Deutsche Bibelgesellschaft

(erstellt: November 2016)

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1. Grundlegendes

1.1. Zur Terminologie im Alten Testament

Vier hebräische Lexeme im Alten Testament können mit „Volk“ wiedergegeben werden: עַם ‘am, גּוֹי gôj, לְאוֹם lǝ’ôm / לְאֹם lǝ’om und אֻמָּה ’ummāh. עַם ‘am und גּוֹי gôj werden zwar gelegentlich im synonymen Parallelismus (→ Poesie) verwendet (Ps 33,10.12; Ps 96,3; Jes 1,4; Jer 6,22; Mi 4,3; Hag 2,14 u.a.m.), unterscheiden sich jedoch in ihrem Bedeutungsspektrum (anders Lipiński, 1989, 189). לְאוֹם lǝ’ôm / לְאֹם lǝ’om begegnet in poetischer Sprache und zumeist in Parallele zu ‘am oder גּוֹי gôj. אֻמָּה ’ummāh ist häufiger in aramäischen Texten anzutreffen, im Hebräischen in der Bedeutung „Volk“ lediglich in Ps 117,1 (parallel zu גּוֹי gôj).

1.1.1. עַם ‘am

עַם ‘am bezeichnet primär einen Verwandtschaftsverband. Das Lexem kann für die Familie / Sippe (Gen 17,14; Gen 35,6; Ex 30,33; Lev 19,16; Lev 21,1.4; 2Kön 4,13; Ez 18,18) oder die / einen Vorfahren (Gen 25,8; Gen 35,29; Gen 49,29; Num 31,2) gebraucht werden. Daher ist עַם ‘am auch Element von Eigennamen (Eliam, Jerobeam, Amminadab u.a.). Ein als עַם ‘am bezeichnetes größeres Kollektiv, im Sinne von Volk, ist somit grundlegend als eine Abstammungsgemeinschaft verstanden. Auch wenn diese Konnotation gelegentlich in Folge von anderweitigen Näherbestimmungen in den Hintergrund tritt, schwingt sie weiter mit. Derartige Näherbestimmungen ergeben sich etwa durch Orts- oder Landesnamen (Jes 1,10; Am 1,5; 2Chr 32,18; vgl. auch Rut 3,11; Rut 4,4 bzw. עַם הָאָרֶץ ‘am hā’āræṣ „Volk des Landes“ zur Bezeichnung der Bevölkerung diverser Gebiete in Gen 23,7.11f.; Gen 42,6; Ex 5,5 ) oder sind durch Gegensatzpaare angezeigt, wobei עַם ‘am dann in der Regel das „gemeine Volk“ bzw. die „Volksmenge“ im Gegensatz zu einer spezifizierten Gruppe meint: die Laien im Gegenüber zur Priesterschaft (Dtn 18,3; Jes 24,2; Neh 10,35, vgl. Lev 16,33), das Volk im Unterschied zu den → Ältesten (1Kön 20,8) oder zu → König (Jer 39,8) und → Beamten (Jer 21,7).

In der übergroßen Mehrheit der Vorkommen im Alten Testament ist עַם ‘am auf → Israel bezogen. Es wird jedoch auch für nichtisraelitische Völker verwendet, selten im Singular (z.B. Jes 30,5Ägypten, vgl. Jes 18,2Kusch, hier im Parallelismus mit גּוֹי gôj), häufiger jedoch im Plural (z.B. Ex 15,14; Dtn 6,14; Ps 33,10). Der Plural עַמִּים ‘ammîm bezeichnet darüber hinaus auch die gesamte Völkerwelt (Gen 28,3; Ex 19,5; Jos 4,24; Ps 49,2; 2Chr 6,33), die, wie unter anderem die → Genealogien der → Urgeschichte und → Erzelterngeschichte oder der → Chronik zeigen, insgesamt eine Abstammungsgemeinschaft bilden.

Neben diesen allgemeinen zeigt sich eine Reihe von spezifischen Verwendungsweisen des Lexems עַם ‘am:

a) Volk JHWHs. Tritt עַם ‘am in einer Constructus-Verbindung mit → JHWH oder mit einem auf JHWH bezogenen Suffix auf, kommt das besondere Verhältnis des → Gottesvolkes Israels zu JHWH in den Blick, wobei wohl die Vorstellung einer exklusiven Verwandtschaftsbeziehung zwischen Gott und seinem Volk in Hintergrund steht.

b) Kriegsvolk. עַם ‘am bezeichnet, zum Teil in der Spezifizierung als עַם הַמִּלְחָמָה ‘am hammilḥāmāh (Jos 8,1.3.11; Jos 10,7; Jos 11,7), ein Volksheer (→ Heer), das sich aus den kampffähigen Männern der einzelnen Sippen rekrutierte (z.B. Num 20,20; Num 21,33; 1Sam 14,28; 2Kön 13,7; 2Kön 18,26).

c) Volk des Landes – Völker des Landes / der Länder. In der Darstellung der Geschichte des davidischen Reiches bzw. Judas begegnet die Bezeichnung עַם הָאָרֶץ ‘am hā’āræṣ „das Volk des Landes“ als terminus technicus für eine Körperschaft, die politisch einflussreich ist, die davidische Dynastie stützt und in der Exilszeit für Stabilität und Kontinuität sorgt (2Kön 11,14.18-20; 2Kön 21,24; 2Kön 25,19; Hag 2,4; Sach 7,5), aber auch von Propheten kritisiert wird (Jer 44,21; Ez 22,29). עַם הָאָרֶץ ‘am hā’āræṣ fungiert hier als Bezeichnung des judäischen Landadels oder – möglichweise noch genauer – der „Repräsentanz der judäischen Landschaft“ in Jerusalem (Willi, 1995, 11-17).

Im → Esra-Nehemia-Buch zeigt sich demgegenüber ein Wandel im Sprachgebrauch: die Verbindung עַם הָאָרֶץ ‘am hā’āræṣ (Esr 4,4), vor allem aber die Pluralbildungen עַמֵּי הָאָרֶץ ‘ammê hā’āræṣ (Esr 10,2.11; Neh 9,24; Neh 10,31f.) bzw. עַמֵּי הָאֲרָצוֹת ‘ammê hā’ǎrāṣôt (Esr 3,3; Esr 9,1f.11; Neh 9,30; Neh 10,29) oder auch גּוֹיֵ הָאָרֶץ gôje hā’āræṣ (Esr 6,21) bezeichnen nun Nicht-Israeliten, zum Teil in Geschichtsrückblicken (Esr 9,11; Neh 9,24.30), zum Teil aber auch bezogen auf die Verhältnisse des perserzeitlichen Juda. Angehörige der „Völker des Landes / der Länder“ gelten als kultisch unrein (→ Reinheit; vgl. Esr 6,21; Esr 9,11, vgl. auch Neh 13), sind aber durch Heiratsbeziehungen mit maßgeblichen Familien in der Provinz Jehud (→ Juda) verbunden (Mischehen; → Ehe) und können als JHWH-Verehrer (Esr 4,2; Esr 6,19-21) und zugleich als Gegner des Tempelbaus in Jerusalem (Esr 3,3; Esr 4,4ff.) in Erscheinung treten. In der älteren Forschung hat man diese als „Völker des Landes / der Länder“ bezeichnete Gruppe im perserzeitlichen Juda mit sog. Altjudäern identifiziert, also Nachkommen nichtdeportierter Bevölkerungsteile, mit denen sich die Rückkehrer aus dem → Exil in Konflikt sahen. Diese Identifikation ist jedoch mit dem Geschichtsbild der Bücher Esra / Nehemia nicht kompatibel, wonach ganz Juda ins Exil ging (Blum, 1995). Wahrscheinlich dient die Bezeichnung in den häufig sehr polemischen Texten in Esra / Nehemia als eine Chiffre für JHWH-Verehrer / Israeliten im Gebiet des ehemaligen Nordreiches (Heckl, 2016, 209-211; vgl. → Samaritaner), deren ethnische Zugehörigkeit zum Volk Israel bestritten werden soll (Weingart, 2014, 296f.).

1.1.2. גּוֹי gôj

Anders als עַם ‘am ist גּוֹי gôj zur Bezeichnung von Kollektiven hinsichtlich des verbindenden Elements neutraler. Das Lexem kann ganz allgemein „Leute“ bzw. „Menschen“ bezeichnen (vgl. 2Kön 6,18; Spr 14,34; Jer 48,2; Dan 11,23; Dan 12,1) oder aber für unterschiedlich bestimmte Gruppen, Mengen oder Gemeinschaften verwendet werden, sei es, dass deren Zusammengehörigkeit territorial (Ex 9,24; Ez 36,4), politisch (1Sam 8,5; 1Kön 18,10; Jer 18,7-9), verwandtschaftlich (Gen 10; Gen 12,2; Gen 35,11; Jer 31,36) oder durch spezifische gemeinsame Merkmale wie z.B. „gerechtes Volk“ (Gen 20,4; Jes 26,2; vgl. auch Ps 43,1), „heiliges Volk“ (Ex 19,6), „großes Volk“ (s.u.) gefasst ist. Auch ein Schwarm → Heuschrecken kann in Joel 1,6 als גּוֹי gôj bezeichnet werden.

Während עַם ‘am häufig in einer Constructus-Verbindung mit JHWH steht oder mit auf JHWH bezogenen Suffixen erscheint (s.o. sowie → Gottesvolk), ist גּוֹי gôj nur in Ps 106,5 auf vergleichbare Weise mit JHWH verknüpft (vgl. Zef 2,9 Qere). Auch ein Bezug zu anderen Gottheiten ist nicht belegt (vgl. aber עַם כְּמוֹשׁ ‘am kǝmôš „Volk des → Kemosch“; Num 21,29; Jer 48,46). Überhaupt trägt גּוֹי gôj nur sehr selten ein Possessivsuffix (lediglich Gen 10,5.20.31-32; Ez 36,13-15).

Israel wird gelegentlich als גּוֹי gôj bezeichnet. Sofern גּוֹי gôj hier nicht parallel zu עַם ‘am gebraucht wird (wie etwa in Jes 1,4; Jes 10,6; Ps 33,12), können damit spezifische Akzente gesetzt sein. So wird גּוֹי gôj häufig dann verwendet, wenn es um bestimmte Eigenschaften Israels geht: Israel als ein „großes Volk“ (z.B. Gen 12,2; Gen 18,18; Num 14,12; Dtn Dtn 4,6-8; Dtn 26,5; dagegen erscheint עַם גָּדוֹל ‘am gadôl nur selten und allein in Bezug auf die → Anakiter, Dtn 1,28; Dtn 2,10 u.a.), als unverständig (Dtn 32,28) oder ungehorsam (Jer 7,28; Jer 12,17). Die unterschiedlichen semantischen Nuancen von עַם ‘am und גּוֹי gôj erlauben auch eine differenzierte Darstellung der → Erwählung Israels: JHWH macht Israel von einem גּוֹי gôj zum עַם ‘am, nimmt es also in eine Verwandtschaftsbeziehung hinein (vgl. Ex 33,13; Dtn 4,34; 2Sam 7,23, bzw. für die Auflösung der Beziehung Jer 5,9; Jer 31,36).

Häufiger jedoch bezeichnet גּוֹי gôj fremde Völker (z.B. Lev 18,28; Dtn 28,36; Jes 14,32; Jer 2,11; Am 6,14). Gleiches gilt insbesondere für die zahlreichen Belege des Plurals גּוֹיׅם gôjim (Gen 48,19; Dtn 30,1; Num 24,8; Ps 2,1; Jer 29,14; Sach 1,15; Sach 2,15 u.v.a.m.), der allerdings wie עַמִּים ‘ammîm auch die Gesamtheit der Völker inklusive Israel bezeichnen kann (Gen 35,11; Dtn 28,1; Ps 47,9-10 Jes 40.15-17). Zuweilen schwingt bei גּוֹיׅם gôjim ein pejorativer Klang mit (Ps 9,6; Ps 10,16; Ps 59,6; Klgl 1,3; 2Chr 36,14). Dass sich allerdings eine allgemeine Tendenz des Sprachgebrauchs hin zu einer zunehmend negativen Bedeutung von גּוֹי gôj erkennen lasse (Clements, 1973), erscheint angesichts positiv konnotierter oder neutraler Verwendungen des Lexems in späten Texten (z.B. Jes 66,19-20; Mi 4,2; Sach 9,10; Mal 3,12; 2Chr 20,6; 2Chr 32,14-16) als fraglich (zu גּוֹיֵ הָאָרֶץ gôje hā’āræṣ „Völker der Länder“ s.o. 1.1.1. c.).

In (älteren) deutschen Übersetzungen wird גּוֹי gôj mit Bezug auf nicht-israelitische Völker häufig mit „Heide/n“ wiedergegeben. Die Wörterbücher bringen für das Lexem gern die Deutung als „Nation“ ins Spiel. Beides ist – zumindest in dieser Allgemeinheit – problematisch und impliziert eine Entscheidung darüber, was als primäres verbindendes Element eines als גּוֹי gôj bezeichneten Kollektivs anzusehen ist: Ist es die territoriale Einheit und / oder eine politische Struktur (Cody, 1964), spielt die Abstammung eine Rolle (Clements, 1973) oder ist die religiöse Differenz zu Israel entscheidend (Hulst, 1995, vor allem junge Texte)? Jede Option ist unweigerlich mit einem bestimmten Israel-Verständnis verknüpft. So legt „Heiden“ als Bezeichnung der Fremdvölker nahe, dass es sich bei Israel um eine Glaubensgemeinschaft handelt (zur Problematik s.u.). „Nation“ bezeichnet im älteren deutschen Sprachgebrauch eine Abstammungsgemeinschaft, im neueren eher eine territorial und politisch bestimmte Einheit, in der vor allem im 19. Jh. verbreiteten engeren Verwendung das Zusammentreffen beider Aspekte (zum Bedeutungswandel Kosellek, 1992, 147-149). Der Begriff ist also nicht weniger schwierig als „Volk“ und birgt zudem die Gefahr, dass für den Alten Orient nicht vorauszusetzende Gegebenheiten, wie z.B. die Existenz geographisch genau bestimmbarer Grenzverläufe und Staatsgebiete eingetragen werden.

1.1.3. לְאוֹם lǝ’ôm / לְאֹם lǝ’om

Für לְאוֹם lǝ’ôm / לְאֹם lǝ’om führen semitische Parallelen auf die Grundbedeutung „Menge / Versammlung“. Das Lexem wird lediglich an vier Stellen im Singular verwendet (Gen 25,23; Jes 51,4; Spr 11,26; Spr 14,28), sonst durchgängig im Plural. Der Singular wie auch der Plural לְאוּמִּים lǝ’ûmîm / לְאֻמִּים lǝ’umîm können allgemein „Leute“ bezeichnen (Spr 11,26; Spr 14,28 bzw. Spr 14,34; Spr 24,24). Geht es im spezifischeren Sinne um Völker, steht das Lexem nur in Gen 25,23; Gen 27,29 für Israel, in den übrigen Vorkommen sind andere Völker oder die Gesamtheit der Völkerwelt gemeint. Dabei begegnet das Lexem stets in Parallelismen entweder als Pendant zu עַמִּים ‘ammîm (z.B. Gen 27,29; Ps 47,4; Jes 17,12; Jer 51,58; Hab 2,13) oder גּוֹיׅם gôjim (z.B. Ps 2,1; Ps 44,3; Jes 43,9) oder zu Begiffen wie „Menschheit“ (Jes 43,4), „Erdkreis“ (Ps 9,9), „Inseln“ (Jes 49,1), „Meer“ (Ps 65,8; Jes 17,12) u.ä.

1.1.4. Aramäische Texte und die antiken Übersetzungen

Die aramäischen Abschnitte des → Danielbuches und des → Esra-Nehemia-Buches verwenden durchgängig עַם ‘am, sowohl für Israel (Esr 5,12; Esr 7,13) als auch für andere Völker (Dan 3,4; Dan 5,19; Esr 6,12). Nicht-israelitische Völker werden auch als אֻמָּה ’ummāh bezeichnet, mit Ausnahme von Esr 4,10 aber stets neben עַם ‘am (Dan 3,4; Dan 6,26 u.ö.).

Die → Septuaginta und → Vulgata übernehmen die Unterscheidung von עַם ‘am und גּוֹי gôj und geben Ersteres in der Regel mit λαός laós bzw. populus und Letzteres mit ἔθνος éthnos bzw. gens wieder. Für die hauptsächlich in Parallelismen begegnenden Lexeme לְאוֹם lǝ’ôm / לְאֹם lǝ’om bzw. אֻמָּה ’ummāh kommen jeweils beide Möglichkeiten in Frage. Meist richtet sich die Auswahl danach, welche Option im Parallelismus noch frei ist: Erscheint לאֹם lǝ’om etwa als Pendant zu עַם ‘am, wird עַם ‘am mit λαός laós und לאֹם lǝ’om mit ἔθνος éthnos übersetzt; erscheint es als Pendant zu גּוֹי gôj, wird גּוֹי gôj mit ἔθνος éthnos לאֹם lǝ’om aber mit λαός laós wiedergegeben. Das griechische δῆμος dēmos wird hauptsächlich in der Bedeutung „Sippe“ eingesetzt.

1.2. Zum Begriff „Volk“

Die Definition von „Volk“ ist in Soziologie, Politikwissenschaft, Ethnologie und verwandten Wissenschaften Gegenstand einer andauernden Diskussion.

Betrachtet man den deutschen Sprachgebrauch, zeigen sich bestimmte Grundlinien: „Volk“ bezeichnet ganz allgemein eine Ansammlung von Menschen (oder auch Tieren), häufiger jedoch spezieller eine wie auch immer bestimmte Gemeinschaft. Der Begriff kann in verschiedenen funktionalen Kontexten gebraucht werden, mit einer entsprechenden Vielzahl möglicher Referenzen. Am einfachsten eingrenzbar ist der juristisch-staatsrechtliche Gebrauch, wonach das Volk die Bevölkerung eines Staatswesen darstellt und somit z.B. als Träger der verfassungsgebenden Gewalt gelten kann (Volkssouveränität). In diesem Sinne lässt sich von einem „Staatsvolk“ sprechen. Aber schon die Rede von „Vielvölkerstaaten“ zeigt an, dass die Begriffe „Volk“ und „Staat“ auch im staatsrechtlichen bzw. politischen Diskurs nicht eineindeutig aufeinander bezogen sind.

Im weiteren auf kollektive Einheiten bezogenen Sprachgebrauch sind für die jeweilige Verwendungsweise zwei strukturelle Relationen ausschlaggebend, an denen sich die konkreten Füllungen des Volksbegriffs orientieren: die Oben-unten-Relation und die Innen-außen-Relation (Kosellek, 1992). Erstere bezieht sich vorrangig auf die Binnenkonstruktion einer Gemeinschaft; das „Volk“ ist dann etwa – je nach konzeptionellen Kontext – das „gemeine Volk“, der Pöbel, die Laien (Kirchenvolk) oder aber „Wir sind das Volk“ im Herrschaftsanspruch gegenüber der politischen Kaste. Letztere focussiert stärker auf die Außenabgrenzung, wie etwa im Gegenüber von „Gottesvolk“ und „Heiden“ oder – in der Regel in Verknüpfung mit bestimmten Namen bzw. Volksnamen – bei der Unterscheidung von eigenem und fremdem Volk.

Die Semantik von „Volk“ ist untrennbar verbunden mit sozialen Konstruktionen, die am Phänomen der Vergemeinschaftung hängen und als grundlegende Objektivationen die gesellschaftliche Wirklichkeit sowohl ausmachen als auch strukturieren (Berger / Luckmann, 2004; Giesen, 1999). Diese werden in der Alltagsgewissheit als (objektiv, natürlich, essentiell o.ä.) gegeben wahrgenommen, im Modus der Sprache gefasst und wie alle sozialen Objekte vorrangig im Medium der Sprache stabilisiert und / oder modifiziert. Entsprechende Phänomene der Vergemeinschaftung werden in Soziologie, Ethnologie, Kulturanthropologie u.ä. meist unter dem Stichwort „kollektive Identität“ diskutiert. „Volk“ meint dann eine kollektive Identität, die die individuelle Identität derjenigen auslegt, die sich zu ihr in Beziehung setzen (Hoffmann, 1991). Entscheidend für Verständnis bzw. Verwendung von „Volk“ ist dabei, wie die jeweilige kollektive Identität codiert ist, mit welchen von der jeweiligen Gemeinschaft als objektive bzw. essentielle Gegebenheiten wahrgenommenen Zuschreibungen (vgl. Weber, 1956, 237: „Gemeinsamkeitsglaube“) etwa die Oben-unten-Relation bzw. die Innen-außen-Relation verbunden sind und wie die jeweilige Grenze markiert ist (dazu grundlegend Barth, 1998).

Grundsätzlich lassen sich drei idealtypische Codierungsweisen kollektiver Identität ausmachen, die bezüglich der Logik ihrer Grenzkonstruktionen Alternativen darstellen (Giesen, 1999):

Primordiale Codes gründen die Gemeinschaft auf der Überzeugung gemeinsamer Abstammung, Verwandtschaft, Herkunft. Obgleich eine soziale Konstruktion, wird diese im Binnenraum der Gemeinschaft als essentiell und naturgegeben sowie jenseits individueller Entscheidungsmöglichkeiten stehend wahrgenommen. Grenzüberschreitungen sind durch entsprechende Passagerituale (Einheirat, Adoption, Verstoßung) markiert.

Traditionale Codes verankern das Gemeinbewusstsein in der Überzeugung gemeinsamer Vergangenheit, dem Glauben an die zeitlichen Kontinuität sozialer Praktiken, lokaler Bindungen u.ä. Anders als bei primordial codierten Gemeinschaften verlaufen die Grenzziehungen eher graduell oder vage.

Universalistische Codes basieren auf einer unbedingten Überzeugung, einer Idee o.ä., die als Bestimmung aller Menschen gilt. Die Grenze verläuft hier zwischen jenen, die im Bewusstsein ihrer wahren Identität leben und jenen, die dies (noch) nicht tun.

2. Das Volk Israel

Nach alttestamentlicher Darstellung geht das Volk Israel auf die zwölf Söhne des → Erzvaters Jakob / Israel zurück. Die Jakob-Familie wuchs in Ägypten zu einem Volk an, von JHWH befreit erhielt das Volk am → Sinai JHWHs → Tora, um dann als Gottesvolk in das verheißene → Land einzuziehen, es in Besitz zu nehmen und an die aus den Söhnen Jakobs hervorgegangenen Stämme (→ Stamm) zu verteilen. Israelit ist dementsprechend, wer einem der zwölf Stämme angehört.

Von dieser Darstellung zu unterscheiden, ist die Frage nach den historischen Ursprüngen des Volkes Israel bzw. nach der Art des Gemeinbewusstseins (s.o. Gemeinsamkeitsglaube / Codierung der kollektiven Identität), das für das Volk Israel greifbar ist.

2.1. Die Ursprünge des Volkes Israel

Die schmale Quellenlage lässt nur vage Rückschlüsse über die Entstehung des Volkes → Israel zu. Die archäologischen Befunde aus der späten Bronze- bzw. der frühen Eisenzeit bieten keinerlei Indizien für eine Wanderungsbewegung in dem Ausmaß, das die alttestamentliche Darstellung von → Exodus und → Landnahme voraussetzt. Vielmehr scheinen primär innerkanaanäische Entwicklungen zur Herausbildung des Volkes Israel geführt zu haben (Frevel, 2016, 66-84).

Archäologisch feststellbar ist innerhalb der gesamten Levante ein Wandel der Siedlungsstrukturen im Übergang von der Spätbronze- zur → Eisenzeit I. Parallel zu einem länger andauernden Prozess der Auflösung der kanaanäischen Stadtkultur entstehen verstärkt rurale Siedlungen in ehemals nicht besiedelten Gebieten (Finkelstein, 1988). Dieser Prozess erstreckt sich über einen längeren Zeitraum, ist regional sehr unterschiedlich ausgeprägt und auf ein komplexes Ineinander verschiedener (klimatischer, politischer, demographischer, wirtschaftlicher) Ursachen zurückzuführen. Die Ursprünge Israels vermutet man in der sich entwickelnden früheisenzeitlichen Dorfkultur, wobei umstritten ist, ob deren Träger aus den kanaanäischen Städten hervorgegangen sind (Lemche, 1998) oder ob es sich um Menschen handelte, die schon über längere Zeit außerhalb der Städte gelebt haben (Finkelstein, 1988) und möglicherweise mit der aus keilschriftlichen Quellen bekannten sozialen Gruppe der → Hapiru und / oder den in ägyptischen Quellen genannten Schasu-Nomaden in Zusammenhang stehen (→ Schasu; → Nomaden). Allerdings fehlen für die Existenz einer größeren Zahl nomadisch lebender Bevölkerungsanteile die zu erwartenden archäologischen Hinweise (Rosen / Lehmann, 2010).

Ab wann und inwiefern man von einem „Volk Israel“ sprechen kann, hängt letztlich daran, wann und auf welche Weise sich ein diesbezügliches Zusammengehörigkeitsgefühl entwickelt hat, sich also Menschen als Israeliten verstanden haben (→ Israel). Die Frage lässt sich anhand archäologischer Funde kaum beantworten. Zwar unterscheidet sich die materielle Kultur in den neu entstehenden Siedlungen teilweise von jener in den Städten, was sich aber in den meisten Fällen eher durch Anpassung an die geographischen Gegebenheiten und landwirtschaftlichen Bedürfnisse als durch die Annahme ethnischer Differenzen erklären lässt (u.a. Zwingenberger, 2001; Kamlah, 2006). Auch die früheste Erwähnung des Namens „Israel“ in der Merenptah-Stele ist hier wenig aussagekräftig (→ Israel). Für die Frage nach einem israelitischen Gemeinbewusstsein und seiner Ausgestaltung bleibt man also auf die alttestamentlichen Texte verwiesen.

2.2. Grundmuster der kollektiven Identität Israels

In der Forschungsdiskussion steht gegenwärtig zur Debatte, ob und gegebenenfalls wann die in der biblischen Darstellung anzutreffende primordiale Codierung (Israel als auf Jakob / Israel zurückgehende Abstammungsgemeinschaft) jemals einer Alltagsgewissheit dazu, was das Volk Israel ausmacht, entsprach. Dies erscheint insbesondere aufgrund ihrer Ausgestaltung als Zwölf-Stämme-System, das disparate und teilweise historisch kaum greifbare Größen in sich vereint sowie in den Königreichen (Nord-)Israel und Juda liegende Territorien in einem System zusammenbindet, als fraglich.

Eine (zu welcher Zeit auch immer) gegebene Alltagsgewissheit in Bezug auf ein israelitisches Gemeinbewusstsein, also darüber, was das Volk Israel ausmachte, wer dazu gehörte und warum, ist über die alttestamentlichen Texte – wenn überhaupt – nur mittelbar zugänglich. Die Texte können eine derartige Alltagsgewissheit spiegeln, sich aber auch von ihr absetzen oder darauf zielen, sie zu verändern. Insofern ist immer auch der diskursive Kontext zu bedenken, in dem die jeweiligen Texte stehen. Die gegenwärtig sehr disparate Diskussion zur alttestamentlichen Literaturgeschichte insgesamt und zur Datierung vieler Einzeltexte schlägt damit direkt auf die Hypothesenbildung zum Verständnis des Volkes Israel durch. Umgekehrt wirken Thesen zur kollektiven Identität auf die Datierungsfragen zurück, wenn etwa das Vorkommen eines weiten Israel-Begriffs, der Nord-Israel und Juda einschließt oder die Gottesvolkvorstellung als Indizien für eine späte Entstehung der Texte ausgewertet werden (so etwa bei Kratz, 2000, u.a.m.).

2.2.1. Genealogie als Chiffre, Symbol oder Projektion

Dem klassischen Bild der (Religions-)Geschichte Israels folgend, wonach Israel als Gottesvolk nach Kanaan kam, sah man in der älteren Forschung den JHWH-Glauben als primäre Basis für ein israelitisches Gemeinbewusstsein, so etwa J. Wellhausen 1880 (1965) und viele andere. Die genealogische Konstruktion des Stämmesystems ist dann lediglich dessen Symbol (Noth, 1930) oder neben der Gottesvolkvorstellung eine zweite identitätsstiftende Konzeption, die mit der Staatenbildung an Bedeutung verlor (Albertz, 1987). Mit neueren Einsichten zu den Anfängen des Volkes (s.o.) sowie zur → Religionsgeschichte Israels, wonach die exklusive JHWH-Beziehung erst Ergebnis einer längeren Entwicklung ist, muss auch die Basis für ein israelitisches Gemeinbewusstsein anders bestimmt werden.

An Wellhausen anknüpfend, der ebenfalls die Rolle des Königtums betont hatte, welches die älteren Stämme und Geschlechter zu einer „organischen Einheit“ zusammengefasst habe und so zur Basis eines – bei ihm im davidisch-salomonischen Reich einsetzenden und daher – gesamt-israelitischen Gemeinbewusstseins geworden sei (1965, 16), rückt die Rolle des Staates für die Herausbildung des Volkes Israel in den Focus. Diesem Erklärungsansatz zufolge war Israel ursprünglich allein das Staatsvolk des Nordreiches (z.B. Kratz, 2000 sowie 2013; Fleming, 2012) ohne besondere ethnische Identität oder religiöse Verbundenheit (Davies, 1992). Die Idee des Gottesvolks entwickelte sich durch die Erfahrung des Exils und wurde in die Frühzeit projiziert. Die genealogische Konzeption des Zwölf-Stämme-Volks entsteht als Reaktion auf den Verlust der Staatlichkeit und soll diesen kompensieren, sei es nach dem Ende des Nordreiches (Oswald, 2009) oder in exilisch-nachexilischer Zeit (Davies, 1992; Levin, 1995; Mullen, 1997).

Die primoridale Codierung bleibt aber einer verbreiteten Einschätzung nach auch für das nachexilische Israel ephemer. Wiederum einem Urteil Wellhausens folgend („Aus dem Exil kehrte nicht die Nation zurück, sondern eine religiöse Sekte“; 6. Aufl. 1927, 28) beschreibt man dieses als Bekenntnisgemeinschaft bzw. Kultgemeinde (Noth, 4. Aufl. 1959; Donner, 2000f.; Stiegler, 1994; Rothenbusch, 2009) oder vermutet ein Nebeneinander differierender Identitätskonstruktionen (Irsigler, 2012).

Die im 19. Jh. entwickelte Vorstellung einer Jerusalemer Kultgemeinde, die in Differenz zum vorexilischen Israel stehe und zugleich die Geburtsstunde des Judentums markiere, hat sich seit dem frühen 20. Jh. zu einem vorherrschenden Paradigma innerhalb der christlichen exegetischen Diskussion entwickelt. Dieses Paradigma verdankt seine Durchsetzung weniger einer überzeugenden Auslegung der vorliegenden Textquellen als vielmehr dem Umstand, dass es Antworten zu drängenden Fragen der christlichen Identität zu liefern scheint, indem es etwa erlaubte, nunmehr die Kirche (und nicht das Judentum) als eigentliche Fortsetzung des alten Israel zu sehen (zum forschungsgeschichtlichen Hintergrund Blum, 1995; zur Problematik und alternativen Verhältnisbestimmungen vgl. Rendtorff u.a., 1994; Haarmann, 2008).

2.2.2. Die primordiale Codierung des Gemeinbewusstseins

Die Vorbehalte gegenüber der ethnischen Identitätskonstruktion erklären sich forschungsgeschichtlich möglicherweise durch die Verkennung des Umstands, dass genealogische Systeme keine genetischen Fakten, sondern soziale Konstruktionen darstellen (so auch schon Luther, 1901). Ethnologische Untersuchungen haben an zahlreichen Beispielen zeigen können, dass derartige Systeme zwar innerhalb der betreffenden Gemeinschaft als essentiell und konstant wahrgenommen werden, aber durchaus flexibel sind und über ein hohes Maß an Orientierungspotential bezüglich der inneren Strukturierung einer Gemeinschaft sowie ihrer Abgrenzung von und Verhältnisbestimmung zu anderen Gemeinschaften verfügen. Ein auf diese Weise primordial codiertes Gemeinbewusstsein muss nicht mit staatlichen, territorialen oder anderen Grenzziehungen deckungsgleich sein, kann neben diesen existieren oder auch in Konflikt zu ihnen stehen (Geertz, 59. Aufl. 2007; Wilson, 1977; Kohl, 1998).

Vor diesem Hintergrund ist die in den alttestamentlichen Texten greifbare primordiale Codierung israelitische kollektiver Identität als Zwölf-Stämme-Volk durchaus als Reflex einer Alltagsgewissheit erklärbar. Texte, die einzelne Stämme oder eine entsprechende Strukturierung des Volkes erwähnen, auf Jakob / Israel als Eponym verweisen u.ä., setzen sie voraus. Gelegentlich wird sie auch im Sinne bestimmter Argumentationsziele eingesetzt, z.B. in vorexilischer Zeit zur Legitimierung eines josefitischen Königtums im Nordreich Israel in der Jakobgeschichte (Blum, 1984), in nachexilischer Zeit unter anderem im Diskurs um den Status der Bevölkerung Samarias zu Israel, wobei sowohl für deren Zugehörigkeit zu Israel (z.B. 1Chr 1-9) als auch dagegen (z.B. 2Kön 17,24-41) jeweils mit dem Argument ihrer Abstammung argumentiert wird (Weingart, 2014).

Die Ursprünge der primordialen Codierung des Gemeinbewusstseins sowie ihre gesamt-israelitische Ausgestaltung scheinen jedoch jenseits des in den Texten Greifbaren zu liegen. Möglicherweise sind im → Deboralied (Ri 5) noch Spuren einer älteren oder alternativen Stämmestruktur zu erkennen, die mit der schriftlichen Fixierung des Zwölfstämmesystems in den Hintergrund trat.

Eine Herleitung des Zwölfstämmesystem aus nachexilischer Zeit wirft demgegenüber Fragen auf: Warum sollte man in dieser Zeit ein genealogisches System entwickeln, das den gegebenen Verhältnissen so wenig entspricht (z.B. in der prominenten Stellung eines nicht mehr existenten Stammes → Ruben oder der engen Verbindung → Benjamins zu → Josef und nicht zu Juda)? Wie wäre zu erklären, dass sich eine derartige kontrafaktische Konstruktion relativ rasch durchgesetzt haben soll und für das spätere Judentum zu einer Konstituente seines Selbstverständnisses geworden ist?

3. Das Volk Israel und die Völker

Bezüglich des Verhältnisses Israels zu anderen Völkern kommen im Alten Testament unterschiedliche Aspekte zur Sprache.

3.1. Israel als Teil und Zentrum der Völkerfamilie

In einer umfassenderen Konzeption der Völkerwelt, wie sie z.B. in der → Urgeschichte entfaltet wird, ist Israel Teil einer Völkerfamilie (z.B. Gen 10; 1Chr 1; → Völkertafel). Die Völkerwelt ist insgesamt genealogisch strukturiert. In den Erzelternerzählungen werden neben Grundcharakteristika Israels (sein Name, die Stämmestruktur usw.) auch sein Verhältnis zu den engeren Nachbarvölkern wie → Ammon und → Moab (Gen 19,31-38), → Ismael (Gen 25) oder → Edom (Gen 27) ätiologisch begründet (→ Ätiologie). Abgestufte Verwandtschaftsgrade drücken dabei Nähe und Distanz aus.

Innerhalb der gesamten Völkerfamilie nimmt Israel eine Sonderstellung ein. In den Genealogien der → Chronik (1Chr 1,1-2,3) bildet es das geographische Zentrum der Völkerwelt (Oeming, 1990). Theologisch wird diese zentrale und herausgehobene Rolle Israels (→ Gottesvolk) innerhalb der Völkerwelt mit den Konzepten des → Bundes sowie der Erwählung des Volkes durch JHWH ausgedrückt (Ex 19,5; Dtn 7,6-8; Jes 14,1; Ps 33,12).

3.2. Die Völker des Landes und das Gottesverhältnis Israels

In der Darstellung der Landnahme kommen fremde Völker vor allem als vorisraelitische Bewohner des Landes in den Blick, die von den Israeliten vertrieben werden. Häufig werden sie in Völkerlisten zu Reihen von sechs oder sieben Völkern zusammengestellt (Ex 3,8; Ex 33,2; Dtn 7,1; Jos 3,10).

Unabhängig davon, ob ihre vollständige (Jos 21,43f.) oder unvollständige (so in Jos 23 oder in anderer Ausgestaltung Ri 1,1-2,5) Vertreibung vorausgesetzt ist, gelten nicht-israelitische Völker im Land oder als Nachbarn als Stolperstein für die JHWH-Treue der Israeliten. Insbesondere deuteronomistische Texte (→ Deuteronomismus) sehen Israel in der ständigen Gefahr, die Götter der Völker zu verehren oder deren Kultpraktiken zu übernehmen (so z.B. im wiederkehrenden Zyklus von Abfall und Rettung im → Richterbuch, in der Begründung des Exogamieverbots in Dtn 7,1-6; Dtn 20,10-18 oder der Begründung für das Ende des Nordreiches 2Kön 17,7-23).

3.3. Die Fremdvölker als Thema der Prophetie

In prophetischen Texten werden die Völker meist in den Völkersprüchen (→ Prophetische Redeformen) zum Gegenstand. Diese Texte beinhalten Unheilsankündigungen für nicht-israelitische Völker, die für Israel Heil bedeuten (Jes 13-23; Jer 46-51). Gelegentlich werden auch Israel und Juda in Reihen von Fremdvölkersprüchen aufgenommen (Am 2,4-16) und wie die Völker unter JHWHs Gericht gestellt (→ Amos). In den theologischen Auseinandersetzungen um die Deutung des Exils können die Völker dann auch zum Werkzeug des Gerichts JHWHs gegenüber seinem Volk werden (z.B. Jes 29,1-7; Jer 5,15-17).

In eschatologischer Perspektive erscheinen die Völker als Akteure im endzeitlichen Kampf um → Zion (→ Völkerkampf), in dem sie an JHWHs Macht scheitern (Mi 4,11-13; Sach 12), oder aber als Teilhaber einer universalen Heilszeit, in der sie zum Zion strömen (→ Völkerwallfahrt) und JHWHs heilsame Herrschaft sowie Israels Sonderrolle anerkennen (Jes 66,18-20; Mi 4,1-3; Ps 86,9).

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