Deutsche Bibelgesellschaft

Weide / Weidewechsel

(erstellt: April 2021)

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1. Weide

1.1. Altes Testament

1.1.1. Terminologie

Das Hebräische hat verschiedene Bezeichnungen für die Weide für Tiere: כַּר kar „Aue, Weidegrund“, מׅרְעֶה mir‘æh „Weide / Weidegrund“ und נָוֶה nāwæh „Aue / Flur / Weide / Trift“.

Das deutsche Wort „Trift“ (abgeleitet vom Verb „treiben“), das in der Lutherübersetzung Ps 144,13; Jes 5,17 verwendet wird, meint im Rahmen der landwirtschaftlichen Fachterminologie ursprünglich den Weg, auf dem man das Vieh zur Weide trieb und dann auch die Weide selbst. Im Hebräischen lautet die entsprechende Bezeichnung נָוֶה nāwæh. Demgegenüber meint das deutsche Wort Aue ein Wiesengelände, oft in Bachnähe. Anger dagegen ist die Bezeichnung für ein grasbewachsenes Land (vgl. die Lutherübersetzung zu Ps 65,14).

1.1.2. Lebensweltlicher Gebrauch

Viehweiden waren für das Überleben der umherziehenden Kleinviehherden (s.u. 2. Weidewechsel), aber auch für die Nutztiere der Bauern unabdingbar (Ps 65,14; Hi 1,14: Eselinnen). Solche Weiden zu finden, auf denen als besondere Köstlichkeit z.T. auch Weiderinder neben gemästeten gehalten wurden (1Kön 5,3), war die wichtigste Aufgabe der → Hirten (1Chr 4,39). Wo z.B. aufgrund von Trockenheit nicht ausreichend Weideflächen vorhanden waren (vgl. Jer 9,9; Jer 23,10; Gen 47,4) und die Tiere kein Futter fanden (Jo 1,18-21), drohte der Verlust der Herden.

Die Verwandlung von Kulturland in Weideflächen für die Tiere ist Zeichen des Gerichts (Ez 25,5; Zef 2,6; Jes 32,14, vgl. das Gegenbild Jes 32,18). Wo eine Stadt zum Weideplatz für Tiere wurde, ist jegliches menschliche Leben dahin (Jes 27,10; vgl. das Gegenbild Jer 33,12). Andererseits ist es auch Ergebnis des Gerichts, wenn Weiden verdorren (Am 1,2; Jer 49,20; Jer 50,45; Jer 23,10) und verwüstet werden (Jer 25,36f).

Auch Wildtiere, wie der Wildesel, suchen ihre Weiden auf (Hi 39,8) und leiden, wenn sie dort kein Futter finden (Klgl 1,6).

1.1.3. Metaphorik

Die grünen Auen, auf die der gute Hirte seine Tiere führt, werden zum Bild für die Fürsorge und Achtsamkeit Gottes, die er dem einzelnen Beter (Ps 23,1-2; vgl. Janowski), aber auch seinem Volk zukommen lässt (Ez 34,14.18; Jer 23,3; Jes 49,9). „Schafe deiner Weide“ ist geradezu eine Bezeichnung für Israel, die die enge Beziehung zu Gott, seinem Hirten, zum Ausdruck bringt (Ps 74,1; Ps 79,13; Ps 95,7; Ps 100,3; Ez 34,31).

Den Hirten, die die Herde der Weide Gottes umkommen lassen, gilt Gottes drohender Weheruf (Jer 23,1). „Weide der Gerechtigkeit“ (Jer 50,7) ist demgegenüber geradezu ein Gottesepitheton. In diesem Titel verbindet sich, für was Gott steht: er ist „Weide für die Menschen und mit Gerechtigkeit verbunden“ (Fischer, 575). Der Titel erinnert zugleich an eine ähnliche Bezeichnung für → Zion (Jer 31,23), das auch sonst im Bild einer lieblichen Aue gezeichnet werden kann (Jer 6,2; vgl. Schmidt, 154; anders Fischer, 262f), deren Frieden aber von außen bedroht ist (vgl. die im Bild von Hirten geschilderten Belagerer Jer 6,3). Die Berufung → Davids zum „Fürsten über Israel“ geht damit einher, dass JHWH ihn von der Weide und der Kleinviehherde weggenommen hat (1Chr 17,7).

Auch bezogen auf Frevler wird von Auen gesprochen: Allerdings wird deren den Auen gleichende Pracht vergehen (Ps 37,20).

1.2. Neues Testament

1.2.1. Terminologie

Der Weideplatz hat die griechische Bezeichnung νομή nomē (Joh 10,9).

1.2.2. Metaphorik

In Joh 10,9 bezeichnet sich Jesus als Tür. Gemeint ist der Ein- und Ausgang für die Schafe und der Zugang zu den Schafen. Die Schafe, die durch diese Tür gehen, werden Weide finden, also gerettet werden (vgl. Schulz, 149).

2. Weidewechsel

2.1. Bedeutung

Der Weidewechsel und damit der Zugang zu immer neuen Weideflächen mit entsprechendem Grünfutter war für Viehherden unverzichtbar und die Grundlage für die Viehwirtschaft von Bauern und nomadisierenden Bevölkerungsgruppen, die entscheidende Produkte für das menschliche Leben und Überleben lieferte (Fleisch, Milch, aber auch Häute und Wolle). Nur durch den regelmäßigen Weidewechsel konnten eine Überweidung der Flächen und deren damit einhergehende Zerstörung dauerhaft verhindert werden.

Für den Weidewechsel war der jahreszeitliche Rhythmus wichtig. Im Winter wiesen die Steppen und Wüstenränder aufgrund der Niederschläge eine für die Weidewirtschaft ausreichende Vegetation auf (vgl. Ps 65,13; Joel 2,22). In den trockenen Sommern dagegen mussten die Viehhalter ihre vor allem aus Kleinvieh (→ Schafe und → Ziegen) bestehenden Herden in Kulturlandnähe, also unweit von Dörfern und kleinen Städten, „übersommern“ (Donner, 55) lassen, da nur dort die notwendigen Voraussetzungen für deren Überleben gegeben waren. Entscheidend dabei waren die Wasserstellen (Gen 26,18-22) und Absprachen mit anderen Hirten und den ortsansässigen Verantwortlichen über die Nutzung der Weideflächen, da sonst Konflikte um die knappen Ressourcen entstanden (vgl. Gen 13,8f). Mit Beginn des Winters wurden diese Aufenthaltsorte wieder verlassen. Insgesamt setzt der Weidewechsel einen engen Bezug zwischen sesshaften und umherziehenden Bevölkerungsgruppen voraus.

2.2. Der Weidewechsel im Rahmen der Theorien zur Landnahme

Lange Zeit spielte der Weidewechsel / die Transhumanz eine entscheidende Rolle bei der Theoriebildung zur → „Landnahme“ der israelitischen Stämme, wie sie grundlegend vor allem von → Albrecht Alt 1925 und 1939 entwickelt worden war (Alt 1968a.b; vgl. dazu Weippert). Bei diesem Infiltrations- oder Penetrationsmodell ging man davon aus, dass mit ihren Kleinviehherden umherziehende, halbnomadische Wanderhirten nach Ende des Sommers und damit mit dem Beginn der Regenzeit nicht wieder in die angrenzende Steppe aufbrachen, sondern im Kulturland verblieben und nach und nach von der Kleinviehzucht zum Ackerbau übergingen. Damit sei ein Trend zur zunächst friedlich vonstattengegangenen Sesshaftwerdung einhergegangen, also weg vom Aufenthalt in Zelten hin zum Wohnen in festen Häusern (Prozess der Sedentarisierung). Zentrum dieser Sesshaftwerdung seien – im Unterschied zu den von den → Kanaanäern besiedelten Ebenen mit den befestigten Städten – eher die gebirgigen, bevölkerungsarmen Teile des Landes gewesen. Diese weitgehend friedliche „Landnahme“ im Rahmen des Weidewechsels sei dann in eine Phase des „Landesausbaus“ (Alt 1968b, 137-140) übergegangen, in der die frühen Israeliten mehr und mehr in die Ebenen und Täler des Landes vordrangen, wobei dann kriegerische Konflikte mit den kanaanäischen Stadtstaaten vorprogrammiert waren.

Heute sieht man den Vorgang der Landnahme differenzierter und berücksichtigt auch stärker regionale Faktoren.

3. Weiden

3.1. Altes Testament

3.1.1. Terminologie

Das hebräische Verb für „weiden“ ist רָעָה rā‘āh. Das Weiden der Herde wird auch mit dem davon abgeleiteten Nomen מַרְעׅית mar‘ît umschrieben.

Vom Weiden ist im Alten Testament in verschiedenen Kontexten die Rede:

3.1.2. Mit Subjekt „Tiere“

Das Weiden von Tieren bezieht sich auf deren Nahrungsaufnahme (Gen 41,2.18; Ps 80,14; Jes 30,23; Jon 3,7). In der Heilszeit werden selbst Raubtiere und Herdentiere zusammen weiden, ohne dass Gefahr droht (Jes 11,7; Jes 65,25). In Gerichtsankündigungen findet sich dagegen der Topos, dass Herden im Kulturland und besonders in ehemaligen Städten weiden, was gleichbedeutend ist mit deren Untergang und Zerstörung (Jes 5,17; Jes 27,10).

3.1.3. Mit Subjekt „Menschen“

Mit menschlichem Subjekt bezeichnet „weiden“ die Tätigkeit eines Hirten, die sich v.a. auf die aus Schafen und Ziegen bestehende Kleinviehherde bezieht (Gen 29,7; Gen 37,2.12; 1Sam 16,11), aber auch auf → Esel (Gen 36,24).

3.1.4. Metaphorik

In der Bildsprache wird „weiden“ auf unterschiedlichste Zusammenhänge übertragen:

a) Der Aufgabe des Hirten gegenüber seiner Herde entspricht der Auftrag des → Königs, sein Volk zu weiden, d.h. für es zu sorgen und es zu leiten (2Sam 5,2; 2Sam 7,7; Jer 23,4; Ps 78,72 u.a.). Auch dem König der Heilszeit (Mi 5,3, vgl. ferner Ez 34,23) obliegt diese Aufgabe. Wo sie vernachlässigt wird, droht der Verlust der Herde, dem schlechten Hirten aber der Untergang (Jer 23,1f; vgl. den negativen Hirtenspiegel Ez 34,2ff).

b) Daneben findet sich mehrfach eine Übertragung des Bildes auf Gott, der dem einzelnen Menschen bzw. seinem Volk durch das Weiden seine Hilfe und Fürsorge zukommen lässt bzw. lassen soll (Jes 40,11; Ps 23,1f; Ps 28,9; Mi 7,14; Jes 30,23) und für es sorgt (vgl. den positiven Hirtenspiegel Ez 34,13ff).

c) Auch das Bild der weidenden Herde findet sich mehrfach in metaphorischen Zusammenhängen: Es wird bezogen auf Arme und Geringe (Jes 14,30), die von Gott versorgt werden, oder auf das Volk im Exil (Jes 49,9). Die Erfahrung des Versorgtwerdens („ihrem Weideplatz entsprechend wurden sie satt“) kann auch zur Überheblichkeit und Abwendung von Gott führen (Hos 13,6).

d) In übertragenem Sinn spricht die Liebeslyrik des → Hohenlieds vom Weiden. So wird vom Geliebten gesagt, dass er unter Lotusblüten weide (Hld 2,16, vgl. ferner Hld 6,2f), und in Hld 4,5 werden die Brüste der Geliebten mit unter Lotusblüten weidenden Gazellen verglichen. Weiden steht hier für intensiven Lebensgenuss und drückt gleichzeitig die enge Verbundenheit der Liebenden aus (vgl. Keel, 196f).

e) Eine Extremaussage findet sich schließlich Ps 49,15, wo davon gesprochen wird, dass der Tod die Reichen weide (vgl. Riede). Sie gleichen einer Herde, die in die Unterwelt hinabgeführt und dort geweidet wird, „von einem Hirten, der das Gegenbild eines guten Hirten ist, vom Hirten Tod“ (Zenger, 220).

3.2. Neues Testament

3.2.1. Terminologie

Weiden wird im Neuen Testament mit dem Verb ποιμαίνω poimaínō ausgedrückt (11 Belege). Belegt ist auch das Verb βόσκω boskō (Mk 5,11 par.).

3.2.2. Mit Subjekt „Tiere“

Vom Grasen einer Herde Säue wird Mk 5,11 par. Mt 8,30 / Lk 8,32 berichtet.

3.2.3. Mit Subjekt „Menschen“

Das Weiden des Viehs als Aufgabe eines Hirten setzen Lk 17,7 und 1Kor 9,7 voraus.

3.2.4. Metaphorik

Das Erfüllungszitat Mt 2,6 spricht von dem kommenden Christus als dem der „mein Volk Israel weiden wird“, vom Weiden des Lammes Apk 7,17. Aufgabe der Gemeindeleiter ist es, die Gemeinde Gottes zu „weiden“ (Joh 21,15ff: Simon Petrus; Apg 20,28: „von Bischöfen“; 1Petr 5,2: „von Ältesten“). Jud 12 warnt vor Leuten, die nur auf ihren eigenen Vorteil aus sind: Sie weiden sich selbst. Das Weiden mit eisernem Stab (Apk 2,27; Apk 12,5) ist dagegen gleichbedeutend mit Vernichtung.

Literaturverzeichnis

1. Lexikonartikel

  • Reallexikon der Assyriologie und vorderasiatischen Archäologie, Berlin 1928ff
  • Theologisches Wörterbuch zum Neuen Testament, Stuttgart 1933-1979
  • Biblisch-historisches Handwörterbuch, Göttingen 1962-1979
  • Der Kleine Pauly, Stuttgart 1964-1975 (Taschenbuchausgabe, München 1979)
  • Biblisches Reallexikon, 2. Aufl., Tübingen 1977
  • Theologisches Wörterbuch zum Alten Testament, Stuttgart u.a. 1973ff
  • Lexikon der Ägyptologie, Wiesbaden 1975-1992
  • Neues Bibel-Lexikon, Zürich u.a. 1991-2001
  • Exegetisches Wörterbuch zum Neuen Testament, 2. Aufl., Stuttgart u.a. 1992
  • Theologisches Handwörterbuch zum Alten Testament, 6. Aufl., München / Zürich 2004
  • Calwer Bibellexikon, 2. Aufl., Stuttgart 2006

2. Weitere Literatur

  • Alt, A., 4. Aufl. 1968a, Die Landnahme der Israeliten in Palästina (1925), in: ders., Kleine Schriften zur Geschichte des Volkes Israel I, München, 89-123
  • Alt, A., 4. Aufl. 1968b, Erwägungen über die Landnahme der Israeliten in Palästina (1939), in: ders., Kleine Schriften zur Geschichte des Volkes Israel I, München, 126-175
  • Dalman, G., 1939, Arbeit und Sitte in Palästina VI: Zeltleben, Vieh- und Milchwirtschaft, Jagd und Fischfang, Gütersloh
  • Donner, H., 3. Aufl.2000-2001, Geschichte Israels und seiner Nachbarn in Grundzügen (ATD.E 4/1+2), Göttingen
  • Fischer, G., 2005, Jeremia 26-52 (HThKAT), Freiburg
  • Janowski, B., 2014, Der Gute Hirte. Ps 23 und das biblische Gottesbild, in: ders., Der nahe und der ferne Gott. Beiträge zur Theologie des Alten Testaments 5, Neukirchen-Vluyn, 147-171
  • Keel, O., 1984, Das Hohelied (ZBK.AT 18), Zürich
  • Noth, M., 7. Aufl.1969, Geschichte Israels, Göttingen
  • Riede, P., 2017, „Das Schicksal des Menschen und das Schicksal des Viehs – einerlei Schicksal haben sie“ (Koh 3,19). Oder: Was unterscheidet und was verbindet Menschen und Tiere in alttestamentlicher Sicht?, in: U. Beuttler u.a. (Hgg.), Geschaffen nach ihrer Art. Was unterscheidet Menschen und Tiere? (Jahrbuch der Karl-Heim Gesellschaft 30), Frankfurt, 111-128
  • Schmidt, W.H., 2008, Das Buch Jeremia. Kapitel 1-20 (ATD 20), Göttingen
  • Schulz, S., 12. Aufl.1972, Das Evangelium nach Johannes (NTD 4), Göttingen
  • Thiel, W., 2. Aufl.1985, Die soziale Entwicklung Israels in vorstaatlicher Zeit, Neukirchen-Vluyn
  • Weippert, M., 1967, Die Landnahme der israelitischen Stämme in der neueren wissenschaftlichen Diskussion (FRLANT 92), Göttingen
  • Zenger, E., 1991, Ich will die Morgenröte wecken. Psalmenauslegungen, Freiburg

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