Vollkommen-Vollkommenheit
(erstellt: März 2015)
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Zur Beschreibung der Vollkommenheit einer Person, eines Tieres, eines Gegenstandes, eines Verhältnisses und schließlich auch einer Tat verwendet das Alte Testament vor allem die Wurzel תמם tmm. Sie bedeutet als Verb „vollständig sein“ bzw. „vollständig / fertig werden“ und dieser Bedeutung entsprechen das von ihm abgeleitete Adjektiv und Substantiv. Als Oppositionspaar wird „defekt“ (מוּם mûm) angesehen (Spr 9,7
Der semantische Gebrauch von „vollkommen“ lässt sich in drei Kategorien unterteilen, die sich teilweise bestimmten Literaturbereichen innerhalb des Alten Testaments zuordnen lassen: kultisch (1.), ästhetisch (2.) und ethisch (3.). Eine ähnliche Klassifizierung nimmt James Watts (2014) vor, der die Verwendung des Wortfelds „vollkommen“ im Kontext der Opferbestimmungen von denen mit Blick auf den menschlichen Lebenswandel abgrenzt. Seine Terminologie mit „physical und spiritual perfection“ legt jedoch einen etwas anderen Akzent. Kooy (1962) blendet den kultischen Aspekt aus.
Die Fokussierung auf einen semantischen Begriff vollzieht sich im Folgenden als Beleuchtung von dessen literarischem und pragmatischem Verwendungskontext. Dabei wird das Ineinander unterschiedlicher Begriffsfelder deutlich: Vollkommenheit ist v.a. mit Gerechtigkeit, Heiligkeit und Aufrichtigkeit verbunden. Mit Kult, Ästhetik und Ethik wird hier ein Raster vorgelegt zur Erhellung und Systematisierung der Rede von Vollkommenheit bzw. Integrität in alttestamentlichen Texten.
Die Logik, die die Handlungsfelder von Kult über die Ästhetik bis zur Ethik umgreift, ist, dass dieses Ideal in der Gottesrelation begründet ist und dass die Vorstellung der Ganzheit alle Lebensbereiche einschließt. Ob eine sprachgeschichtliche Entwicklung der Vorstellung der Vervollkommnung feststellbar ist, lässt sich schwer sagen (siehe Schluss), und hängt u.a. von der Frage ab, wie die priesterschriftlichen Texte mit ihrem kultischen Vollkommenheitsideal literaturgeschichtlich einzuordnen sind. Festgehalten werden kann zunächst Folgendes: 1. Es besteht ein Konnex zwischen der Vorstellungswelt des Kultes und der des Ethos (vgl. Ps 15 und 24). 2. Das ästhetische Vollkommenheitsideal eines Textes wie Dan 1 ist von dem kultischen Sprachgebrauch beeinflusst und verbunden mit dem ethischen. 3. In späten weisheitlichen Texten (wie Proverbien und Hiob) wird der Gedanke der ethischen Vollkommenheit breit diskutiert. 4. Die Verfasserkreise des → Leviticus-Buches
1. Kultische Vollkommenheit
Der häufigste Gebrauch des Adjektivs „vollkommen“ dient der Bezeichnung der einwandfreien körperlichen Beschaffenheit der Opfertiere innerhalb der priesterschriftlichen Literatur (→ Priesterschrift
Die Zweckbestimmung im Zusammenhang der Opferbestimmungen („zum Wohlgefallen“ Lev 1,3
Die in Lev 22 genannten Makel sind eine Kurzform der Liste an körperlichen Fehlern von Angehörigen der priesterlichen Familie, die es diesen verwehrt, sich dem Heiligtum zu nähern, um Gott dort Gaben darzubringen (Lev 21,17-20
Auch betonen die Opferbestimmungen das Geschlecht des zu opferenden Tieres: Fast immer soll es ein männliches Tier sein. Ob ein Tier für die Gabe geeignet ist oder nicht, d.h. vollkommen ist, hängt nicht nur an der intakten materiellen Beschaffenheit des Tieres. Dies wird letztlich auch dadurch deutlich, dass alle Tiere, die von Ausländern stammen (unabhängig ihrer physikalischen Beschaffenheit) generell als Opfertiere einen Makel haben, d.h. für dieses nicht gewählt werden sollen (Lev 22,25
Im Leviticus-Buch wurde als Ausdruck für die kultische Vollkommenheit des Menschen ein anderer Begriff gewählt: heilig – im Sinne von ausgesondert für den Kult (→ heilig
2. Ästhetische Vollkommenheit
In Dan 1,4
Im Alten Testament fallen damit „innere“ und „äußere“ Vollkommenheit zusammen. → David
3. Ethische Vollkommenheit
Die Verwendung des Wortfeldes „vollkommen“ (תמם tmm) in ethischer Hinsicht findet sich vor allem in weisheitlichen Texten wie → Proverbien
3.1. Menschen und ihr vollkommener Lebenswandel
Die beiden Psalmen, Ps 15
In Ps 7 bittet der bedrängte Beter, dass Gott ihm Recht schaffen soll entsprechend seiner Gerechtigkeit und Integrität (Ps 7,9
In Spr 20,7
Der aufrechte Lebenswandel vor Gott wird mittels der Wendung „mit der Vollständigkeit des Herzens“ ausgedrückt (Gen 20,6
3.2. Tugendethik und Imitatio Dei
Um seine Vollkommenheit zu demonstrieren, zählt Hiob in seiner Rede in Hi 31
Diese Vorstellung der Vollkommenheit des menschlichen Wandels wird im Heiligkeitsgesetz als eine (Tugend-)Ethik entfaltet, die sich als Nachahmung Gottes (Imitatio Dei) versteht. → Leviticus
In der einleitenden Formulierung des zentralen Kapitels des Leviticusbuches heißt es: „Ihr seid heilig, denn heilig bin ich“ (Lev 19,2
Lev 20,7f
Der Gottesbezug der Vollkommenheit kommt auch in der Aufforderung an → Abraham
Moralische Normen wie Integrität sind daher nicht mittels einer Gehorsamsethik begründet. Walter Eichrodt (1935), Eryl Davies (1999), Bruce Birch (1988), John Barton (2014) u.a. sehen in der Nachahmung Gottes (Imitatio Dei) dann auch ein leitendes Prinzip einer Ethik des Alten Testaments (kritisch C.H. Rodd 2001). Doch die Frage ist dabei, ob sich Ethik (nur) im rechten Verhalten Gottes gründet bzw. (nur) dieses nachahmt. Es geht allgemeiner gesprochen um das rechte Gottesverhältnis.
Entsprechend bezeichnet der Begriff „vollkommen“ dort, wo er mit Blick auf eine Person wie Noah, David oder Hiob, verwendet wird, nicht nur eine konkrete Charaktereigenschaft, sondern eine allgemeine Haltung des Menschen, die in der Gottesbeziehung gegründet ist. Diese wird auch näherhin als Gottesfurcht beschrieben (Hi 2,3
In der Auslegungsgeschichte führte die Aufforderung zur Vollkommenheit zur Diskussion, ob dem Menschen angesichts seiner Sündhaftigkeit ein vollkommenes Leben überhaupt möglich sei. Doch selbst der untadelige und vollkommene Hiob weiß um seine schuldhaften Taten (Hi 13,26
Tugenden werden gemeinhin als positive Haltungen eines Menschen angesehen, die sein Handeln bestimmen. Alttestamentlich gedacht, bildet sich die Haltung im Herzen, dem Zentrum der Entscheidungen, ab. Es ließe sich damit von einer Gesinnungsethik sprechen, wobei für den Menschen im Alten Testament Gesinnung und Tat zusammengehören. Was im Denken vorgeht („Herz“ im biblischen Hebräisch), ist entscheidend, ähnlich wie in der modernen Tugendethik (so Barton 2014). Das Bild des tugendhaften Lebensweges, das ethische Handeln und die Gesinnung im Herzen sind in Ps 15,2
3.3. Tun-Ergehen-Zusammenhang
Entscheidend für das Konzept der Ethik der Vollkommenheit ist der intakte → Tun-Ergehen-Zusammenhang
Das „Ich“ in Ps 101,2
In den → Sprüchen
Hinterfragt wird der Zusammenhang von Tat und Ergehen im → Hiobbuch
3.4. Vollkommenheit und Tora
Der vollkommene Lebenswandel und die → Tora
Im Anschluss an diese und andere Stellen, die von der Vollkommenheit der Werke Gottes sprechen (Dtn 32,4
3.5. Vollkommenheit als Bestimmung des Individuums
Die Integrität des Menschen bildet sich im Gottesverhältnis und im Inneren des Menschen ab. Sie richtet sich an der Vollkommenheit der Tora als den Weisungen Gottes, die der Person Lebendigkeit zurückbringt, aus (Ps 19,8
Literaturverzeichnis
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