Vasall / Vasallität
(erstellt: März 2020)
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1. Vasallität im antiken Vorderen Orient
Die Vasallität war mit Rechten und Pflichten verbunden. Der Vasall musste der Großmacht gegenüber politisch treu bleiben und durfte keine eigenständige Außenpolitik betreiben. Die Vasallenstaaten waren verpflichtet, die Armeen des Hegemons frei passieren zu lassen und bei Bedarf mit Soldaten, Proviant und Ausrüstung zu versorgen. Als zentrale Vasallenpflicht sind jedoch Tribut- und Steuerzahlungen zu sehen. Wenn sie ihren Verpflichtungen nicht nachkamen, wurden die Vasallen mit Feldzügen, Zerstörungen, verschärften wirtschaftlichen Pflichten, Deportationen oder einem Wechsel des Vasallenkönigs gestraft. Als Gegenleistung für ihre Treue hatten die Vasallenstaaten wenigstens ideologisch ein Recht auf militärische Hilfe durch die Großmacht, der sie untertan waren. Die Vasallität konnte durch Vasallenverträge und insbesondere in der neuassyrischen Zeit durch Loyalitätseide (adê) zugesichert werden (Neumann, Parpola / Watanabe).
Ein besonders ausgeprägtes Vasallensystem hatte das Neuassyrische Großreich (→ Assyrien / Assyrer
2. Das Nordreich Israel als Vasallenstaat
2.1. von Aram (Ende 9. Jh.)
Im letzten Viertel des 9. Jh.s v. Chr. schwächte der neuassyrische Machtdruck in der Levante ab, sodass Aram-Damaskus an Bedeutung gewinnen konnte. Der Machtzuwachs der aramäischen Könige brachte im 9. Jh. v. Chr. die frühere Machtposition Israels (→ Omri
2.2. von Assyrien (9. Jh; 8.-7. Jh.)
Die aggressive Eroberungspolitik von Assyrien in der ersten Hälfte des 9. Jh.s v. Chr. führte in der Levante zu einer Koalitionsbildung zwischen zwölf Königen. Geleitet wurde die Koalition von Hamat und Damaskus, aber auch → Ahab von Israel
Nach vielen Versuchen, die Aramäer und ihre Koalitionspartner zu besiegen, gelang es Adad-Nerari III. (810-783), die neuassyrische Hegemonie bis in die südliche Levante zu erweitern. In einer Inschrift wird festgestellt, dass das „Land Omri“ neben vielen anderen Staaten besiegt wurde. Israel wurden Abgaben und Tributzahlungen auferlegt (HTAT Nr. 121). Auch eine Tributzahlung von → Joasch von Israel
In den folgenden Jahren gab es einen Versuch, eine neue antiassyrische Koalition zu bilden, bei der u.a. Damaskus und Samaria unter der Herrschaft von → Pekach
3. Das Südreich Juda als Vasallenstaat
3.1. von Israel und Aram (9.-8. Jh.)
Im Gegensatz zur biblischen Darstellung ist durch archäologische Befunde und außerbiblische Quellen eindeutig, dass das Südreich Juda in seiner frühen staatlichen Entwicklung um wenigstens ein Jahrhundert hinter dem Nordreich Israel zurückblieb. Juda wurde im 9. Jh. v. Chr. von Israel dominiert. In der Forschung ist schon lange vorgeschlagen worden, dass das Südreich ein Vasall des Nordreichs war (Donner, Finkelstein). Daneben ist neulich für ein stärkeres Abhängigkeitsverhältnis als Satellitenstaat oder im Rahmen eines Filialkönigtums – in dieser Klientelpolitik habe immer ein Mitglied des israelitischen Königshauses als König von Juda regiert – plädiert worden (Frevel, 186-194). Unabhängig von der genauen Definition der Beziehung kann festgehalten werden, dass bis zur Regierungszeit des Königs → Ahas
Für ein enges Abhängigkeitsverhältnis sprechen einige biblische Notizen, die den Eindruck erwecken, dass Juda seinen militärischen Vasallenpflichten nachkommen musste. Laut 1Kön 22,1-38
Die politische Bedeutung Israels in der Mitte des 9. Jh.s bezeugt auch die kurze Notiz in 2Kön 3,4
Die Vormachtstellung Israels führte in Juda zu Versuchen, dem Einfluss des Nordens mit Bündnissen zu entgehen. So berichtet 1Kön 15,16-22
3.2. von Assyrien (8.-7. Jh.)
Während der neuassyrischen Zeit erlebte Juda in mehreren Stufen einen wirtschaftlichen Aufschwung, der archäologisch nachweisbar ist. → Jerusalem
Die Prosperität Judas während der Assyrerzeit verdankte sich der Vasallentreue der Könige. Nach Ahas zahlte auch sein Nachfolger Hiskia zunächst Tribut und beteiligte sich nicht an einem Aufstand, der von Gaza und Hamat 720 v. Chr. angestiftet wurde (HTAT Nr. 154). Die pax assyriaca ermöglichte eine wirtschaftliche Entwicklung und eine Teilnahme am internationalen Fernhandel. In den folgenden Jahren beteiligte sich Hiskia – vielleicht auch aufgrund seiner neuen wirtschaftlichen Möglichkeiten – an antiassyrischen Koalitionen gegen → Sargon II.
Die lange Regierungszeit → Manasses
Die Mächte im Vorderen Orient verschoben sich, während der König → Josia
3.3. von Ägypten (spätes 7. Jh.)
Neuere Arbeiten zeigen, dass Juda und andere syro-palästinische Kleinstaaten im letzten Drittel des 7. Jh.s v. Chr. offiziell neuassyrische Vasallen waren, in der Praxis jedoch unter ägyptischer Kontrolle standen (→ Ägypten
3.4. von Babylonien (6. Jh.)
4. Einfluss der Vasallität auf das Alte Testament
Neben den Berichten über Vasallitätsverhältnisse in den → Königsbüchern
4.1. Vasallenverträge
Die hethitischen und assyrischen Vasallenverträge sowie neuassyrische Loyalitätseide (Parpola, Wilhelm) haben alttestamentliche Texte unterschiedlich beeinflusst. Bedeutend sind vor allem die Auswirkungen auf die Bundestheologie (→ Bund
Gen 15,7-21
4.2. Großmächte als Werkzeuge Jahwes
Die Vasallität von Israel und Juda ist im Alten Testament mit theologischen Fragen nach der Geschichtswirksamkeit und der universalen Macht Jahwes verbunden. So werden die Angriffe der Großmächte auf Juda vor allem im Sinne des → Tun-Ergehen-Zusammenhangs
Literaturverzeichnis
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Abbildungsverzeichnis
- Salmanassar III. (858-824 v. Chr.) empfängt Tribute der Völker, die er unterworfen und zu Vasallen gemacht hat (Schwarzer Obelisk aus Kalchu, 841 v. Chr., 198 cm hoch). Mit Dank an © The Trustees of the British Museum; BM 118885
- Die Ausdehnung des neuassyrischen Reiches. © Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart
- Die Ausdehnung des neubabylonischen Reiches. © Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart
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