Verrat / Verraten
(erstellt: April 2013)
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1. Terminologie
1.1. Definition
Im Deutschen ist „Verrat“ von „Betrug“ und „Täuschung“ abzugrenzen. Nach Brockhaus (Brockhaus, Bd. 23, 218) meint „Verrat“: „durch falschen Rat irreleiten“, „treuloses Handeln“, „schwerer Treuebruch“, „Preisgabe“, „treulose Mitteilung (von Geheimnissen)“. Betrug wird demgegenüber definiert als „Vermögensdelikt, das begeht, wer in der Absicht, sich oder einem Dritten einen rechtswidrigen Vermögensvorteil zu verschaffen, das Vermögen eines anderen dadurch beschädigt, dass er durch Täuschung einen Irrtum erregt oder unterhält und den Irrenden zu einer Vermögensverfügung veranlasst“ (Brockhaus, Bd. 3, 246). Die Täuschung kann ein Tatbestandsmerkmal des Betruges sein und wird beschrieben als „bewusste Irreführung, die auf Vorstellung und Handeln eines anderen in einem bestimmten Sinn einwirken soll“ (Brockhaus, Bd. 21, 589).
Im Folgenden wird demnach „Verrat / verraten“ in den oben genannten Definitionen untersucht („durch falschen Rat irreleiten“, „treulos handeln“ und „treulose Mitteilung“ beziehungsweise „das Aufdecken von Geheimnissen“), so dass diesem Lexem immer etwas Negatives anhaftet. Dass man im Deutschen „verraten“ auch eher neutral im Sinne von „berichten / erzählen“ verwenden kann, wird hier nicht berücksichtigt.
1.2. Die hebräischen Lexeme
1.2.1. בגד bgd. Die Bedeutung des „treulosen Handelns“ wird mehrheitlich durch die Wurzel בגד bgd umschrieben und ist insgesamt ca. 45-mal in der Hebräischen Bibel belegt. Dieses Verb beschreibt das unbeständige Verhältnis des Menschen zu einer bestehenden festen Ordnung und findet dann Verwendung, wenn ausgedrückt werden soll, dass „der Mensch eine Vereinbarung nicht einhält, eine Ehe, einen Bund oder eine andere von Gott gegebene Ordnung bricht. Das treulose Handeln des Menschen steht im Gegensatz zu JHWHs Bundestreue und Zuverlässigkeit“ (Erlandsson, 508) und zeigt primär eine religiöse Funktion.
Darüber hinaus beschreibt בגד bgd in der Literatur von → Qumran
1.2.2. פשע pš‘. Neben בגד bgd kann für den „Treuebruch“ in der Hebräischen Bibel auch das Lexem פשע pš‘ verwendet werden (z.B. in Jes 24,20
1.2.3. פתה pth. Dieses Verb wird zwar mehrheitlich mit „betören“ übersetzt, aber in Ps 78,36
1.2.4. גלה glh. „Verraten“ in der Bedeutung „etwas aufdecken“, „ein Geheimnis oder Versteck verraten“ wird im Hebräischen in der Regel mit גלה glh (meist im Piʿel) ausgedrückt. Daneben zeigt גלה glh noch weitere Verwendungsweisen wie „enthüllen / entblößen / offenbaren / weichen / (ins Exil) wegführen“ (in dem Sinne, dass man sich des Landes entblößt, vgl. Zobel I, 1020). Jes 16,3
1.2.5. נגד ngd. Darüber hinaus kann „(eine Sache) verraten“ mit נגד ngd Hif. ausgedrückt werden, wobei diese Wurzel eher allgemein „vorbringen / berichten / mitteilen“ bedeutet. Gerade aber in der Erzählung um → Rahab
1.2.6. רמה rmh. Die Wurzel רמה rmh drückt eher „Täuschung / Betrug / List“ als „Verrat“ aus. Das Verb רמה rmh II lässt sich nur in 1Chr 12,18
1.2.7. Durch falschen Rat in die Irre leiten. Die Aussage, jemanden durch falschen Rat in die Irre zu leiten, findet sich in der Hebräischen Bibel nur selten, erzählerisch ausgemalt ist dieses Motiv aber durchaus anzutreffen. Ein bekanntes Beispiel dafür ist die Erzählung um → Huschai
1.3. Die griechischen Äquivalente in der Septuaginta
Betrachtet man den „Verrat“ als „treuloses Handeln“, so kann man kaum von einem eindeutigen Standardäquivalent sprechen. So kann בגד bgd beispielsweise mit ἀϑετέω atheteō (z.B. Jer 5,11
„Ein Geheimnis aufdecken / verraten“ – im Hebräischen גלה glh – wird in Spr 11,13
2. Das Thema Verrat
In erzählender Literatur taucht das Wortfeld „Verrat / verraten“ verhältnismäßig selten auf. In der Genesis ist es gar nicht vorhanden – dort geht es häufig um Betrug oder Täuschung (vgl. die Erzählungen um → Jakob
2.1. „Verrat / verraten“ in Erzählungen
Zwei Erzählungen behandeln das Thema des „Verrats“ ganz breit, ohne jedoch eines der oben aufgeführten Lexeme zu verwenden: zum einen die Erzählung von Delila, die Simson verrät (Ri 16
2.1.1. Delilas Verrat an Simson
Ri 16
Wirkungsgeschichtlich ist interessant, dass Simson als Typos Christi gedeutet wurde, unter anderem von Martin → Luther
2.1.2. Huschais Verrat an Absalom
Diese Erzählung ist Teil der sog. → Thronfolgegeschichte
2.1.3. Jehus Verrat
Eine kurze Notiz über einen Verrat findet sich in 2Kön 9,23
2.2. „Verrat / verraten“ in den Prophetenbüchern
In der prophetischen Literatur wird „verraten“ in erster Linie als „treuloses Handeln“ verstanden und in diesem Sinne sehr häufig gebraucht.
2.2.1. Verrat an Gott. Das „treulose Handeln“ ist sozusagen der Standardvorwurf der Propheten an Israel und Juda (im Folgenden werden daher nur Schlaglichter aufgelistet). Ihnen wird vorgeworfen, sich an ihrem Gott JHWH als treulos erwiesen zu haben.
So ist beispielsweise in Jer 5,11
In Hos 6,7
2.2.2. Verrat an Menschen. In prophetischer Literatur ist auch von „Verrat“ als einem „zwischenmenschlichen treulosen Handeln“ die Rede. In Mal 2,10
2.3. „Verrat / verraten“ in der Spruch-Literatur
Von den oben genannten Lexemen, die „Verrat“ ausdrücken können, finden sich בגד bgd, גלה glh, פתה pth und מִרְמָה mirmāh auch häufig in der Spruch-Literatur. Eine eindeutige Übersetzung der einzelnen Begriffe mit „verraten“ bzw. „Verrat“ ist kaum möglich, da sie häufig nicht weiter expliziert werden, sondern lediglich ein Pendant zu einem anderen Begriff für unrechtes oder richtiges Handeln bieten. So finden sich die „Treulosen (in Bezug auf JHWH)“ oder die „Verräter“ oft als Antithese zu den Gerechten, Einsichtigen, Frommen oder parallel gebraucht zu den Gottlosen – z.B. in Spr 2,22
Über den Parallelismus hinaus wird auch in der Spruch-Literatur vor dem „Verrat“ gewarnt. So findet sich die Bedeutung von „ein Geheimnis verraten“ (גלה glh) z.B. in der Mahnung, dies nicht zu tun (Spr 25,9
Literaturverzeichnis
1. Lexikonartikel
- Theologisches Wörterbuch zum Alten Testament, Stuttgart u.a. 1973ff
- Theologisches Handwörterbuch zum Alten Testament, 5. Aufl., München / Zürich 1994-1995
- Brockhaus. Die Enzyklopädie in 24 Bänden, Weltbild Studienausgabe, 20. überarbeitete und aktualisierte Aufl., Leipzig / Mannheim 2001
2. Weitere Literatur
- Erlandsson, S., Art. בגד, in: ThWAT I, Stuttgart u.a. 1973, 507-511
- Hermann, R., 1952, Die Gestalt Simsons bei Luther. Eine Studie zur Bibelauslegung (Theologische Bibliothek Töpelmann 2), Berlin
- Kartveit, M, Art. רמה rmh, in: ThWAT VII, Stuttgart u.a. 1993, 523-527
- Kessler, R., 2011, Maleachi (HThK.AT), Freiburg / Basel / Wien
- Maier, J., 1995, Die Qumran-Essener: Die Texte vom Toten Meer, Bd. 1 (UTB 1862), München / Basel
- Meinhold, A., 1993, Die theologischen Vorsprüche in den Diskussionsworten des Maleachibuches, in: P. Mommer u.a. (Hgg.), Gottes Recht als Lebensraum (FS H.J. Boecker), Neukirchen-Vluyn, 197-209
- Meinhold, A., 2006, Maleachi (BK XIV/8), Neukirchen-Vluyn
- Seiler, S.,1998, Die Geschichte von der Thronfolge Davids (2Sam 9-20; 1Kön 1-2). Untersuchungen zur Literarkritik und Tendenz (BZAW 267), Berlin / New York
- Westermann, C. / Albertz, R., Art. גלה glh aufdecken, in: THAT I, 3. Aufl., München / Zürich 1978, 418-426
- Witte, M., 2006, From Exodus to David – History and Historiography in Psalm 78, in: N. Calduch-Benages / J. Liesen (Hgg.), History and Identity. How Israel’s Later Authors Viewed Its Earlier History (DCLY 2006), Berlin / New York
- Zobel, H.-J., Art. גלה, in: ThWAT I, Stuttgart u.a. 1973, 1018-1031
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