Verschuldung
(erstellt: Dezember 2008)
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1. Der Mechanismus von Verschuldungsvorgängen
Von Verschuldung im ökonomischen Sinn spricht man dann, wenn ein Wirtschaftssubjekt bei einem anderen etwas geliehen hat und verpflichtet ist, es diesem zurückzugeben. Am Anfang steht also das Ausleihen bzw. der Kredit (→ Leihrecht
1.1. Anlässe zur Verschuldung
Auslöser für die Aufnahme eines Kredits, der in Naturalien oder in Geld bestehen kann (Dtn 23,20
Der Mangel, der zu einer Kreditaufnahme führt, kann aber auch darin bestehen, dass ein Unternehmen gestartet werden soll und dazu eine bestimmte Ausstattung benötigt wird. In der Moderne ist das der übliche Kapitalbedarf beim Beginn einer wirtschaftlichen Unternehmung. In der Antike spielt die Ausrüstung von → Karawanen
1.2. Begleitumstände von Verschuldungsvorgängen
Mit Verschuldungsvorgängen hängen zwei Begleitumstände eng zusammen. Der eine resultiert daraus, dass der Gläubiger eine Sicherheit für sein verliehenes Darlehen haben will. Er kann dafür entweder direkt bei der Kreditvergabe eine Sicherheit (in Gestalt von Sachen oder Personen) nehmen und solange behalten, bis der Kredit abbezahlt ist. In der Regel beschränkt sich der Kreditgeber aber auf einen Anspruch, der erst dann eingelöst wird, wenn der Kredit tatsächlich nicht zurückgezahlt wird. In beiden Fällen spricht man von Pfandnahme. Eine Sonderform der Sicherheitsgewährung für den Gläubiger ist die Bürgschaft. Der Bürge erklärt sich bereit, im Fall der Fälle für den Schuldner einzutreten, also für ihn den Kredit zurückzuzahlen oder auch sich für ihn pfänden zu lassen.
Zum andern gehört zu Verschuldungsvorgängen die Forderung von Zinsen. Man kann sie so begründen, dass der Gläubiger für die Zeit der Kreditvergabe einen Eigentumsverzicht leistet und dafür eine Prämie haben will. Man kann sie auch damit begründen, dass der Kreditgeber von dem, was der Schuldner mit seinem Geld oder seinen Naturalien (etwa Saatgut) erwirtschaftet hat, einen Anteil haben will. Auf jeden Fall verlangt er mehr zurück, als er gegeben hat.
Kommt es dazu, dass der Schuldner den Kredit (samt Zinsen) nicht zurückzahlen kann, eröffnen sich viele Möglichkeiten. Der Gläubiger kann den Kredit verlängern; erst wenn etwa durch den Tod des Familienvaters die Zurückzahlung grundsätzlich gefährdet ist, schreitet er zur Vollstreckung (so der Fall in 2Kön 4,1-7
1.3. Der Zweck des antiken Kreditwesens
Triebkraft des modernen Kreditwesens ist die Erzielung von Gewinn aus den Geldgeschäften. Dies ist für die Antike bei Handelskrediten ebenfalls das Ziel der Kreditvergabe. Bei den viel häufigeren Notkrediten ist dies dagegen nicht ohne weiteres zu unterstellen. Aus derartigen Krediten ergeben sich persönliche Abhängigkeitsverhältnisse. Der Schuldner, der immer wieder neue Kredite bekommt, ist nicht nur dazu gezwungen, bis an die Grenze für seinen Gläubiger zu arbeiten, um den Kredit zurückzahlen zu können. Er ist ihm auch zu Loyalität verpflichtet. In einer Welt, in der die gesellschaftlichen Beziehungen nicht so sehr durch Rechtsverhältnisse als durch Prestige und Klientelverhältnisse geprägt sind, hat der Gläubiger gar kein Interesse, den Schuldner durch Rückzahlung des Kredits aus dem Schuldverhältnis zu entlassen. Moses Finley formuliert dazu die These, „daß der Gewinn von Arbeitskraft und Solidaritätsbeziehungen historisch gesehen eine ältere Zwecksetzung der Verschuldung repräsentieren als der Gewinn in Form von Zinsen“ (M.I. Finley, Schuldknechtschaft 1977, 181).
Ein biblisches Beispiel für das Interesse der Gläubiger an der Verschuldung liegt in Am 8,4-7
2. Gegenmaßnahmen der Tora
Verschuldung ist das Kernproblem antiker bäuerlicher Gesellschaften. In Jes 24,2
Als in Israel und Juda seit dem 8. Jh. eine Entwicklung sichtbar wird, die in der Tat den Zusammenhalt der Gesellschaft bedroht, werden erstmals Rechtssätze kodifiziert, die unter anderem auch die Funktion haben, dieser Entwicklung entgegen zu steuern. Aus dem → Bundesbuch
3. Verschuldung und Schuld
Verschuldung ist zunächst ein ökonomischer Vorgang. Doch lassen sich auch nicht-ökonomische Beziehungen mit dieser Begrifflichkeit erfassen. Im Griechischen, Lateinischen, Deutschen und den ihnen verwandten Sprachen hat die Gleichsetzung von ökonomischer, moralischer, juristischer wie religiöser Verwendung der Terminologie stattgefunden. Von Schuld (→ Sünde
Literaturverzeichnis
1. Lexikonartikel
- Religion in Geschichte und Gegenwart, 4. Aufl., Tübingen 1998-2007
2. Weitere Literatur
- Crüsemann, F., 1992, „… wie wir vergeben unsern Schuldigern“. Schulden und Schuld in der biblischen Tradition, in: M. Crüsemann / W. Schottroff (Hgg.), Schuld und Schulden. Biblische Traditionen in gegenwärtigen Konflikten (KT 121), München, 90-103
- Crüsemann, M. / Schottroff, W. (Hgg.), 1992, Schuld und Schulden. Biblische Traditionen in gegenwärtigen Konflikten (KT 121), München
- Finley, M.I., 1977, Die Schuldknechtschaft, in: H.G. Kippenberg (Hg.), Seminar: Die Entstehung der antiken Klassengesellschaft (stw 130), Frankfurt am Main, 173-204
- Gerstenberger, E.S., 2007, In der Schuldenfalle: Zwangsvollstreckung? Insolvenzregelungen in Lev 25 und ihre theologischen Folgen, in: BiKi 62, 16-21
- Kessler, R., 2009, Das hebräische Schuldenwesen. Terminologie und Metaphorik, in: ders., Studien zur Sozialgeschichte Israels (SBAB 46), Stuttgart, 31-45
- Kessler, R., 2009, Die angeblichen Kornhändler von Amos 8,4-7, in: ders., Studien zur Sozialgeschichte Israels (SBAB 46), Stuttgart, 267-275
- Schäfer-Lichtenberger, C. / Schottroff, L., 2009, Art. Schulden, Sozialgeschichtliches Wörterbuch zur Bibel, Gütersloh, 509-515
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