Unheil / Unheilsschilderung (AT)
(erstellt: Oktober 2007)
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→ Leid
1. Die Doppelbedeutung der Wurzel רעע „Böses tun / Unheil erleiden“
Im Hebräischen geben die Wurzel רעע r‛‛ „schlecht sein“ und ihre Derivate im Wesentlichen das wieder, was im Deutschen mit „Unheil“ bezeichnet wird. Doch kann die Wurzel in ihren Nominalformen (ra‛, rā‛āh usw.) sowohl das aktiv begangene Schlechte, das „Böse“, als auch das passiv erlittene Unheil, das „Übel“, bezeichnen (so auch akkadischen lemuttu „Böses“).
● Die Bedeutung „böse“ belegt z.B. Gen 8,22
● Die Bedeutung „Übel / Unheil“ findet sich z.B. in Am 3,6b
2. Der Zusammenhang von menschlicher Untat und göttlich gewirktem Unheil
2.1. Die Fluterzählung
Der enge Zusammenhang zwischen dem menschlichen „bösen“ Tun und dem von Gott verhängten Unheil in der nichtpriesterlichen / jahwistischen → Fluterzählung
In den mesopotamischen Vorläufern der beiden biblischen Flutversionen, dem → Atram-Chasis-Epos
2.2. Das Deuteronomium und die Bundestheologie
Sowohl das biblische Buch → Deuteronomium
Es verdient in diesem Zusammenhang Beachtung, dass das → Deuteronomistische Geschichtswerk die Geschichte Israels und Judas mit den Kategorien von Bundesbruch und Eintreffen der angedrohten Flüche deutet: Das Unheil, das Israel und Juda widerfahren ist, sei nichts anderes als die Realisierung der Flüche, die seit der Mosezeit angedroht waren. Während in der nichtpriesterschriftlichen / jahwistischen Flutgeschichte das menschliche Tun allgemein als ra‛ „böse“ bezeichnet wird, wird das Vergehen Israels im Falle der deuteronomistischen Bundestheologie spezieller gefasst: „Böses“ (ra‛) zu tun, heißt konkret, den Bund, dessen Kern das erste Gebot ausmacht (→ Dekalog
2.3. Die Prophetie
In der prophetischen Literatur gibt es Passagen, die den oben beschriebenen Zusammenhang zwischen falschem Tun und göttlich gewirktem Unheil nach zwei Seiten hin aufzuheben scheinen: Zum einen wird kommendes Unheil geschaut, das nicht als Reaktion auf menschliches Tun gezeichnet wird, zum anderen kommt es dank der göttlichen Gnade dazu, dass menschliche Vergehen ohne Unheilsfolgen bleiben. Für beide Aspekte liefern die Visionen im → Amosbuch
Die biblische Unheilsprophetie mit ihren plastischen Schilderungen basiert generell auf dem Denkmodell von → „Tun und Ergehen
2.4. Die Weisheit
2.4.1. Sprüchebuch
Der Zusammenhang zwischen Tun und Ergehen setzt eine Kausalität zwischen geschehenen Taten und deren heilvoller oder unheilvoller Wirkung voraus. Gott wird dabei als Garant einer gerechten Weltordnung, bedingt vergleichbar der ägyptischen Göttin → Ma’at
2.4.2. Hiob und Kohelet
Das → Hiobbuch
Auch das Buch → Kohelet
2.5. Die Klagelieder
Zahlreiche → Psalmen
Das Motiv der Feinde, die Unheil bringen, durchzieht auch die aus exilisch-nachexilischer Zeit stammenden kollektiven (Volks-)Klagelieder (z.B. Klgl 2
3. Vorstellungen des Unheils
Das Alte Testament bezieht sein Repertoire an Unheilsvorstellungen vielfach aus – wohl standardisierten – Fluchmotiven aus der Umwelt des Alten Israels, wie sie in Texten, aber auch in ikonographischen Darstellungen greifbar sind. Teilweise gibt es aber auch Eigenbildungen, die sich außerhalb des Alten Testaments nicht nachweisen lassen. Es verdient in diesem Zusammenhang Erwähnung, dass das Alte Testament die in seiner Umwelt bekannten divinatorischen Praktiken zur Erkennung und Vermeidung von Unheil ablehnt (→ Divination
3.1. Verborgener Gott und zerstörender Gott
Zu unterscheiden ist, wie sich an den Fluchkatalogen Dtn 28
3.2. Motive der Unheilsschilderung
Die farbenreichen Szenarien des Unheils von Fluchkatalogen, von prophetischen Unheilsankündigungen an Israel / Juda oder auch fremde Völker sowie von Notschilderungen der Psalmenbeter bieten weithin dieselben Motive, die sich im Wesentlichen drei Themenkomplexen zuordnen lassen:
1) Naturkatastrophen: Dürre und Ungeziefer vernichten die Ernte und verursachen Hungersnöte (Lev 26,26
2) Krieg: Feinde kommen, verwüsten das Land, töten und verschleppen Menschen, vergewaltigen Frauen und rauben die Güter des Landes (Lev 26,25
3) Gesellschaftliche Missstände: Zwischen den Menschen herrscht Missgunst, Verwandte kämpfen gegeneinander (Mi 7,5f
Diese Szenarien können jeweils kombiniert und, je nach Situation, mehr oder minder konkret ausgeführt werden. Auch hier stehen mit Sicherheit ältere Fluchmotive und wohl auch die Topik neuassyrischer Feldzugsberichte im Hintergrund, die entsprechend der konkreten Situation adaptiert werden. Jes 8,7
Die mannigfachen Unheilsschilderungen der individuellen Klagelieder sind häufig Metaphorisierungen der Feinde (→ private Feinde
Schließlich ist die sogenannte Theophanieschilderung zu nennen (z.B. Ex 19,16
Literaturverzeichnis
1. Lexikonartikel
- Theologisches Handwörterbuch zum Alten Testament, Gütersloh 1971 / 1975, 6. Aufl. 2004
- Theologisches Wörterbuch zum Alten Testament, Stuttgart u.a. 1973ff
- Lexikon der Ägyptologie, Wiesbaden 1975-1992
- Neues Bibel-Lexikon, Zürich u.a. 1991-2001
- The Anchor Bible Dictionary, New York 1992
- Calwer Bibellexikon, Stuttgart 2003
2. Weitere Literatur
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- Dietrich, W. / Link, C., 1995 / 2000, Die dunklen Seiten Gottes. Bd. 1: Willkür und Gewalt, Bd. 2: Allmacht und Ohnmacht, Neukirchen-Vluyn
- Ebner, M. u.a. (Hgg.), 2001, Klage (JBTh 16), Neukirchen-Vluyn
- Emmendörfer, M., 1998, Der ferne Gott. Eine Untersuchung der alttestamentlichen Volksklagelieder vor dem Hintergrund der mesopotamischen Literatur (FAT 21), Tübingen
- Grätz, S., 1998, Der strafende Wettergott. Erwägungen zur Traditionsgeschichte des Adad-Fluchs im Alten Orient und im Alten Testament (BBB 114), Bodenheim
- Hartenstein, F., 1997, Die Unzugänglichkeit Gottes im Heiligtum. Jesaja 6 und der Wohnort JHWHs in der Jerusalemer Kulttradition (WMANT 75), Neukirchen-Vluyn
- Jeremias, J., 3. Aufl. 2002, Die Reue Gottes. Aspekte alttestamentlicher Gottesvorstellung (BThS 31), Neukirchen-Vluyn
- Korpel, M.C.A., 1990, A Rift in the Clouds. Ugaritic and Hebrew Descriptions of the Divine (UBL 8), Münster
- Müller, H.P., 3. Aufl. 1995, Das Hiobproblem. Seine Stellung und Entstehung im Alten Orient und im Alten Testament, Darmstadt
- Riede, P., 2000, Im Netz des Jägers. Studien zur Feindmetaphorik der Individualpsalmen (WMANT 85), Neukirchen-Vluyn
- Rüterswörden, U., 1996, Das Böse in der deuteronomischen Schultheologie, in: T. Veijola (Hg.), Das Deuteronomium und seine Querbeziehungen (SESJ 62), Helsinki
- Rüterswörden, U., 1993, Dominium terrae. Studien zur Genese einer alttestamentlichen Vorstellung (BZAW 215), Berlin / New York
- Schmidt, W.H., 2. Aufl. 2002, Zukunftsgewißheit und Gegenartskritik. Studien zur Eigenart der Prophetie (BThS 51), Neukirchen-Vuyn
- Spieckermann, H., 1990, „Barmherzig und gnädig ist der Herr …“, ZAW 102, 1-18
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