Weisheit (AT)
(erstellt: April 2009)
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→ Einsicht (AT)
1. Allgemein
1.1. Begriffsklärung
Im Laufe der Zeit hat sich in der Forschung eine Fülle von Annäherungen an das Phänomen Weisheit entwickelt. Von formkritischen Zugängen geht die Linie über historische oder archäologisch-materiale bis hin zur Postulierung einer sozialen Bewegung als Trägerkreis oder einer säkularen Lebensform bzw. von intellektuellen Traditionen in Israel. Es ist auffallend, dass im Prinzip bei jedem der Ausgangspunkt für die Definition von Weisheit bei den → Proverbien
Die Rede von der Weisheit geschieht im Hebräischen durch Ableitungen der Wurzel חכם ḥkm sowie in der → Septuaginta
Die Rede von der Weisheit als literarische Gattung ist singulär in der Bibelwissenschaft wie in den Wissenschaften vom Alten Orient, es gibt keine analoge literaturwissenschaftliche Größe in der säkularen Wissenschaft. Weisheit ist allerdings kein Spezifikum des Alten Testaments, sondern ein internationales Phänomen. Dem Alten Testament sind die weisheitlichen Schriften aus Mesopotamien besonders nahe, noch mehr aber diejenigen aus Ägypten. Es begegnen analoge Themen, teilweise analoge Formen. Spr 22,17-23,10
Die alttestamentliche Rede von der חכמה ḥokhmāh, der Weisheit, kann auf angeborene bzw. erworbene intellektuelle Kompetenzen verweisen, ist aber viel umfassender als Intelligenz. Weise ist nicht der Mensch, der im Laufe der Jahre durch viel Lesen und sonstiges Sammeln von Informationen eine Fülle an Wissen angehäuft hat. Zwar ist das die Weisheit bezeichnende Nomen חכמה ḥokhmāh auch im Sinn von Wissen oder ebenso Wissenschaft denkbar, doch ist bei seiner Verwendung eher an durch Erfahrung gewonnene → Erkenntnis
Weisheit hat zu tun mit menschlichem Verstehen und menschlicher Erkenntnis (vgl. u.a. von Rad; Preuß). Sie kann zugleich intellektuell und pragmatisch sein (Dell). Weisheit begegnet als Vermögen praktischer Fähigkeiten: So sprechen Ex 35,25f
Es geht bei der Weisheit um eine Erkenntnis, die den Einzelnen wie die Gemeinschaft zu gelingendem Leben befähigt. Gelingendes Leben kann sowohl Vermeidung von Krisen (so → Proverbien
Die Rede von der Weisheit ist u.a. geprägt von der Vorstellung einer geordneten Welt, in der alles seinen Platz und seine Zeit hat (Pred 3
Weisheit lebt zweifelsfrei von gemachter Erfahrung und deren Systematisierung. Wenn gemachte Erfahrungen in Sprache verdichtet werden und z.B. in Form von Sprichwörtern weiter vermittelt werden, so steht dies nicht in Widerspruch zu der Einsicht, dass jeder Mensch seine eigenen Erfahrungen machen muss. Weisheitsliteratur weiß allerdings um die Allgemeingültigkeit von menschlichen Erfahrungen im Laufe der Generationen und in unterschiedlichen Kontexten. So gilt Zeit übergreifend: „Wer Zucht liebt, der wird klug; wer aber Zurechtweisung hasst, der bleibt dumm.“ (Spr 12,1
Weisheit begegnet im Alten Testament auch als → personifizierte Weisheit
1.2. Quellen
1.2.1. Altes Testament
Weisheit begegnet in sehr unterschiedlichen Kontexten und literarischen Gattungen. Zu den klassischen weisheitlichen Texten werden die poetisch gestalteten Bücher → Proverbien
1.2.2. Alter Orient
Ägypten ist vor allem mit der Veröffentlichung der Lehre von Amenemope 1923 und dem weitreichenden Aufsatz von Adolf Erman (1924) über die Beziehungen zwischen ägyptischem Material und den alttestamentlichen Proverbien in den Blick gekommen wegen der Parallele zu Spr 22,17-23,10
Die Frage nach einer möglichen Abhängigkeit alttestamentlicher Texte von der Umwelt stellt sich immer wieder, ebenso die, ob nicht eher von Einfluss gesprochen werden sollte. Denkbar ist auch, dass die jeweilige Nähe im Kontext einer mündlichen Traditionsbildung zu verstehen ist (dazu genauer Niditch). Auf die Komplexität der Beziehungen zwischen weisheitlichen Texten unterschiedlicher Herkunft hat besonders Weeks aufmerksam gemacht. „Das Gespräch zwischen einem Mann und seinem Ba“ aus Ägypten hat eine thematische (aber keine wörtliche) Nähe zu Qohelet und durch seine Dialoge strukturelle Parallelen zu Hiob. Die Lehre des Ptahhotep zeigt besondere Nähe im Bereich von Ethik und Grundeinstellung / Annäherung zu Qohelet und Proverbien. Zu nennen sind weiter die Lehre des Merikare und die des Ani sowie die Harfnerlieder. Die ägyptischen Texte sind am leichtesten zugänglich in TUAT III/2, 195-319 bzw. auf der Seite Texte aus Ägypten 2
Im mesopotamischen Bereich ist die akkadisch geschriebene „Babylonische Theodizee. Ein Streitgespräch über die Gerechtigkeit der Gottheit“ (TUAT III/2, 143-157) zu nennen mit formaler wie inhaltlicher Nähe zu Hiob, mit ähnlicher Thematik der akkadische „Dialog eines Mannes mit seinem Gott“, das akkadische Gedicht „Der leidende Gerechte. Ludlul bel nemeqi. Ich will preisen den Herrn der Weisheit“ (TUAT III/2) sowie der sumerische Text „Ein Mann und sein Gott“ (TUAT III/2, 135-140;). S. auch Texte aus Mesopotamien
1.3. Träger und Trägerinnen von Weisheit
Weisheit und Erziehung müssen nicht primär eine Einheit bilden (Weeks), doch werden weisheitliche Texte wie die Proverbien zur Unterweisung (Erwachsener) herangezogen. Sie sind als Ergebnis von mehr oder weniger intensiver Reflexion von Erfahrungen mit auch didaktischer Zielsetzung anzusehen (u.a. Whybray). Es ergibt sich daraus die Frage, wer die Trägerkreise der Reflexion sind und wem die didaktische Implikation gilt.
In Israel ist Weisheit weniger deutlich an eine bestimmte Schicht gebunden als im Alten Orient. Der Versuch, in der Spruchweisheit eine Bauern- und Handwerkerweisheit zu finden (Skladny), hat sich nicht bestätigen und durchsetzen können. Für die Proverbien differenziert Whybray (1990) vier soziale Schichten: den königlichen Hof, die gebildete urbane Gesellschaft, die wohlhabenden Bauern, die Kleinbauern mit ungesichertem Leben (die Spruchweisheit ordnet er weitgehend den Kleinbauern zu, die Lehren der Proverbien wie Spr 1-9
Die Beamtenweisheit des Alten Orients, so die in Ägypten ausgesprochen für die Schulung der Beamtenschaft zu findenden Lehren (vgl. die Loyalistische Lehre und die Lehre eines Mannes an seinen Sohn), haben keine Parallelen im Alten Testament. Es kann jedoch davon ausgegangen werden, dass weisheitliche Texte ihre (schriftliche) Ausgestaltung zunächst im höfischen Kontext erfahren haben, im Rahmen der Bildung und Ausbildung von Beamten bzw. Hofbeamten, Schreibern, Diplomaten. Ein mögliches Rückverfolgen in mündliche Traditionen aus anderen sozialen Kreisen erweist sich zumeist als problematisch.
Ein mögliches Gegenüber von Volksweisheit und Bildungsweisheit wird leicht als einander ausschließendes wahrgenommen und vor allem an den Proverbien festgemacht. Es ist wesentlich mit der Diskussion um ein mögliches Schulwesen in Israel verbunden. Zur Postulierung von → Schulen
Die Bindung an den königlichen Hof wird nicht zuletzt durch die Zeichnung → Salomons
Jer 18,18
Weisheit wird weitgehend als von Männern für Männer verfasste wahrgenommen, so werden in den Proverbien ben „Sohn“ und ’av „Vater“ für das Verhältnis von Lernenden und Lehrenden benutzt, nicht aber bat „Tochter“ und ’em „Mutter“. Doch es gibt deutliche Hinweise darauf, dass trotz aller Begrenzungen auch Frauen an der Lehre bzw. an der Ausformung und Ausübung von Weisheit Anteil hatten, und zwar nicht nur die Königsmutter in Spr 31,1-9
Die Weisheit ist vorwiegend am Einzelnen orientiert. Zwar weiß sie von der Auswirkung des Verhaltens des Einzelnen auf die Gemeinschaft, der Schwerpunkt liegt jedoch deutlich beim Individuum, seinem Verhalten und seinem Ergehen. Dies dürfte auch ein wesentlicher Grund dafür sein, dass Themen wie Exodus, Landnahme und Landgabe, Kultus, Volk Gottes, Bund, Prophetie etc. in der älteren Weisheitsliteratur fehlen, da diese durchgängig an der Gemeinschaft orientiert sind (vgl. dann aber Sir 44-50
2. Theologisch
2.1. Weisheit und Offenbarung
Weisheit blendet alles aus, was mit Gottes Handeln in der Geschichte seines Volkes zu tun hat. Zugang zur Geschichte könnte dort geschehen, wo das Königtum zur Sprache kommt, das aber nicht in konkreten geschichtlichen Verortungen, sondern in übergreifenden Aussagen zum Wesen des Königtums verhandelt wird (dazu Blumenthal mit einem Vergleich Ägypten – Israel). Parallel zur Ausblendung der Geschichte in der älteren Weisheit geht die Ausblendung der Prophetie. Weisheit und → Offenbarung
Unterstrichen wird der Gedanke der alternativen Weltsicht auch dadurch, dass in den Proverbien auffallend wenig von Gott bzw. JHWH die Rede ist, noch dazu begegnet das ausdrückliche Erwähnen JHWHs schwerpunktmäßig in Spr 1-9
Die deutlich reduzierte Rede von JHWH bzw. der Verzicht auf sie zeigt sich – wenngleich aus anderen Motiven – noch ausgeprägter in den Büchern Hiob und Prediger. In den Reden des → Hiobbuches
Die Alternative Weisheit und Offenbarung kann folglich für Teile der Weisheitsliteratur nachvollzogen werden. Die beiden Größen sind aber durchaus auch als Korrelation verstehbar, als einander ergänzend, gerade auch angesichts dessen, dass spätere Weisheitsschriften (Jesus Sirach; Weisheit Salomos; Baruch) ein erkennbar positives Verhältnis zu Tora und Propheten zeigen und umgekehrt diese weisheitliche Redaktionen erfahren haben. Zudem wird Weisheit auch als Gabe Gottes angesehen (Spr 2,1-9
2.2. Weisheit und JHWHfurcht
Nach Spr 1,7
Unter Furcht JHWHs ist ein rechter Lebenswandel (Spr 14,2
2.3. Weisheit und Schöpfung
Ein wichtiger Verbindungspunkt zwischen Weisheit und JHWHglauben kann in den Aussagen zur Schöpfung gesehen werden, vor allem in Spr 1-9
2.4. Tun-Ergehen-Zusammenhang
Die Erfahrung, dass im Regelfall auf gutes Handeln gutes Ergehen folgt und umgekehrt auf schlechtes Handeln schlechtes Ergehen, führt besonders in der Weisheitsliteratur, aber auch in anderen Texten dazu, die Lesenden immer wieder neu auf diesen Zusammenhang hinzuweisen. Funktion der ständig neu eingebrachten Rede vom → Tun-Ergehen-Zusammenhang
2.5. Grenze und Krise der Weisheit
Weisheitliche Grenzerfahrungen werden nicht erst bei Hiob und Qohelet formuliert, sondern schon in den Proverbien. Eine der Grenzen ist durch JHWH gesetzt (Spr 21,30
Eine gewisse Klimax der Grenzerfahrung ergibt sich in Hi 28
Eine sogenannte Krise der Weisheit wird vor allem für Hiob und Qohelet konstatiert, besonders scharf durch Preuß, wegen der Schwierigkeiten mit dem Tun-Ergehen-Zusammenhang in beiden Büchern. Dabei wird ein starrer, einklagbarer Zusammenhang vorausgesetzt, der aber so nicht grundsätzlich vorauszusetzen ist. Auch die Proverbien sprechen nicht von einer Garantie, dass es dem Guten gut geht und dem Schlechten schlecht. Vielmehr spricht der Tun-Ergehen-Zusammenhang über die einem Verhalten innewohnenden (wahrscheinlichen) Konsequenzen, so dass auch von der Schicksal wirkenden Tatsphäre oder einer synthetischen Lebensauffassung gesprochen werden kann (Koch), was einer Dogmatisierung des Zusammenhangs und damit auch der Umkehrung der Denkrichtung vom Ergehen zum Tun eher wehrt.
2.6. Weisheit und Sprache
Die Bedeutung der Sprache für die alttestamentliche Weisheit wird expressis verbis in den Texten selber formuliert. Sprache wird sowohl als aufbauend als auch als zerstörend charakterisiert (Spr 10,11
2.7. Weisheit und Gesetz
Während die Weisheit handlungsorientierte, auf Einsicht setzende Ethik anbietet, ist das Gesetz an ethischen Normen orientiert, deren Einhaltung es auf Autorität setzend propagiert. Es sind so zunächst zwei unterschiedliche Zugänge zu konstatieren, die zudem noch von dem Gegenüber von kollektiver Norm und individueller Einsicht geprägt sind.
In jüngeren weisheitlich geprägten Texten wird ein expliziter Zusammenhang zwischen Weisheit und Tora hergestellt, so in Ps 1
Die Verbindung von Tora und Weisheit findet sich ebenso in → Qumran
2.8. Weisheit und Prophetie
Prophetie als solche ist kein Phänomen der Weisheit. Allerdings zeigen Spr 1,20-33
Daneben ist zu erinnern an die schon erwähnten inhaltlichen Beziehungen vor allem der Proverbien zu prophetischen Texten in ethischen Fragen (Delkurt, Ernst). Auf der anderen Seite ist hinzuweisen auf die ebenfalls bereits erwähnten weisheitlichen Überarbeitungen von Prophetenbüchern (dazu u.a. Hermisson), so u.a. auf Jes 29,13f
2.9. Weisheit und Mantik
Nach → Gerhard von Rad
3. Qumran
Zu den wichtigsten Texten gehört 1/4QInstruction (MLM), der in mehreren Handschriften vorliegt (1Q26; 4Q415-418; 4Q418a; 4Q418c; 4Q423). MLM setzt die weisheitliche Ordnung mit der Tora gleich, 4Q417 1 I,16f sieht darüber hinaus eine Verbindung zu einer Enosch offenbarten Vision der Erkenntnis. Eschatologische bzw. kosmologische Züge auf der redaktionellen Ebene sind nicht zu übersehen, ebenso Bezüge zum → Pentateuch
In die Nähe zur Rede von Frau Torheit in Spr 7
Literaturverzeichnis
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