Welt / Weltbild (AT)
(erstellt: März 2013)
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1. Vorbemerkungen
1.1. Terminologische Vorbemerkungen
Das vorhellenistische Alte Testament kennt keinen abstrakten Begriff für „Welt“, um das Ganze der Wirklichkeit zu bezeichnen. Das griechische Wort Kosmos „Ordnung / Weltordnung / Weltall“, das in der Philosophie seit Platon eine zentrale Rolle spielt, wird in die Schriften Israels erst durch die Septuaginta eingeführt (Gen 2,1
1.2. Allgemeine Vorbemerkungen
Für die Rückfrage nach dem alttestamentlichen Weltbild – verstanden als im Alten Testament bezeugte Vorstellungen vom Weltganzen – sind zwei Vorbemerkungen zu machen, die das Alte Testament als Zeugnis antiken Denkens und als historisch gewachsene Größe betreffen:
2. Das Alte Testament ist das Ergebnis einer ca. acht Jahrhunderte währenden, komplizierten Entstehungsgeschichte. Da Weltbilder per se kultur- und zeitgebunden sind, kann es das Weltbild des Alten Testaments streng genommen nicht geben. Daraus folgt das Postulat einer „Historischen Kosmologie“ (Janowski): „In diesem Sinn wären die Transformationen der vorexilischen, exilischen und nachexilischen Weltbilder Text für Text zu beschreiben, um ‚das biblische Weltbild‘ in seiner Komplexität und Entwicklung zu rekonstruieren.“ (Janowski 2001a, 13). Darüber hinaus sollten alttestamentliche Weltvorstellungen von israelitischen bzw. judäischen unterschieden werden, denn das Alte Testament spiegelt die religionsgeschichtlichen Gegebenheiten nur gebrochen (vgl. Wright, 2001, 67 im Hinblick auf die weitgehend monotheistisch-bildlose Götterwelt des Alten Testaments).
2. Altorientalische Vorstellungen von der Welt
2.1. Grundlinien altorientalischer Vorstellungen von der Welt
Auch wenn Weltbilder stets kultur- und zeitgebunden und damit veränderlich und komplex sind, sind die altorientalischen Vorstellungen von der Welt – bei allen Differenzen im Detail – doch in Grundlinien konstant (vgl. Horowitz; Keel 1996, 29-39; Cornelius). Dabei dürften die in den Quellen bezeugten Gemeinsamkeiten teils ähnlichen lebensweltlichen Verhältnissen, teils kulturellen Kontakten geschuldet sein. Folgende Vorstellungen sind kulturübergreifend weitgehend konstant bezeugt:
● Eine vertikal geschichtete Welt, die in der Regel aus der Trias Himmel – Erde – Unterwelt bzw. (Ur-)Meer besteht. Wo dichotomisch von „Himmel und Erde“ die Rede ist, ist die Unterwelt in der Regel in dem Wort für „Erde“ (vgl. hebräisch אֶרֶץ ’æræṣ) inbegriffen. Das Verhältnis von → Urmeer
● Tempel / Stadt und Gottesberg als irdische Repräsentationsorte des Kosmos und Haftpunkte der jenseitigen Götterwelt. Die drei kosmischen Ebenen waren nicht streng voneinander abgeschottet; vielmehr galt die irdische Ebene als „auf das Über- und Unterirdische hin offen und durchsichtig“ (Keel, 1996, 47). So ragte z.B. im Tempel, der als Nabel der Welt und Abbild des Kosmos galt, die Götterwelt in die irdisch-geschichtliche Welt hinein (vgl. Abb. 2). Die mesopotamischen Tempel und Tempeltürme garantierten als Ort des Urhügels (du[6]-kù „Heiliger Hügel“) den Bestand der Welt, was sich etwa in den sumerischen Tempelnamen spiegelt, die als „Band von Himmel und Erde“ (dur-an-ki) oder „Haus, Fundament von Himmel und Erde“ (é-temen-an-ki) bezeichnet wurden (vgl. zu Mesopotamien und Ägypten Janowski, 2001b und zu den mesopotamischen Prunknamen Hurowitz, 2010). Die kosmologische Bedeutung des Tempels als Schnittstelle von Himmel und Erde konnte auf die ganze Stadt ausstrahlen (zur kosmischen Bedeutung der altorientalischen Hauptstadt vgl. Maul). Eine vergleichbare Funktion erfüllte der Gottesberg als axis mundi und Ort der Götterversammlung in Anatolien (Kandurna), Syrien / Ugarit (Zaphon) und Griechenland (Olymp) (vgl. Clifford).
● Das Urmeer (in Ägypten: Nun; in Mesopotamien: → Apsu
2.2. Mesopotamische Vorstellungen von der Welt am Beispiel von Enuma elisch und KAR 307
2.2.1. Enuma elisch
Nach dem babylonischen Weltschöpfungsepos → Enuma elisch
2.2.2. KAR 307
In dem jüngeren assyrischen Kommentartext KAR 307 werden die Himmelsvorstellungen des Enuma elisch rezipiert und zugleich transformiert (SAA III 39; vgl. Horowitz, 3-19): Der Text beschreibt einen vertikal geschichteten Kosmos, der aus drei Himmelsschichten und drei Erdschichten besteht. Jeder der drei Himmel wird mit einem Stein in Verbindung gebracht, deren Auswahl nach Ausweis der Farben nicht allein mythischen, sondern auch naturkundlichen Überlegungen entspringt (rötlicher luludānītu-Stein – blauer saggilmud-Stein – transparenter ašpu-Stein). Der Kommentar versteht die drei Himmel offenbar als solide Steinplatten unterschiedlicher Farbe, die jeweils einem atmosphärischen Zwischenraum als Dach dienen. Darüber hinaus wird jedem Himmel und jeder Erde eine eigene Bewohnerschaft zugeordnet. Neu gegenüber dem Enuma elisch ist zum einen Marduks Promotion in den mittleren Himmel (vgl. dagegen Ee V 145f), wo er in seinem himmlischen Heiligtum auf einem Lapislazuli-Thron (uqnû-Stein) sitzt und mit einer Bernstein-Lampe (elmēšu-Stein) leuchtet. Die untere Himmelsplatte aus Jaspis dürfte demnach als durchsichtig gedacht sein, wohingegen die Lapislazuli-blaue saggilmud-Platte den irdisch-menschlichen Blick auf den Götterhimmel verhindert zu haben scheint. Zum anderen geht die Tradition insofern über das Enuma elisch und ältere Weltbeschreibungen hinaus, als Apsu und Unterwelt in eine vertikale Ordnung gebracht werden, was einen bemerkenswerten Systematisierungsversuch darstellt.
Der kosmologische Kommentar KAR 307 ist Teil einer Texttradition, deren Anliegen es war, „to find ways of making existing theology accord more precisely with the facts of the natural world“ (Livingstone, 71). Der Versuch, die mythische Tradition mit naturkundlichen Einsichten zu verbinden, ist etwa zeitgleich bei den griechischen Naturphilosophen zu beobachten, deren Himmelsvorstellungen frappante Parallelen zur babylonischen Tradition wie zu alttestamentlichen kosmologischen Traditionen aufweisen (vgl. Burkert, 67-78; Halpern).
3. Alttestamentliche Vorstellungen von der Welt
3.1. Grundlinien alttestamentlicher Vorstellungen von der Welt
Versuche, das alttestamentliche Weltbild zu rekonstruieren, stehen unter anderem vor der Schwierigkeit, dass es im Alten Testament keine systematische Beschreibung der Weltvorstellungen gibt (allenfalls können Texte genannt werden, die in Anlehnung an die altorientalische Listenwissenschaft gestaltet sind: z.B. Gen 1,1-2,3
Der Merismus „Himmel und Erde“ sowie die mehrgliedrigen Formeln zeigen, dass das Alte Testament die grundlegende vertikale Aufteilung der Welt in Himmel, Erde und Meer bzw. Unterwelt teilt. Belege des Lexems חוּג ḥûg „Kreis / Kreislinie“ deuten darauf hin, dass die Erde als kreisrund (vgl. Jes 40,22
Die irdisch-menschliche Welt erscheint wie eine Luftblase inmitten von Wassern; denn das → Urmeer
Im Zentrum der Erdscheibe steht der Tempel auf dem Zion mit dem Kerubenthron (1Kön 6
Unberücksichtigt geblieben ist in Keels Modell die Unterwelt (vgl. dazu die einzelnen Beiträge in Berlejung / Janowski; → Jenseitsvorstellungen
3.2. Transformationen der alttestamentlichen Vorstellungen von der Welt am Beispiel der Vorstellung vom Himmel als Wohnort JHWHs
Die historischen Transformationen der alttestamentlichen Vorstellungen von der Welt sollen im Folgenden am Beispiel der Vorstellung von JHWHs himmlischem Wohnort in den Blick genommen werden (zu vergleichbaren Transformationen, die das Verhältnis von JHWH und Unterwelt betreffen, vgl. Eberhardt sowie den Sammelband von Berlejung / Janowski).
3.2.1. JHWH und der Himmel in der israelitischen und judäischen Staatszeit
JHWH besaß als ursprüngliche → Wettergottheit
Neben der Tempeltheologie (und mit ihr verbunden) bezeugt ein zweiter Themenkreis JHWHs Beziehung zum Himmel. Dieser zeichnet JHWH nach syrisch-palästinischem (Baal / Ba‘lu oder Hadad) bzw. mesopotamischem (Adad) Vorbild als rettend-eingreifenden (Ps 18
3.2.2. Transformationen der exilisch-nachexilischen Zeit
Werden JHWH und Himmel in vorexilischen Texten nur selten in Verbindung gebracht, so werden seit der exilisch-nachexilischen Zeit explizit und vermehrt das himmlische Heiligtum und JHWH als im Himmel residierender Gott thematisiert. Darüber hinaus wird Gottes Schöpfermacht in Bezug auf den Himmel und die Himmelswesen betont (vor allem in der → Priesterschrift
Die Vorstellung vom himmlischen Thronen Gottes wird vor allem in der nachexilischen Gebetsliteratur aufgegriffen, um JHWHs universale Herrschaft und sein Eingreifen zugunsten der Armen und Frommen zu begründen (vgl. Ego). Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang vor allem Jes 57,15
Gen 1,1-2,3
Ein weiteres Indiz für die zunehmende theologische Relevanz des Himmels als Wohnort JHWHs in nachexilischer Zeit ist der Titel „Gott des Himmels“, der in Anlehnung an persische religiöse Vorstellungen auf JHWH bezogen wird (2Chr 36,23
In hellenistischer Zeit werden vorgegebene Himmelskonzeptionen – zum Teil unter dem Eindruck der hellenistischen Krise – noch einmal tiefgreifen transformiert. Jes 66,1
Vor dem Hintergrund der frühjüdischen Apokalyptik, in der die himmlische Welt zunehmend mit guten und bösen Engeln bevölkert wird, kommt in Dan 12,1-3
Die markanten Transformationen der Himmelskonzeptionen in exilisch-nachexilischer Zeit stellen allerdings keine streng lineare Entwicklung dar. Vielmehr ist ein Nebeneinander neuer (vgl. Schmid) sowie ein Fortbestehen alter Konzeptionen wie z.B. der Jerusalemer Tempeltheologie zu beobachten (vgl. z.B. Ez 43,7
Literaturverzeichnis
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Abbildungsverzeichnis
- Trennung der Himmelsgöttin Nut von dem Erdgott Geb (Ägypten; Neues Reich). Aus: H. Schäfer, Weltgebäude der Alten Ägypter, Berlin / Leipzig 1928, Abb. 29
- Der babylonische König Nabuaplaiddina wird von Schutzgottheiten vor den Sonnengott Schamasch geführt. Der Tempel mit der thronenden Gottheit befindet sich einerseits über dem unterirdischen Süßwasserozean Apsu (Wellenlinien unterhalb des Tempels) und ist andererseits transparent für den Himmel (astrale Symbole oberhalb der Gottheit) (Bauurkunde; 9. Jh. v. Chr.). © Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart
- Die sog. Babylonische Weltkarte und eine Rekonstruktion; die Welt liegt inmitten der Urwasser („Bitterstrom“); der Euphrat entspringt dem Gebirge oben und mündet im Sumpfland unten; ein Rechteck stellt Babylon, Kreise stellen weitere Orte dar (Tontafel, Sippar, 6./5. Jh. v. Chr.). Mit Dank an © The Trustees of the British Museum; Rekonstruktion nach E. Unger, Babylon. Die heilige Stadt nach der Beschreibung der Babylonier, photomech. Nachdr. der Ausg. v. 1931, erweitert um eine Vorbemerkung von R. Borger, Berlin 1970, Tf. 3
- Der Himmel bzw. die Himmelsgöttin Nut umwölbt die Erde, die als runde Scheibe mit Ägypten im Zentrum dargestellt ist (ägyptisches Sarkophagrelief; 4. Jh. v. Chr.). Aus: C.L. Ransom, A Late Egyptian Sarcophagus, The Metropolitan Museum of Art Bulletin 9 (1914), 112-120, 117 Fig. 3
- Modell für das Raumverständnis in Mesopotamien von B. Pongratz-Leisten. Aus: B. Pongratz-Leisten, 36 Abb. 5
- Die Zeichnung von O. Keel zum alttestamentlichen Weltbild zeigt die Welt von der Urflut umgeben sowie die Entsprechung von irdischem und himmlischem Heiligtum. Der hebräische Text auf der Torarolle zitiert Spr 3,19a: „JHWH hat die Erde mit Weisheit gegründet“. Aus: O. Keel, Das sogenannte altorientalische Weltbild, BiKi 40, 1985, 157-161, 161 Abb. 14
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