Wallfahrt (AT)
(erstellt: Mai 2008)
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1. Einleitung
„Wallfahrt“ bezeichnet eine religiös motivierte Reise zu einem Kultort, an dem nach dem Glauben der Pilger die Präsenz einer Gottheit erfahrbar ist.
In hellenistisch-römischer Zeit ist es unstrittig, dass die Wallfahrt eines gläubigen Juden den Jerusalemer Tempel zum Ziel hat (→ Jerusalem
2. Begriffsklärung
Um eine religiös motivierte Reise zu einem Heiligtum zu beschreiben, wird in der Hebräischen Bibel meist eine Form der Wurzel עלה ‛ālāh verwendet, die „hinaufsteigen / hinaufgehen“ im Gegensatz zu ירד jārad „hinabsteigen / hinabgehen“ bedeutet. Das Verb kann sich auch auf die Wanderung von Ägypten nach Palästina beziehen, ebenso auf die Heimkehr der 597/587 v. Chr. nach Babylonien Exilierten. Da Jerusalem ca. 800 m über dem Meeresspiegel liegt, wird das Gehen dorthin – wie zu anderen Städten, die auf einer Anhöhe liegen – meist durch עלה ‛ālāh „hinaufsteigen / hinaufgehen“ ausgedrückt. Das Verb bekommt schließlich „die technische Bedeutung ‚pilgern, wallfahren’“ (Wehmeier, 275), wenn sich im Zielort ein Heiligtum befindet. So wird vermutlich nicht nur der räumliche Aspekt durch das „Hinaufgehen“ ausgedrückt, sondern auch der Gedanke an die Begegnung mit dem in der Höhe wohnenden Gott (vgl. Wehmeier, 275).
Das von der Wurzel עלה (‛ālāh) abgeleitete Substantiv מַעֲלוֹת ma‛ǎlôt „Aufstieg / Stufen“ ist schließlich ein Begriff der sog. Wallfahrtspsalmen (Ps 120-134
Ob es sich bei der Wendung „vor Gottes Angesicht erscheinen (ראה rā’āh Nif.)“ (z.B. Ex 23,17
Da nur die drei Feste → Passa
In der → Septuaginta
3. „Wallfahrt“ in der Hebräischen Bibel
In der Hebräischen Bibel bezeugen vor allem die Festkalender in Ex 23
3.1. Festkalender
1. Ex 23. Innerhalb des → Bundesbuches
2. Ex 34. Der spätere Festkalender in Ex 34
3. Dtn 16. Auch in Dtn 16,1-17
4. Demnach weisen die Festkalender Ex 23,14-17
3.2. Erzähltexte
1. Silo. Zu Beginn des 1. Samuelbuchs (→ Samuelbücher
2. Bethel. Bethel erfährt als Wallfahrts- bzw. Kultort positive wie negative Würdigungen. Einerseits wird Bethel z.B. in 1Sam 10,3
3. Horeb / Sinai. Als weiterer Wallfahrtsort kann der Gottesberg / Horeb angesehen werden. Wenn → Elia
4. Jerusalem. Der wichtigste Wallfahrtsort ist Jerusalem (oder meist synonym gebraucht: der Zion). Dies bezeugen außer den Königsbüchern die Prophetenbücher, wenn sie eine eschatologische → „Völkerwallfahrt
3.3. Psalmen
Ein zentrales Thema des → Psalters
Innerhalb der Wallfahrtslieder ist der Zion ein klarer Themenschwerpunkt: „Zion ist Ziel der Wallfahrer, denn er ist der Ort, den sich Jhwh erwählt hat und an dem er wohnen will (Ps 132,13f
Darüber hinaus fällt die „Direktheit der Gottesbeziehung, die Gottesnähe, in der die Psalmisten zu leben glauben“ (Seybold, 77), ins Auge. So bieten einige Psalmen Anrufungen Gottes in persönlicher Not (Ps 120,1
Ps 122
Die Wallfahrtspsalmen sind vermutlich nach der Restitution Zions und Jerusalems, der Exilswende, zu datieren (nach 520 v. Chr.; Seybold, 75).
4. Wallfahrtstheologie in der sog. zwischentestamentlichen Literatur
Die sich nachexilisch ausbildende Zionstheologie der Wallfahrtspsalmen findet in den → Psalmen Salomos
Das Motiv der Völkerwallfahrt findet sich auch im Lobgesang des Tobias (Tob 13,13f
In der essenischen Gemeinde nahm man von Wallfahrtsregelungen nach Jerusalem wieder Abstand, da der bestehende Jerusalemer Tempel in den meisten Schriften als illegitim betrachtet wurde. So pilgerte man nicht zum Zion nach Jerusalem, sondern war der Überzeugung, dass der wahre Zion sich mitten in der essenischen Gemeinde befinde, unter den Söhnen der Gerechtigkeit. Eine solche Uminterpretation des Zion findet sich zum Beispiel in 11QMelch Z. 23f. Dort ist Zion „der Rat aller Söhne der Gerechtigkeit. Sie richten den Bund auf und weichen ab vom Weg des Volkes“.
5. Ausblick: Wallfahrt im Neuen Testament
Zur Zeit Jesu hatte sich das jüdische Ritual der Wallfahrt zum Jerusalemer Tempel etabliert. Jesus selbst wird vor allem in den Evangelien als ein jüdischer Pilger dargestellt, der zum Pesach- und Laubhüttenfest nach Jerusalem hinaufzog. Nach D. Sänger werden die Wallfahrten Jesu nicht nur nebenbei erwähnt, sondern haben ein besonderes Gewicht: Im Markus-Evangelium wird „der Gang nach Jerusalem zu einem christologischen Erkenntnisweg“, bei Johannes dienen die Festreisen Jesu nach Jerusalem „als Interpretament seines kreuzestheologisch akzentuierten Evangeliums“ (Sänger, 419). Die bekannteste Erwähnung einer Wallfahrt Jesu nach Jerusalem ist schließlich die zu jenem Passafest, an dem er mit seinen Jüngern das letzte Mahl hielt und anschließend verhaftet wurde (Mk 11
Nicht nur die Praxis der Wallfahrt zum Jerusalemer Tempel wurde fester Bestandteil im Judentum zur Zeit Jesu, auch das alttestamentliche Motiv der Völkerwallfahrt wird in den Schriften des Neuen Testaments aufgenommen. Zum einen beschreibt Mt 8,11
6. Zusammenfassung
Vermutlich hat es Wallfahrten schon in vorexilischer Zeit gegeben, nur waren sie weniger im Leben verankert als in der Zeit des Zweiten Tempels und führten nicht nur nach Jerusalem. Ab dem 6. Jh. v. Chr. entsteht die deuteronomistische Theologie, die Jerusalem als einzigen legitimen JHWH-Kultort deklariert und kultische Höhen sowie andere Orte scharf kritisiert und ablehnt (z.B. 1Kön 12
Dass die Wallfahrt nach Jerusalem immer größere Ausmaße annahm, ist nach S. Safrai vor allem in „der religiösen Rechtsetzung zu spüren. Außer an den Bestimmungen, welche die Tätigkeit des Hohen Rats, seine Sorgewaltung für Instandsetzung der Wege, der Zisternen und die Wasserversorgung unterwegs, die Ordnungen des Tempels an den Festen und die Beherbergung der Pilger regeln, ist ihr Einfluß auch auf einige Verordnungen grundsätzlicher Art wahrzunehmen“ (Safrai, 10). Die Hauptquelle für das jüdische Pilgerwesen in der Zeit des Zweiten Tempels ist die rabbinische Literatur, auch wenn manche rabbinischen Schriften nach der Zerstörung des Zweiten Tempels niedergeschrieben wurden; es beruht aber „ein Großteil der mischnischen sowie die überwiegende Mehrheit auch der talmudischen Traditionen auf solider Überlieferung“ (Safrai, 12). So gibt es eigene → Talmud-Traktate
Literaturverzeichnis
1. Lexikonartikel
- Theologisches Wörterbuch zum Alten Testament, Stuttgart u.a. 1973ff
- Theologische Realenzyklopädie, Berlin / New York 1977-2004
- Religion in Geschichte und Gegenwart, 4. Aufl., Tübingen 1998-2007
- Theologisches Handwörterbuch zum Alten Testament, München / Zürich 1978-1979
2. Weitere Literatur
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- Diebner, B.J., 1995, Sinaitische Wallfahrtstraditionen im vorchristlichen Judentum?, in: Akten des XII. internationalen Kongresses für christliche Archäologie. Bonn 22.-28. September 1991, Teil II (JAC.E 20,2), Münster, 690-699
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- Georgi, D., 2. Aufl. 1994, Der Armen zu gedenken. Die Geschichte der Kollekte des Paulus für Jerusalem, Neukirchen-Vluyn
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- Köhlmoos, M., 2006, Bet-El – Erinnerungen an eine Stadt. Perspektiven der alttestamentlichen Bet-El-Überlieferung (FAT 49), Tübingen
- Körting, C., 1999, Der Schall des Schofar. Israels Feste im Herbst (BZAW 285), Berlin / New York
- Körting, C., 2006, Zion in den Psalmen (FAT 48), Tübingen
- Noth, M., 1940, Der Wallfahrtsweg zum Sinai (Nu 33), Palästinajahrbuch 36, 5-28
- Safrai, S., 1981, Die Wallfahrt im Zeitalter des Zweiten Tempels (FJCD 3), Neukirchen-Vluyn
- Sänger, D., 2003, Art.: Wallfahrt / Wallfahrtswesen. III. Neues Testament, TRE 35, Berlin / New York
- Schaper, J., 2004, »Wie der Hirsch lechzt nach frischem Wasser«. Studien zu Ps 42/43 in Religionsgeschichte, Theologie und kirchlicher Praxis (BThSt 63), Neukirchen-Vluyn
- Seybold, K., 1978, Die Wallfahrtspsalmen. Studien zur Entstehungsgeschichte von Psalm 120-134 (BThSt 3), Neukirchen-Vluyn
- Wehmeier, G., 2. Aufl. 1979, Art. עלה, THAT II, München / Zürich, 272-290
- Zeller, D., 1971, Das Logion Mt 8,11f / Lk 13,28f und das Motiv der »Völkerwallfahrt«, BZ N.F. 15, 222-237
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