Deutsche Bibelgesellschaft

Wohlgefallen

(erstellt: Februar 2019)

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1. „Wohlgefallen“ in der Hebräischen Bibel

„Wohlgefallen“ übersetzt zumeist das hebräische Substantiv רָצוֹן rāṣôn oder das Verb רצה rṣh, die von ihrer Grundbedeutung her ein wie auch immer geartetes „Gefallen“, „Annehmen“ oder „Akzeptieren“ meinen. Im Buch Leviticus ist רָצוֹן rāṣôn terminus technicus für die durch den Kult hergestellte positive Beziehung zwischen Gott und Mensch. Es ist Gott, der dem Menschen sein Wohlgefallen zeigt. Das Wohlgefallen Gottes am Menschen kann auch in der Form des Genetivus objectivus („Wohlgefallen im Angesicht Gottes“) zum Ausdruck gebracht werden (Lev 1,3; Lev 19,5; Lev 22,19, Lev 22,29; Lev 23,11). Auch in den prophetischen Büchern bezieht רָצוֹן rāṣôn sich gelegentlich auf den Kult (Jes 56,7; Jes 60,7; Mal 2,13). Jedoch wird das Wohlgefallen Gottes nicht nur durch den Kult hergestellt. Wer den Geboten Gottes folgt, „tut sein Wohlgefallen / Willen“ (Ps 40,9; Ps 143,10). Gott hat Wohlgefallen an denen, die ihn fürchten (Ps 146,11). In der Weisheitsliteratur kann רָצוֹן rāṣôn sich auch auf das Verhältnis eines Höhergestellten, zum Beispiel des Königs, zu einem Untergebenen beziehen (Spr 14,35; Spr 16,13).

Anders als die deutsche Übersetzung „Wohlgefallen“ ist רָצוֹן rāṣôn nicht immer positiv konnotiert. Wo es auf Menschen als Subjekt bezogen ist, kann רָצוֹן rāṣôn auch Willkür oder Mutwillen zum Ausdruck bringen (Dan 8,4; Dan 11,3; Dan 11,16; Dan 11,36).

„Wohlgefallen“ kann auch Synonyme von רָצוֹן rāṣôn wiedergeben, wo ein analoger Sachverhalt beschrieben wird (חפץ ḥpṣ „Freude / Gefallen an etwas haben / sich erfreuen“ in 2Sam 15,26; 2Sam 23,5; 1Kön 10,9; Ps 16,3; Jes 66,4; ערב ‘rb „angenehm sein / gefallen“ in Mal 3,4 und רוח rwḥ Hif. in Jes 11,3, das dort in seiner Bedeutung von der Grundbedeutung Qal: „weit sein“, Hif.: „riechen“ abweicht).

2. „Wohlgefallen“ in der Septuaginta

In der → Septuaginta werden רצה rṣh und רָצוֹן rāṣôn am häufigsten mit dem Verb δέχομαι dechomai „annehmen“ und dem dazugehörigen Adjektiv δεκτός dektos „das, was man annehmen kann“, was also „akzeptabel“ ist, und Komposita übersetzt. Häufig sind auch das Verb εὐδοκέω eudokeô „wollen / Lust haben / sich freuen an“ und das dazugehörige Nomen εὐδοκία eudokia „Freude“. εὐδοκία eudokia, das fast ausschließlich auf die Septuaginta beschränkt ist, wo sich auch die ältesten Vorkommen finden, ist womöglich eine Neubildung zur Übersetzung von רָצוֹן rāṣôn. Mit der Übersetzung von רָצוֹן rāṣôn durch θέλημα thelēma geht eine Bedeutungsverschiebung von der gnadenhaften Zuwendung Gottes zu seinem „Willen“, der sich im Kontext oft auf die Weisungen und Gebote Gottes bezieht (Ps 40,9; Ps 103,21; Ps 143,10), einher. Wo χάρις charis („das, was erfreut / gefällt“, aber auch „das Gefallen“, das jemand an etwas oder jemandem hat), das sonst zumeist חֵן ḥen wiedergibt, רָצוֹן rāṣôn übersetzt, bezeichnet es die Gunst oder die Gnade Gottes.

Die im Verhältnis zu רָצוֹן rāṣôn geringere Spezifizität der griechischen Äquivalente wird daran deutlich, dass δέχομαι dechomai „annehmen“ neben רָצוֹן rāṣôn und רצה rṣh auch unspezifische Begriffe wie קבל qbl „annehmen“, לקח lqḥ „nehmen“ oder נשׂה nśh „tragen, auf sich nehmen“ übersetzt, von denen zwei (לקח lqḥ und נשׂה nśh) zu den in der Hebräischen Bibel am häufigsten verwendeten hebräischen Verben überhaupt gehören. Auch das etwas spezifischere εὐδοκέω eudokeô „wollen / Lust haben / sich freuen an“, das auch אבה ’bh „wollen“, חפץ ḥpṣ „wünschen“ oder das inhaltlich schwer zu fassende צלח ṣlḥ (in 1Chr 29,32 am ehesten „gelingen“) übersetzt, wird ebenso in unspezifischen alltäglichen Kontexten verwendet und bezieht sich nicht unbedingt auf eine Beziehung zwischen nicht Gleichgestellten.

Unterschiedliche Übersetzer der Septuaginta zeigen bei der Übersetzung von רָצוֹן rāṣôn und רצה rṣh unterschiedliche Vorlieben. Leviticus verwendet sowohl δέχομαι dechomai und δεκτός dektos (Lev 1,3; Lev 1,4; Lev 7,18; Lev 19,5; Lev 19,7; Lev 22,19; Lev 22,20; Lev 22,21; Lev 22,23; Lev 22,25; Lev 22,27; Lev 22,29; Lev 23,11) als auch εὐδοκέω eudokeô und εὐδοκία eudokia (Lev 26,34.41). Das Sprüchebuch verwendet neben δέχομαι dechomai, δεκτός dektos (Spr 11,1; Spr 12,22; Spr 14,9; Spr 14,35; Spr 15,8; Spr 16,13) und Komposita (προσδεκτός prosdektos in Spr 11,20; Spr 16,15), aber wiederholt auch χάρις charis (Spr 10,32; Spr 11,27; Spr 12,2; Spr 18,22). In den Psalmen werden רָצוֹן rāṣôn und רצה rṣh mit θέλημα thelēma (Ps 30,6; Ps 30,8; Ps 40,9; Ps 103,21; Ps 143,10; Ps 145,19) und mit εὐδοκέω eudokeô (Ps 5,13; Ps 19,15; Ps 51,20; Ps 69,14; Ps 89,18; Ps 106,4; Ps 145,16) wiedergegeben (δέχομαι dechomai). Das Zwölfprophetenbuch hat eine Vorliebe für προσδέχομαι prosdechomai, obwohl auch δεκτός dektos (Mal 2,13) und εὐδοκέω eudokeô (Hag 1,8) je einmal vorkommen. In manchen Büchern lässt sich eine semantische Differenzierung erkennen: In Leviticus werden εὐδοκέω eudokeô und προσδέχομαι prosdechomai (Lev 26,43) für den nichtkultischen und δέχομαι dechomai / δεκτός dektos für den kultischen Kontext gebraucht. Eine ähnliche Tendenz lässt sich im Maleachibuch beobachten, wo in Mal 2,13 δεκτός dektos im kultischen Kontext רָצוֹן rāṣôn, in Mal 2,17 εὐδοκέω eudokeô im nichtkultischen Kontext חפץ ḥpṣ übersetzt. Das Hiobbuch verwendet (im nicht-kultischen Kontext) δέχομαι dechomai oder δεκτός dektos, wo Gott (Hiob 33,26) Subjekt, und εὐδοκέω eudokeô, wo der Mensch (Hi 14,6) Subjekt ist.

Die ausschließlich griechisch überlieferten Bücher der Septuaginta verwenden sowohl δέχομαι dechomai als auch εὐδοκέω eudokeô, ohne dass eine inhaltliche Differenzierung erkennbar wäre. Die Psalmen Salomos schließen sich in ihrer bevorzugten Verwendung von εὐδοκέω eudokeô und εὐδοκία eudokia (PsSal 7,3: θέλημα thelēma) an den Sprachgebrauch der Psalmen an.

3. „Wohlgefallen“ im Neuen Testament

Indem es bevorzugt εὐδοκία eudokia und εὐδοκέω eudokeô verwendet, schließt auch das Neue Testament an den Sprachgebrauch der Psalmen an. Damit geht gegenüber dem Sprachgebrauch des Alten Testaments eine Verengung der Bedeutung einher. In den Evangelien wird εὐδοκέω eudokeô ausschließlich von Gott als Subjekt ausgesagt. Fünf von sechs Vorkommen handeln vom Wohlgefallen Gottes an Jesus als dem Sohn (Mt 3,17; Mt 17,5; Mk 1,11; Lk 3,22) bzw. dem Knecht (Mt 12,18) Gottes. Lk 12,32 handelt von der Sohnschaft der Jünger. Auch das Substantiv εὐδοκία eudokia wird ausschließlich von Gott im Verhältnis zum Menschen ausgesagt (Lk 2,14; Lk 10,21). Im Neuen Testament verwendet einzig der Hebräerbrief εὐδοκία eudokia und εὐδοκέω eudokeô im Opferkontext, und zwar in einer an Jer 14,12 erinnernden kritischen Weise (Hebr 10,6; Hebr 10,8). δεκτός dektos ist im Neuen Testament weit weniger häufig. Von fünf Vorkommen zitieren zwei den Propheten Jesaja (Lk 4,19 zitiert Jes 61,2; 2Kor 6,2 zitiert Jes 49,8).

4. Wirkungsgeschichte in modernen Übersetzungen

Mit der deutschen Übersetzung „Wohlgefallen“ geht eine Bedeutungsverengung der so übersetzten hebräischen und griechischen Begriffe einher. Nicht nur beschreibt „Wohlgefallen“ ausnahmslos eine hierarchische Beziehung, in der Regel die zwischen Gott und Mensch. Es handelt sich um eine positiv konnotierte freie Haltung Gottes zum Menschen, die der Mensch beeinflussen, aber nicht erzwingen kann. Analoges gilt, wo der Begriff ausnahmsweise eine Beziehung unter Menschen beschreibt.

Literaturverzeichnis

1. Lexikonartikel

  • Theologisches Wörterbuch zum Neuen Testament, Stuttgart 1933-1979
  • Theologisches Wörterbuch zum Alten Testament, Stuttgart u.a. 1973-2015
  • Theologisches Handwörterbuch zum Alten Testament, 5. Aufl., München / Zürich 1994-1995
  • Neues Bibel-Lexikon, Zürich u.a. 1991-2001
  • Calwer Bibellexikon, Stuttgart 2003

2. Weitere Literatur

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  • Conzelmann, H. / Zimmerli, W., 1973, Art. χαίρω, χαρά, συγχαίρω, χάρις, χαρίζομαι, χάριτόω, ἀχάριστος, χάρισμα, εὐχαριστέω, εὐχαριστία, εὐχάριστος, in: ThWNT, Bd. 9, Stuttgart u.a., 350-405.
  • Fabry, H.-J. / Lamberty-Zielinski, H., 1989, Art. ערב II/III ‘rb II/III, in: ThWAT, Bd. 6, Stuttgart u.a., 355-359.
  • Gerleman, G., 1979, Art. רצה rṣh, in: THAT, Bd. 2, München u.a., 810-814.
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  • Hausmann, J., 1989, Art. צָלַח ṣālaḥ, in: ThWAT, Bd. 6, Stuttgart u.a., 1042-1046.
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  • Pfammatter, J. 2001, Art. Wohlgefallen, in: NBL, Bd. 3, Zürich, 1121.
  • Schrenk, G., 1967, Art. εὐδοκέω, εὐδοκία, in: ThWNT, Bd. 2, Stuttgart u.a., 736-748.
  • Schrenk, G., 1967, Art. θέλω, θέλημα, θέλησις, in: ThWNT, Bd. 3, Stuttgart u.a., 43-63.

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