Deutsche Bibelgesellschaft

Verstockung (AT)

(erstellt: November 2007)

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1. Einleitung

Die Verstockung von Menschen durch Gott ist eines der schwierigsten Themen der alttestamentlichen Theologie, scheint hier doch in Frage gestellt zu sein, was sonst grundlegend ist für das Denken der Hebräischen Bibel: dass der Mensch verantwortlich sei für das, was er tut oder nicht tut. Kann ein von Gott verstockter Mensch noch zwischen Gut und Böse unterscheiden und sich für das Gute entscheiden? Kann er für das, was er in dem über ihn verhängten Zustand anrichtet, belangt werden? Erstaunlicherweise beantworten die einschlägigen alttestamentlichen Texte die zweite Frage völlig eindeutig: Verstockte werden für ihr Tun und Lassen zur Rechenschaft gezogen. Darin drückt sich zweierlei aus: Das objektive Faktum des vollbrachten Bösen wiegt schwerer als die mögliche subjektive Unfähigkeit, es zu vermeiden. Und: Das negative Einwirken Gottes auf einen Menschen enthebt diesen nicht der Verantwortung für sein negatives Tun; ein verstockter Mensch ist nicht etwa von Gott besessen, sondern bleibt im Besitz seiner geistigen und seelischen Kräfte.

Der Verstockungsgedanke führt an den Rand des rational Nachvollziehbaren und theologisch Aussagbaren. Er ist eine äusserste Konsequenz aus dem Glauben an nur einen Gott (→ Monotheismus). In pluralen oder in dualen religiösen Systemen (mit einer Mehrzahl von Göttern oder mit einem Gott und einem Anti-Gott) kann offensichtliche und anhaltende menschliche Bosheit erklärt werden mit dem Wirken widergöttlicher übermenschlicher Mächte. In einem Ein-Gott-System hingegen kann es eine dem einen Gott ebenbürtige göttliche oder teuflische Macht nicht geben. Hier bleibt nur die Alternative, dass durch das unbeirrbar Böse die Macht Gottes als begrenzt erwiesen – oder dass es von Gott zugelassen, womöglich gar initiiert wird. Je unbegrenzter die Macht bzw. → Allmacht des einen Gottes vorgestellt ist, desto näher rückt die Verstockungsvorstellung.

Die Hebräische Bibel kennt drei Objekte göttlichen Verstockungshandelns: 1. den Pharao der Bedrückung in Ägypten; 2. einen König des Nordreichs Israel, vorgeblich Ahab; 3. das Volk von Israel bzw. Juda.

2. Die Verstockung des Pharao (Ex 7ff.)

In den → Plagenerzählungen des → Exodusbuchs begegnen zwei Begriffe für Jhwhs verstockendes Handeln: כבד (kbd) „schwer sein / machen“ und חזק (chzq) „hart sein / machen“ (oder, um mit Kellenberger den Vorgang nicht sofort rein negativ zu qualifizieren: „gewichtig“ bzw. „stark sein / machen“). Mit חזק beschreibt die → Priesterschrift (P) einen beim Pharao stattfindenden Wandel von anfänglicher Selbstverhärtung des „Herzens“ (Ex 7,13.22; Ex 8,15, auch Ex 9,35) zu seiner Verhärtung durch Gott (Ex 10,20.27; Ex 14,4.8.17, vgl. auch Ex 11,10 sowie Ex 7,3 mit dem Verb qšh Hif.). Gott verhängt die Verstockung also nicht über einen ahnungslosen oder gar gutwilligen Menschen, sondern bestärkt einen, der das Verkehrte will und tut, in seiner Haltung. Damit sind zwei Axiome gewahrt: Der Mensch ist frei in seiner Entscheidung für das Böse, und Gott ist frei in seinem Handeln durch und gegen den betreffenden Menschen. Jhwh und der Pharao messen als Repräsentanten des Guten und des Bösen ihre Kräfte. Damit der Kampf nicht gar zu ungleich sei, befähigt Jhwh seinen Gegner zur „Stärke“ bzw. „Härte“ gegen die Forderung nach der Freilassung Israels. Damit erzwingt bzw. ermöglicht der Pharao Jhwhs „Wundertaten“, d.h. die Plagen. In diesen „verherrlicht“ sich Jhwh. Sein Ziel ist nicht die Erniedrigung der Ägypter, sondern deren „Erkenntnis“, dass er (der) Gott ist (Ex 7,5; Ex 14,4.17).

In der nicht-priesterschriftlichen Schicht hingegen, die das Verb כבד kbd benutzt, ist es immer der Pharao, der sich selbst „schwer / gewichtig macht“ (Ex 8,11.28; Ex 9,7.34; nur einmal, in Ex 10,1[f] findet sich hier das priesterschriftliche Denkmodell von der Verhärtung des Pharao zum Zweck der Selbstverherrlichung Gottes – ein wohl später, redaktioneller Beleg). Hier ist eindeutig der Pharao selbsttätiges Subjekt des Vorgangs, was sich auch darin zeigt, dass ihn mitunter nicht die Androhung oder das Kommen der Plagen verstockt macht (so in der Priesterschrift), sondern gerade deren Weichen. Damit erscheint er als hinterhältiger Potentat, der zur Freilassung Israels von Jhwh gezwungen werden muss. Die Souveränität Gottes wird nicht nur dadurch gewahrt, dass er die Befreiung Israels erreicht, sondern dass er den Widerstand des Pharaos voraussieht und einkalkuliert (Ex 7,14 – eine Denkfigur, die dem späteren dogmatischen Locus von der providentia dei nahe kommt).

In beiden Versionen beschreibt die Rede von der Verstockung den Sachverhalt, dass ein Mächtiger sich dem Einsatz Jhwhs für sein Volk Israel mit großer „Härte“ und „Stärke“, mit großer „Schwere“ und „Gewichtigkeit“ widersetzt. Der Vorgang ist paradigmatisch. Es gibt immer wieder Machthaber, die unbelehrbar darauf beharren, das Verkehrte zu tun. Sie haben gemäß der Vorstockungsvorstellung die Kraft dazu letztlich nicht aus sich selbst, sondern von Gott. Darum kann niemand anders als er sie niederringen.

In der altjüdischen Auslegung des Buches Exodus (Exodus Rabba 13.1-3) wird unter dem Namen eines Rabbi Jochanan folgende Reflexion wiedergegeben: „Liefert es den Ketzern nicht den Vorwand zu sagen, Pharao hätte keine Möglichkeit gehabt, Buße zu tun, wenn geschrieben steht: ‚Ich habe sein Herz verhärtet’? Die Ketzer mögen schweigen! Denn es steht geschrieben: ‚Den Dreisten gegenüber ist er dreist’ [vgl. Spr 3,34]. Denn wenn Gott einen Menschen einmal, zweimal und auch dreimal warnt, und er zeigt keine Buße, dann schließt Gott sein Herz gegenüber seiner Reue, dass er ihn bestrafe wegen seiner Sünden. So war es mit dem bösen Pharao. Da Gott fünfmal zu ihm schickte und es keinen Eindruck auf ihn machte, sagte Gott: ‚Du hast dich hartnäckig gezeigt und dein Herz verhärtet, nun werde ich selber zufügen zu deiner Unreinheit’.“ Diese Auslegung erkennt richtig, dass die Verstockung kein unverdientes Verhängnis ist; der Pharao hat Gott herausgefordert, ja gezwungen, seine Überlegenheit unter Beweis zu stellen. Andererseits geht sie in der Schuldzuweisung an den Pharao und in der „Entschuldigung“ Gottes weiter als die Bibel.

3. Die Verstockung eines israelitischen Königs (1Kön 22)

In prophetischen Kreisen scheint die Einsicht aufgekeimt zu sein, dass es widergöttliche Widersetzlichkeit nicht nur bei fremden, sondern auch bei eigenen Herrschern gab. Laut der Erzählung 1Kön 22,1-28 beschloss einst ein nordisraelitischer König, sich in einen Krieg mit den Aramäern einzulassen.

Die deuteronomistische Redaktion macht den Omri-Sohn → Ahab zu diesem König; die ursprüngliche Erzählung kannte den Namen nicht, und auch die Einbeziehung des Judäers → Joschafat erfolgte durch spätere Bearbeitung.

Routinemäßig holt der betreffende Herrscher Israels das Plazet seiner Hofpropheten ein – und bekommt es anstandslos. Nur einer, ein gewisser → Micha bem Jimla, der als Schwarzseher bekannt ist und den man eigens an den Hof zitieren und mehrfach beschwören muss, unbedingt die Wahrheit zu sagen, gibt diese schließlich preis: Er habe, sagt er, die himmlische Ratsversammlung belauscht und dort Jhwh fragen hören, wie man den König Israels dazu bringen könne, in den Krieg zu ziehen – und zu fallen. Da habe sich der „Geist“ erboten, zum „Lügengeist“ im Munde der Propheten zu werden und so den König zu „verführen“. Und daher, schließt Micha, komme es, dass die anderen Propheten sämtlich dem König zum Krieg rieten; in sie sei der Geist der Lüge gefahren. Micha erhält für diese Unterstellung Schläge und wird unter Arrest gestellt. Der König zieht trotz der Warnung in den Krieg – und fällt.

Die innere Verwandtschaft dieses israelitischen Königs mit dem Pharao des Exodus ist unschwer zu erkennen: Aus freien Stücken fasst er den offenbar verfehlten Beschluss zum Krieg. Seine prophetischen Auguren bestärken ihn, nur einer widerspricht ihm. Doch der König läuft unbeirrbar in sein Unheil. Einerseits hat dieser König frei entschieden, ob er auf die vielen (falschen) oder den einen (richtigen) Ratgeber hört. Anderseits war nach der Aussage Michas bzw. des Erzählers an dieser Entscheidung Jhwh nicht unbeteiligt. Sein „Geist“ war es, der durch die falschen Propheten den König „verführt“ hat (pth Pi., 1Kön 22,20.22). Dessen Unnachgiebigkeit hat Jhwh nicht nur vorausgesehen, sondern gewollt und bewirkt.

In dieser Erzählung werden schwer wiegende Fragen aufgeworfen: Warum tun manche Machthaber zielstrebig das Verkehrte? Warum steuern sie unaufhaltsam in Katastrophen? Sind sie frei in ihren Entschlüssen – oder werden sie dazu getrieben? Welche Rolle spielt Gott in alledem? Warum verhindert er das Übel nicht – und lässt ihm dann freien Lauf? Die Verstockungstheorie antwortet: Macht ist verführerisch, macht blind und taub. Sie sträubt sich gegen Versuche ihrer Kontrolle oder Begrenzung. Sie suggeriert denen, die sie innehaben, das Gefühl fast göttlicher Allmacht – und trägt damit den Keim des Todes in sich. Denn der eine Gott duldet keine Götter neben sich, auch keine sich selbst vergottenden Menschen. Er verwarnt sie, erntet damit aber meist erbitterte Gegenwehr. Und damit sprechen die Betroffenen sich selbst das Urteil. Das Theologumenon der Verstockung ist also ein Versuch, das Verhältnis von Gottes Macht und menschlicher Macht so zu bestimmen, dass dabei weder die Verantwortung der Menschen aufgehoben noch der Glaube an die Souveränität Gottes aufgegeben wird.

4. Die Verstockung des Volkes von Israel bzw. Juda (Jes 6)

Laut dem → Visionsbericht Jes 6,1f. hat → Jesaja, ähnlich wie einst Micha ben Jimla, Einblick in die himmlische Ratsversammlung bekommen. Während Micha die Verhandlungen belauscht, erfährt Jesaja lediglich noch, dass Gott einen Boten zur Übermittlung seines Ratschlusses an die Menschen sucht. Der Prophet meldet sich und erhält folgenden, ungeheuerlichen Auftrag: „Geh und sprich zu dem Volk da: Hört wohl, aber versteht nicht! Seht genau hin, aber erkennt nicht! Verfette (šmn Hif.) das Herz des Volks da und mach seine Ohren schwer (kbd Hif.) und verklebe seine Augen, damit es nicht sehe mit seinen Augen und mit seinen Ohren nicht höre und sein Herz nicht verstehe – und es etwa umkehrte und Heilung fände!“ (Jes 6,9f. → Jesaja-Denkschrift).

Wie im Falle des Pharao, so ist auch hier das → Herz der Ort des Verstockungsvorgangs, wobei zu bedenken ist, dass dieses Organ nach hebräischer Vorstellung Sitz nicht des Gefühls, sondern des Verstandes und des Willens ist. Auch die wichtigsten Sinnesorgane, auf deren Eindrücken sich die Entschlüsse des Menschen gründen – Augen und Ohren –, werden ausgeschaltet: Der Prophet macht sie „schwer“ und „verklebt“ sie. Wie bewirkt er das? Indem er das tut, was ein Prophet immer tut: seinen Adressaten das zur Kenntnis geben, woraus sie eigentlich die richtigen Schlüsse ziehen müssten – nun aber die falschen (oder überhaupt keine) ziehen. Ein Prophet redet in die Ohren seiner Zeitgenossen, er stellt ihnen Zeichenhandlungen vor Augen (im Fall Jesajas etwa Jes 5,1-7; Jes 7,4-9; Jes 8,1-4; Jes 20,1-6). Laut Jes 6,10 soll dies aber nicht Heilung bewirken, sondern Unheil.

Waren es nach 1Kön 22 falsche Propheten, die auf Betreiben des „Geistes“ und mit Billigung Gottes den König „betört“ haben, so ist es nach Jes 6 der von Gott gesandte Prophet, der die Herzen verfetten, die Ohren schwer machen und die Augen verkleben soll. Zwischen 1Kön 22 und Jes 6 (wie auch Ex 7ff) besteht also eine markante Differenz darin, dass dort die Lüge, hier aber die Wahrheit verstockend wirkt – eine eher noch unheimlichere Variante, die sich bis in die heutige Zeit oft genug wiederholt.

5. Zum Menschen- und Gottesbild

Im Blick auf die Fallbeispiele ist zu fragen: Trübt die Rede von der Verstockung nicht in bedenklicher Weise das Bild eines für seine Entscheidungen verantwortlichen Menschen sowie eines das Gute wirkenden Gottes ein? (Vgl. zum Folgenden namentlich Schenker.)

In keinem der drei Fälle werden die betreffenden Menschen zu reinen Opfern göttlicher Willkür und Arglist. Der Pharao des Exodus ist ein Gewaltherrscher, der israelitische König von 1Kön 22 ein Kriegsabenteurer. Und für das Juda seiner Zeit legt Jesaja ein Schuldbekenntnis ab (in das er sich selbst einschließt, Jes 6,5). Der Prophet wird von der „Unreinheit“ mittels einer glühenden Kohle gereinigt (Jes 6,6), doch seine Landsleute werden eine solche Prozedur kaum über sich ergehen lassen. Wenn er „dem Volk da“ zwar nicht mit glühenden Kohlen, aber mit brennenden Reden und Zeichen kommt, wird es wohl hören und sehen – aber nichts verstehen und erkennen: zuerst, weil es nicht will, dann zunehmend, weil es nicht kann. Indem Jesaja (sei es nun der historische oder der literarische) von seinen Adressaten ein ums andere Mal die Abkehr von der bisher gepflegten Lebensweise fordert, bewirkt er nicht Hilfe und Heilung, sondern Abwehr und Selbstverhärtung – und setzt damit den Prozess der Verstockung in Gang. Doch warum teilt er dies so ausdrücklich mit, statt es heimlich geschehen zu lassen? Und warum erfolgt die Mitteilung in einer so kunstvollen Form, die ineinander verschränkte Parallelismen und Chiasmen zu einem düster funkelnden Juwel hebräischer Sprachkunst werden lässt? Offensichtlich ist das Wort von der Verstockung auf Wirkung bedacht – erstaunlich, wenn es Gott und dem Propheten doch angeblich nur darum geht, Unheil zu bewirken!

Dasselbe gilt für Micha ben Jimla: Er übermittelt das, was er in der himmlischen Ratsversammlung gesehen und gehört hat, genau dem, der dadurch bedroht ist: dem König. Damit will er diesen kaum nur über die Unentrinnbarkeit seines Verstocktseins und seines Bestraftwerdens informieren; vielmehr will er ihn auf die tödliche Gefahr aufmerksam machen, in der er sich befindet. Darum lässt er den göttlichen Verstockungs- und Vernichtungsplan nicht einfach sich verwirklichen, sondern verrät ihn – soll ihn wohl verraten; denn wozu sonst hätte Gott dem Micha Einblick in die Verhandlungen des himmlischen Thronrats gewährt? Der „Lügengeist“ soll seine Arbeit nicht unerkannt tun, Micha soll darauf hinweisen und damit den König warnen. Ebenso Jesaja: Statt das Volk von Juda verstockt in die Katastrophe laufen zu lassen, gibt Gott durch den Propheten Kenntnis von der tödlichen Gefahr. Das Volk wird nicht einfach verstockt, es wird ihm mitgeteilt, dass es verstockt wird – damit es die Chance bekomme, von seinem verderblichen Weg doch noch umzukehren. Die Judäer haben damit die Wahl: Selbstrücknahme oder Selbstvernichtung. Noch im äußersten Machtkampf zwischen Gott und Mensch hat der Mensch die Gelegenheit und die Freiheit, selbst zu entscheiden, und sucht Gott zu bewirken, dass er sich für das Gute entscheide.

Vielleicht gilt das Gesagte für den Pharao nicht in gleichem Maße. Ihm wird nicht mitgeteilt, dass der Gott Israels ihn mit der immer wiederholten Aufforderung, Israel freizugeben, verstocken wolle und werde. Das hätte bei einem heidnischen Potentaten wohl auch wenig Sinn. Gleichwohl erhält der Pharao oft genug die Gelegenheit zum Einlenken. Er aber besitzt die „Härte“ und „Schwere“, sich nicht zu bewegen; dass ihm beides vom Gott Israels verliehen ist, weiß er nicht, doch Israel ist davon überzeugt.

Insgesamt sperrt sich die Rede von der Verstockung gegen allzu glatte Antworten auf die Frage nach der Herkunft des Bösen. Sie fügt sich nicht gut in geschlossene theologische Systeme. Sie hält dazu an, Widersprüchlichkeiten in der Welt- und in der Gotteserfahrung auszuhalten. Sie widersteht dem menschlichen Bedürfnis nach einem berechenbaren Gott und einem unangefochtenen Glauben.

6. Zur Wirkungsgeschichte

Die alttestamentliche Rede von der Verstockung hat – wohl gerade wegen ihrer theologischen Tiefgründigkeit (oder auch Abgründigkeit) – eine enorme Wirkungsgeschichte ausgelöst.

Dass laut der Exoduserzählung der Pharao der Bedrückung von Gott verstockt war, hat die Gläubigen aller Zeiten irritiert. Wird dadurch nicht der Pharao entlastet und Gott belastet? Bewirkt Gott etwa selbst das Böse, um es dann zu strafen? Kellenberger (2006) ist den Verstehensversuchen der Ausleger von der biblischen bis zur Jetztzeit nachgegangen. Das antike Judentum sah in der Verstocktheit des Pharao teils eine wohlverdiente Strafe, teils ein gottverhängtes Geschick. Im frühen Christentum wurde der Pharao zum Erweisobjekt göttlicher Souveränität (Röm 9,17f. und von da aus dann zum Paradigma der negativen Prädestination (Augustin). Die Reformatoren schwankten zwischen existentialen, rational-systematischen und prädestinatianischen Interpretationsansätzen; sie bemühten sich, aus den Texten Trost und Ermutigung für Angefochtene und Bedrohte zu gewinnen. Die Neuzeit neigt zu moralisierenden Umbiegungen zuungunsten Pharaos und zugunsten Gottes.

Der Verstockungsauftrag Jesajas zittert im ganzen Jesajabuch nach (vgl. Evans). Nicht nur in Jes 6,9f. auch in Jes 28,21 und Jes 29,9f. erscheint Jhwh als deus absconditus („verborgener Gott“), der „befremdlich“ handelt und seinem Volk die Wahrnehmungsfähigkeit nimmt. In Jes 42,18-20; Jes 43,8; Jes 44,18 wird eben dieses Volk als „blind“, d.h. verblendet, bezeichnet, zugleich aber der Zuwendung Jhwhs versichert. In Jes 63,17 fragt es fast vorwurfsvoll: „Gott, warum hast du uns verhärtet?“, während in Jes 29,18; Jes 32,3f. Jes 54,13; Jes 35,5; Jes 48,4-6; Jes 51,6f. Jes 54,13; Jes 61,1 wiederholt verheißen ist, die Blinden sollten sehend werden. Eben dies Letzte, die Wiederversöhnung Israels mit seinem Gott, haben spätere, nicht-jüdische Rezipienten nicht recht wahrnehmen wollen (vgl. Gnilka). Die neutestamentlichen Evangelien suchen in Jes 6,9f. die Begründung dafür, dass das damalige Judentum Jesus Christus nicht als Messias zu erkennen vermochte (Mt 13,10-17 in generalisierender Weiterführung von Mk 4,11f. nochmals verschärft in Joh 12,37-43). Der Paulus der Apostelgeschichte schleudert den Juden Roms in einer Disputation Jes 6,9f. entgegen und bezeichnet die Zuwendung Gottes zu den Heiden als die Konsequenz ihres Verstocktseins (Apg 28,17-28). Weil aber das Neue Testament noch tief im Judentum verwurzelt und ihm eng verbunden ist, sieht es Israels „Verstockung“ grundsätzlich als nur partiell und zeitlich begrenzt an (besonders nachdrücklich Paulus in Röm 11,25-32, wo er für das derzeit „verstockte“ Israel eine volle Heilsperspektive entfaltet). Demgegenüber wurde im späteren Christentum das Judentum als Ganzes und auf immer für verstockt erklärt. Für das alttestamentliche Gottesvolk liegt eine gewisse Tragik darin, dass es die Möglichkeit seines eigenen Verstockseins zu denken wagte – und dass dann Außenstehende dies dazu nutzten, sich selbstgerecht über das angeblich verstockte Gottesvolk des „alten Bundes“ zu erheben, statt sich zu prüfen, ob und inwieweit man selbst in Verstockungsvorgänge verstrickt sein könnte.

Literaturverzeichnis

1. Lexikonartikel

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  • Biblisch-historisches Handwörterbuch, Göttingen 1962-1979
  • Theologische Realenzyklopädie, Berlin / New York 1977-2004
  • Neues Bibel-Lexikon, Zürich u.a. 1991-2001
  • The Anchor Bible Dictionary, New York 1992
  • New International Dictionary of Old Testament Theology and Exegesis, Grand Rapids 1997
  • Religion in Geschichte und Gegenwart, 4. Aufl., Tübingen 1998-2007
  • Calwer Bibellexikon, Stuttgart 2003

2. Weitere Literatur

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  • Dietrich, W., 1976, Jesaja und die Politik (BEvTh 74), München
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  • Gnilka, J., 1961, Die Verstockung Israels. Isaias 6,9-10 in der Theologie der Synoptiker (STANT 3), München
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  • Kellenberger, E., 1992, Heil und Verstockung. Zu Jes 6,9f. bei Jesaja und im Neuen Testament, ThZ 48, 268-275
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  • Schenker, A., 1991, Gerichtsverkündigung und Verblendung bei den vorexilischen Propheten (1986), in: Ders., Text und Sinn im Alten Testament. Textgeschichtliche und bibeltheologische Studien (OBO 103), Freiburg (Schweiz) / Göttingen, 217-234
  • Schmidt, W.H., 2003, Verstockung und Entscheidung. Gottes Wirken und des Menschen Freiheit, in: Diehl, J.F. / Heitzenröder, R. / Witte, M. (Hgg.), „Einen Altar von Erde mache mir…“ (FS Diethelm Conrad; Kleine Arbeiten zum Alten und Neuen Testament, 4/5), Waltrop, 257-267
  • Steck, O.H., 1982, Bemerkungen zu Jesaja 6, (1972), in: Ders., Wahrnehmungen Gottes im Alten Testament. Gesammelte Studien (TB 70), München, 149-170

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