Verwandtschaft (AT)
(erstellt: November 2010)
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→ Eltern
Verwandtschaft verbindet Menschen mit gemeinsamer Abstammung. Diese Verbindung kann sowohl senkrecht zwischen Vorfahren und Nachkommen als auch waagerecht zwischen Abkömmlingen gemeinsamer Vorfahren bestehen. Der Grad der Verwandtschaft bestimmt sich nach der Zahl der sie vermittelnden Geburten. Je höher diese Zahl ist, desto weitläufiger ist die Verwandtschaft. Die nächste Verwandtschaft ist die → Familie
1. Israel: eine „verwandtschaftsbasierte Gesellschaft“
1. Vorstaatliche Zeit. „Familien- und Verwandtschaftsbeziehungen sind seit den vorstaatlichen Anfängen die Basis der Gesellschaft Israels“ (Kessler, 175). Sie sind durch alle geschichtlichen Phasen hindurch für den Zusammenhalt der Gesellschaft Israels von hoher Bedeutung. Dies gilt vor allem in der Zeit, als es in Israel noch keine staatlichen Strukturen gab, so dass Kessler von einer „verwandtschaftsbasierten Gesellschaft“ (ebd., 57) und Schäfer-Lichtenberger von einem „verwandtschaftlich organisierten Gemeinwesen“ (Schäfer-Lichtenberger, 186) sprechen. Die gemeinsame Abstammung vom Stammvater → Jakob
2. Königszeit. Die verwandtschaftlichen Beziehungen bilden nach Kessler auch zu Beginn der Königszeit, als sich erste staatliche Strukturen ausbilden, das Grundgerüst der israelitischen Gesellschaft (vgl. Kessler, 84). Die Ausprägung und Ausbreitung staatlicher Strukturen und die zunehmende Bedeutung von → Königtum
3. Exilische und nachexilische Zeit. Die Deportationen beim Untergang von Nord- und Südreich (→ Exil
Fechter (326-328) ist der Ansicht, dass es, durch das Exil bedingt, in frühnachexilischer Zeit zu einer Neukonstituierung der israelitischen Gesellschaft auf der Basis der Vorstellung gemeinsamer Verwandtschaft gekommen ist. Genealogien dienen dabei einerseits zum Nachweis der Deszendenz, andererseits zur Abgrenzung gegenüber ethnisch fremden Gruppen. Nach Fechter ist dieses Modell einer auf Verwandtschaft gegründeten Gesellschaft in einer späteren Phase durch äußere Einwirkungen zerbrochen, und eine individualistische Haltung gewann Bedeutung. Dennoch haben sich manche verwandtschaftliche Strukturen auch danach durchgehalten.
2. Verwandtschaftsverhältnisse
2.1. Die Einbettung des Einzelnen in Verwandtschaftsbezügen
Verwandtschaftsverhältnisse werden im Alten Testament in vielen Fällen durch die Lexeme אָב ’āv „Vater“, אֵם ’em „Mutter“, בֵּן ben „Sohn“ und בַּת bat „Tochter“ angezeigt, die miteinander kombiniert werden (→ Sohn / Tochter
In der Darstellung von Verwandtschaftsverhältnissen übernehmen → Genealogien
2.2. Bruder und Schwester
Vom „Bruder“ (אָח ’āch) und von der „Schwester“ (אָחוֹת ’āchôt) wird im Alten Testament auf mehreren Bedeutungsebenen gesprochen. Diese beiden Lexeme bezeichnen zunächst die leiblichen Geschwister (→ Familie
Darüber hinaus können diese Lexeme Verwandte im weiteren Sinn bezeichnen. So wird → Lot
Auch Stammes- und Volksgenossen werden „Brüder“ / „Schwestern“ genannt (z.B. Ex 2,11
„Bruder“ und „Schwester“ werden auch im übertragenen Sinn gebraucht. Einen Unbekannten als Bruder anzureden, ist ein Zeichen der Höflichkeit (Gen 19,7
Ferner wird die Beziehung zwischen Nationen und Städten illustriert. Israel nennt sich → Edoms
Mit der Übertragung der zunächst auf die Kernfamilie bezogenen Bedeutung auf entferntere Verwandte und gar auf Stammes- und Volksgenossen geht eine Ausweitung der Familiensolidarität zur Volkssolidarität einher. Verarmte Verwandte sind durch den → Löser
2.3. Onkel und Tanten
Onkel und Tanten kommen im alttestamentlichen Lebensbereich unterschiedliche Bedeutung zu. Da Frauen mit ihrer Heirat in den Familienverband ihres Mannes wechselten, gehörten die verheirateten Tanten sowie die Onkel mütterlicherseits einem anderen Familienverband an. So kommt vor allem den Onkeln väterlicherseits, also den Brüdern des Vaters, eine wichtige Funktion zu (1Sam 10,13-16
Die leiblichen wie die angeheirateten Tanten gehören zum sexuellen Tabubereich des Einzelnen (Lev 18,14
Zur Bezeichnung von Onkeln (דּוֹד dôd) und Tanten (דּוֹדדָה dôdāh) verwenden die alttestamentlichen Schriften ein Wort, das vor allem im → Hohenlied
3. Sippe, Clan
3.1. Die Gliederung Israels in Sippen
3.1.1. Stamm – Sippe – Familie
In Israel ist das → Volk
Die Abgrenzung zu den Stämmen einerseits und den Familien andererseits ist jedoch nicht eindeutig, und die Übergänge sind fließend. So werden die Daniter (→ Dan
Sippen sind eine ethnische oder engere menschliche Gemeinschaft und durch Verwandtschaftsstrukturen bestimmt. Sie umfassen die nähere und die weitere Familie des Mannes oder der Frau. In Gen 24,38
Zur Sippe der → Rahab
An der Spitze der Sippen stehen die Sippenältesten (vgl. Ex 6,14
3.1.2. Die Rechtsbedeutung der Sippe
Nicht die Familie oder der Stamm, „sondern die Sippe erscheint vornehmlich als eine eigenständige autonome Größe“ (Zobel, 90). Erbrechtsangelegenheiten sind innerhalb der Sippe zu regeln, sofern ein Verstorbener keine unmittelbaren familiären Angehörigen hat (Num 27,7-11
Sippen sind ferner für die Wahrung der Rechtsordnung zuständig und stellen eine Haftungsgemeinschaft („Sippenhaft“) dar. Sowohl gute (Jos 6,23
3.1.3. Die kultische Bedeutung der Sippe
Der rechtlichen Bedeutung scheint die kultische entsprochen zu haben. Nach Ex 12,21
3.2. Israel als Sippe
Ursprünglich bezeichnet מִשְׁפָּחָה mišpāchāh „Sippe“ eine Gemeinschaft mit gemeinsamer Abstammung, doch kann sich die Bedeutung auf andere Formen der Zusammengehörigkeit ausweiten. An einigen Stellen zielt die Bezeichnung als מִשְׁפָּחָה mišpāchāh „Sippe“ darauf, die Einheit des Volkes deutlich zu machen, die im gemeinsamen Heilsereignis des → Exodus
Alle Sippen des Hauses Israel bilden zusammen das Haus Jakob (Jer 2,4
Diese Redefigur aufgreifend kann „Sippe“ zum Synonym für „Volk“ werden, und zwar nicht nur im Blick auf Israel (vgl. Jer 10,25
3.3. Die Gliederung der Welt in Sippen
Nicht nur Israel, auch die ganze Welt stellte man sich als in Sippen gegliedert vor. Aus ihnen war die Sippe „Israel“ ausgewählt (Am 3,1-2
3.4. „Sippe“ in bildlicher Sprache
In übertragenem Sinn kann מִשְׁפָּחָה mišpāchāh auch Zusammengehörigkeit ausdrücken, nämlich die von Berufsgruppen im Sinne von Zunftgliederungen (1Chr 2,55
4. Verwandtschaft und Heimat
In Gen 12,1
Für „Verwandtschaft“ wird in Gen 12,1
Während die Verbindung von מוֹלֶדֶת môlædæt und אֶרֶץ ’æræṣ (nicht nur, aber vor allem) in den nicht-priesterlichen Texten der Erzelternerzählung wurzelt, deutet sich in dem in hellenistischer Zeit entstandenen → Ester-Buch
In Ez 16,3
5. Leibliche Verwandtschaft
5.1. „Fleischverwandtschaft“
Verwandtschaft durch Abstammung wird in der westlichen Kultur häufig durch die Redefigur der „Blutsverwandtschaft“ ausgedrückt. Eine vergleichbare Redeweise kennt auch das Alte Testament, jedoch ist nicht das „Blut“, sondern das „Fleisch“ (בָּשָׂר bāśār) das verbindende Moment. Die Verwandtschaft wird zusätzlich durch den Gebrauch der Possessivpronomina angezeigt. So kann → Juda die Ermordung → Josefs
5.2. Die Verwandtschaftsformel
Durch die „Verwandtschaftsformel“ (W. Reiser) wird „gegenüber einem Unbekannten die Verwandtschaft beteuert und anerkannt oder gegenüber einem Bekannten unterstrichen“ (Reiser, 3). In ihrer Grundform lautet sie: „Mein Gebein und mein Fleisch bist du“. In Gen 29,14
Mit der Anerkennung der Verwandtschaft ist das Bekenntnis zur vollen Gemeinschaft verbunden. Entsprechend kann die Verwandtschaftsformel auch in einem erweiterten Sinn die Gemeinschaft zwischen zwei Menschen bzw. zwischen Personengruppen zum Ausdruck bringen. Mit dieser Gemeinschaft, die letztlich in der gemeinsamen Abstammung von → Jakob
Etwas abgewandelt spielt die Verwandtschaftsformel in der zweiten Schöpfungserzählung im Zusammenhang mit der Erschaffung der Frau eine besondere Rolle. Da es für den Menschen nicht gut ist, allein zu sein, beschließt Gott, ihm eine Hilfe zu machen (Gen 2,18
6. Verwandtschaft und Volk
Die hebräische Sprache kennt zwei Lexeme für → „Volk
Die Parallelen in den westsemitischen Sprachen (vgl. Lipiński, 180-185) legen nahe, dass sich עַם ‘am anfänglich auf den Ahnherrn und die sich auf ihn zurückführende Gruppe bezog. Folglich kann עַם ‘am Abstammungsgemeinschaften bezeichnen (Ex 1,9
Alternativ ist zu erwägen, ob עַם ‘am zunächst „Vatersbruder“ bedeutete (so Hulst, 291).
Die Strafformel „er / sie soll herausgeschnitten werden aus (der Mitte) seines / ihres עַם ‘am“ (z.B. Gen 17,14
Zu überlegen ist auch, ob die Bundesformel „ich werde euch Gott sein und ihr werdet mir עַם ‘am sein“ (z.B. Ex 6,7
Literaturverzeichnis
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Abbildungsverzeichnis
- Ester und ihr Onkel Mordechai (Aert de Gelder; 1685).
- Abraham verlässt seine Verwandtschaft (Gerard Jollain; 1670).
- Eva ist Fleisch von Adams Fleisch (Michelangelo, Sixtinische Kapelle; 1511).
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