Deutsche Bibelgesellschaft

Vierzig Jahre

(erstellt: Oktober 2016)

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1. Vierzig als Zahl der Ganzheit

Die Zahl vier ist in der Antike und im Alten Testament Sinnbild für Ganzheit und Vollkommenheit, weil sie mit vorn – hinten – rechts – links alle Perspektiven und damit auch die vier Himmelrichtungen abdeckt. Sie ist im Hebräischen eine „runde“ Zahl. In der Folge ist die Vierzig eine Einheit für eine lange vollständige Zeit, vierzig Tage dauern viele symbolische Zeitabschnitte, vierzig Jahre ist eine regelrecht epochale Einheit, so schon auf der → Meschastele aus dem 9. Jh. v. Chr. (vierzig Jahre war Moab von Israel besetzt) und auch biblisch, z.B. bei der Regentschaft von Königen (→ Saul, jedoch nur nach Apg 13,21 [vgl. dagegen 1Sam 13,1: „zwei Jahre“]; → David: 2Sam 5,4; 1Kön 2,11; 1Chr 29,27; → Salomo: 1Kön 11,42; 2Chr 9,30; → Joasch: 2Kön 12,2; 2Chr 24,1; → Jerobeam II.: 1Kön 14,23) oder der Dauer von Friedenszeiten bei den Richtern (Ri 3,11; Ri 5,31; Ri 8,28; 1Sam 4,18) sowie der Fremdherrschaft der → Philister (Ri 13,1). Nach einer Ankündigung in Ez 29,11-13 wird Ägypten für vierzig Jahre zur Einöde werden. 1Kön 6,1 datiert den Baubeginn des Tempels 480 Jahre nach dem Auszug aus Ägypten, das sind 12 x 40 Jahre.

Vierzig Jahre ist eine symbolhafte Alterseinheit verschiedener biblischer Figuren. → Mose ist beim Auszug 2 mal 40 (Ex 7,7; Apg 7,23.30) und bei seinem Tod 3 mal 40 Jahre alt (Dtn 34,7; Apg 7,36). Nach Jos 14,7 ist → Kaleb bei der Erkundung des → Landes vierzig Jahre alt. → Isaak und → Esau sind bei ihrer jeweiligen Hochzeit vierzig Jahre alt (Gen 25,20; Gen 26,34), → Isch-Boschet bei seiner Thronbesteigung (2Sam 2,10).

2. Vierzig Jahre in der Wüste

Die Angabe von vierzig Jahren bezieht sich besonders häufig auf den Aufenthalt Israels in der Wüste (→ Wüstenwanderung) nach der Rettung aus Ägypten (→ Meerwundererzählung). Bei der Vorstellung von den vierzig Jahren in der Wüste handelt es sich um ein literarisches Konstrukt aus nachexilischer Zeit. Für diese Vorstellung gibt es keinen fest geprägten Ausdruck. Am häufigsten ist die Rede von der vierzigjährigen Führung (הלך hlk Hif.) in der Wüste (Dtn 8,2; Dtn 29,4; Am 2,10), es ist aber auch vom vierzigjährigen Umherirren (נוע nw‘ Hif.) durch die Wüste die Rede (Num 32,13); deuteronomistisch (→ Deuteronomismus) ist die Formulierung „diese vierzig Jahre“ (Dtn 2,7; Dtn 8,2.4). Noch nicht einmal die → Wüste wird immer genannt (fehlt in Ex 16,35; Num 14,34; Dtn 1,3; Dtn 8,4; Ps 95,10).

In der Rede von den vierzig Jahren in der Wüste überkreuzen sich zwei Bedeutungsebenen, nämlich die chronologische Ebene (2.1.), die in der Kundschaftergeschichte in Num 13-14 eine Begründungserzählung erfährt (2.2.), und die Ebene, die den besagten vierzig Jahren eine tiefere Bedeutung zuschreibt (2.3.).

2.1. Die biblische Chronologie

Die vierzig Jahre Wüstenwanderung sind ein wichtiger Bestandteil der → biblischen Chronologie. Der genaue Zeitraum und der Zeitablauf sind dabei literarisch kaum greifbar. Num 33,38 zählt die vierzig Jahre ab dem Auszug aus Ägypten. Das Ende der vierzig Jahre wird in Num 33,38f mit dem Todesjahr → Aarons (Num 20,28) gleichgesetzt. Der begründende Kundschafterzug findet ca. anderthalb Jahre nach dem Exodus (→ Meerwunder) statt (erschließbar aus Num 10,11 und Num 13,20 mit dem Verweis auf die Zeit der Traubenernte, also Juni bis September). In Jos 24,7 dauert der Wüstenaufenthalt eine „lange Zeit“. Nach diesen Texten sind die vierzig Jahre eine „runde“ Zahl.

Präzise ist das Konzept im → Deuteronomium: Dtn 2,14 zählt ab den Kundschaftern bis zum Aufenthalt am Bach Sered (Num 21,12) 38 Jahre, die Rede des Mose findet im vierzigsten Jahr am ersten Tag des elften Monats statt (Dtn 1,3); das ist auch sein Todestag (Dtn 32,48). Die Israeliten beweinen ihn 30 Tage lang, so dass nach solarem Kalender nun die vierzig Jahre genau abgelaufen sind, und Josua sie ins Land führt (Jos 1,1.10f).

Im Gegensatz zu den Jahreszahlangaben stehen die Altersangaben der Protagonisten im Pentateuch in einem stimmigen zeitlichen System. Die Altersangaben von Mose (Ex 7,7; Dtn 31,2; Dtn 34,7), Aaron (Ex 7,7; Num 33,39) und Kaleb (Jos 14,7.10) sind auf den Zeitraum von vierzig Jahren zwischen dem Auszug aus Ägypten und dem Grenzübertritt am Jordan konzipiert.

2.2. Begründungen der vierzigjährigen Dauer

Die vierzig Jahre Wüstenwanderung werden in der Kundschaftergeschichte in Num 13-14 und ihrer historisch früher entstandenen „Wiedergabe“ Dtn 1,19-46 begründet. Eine Abordnung aller Stämme Israels erkundet im Auftrag Moses vierzig Tage lang das verheißene Land. Weil sie aber nach ihrer Rückkehr üble Nachrede über das Land und JHWHs Fähigkeiten bringen, verhängt JHWH in Num 14,33.34, dass Israel vierzig Jahre in der Wüste bleiben soll. In beiden Versen wird die Aussage, dass JHWH Schuld bis in die dritte oder vierte Generation ahndet (Num 14,18), auf eine einzige Generation reduziert. Die Dauer wird auf zweierlei Weise begründet:

2.3.1. Num 14,33 – vierzig Jahre als Strafe für eine Generation

In Num 14,33 nimmt die JHWH-Rede die Furcht der israelitischen Männer auf, sie könnten in der Wüste sterben (Num 14,3), und verhängt genau dieses: Die verantwortliche Generation wird in der Wüste sterben (s. auch Jos 5,6), ihre Kinder werden vierzig Jahre in der Wüste als Hirten leben müssen. 40 Jahre dauert das idealtypische Erwachsenenalter, das mit 20 Jahren beginnt (Ex 30,14; Ex 38,26; Num 1,3.18 u.ö.; Esr 3,8), so dass mit 60 ein Leben endet (Num 14,32-34; andere Vorstellungen zur Lebenserwartung sind z.B. Ps 90,10; Num 4,3 u.ö.; Num 8,24-26; Jes 65,20 sowie die Lebensdaten nahezu aller biblischen Figuren). Bezüge von Num 14,33 zu Num 1 und Num 26,64f verleihen diesem Vers eine buchstrukturierende Funktion.

2.3.2. Num 14,34 – vierzig Jahre als Entsprechungsstrafe

Im direkt folgenden Vers, Num 14,34, wird die Schuldfolge dagegen als Talion genau bemessen und lässt die vierzig Jahre eine Entsprechung der vierzig Tage Erkundung sein (wohl übernommen von Ez 4,5f). Horizont dieses Verses ist die theologische Frage nach der Entsprechung von Schuld und Schuldfolge und nach der Vererbbarkeit von Schuld, wie sie literarisch in prophetischen Texten greifbar ist (Jer 31,29-34; Ez 18,2; auch 2Chr 25,4).

2.3. Zeit der Beziehung zwischen JHWH und Israel

Die vierzig Jahre in der Wüste gelten vor allem als eine Zeit, die für die Beziehung zwischen JHWH und Israel eine prägende Bedeutung hat. Sie erfahren jedoch verschiedene Wertungen. Außer in reinen Zeitangaben (Ex 16,35; Am 5,25; s. aber die Wertung in Apg 7,42) kommt die Rede von den vierzig Jahren in der Wüste nämlich sowohl als Strafe vor (Num 14,33.34; Num 32,13; Dtn 8,2f; Jos 5,6), es ist sogar vom Ekel JHWHs die Rede (Ps 95,10, s. auch Hebr 3,7-17), als auch als Zeit der Fürsorge JHWHs für Israel (Dtn 2,7; Dtn 8,4; Dtn 29,4; Neh 9,21; Am 2,10; Jdt 5,13; Apg 13,18). Die Tradition von der Wüstenzeit Israels und die Darstellung von Israels Geschichte mit seinem Gott kommen allerdings auch ohne die Erwähnung von den „vierzig Jahren“ vor (s. z.B. Dtn 11,5; Ps 78,16ff; Ps 106,14ff; Jer 2,1-3; Ez 20,10ff; Hos 9,10; Hos 12,10).

Literaturverzeichnis

1. Lexikonartikel

  • Neues Bibel-Lexikon, Zürich u.a. 1991-2001
  • Calwer Bibellexikon, Stuttgart 2003
  • Wörterbuch alttestamentlicher Motive, Darmstadt 2013

2. Weitere Literatur

  • Jepsen, A. / Hanhart, R., Untersuchungen zur israelitisch-jüdischen Chronologie (BZAW 88), Berlin 1964.
  • Wallis, G., Die vierzig Jahre der achten Zeile der Mesa-Inschrift [1965], in: ders., Mein Freund hatte einen Weinberg. Aufsätze und Vorträge zum Alten Testament (BEATAJ 23), Frankfurt 1994, 47-53.
  • Werlitz, J., Das Geheimnis der heiligen Zahlen. Ein Schlüssel zu den Rätseln der Bibel, München 2000.
  • Zobel, H.-J. Die Zeit der Wüstenwanderung Israels im Lichte prophetischer Texte, VT 41 (1991), 192-202.

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