

(erstellt: Juli 2012)

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1. Grundsätzliches

In der Hebräischen Bibel hat der Vorgang der Umkehr meist die Umkehr von Menschen zu JHWH im Blick. Umkehr folgt aus der Einsicht, von Gott getrennt zu sein und die Trennung selbst verschuldet zu haben. Als Teil dieses Prozesses bezeichnet Reue das schmerzhafte Bedauern darüber, dass verkehrtes Denken und Handeln die Abkehr von JHWH bewirkt hat. Um das Gottesverhältnis wiederherzustellen, können konkrete Handlungen vollzogen werden. Dieser Aspekt wird oft „Buße“ (etymologischer Zusammenhang mit „besser“) genannt. Praktisch kann Buße in → Riten, z.B. Riten der Selbstminderung (Kutsch) sichtbar werden. Ein Spezialfall ist die Reue Gottes: Gott kann einerseits angesichts menschlicher Bosheit sein Heilshandeln bedauern, andererseits von einem beschlossenen oder geschehenen Gerichtshandeln Abstand nehmen.

Für „Umkehr / Buße / Reue“ gibt es in der Hebräischen Bibel keinen allgemeinen Terminus; das Substantiv תְּשׁוּבָה təšûvāh „Umkehr“ ist erst im nachbiblischen Schrifttum (z.B. → Qumran, Damaskusschrift 19,16ff.) belegt. In vielen Fällen lässt sich der Sachverhalt aber (abgesehen von den Kontexten) an den Wurzeln שׁוב šwb qal „zurückkehren / umkehren / sich bekehren“ und נחם nḥm nif. (selten hitp.) „bereuen / sich etwas leid sein lassen“ festmachen. Umkehr wird v.a. im deuteronomistischen (→ Deuteronomismus), chronistischen und prophetischen Schrifttum zum Thema; in der alttestamentlichen Umkehrtheologie kommen Reflexionen der fortgeschrittenen nachexilischen Zeit zum Tragen.

2. Umkehr von Menschen

2.1. Der Vorgang der Umkehr

Umkehrberichte oder Umkehrforderungen beziehen sich auf einzelne Menschen (z.B. → David nach 2Sam 12,1-25*), Gruppen (z.B. die Niniviter nach Jon 3) oder gar ein ganzes Volk (Israel und Juda nach 2Kön 17,13). Der Umkehr geht die Einsicht voraus, dass das vergangene Tun verkehrt war; die umkehrwilligen Menschen übernehmen die Verantwortung (1Sam 15,24.30; 1Sam 26,21; 2Sam 12,13; 2Sam 24,17; Jer 14,7.20; Ps 51,5f. etc.) und wenden sich ggf. dezidiert von ihrer Verkehrung ab (Ez 18,21ff.; Jon 3,8.10). Einige Klagelieder des Einzelnen (→ Psalmen), namentlich Bußpsalmen wie Ps 32; Ps 38; Ps 51; Ps 130 können als Gebete dieser Einsicht gelesen werden. Bußgebete oder Bußliturgien einer größeren Gruppe sind etwa in Jes 63,7-64,11; Jer 14,7-9.19-22; Dan 9 zu finden (→ Liturgie).

Auch Unheilserfahrungen können zu einer solchen Einsicht oder zumindest zur Forderung der Umkehr führen (vgl. Ex 9,27f.; Ri 2,11-18; 1Kön 8,46-51 etc.). Diese Erfahrungen werden als Folge der eigenen Abkehr von JHWH aufgefasst (→ Tun-Ergehen-Zusammenhang). Andererseits kann eine dringend erforderliche Umkehr auch ausbleiben (Jes 9,10-12; Hos 5,4; Am 4,6-11; Hag 2,15-17), weil z.B. das Volk verstockt ist (Jes 6,10).

2.2. Theologischer Hintergrund

Den Hintergrund der alttestamentlichen Rede von Umkehr bilden geschichtstheologische Strukturen, die sich in deuteronomistischen Reflexionstexten (→ Deuteronomismus) sowie in der Konzeption der Prophetenbücher niedergeschlagen haben. Diese Denkstrukturen haben politische, in einigen Fällen aber auch einzelbiographische Inhalte (vgl. hierzu 2Sam 12,7-13). Die Heilsgaben Jahwes (wie Erwählung und Exodus) haben nicht dazu geführt, dass die Menschen ihn verehrten bzw. seine Gebote befolgten, sondern sie sind abtrünnig geworden, haben sich z.B. anderen Göttern zugewandt oder sich anderweitig verfehlt. Das hatte Strafen bzw. ein Gerichtshandeln JHWHs zur Folge (→ Gericht Gottes), insbesondere steht hier die Katastrophe von 587/86 v. Chr. im Blick (→ Zerstörung Jerusalems). Danach jedoch gibt es eine neue Zukunft, in der die Hinwendung zu Gott möglich und nötig ist; die Wende zum Heil (wie etwa die Heimführung der Diaspora etc.) ist ggf. von der Umkehr des Volkes regelrecht abhängig. Vgl. zum Sachverhalt insgesamt Dtn 30, bes. Dtn 30,1-3; 1Sam 7,3; 1Kön 8,33-51; 2Kön 17,13-23; 2Kön 21,11-16; Jes 30,15; Jes 42,24f; Jer 3,6-18; Hos 11,5f.; Sach 1,4.6, auch Ez 20. JHWHs Heilsangebot und mithin die Umkehrforderung bleiben für die Zukunft bestehen (vgl. Ez 3,21; Ez 18,21-23.27f; Ez 33,10-20; Jo 2,12f.; Mal 3,7; 2Chr 15,1-4; 2Chr 30,9; Neh 1,9).

2.3. Praktische Konsequenzen

Einsicht und Umkehr können sich in einer Gesinnungsänderung (Jer 31,19; Hi 42,6) niederschlagen, sie können aber auch praktische und sichtbare Konsequenzen haben. Es geht hierbei v.a. um ein Verhalten, das von Kutsch als Selbstminderungsriten bezeichnet wird und seinen Ursprung in Totentrauerbräuchen hat (→ Trauer; → Totenklage). Dazu gehört v.a. das → Fasten sowie das Anlegen von Sack und Asche (Jon 3,5-10; Dan 9,3; Neh 9,1; → Kleidung 2.1.7.), auch das Zerreißen der Kleider (1Kön 21,27-29) und das Schlafen auf dem Boden (2Sam 12,16). Öffentliche Fastenfeiern belegen z.B. Jo 1,14; Jo 2,15; Sach 8,19. Deren genauer Ablauf wird in Neh 9; 2Chr 20 geschildert. Das Ritual des großen Versöhnungstages (Lev 16) dient dazu, kultisch Israels Umkehr zu vollziehen (→ Jom Kippur). Solche → Rituale haben den Zweck, die Gottheit angesichts der eigenen Verfehlung gnädig zu stimmen und beschlossenes oder geschehenes Unheil abzuwenden. Die Kritik an ihnen betont, dass hier nicht nur äußerliche Übung stattfinden darf, sondern die Hinwendung zu JHWH im Herzen geschehen muss (vgl. etwa Jes 58,3-12; Jo 2,12-14; Ps 51).

3. Die Reue Gottes

Neben der expliziten Rede von menschlicher Reue (vgl. die Wurzel נחם nḥm nif. in Jer 8,6; Jer 31,19; Hi 42,6) weiß die Hebräische Bibel auch von der → Reue Gottes. Im Blick auf die Bosheit der Menschen bereut er seine Heilsgaben; und im Blick auf ihr Unglück tut es ihm leid, sie weiter zu strafen. Dies ist insofern bemerkenswert, als andernorts betont wird, dass er weder seine Gnade (Num 23,19) noch seine Strafe (1Sam 15,29; Jer 4,28; Ez 24,14) bereue. Es reut Gott, den Menschen geschaffen (Gen 6,6f.), Saul zum König gemacht (1Sam 15,11.35) oder einem abtrünnigen Volk Gutes verheißen (Jer 18,9f.) zu haben. Während oder nach dem Gericht tut ihm das Unheil, die Not der Menschen, leid (Ex 32,7-14; 2Sam 24,16 par 1Chr 21,15; Jer 42,10; Jon 4,2; Ps 106,45). Einige Male bewegt die Umkehr der Menschen Gott dazu, das beschlossene Gericht oder Strafhandeln zurückzunehmen (vgl. Jer 18,7f.; Jer 26,3ff.; Ez 18,21-23.27f.; Ez 18,10-20.30-32; Jo 2,13f.; Jon 3,9f.). Andere Gründe der Zornesrücknahme nennen etwa Ez 20,5-44; Am 7,1-6. All dies stellt eine erhebliche Weiterentwicklung der in 2.2 skizzierten theologischen Zusammenhänge dar und gehört ins Milieu spätnachexilischer Reflexionen.

Literaturverzeichnis

1. Lexikonartikel

  • Biblisch-historisches Handwörterbuch, Göttingen 1962-1979
  • Theologisches Wörterbuch zum Alten Testament, Stuttgart u.a. 1973ff.
  • Theologische Realenzyklopädie, Berlin / New York 1977-2004
  • Theologisches Handwörterbuch zum Alten Testament, 5. Aufl., München / Zürich 1994-1995
  • Neues Bibel-Lexikon, Zürich u.a. 1991-2001
  • Lexikon für Theologie und Kirche, 3. Aufl., Freiburg i.Br. 1993-2001
  • Religion in Geschichte und Gegenwart, 4. Aufl., Tübingen 1998-2007
  • Handbuch theologischer Grundbegriffe zum Alten und Neuen Testament, Darmstadt 2006

2. Weitere Literatur

  • Dietrich, E.K., 1936, Die Umkehr (Bekehrung und Busse) im Alten Testament und im Judentum bei besonderer Berücksichtigung der neutestamentlichen Zeit, Stuttgart
  • Döhling, J.-D., 2009, Der bewegliche Gott. Eine Untersuchung des Motivs der Reue Gottes in der Hebräischen Bibel (HBS 61), Freiburg (i. Br.)
  • Jeremias, J., 1997, Die Reue Gottes. Aspekte alttestamentlicher Gottesvorstellung (BThSt 31), 2., erw. Aufl. (1. Aufl. 1975), Neukirchen-Vluyn
  • Kutsch, E., 1965, „Trauerbräuche“ und „Selbstminderungsriten“ im Alten Testament, in: K. Lüthi / E. Kutsch / W. Dantine, Drei Wiener Antrittsreden (ThSt 78), Zürich, 23-42; auch in: ders., Kleine Schriften zum Alten Testament (BZAW 168), Berlin / New York 78-95
  • Wolff, H.W., 1951, Das Thema „Umkehr“ in der alttestamentlichen Prophetie, ZThK 48, 129-148

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