Zerstörung Jerusalems (587 v. Chr.)
(erstellt: Januar 2013)
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→
Babylonier
Im Sommer 587 v. Chr. ist →
Jerusalem
1. Die Vorgeschichte
1.1. Josias Ende und das Joch Ägyptens
Syrien und Palästina bilden die Landbrücke, die die Großreiche Kleinasiens und Mesopotamiens mit Ägypten verbindet. Sie gehörte deswegen zum immer wieder umkämpften Interessengebiet dieser Großmächte. Im 8. Jh. haben die expandierenden Assyrer Nord-Israel erobert und zu Provinzen ihres Reiches gemacht. Das südlich angrenzende Juda mit der Hauptstadt Jerusalem konnte seine Selbstständigkeit zwar bewahren, verlor jedoch Teile seines Gebietes und wurde tributpflichtiger Vasall. Als das neuassyrische Reich am Ende des 7. Jh.s unterging, konnte sich Juda unter König →
Josia
1.2. Jojakims Aufstand gegen die Babylonier
Das Joch Ägyptens war jedoch nur von kurzer Dauer. Im Jahr 605 v. Chr. besiegte der babylonische Kronprinz Nebukadnezar, kurz bevor er König wurde (604-562 v. Chr.), in der Schlacht von →
Karkemisch
1.3. Nebukadnezars erste Eroberung Jerusalems (597 v. Chr.)
Jojachin regierte nur drei Monate, dann kapitulierte er. Am 2. Adar des 7. Jahres Nebukadnezars, d.h. im März 597 v. Chr., nahmen die Babylonier die Stadt ein, plünderten sie, insbesondere Palast und Tempel, deportierten Jojachin sowie die oberen Zehntausend nach Babylonien und setzten den 21jährigen Mattanja, den dritten Sohn Josias und damit Onkel Jojachins, als neuen König, der jetzt den Namen →
Zedekia
„Der König von Akkad bot seine Truppen auf und zog nach Ḫattu und schlug gegen Juda (sein Lager) auf und nahm die Stadt am 2. Adar ein. Den König nahm er gefangen. Einen König nach seinem Herzen setzte er darin ein. Seine schwere Abgabe na[hm er entgegen un]d brachte (sie) nach Babylon.“ (HTAT 417).
Dieser Sieg, der die Herrschaft über Palästina und eine weiter südlich verlaufende Grenze gegenüber Ägypten sichern sollte, war für Nebukadnezar so wichtig, dass er in der Babylonischen Chronik als einziges Ereignis des siebten Jahres vermerkt wird.
Zur Datierung: Die Babylonische Chronik und Jer 52,28
2. Die Eroberung und Zerstörung Jerusalems
2.1. Zedekias Aufstand gegen die Babylonier
→
Zedekia
Was Zedekia in den folgenden Jahren erneut zu einem Aufstand gegen die Imperialmacht bewogen hat, wissen wir nicht. Die Heilsaussagen der Zionstheologie mögen ihn ermutigt haben, möglicherweise auch ein Feldzug, den Pharao →
Psammetich II.
Der Feldzug Psammetichs II. ist erst in der kurzen Notiz einer demotischen Erzählung aus dem Jahr 513 v. Chr. belegt (Papyrus Rylands 9, III,15-17 und XIV,16-XV,9; HTAT § 257). Der Priester Petese vermerkt, dass sein Großvater an einem Zug des Pharaos nach Syrien teilgenommen habe. Unklar ist, inwiefern es sich bei dem Zug um ein militärisches Unternehmen oder um eine Wallfahrt handelt. Vgl. Schipper, 242-244.
2.2. Nebukadnezars zweite Eroberung Jerusalems (587 v. Chr.)
Was auch immer Zedekia bewogen hat, er erhob sich gegen den babylonischen König, der ihn einst eingesetzt hatte (
2Kön 24,20
Der Feldzug des Apries ist dann in das Jahr 588 zu datieren. Die Wadi-Brisa-Inschrift Nebukadnezars (TUAT I,4 405), die von einem Verlust des Libanon an einen Feind spricht, bezieht sich vielleicht auf diesen Feldzug. Die Ostraka, die man 1935 in → Lachisch
Am 9.IV. (Tammuz) des 11. Jahres (
Jer 39,2
Erst einen Monat nach der Eroberung Jerusalems und damit in einer sorgfältig geplanten Aktion schickte der babylonische König den Oberst seiner Leibwache namens Nebusaradan nach Jerusalem. Am 7. (
2Kön 25,8
2.3. Die Zerstörung des Tempels
Über den Grund für die Zerstörung des Tempels, die nicht gängiger Praxis entsprach, sondern eine außergewöhnliche Maßnahme darstellte (vgl. Mayer, 1-22), kann man nur spekulieren. Zedekia hatte mit der Einstellung der Tributzahlungen den Vasallenvertrag gebrochen, den Nebukadnezar und er, zugleich aber auf der sakralen Ebene die beiden Staatsgötter →
Marduk
2.4. Exkurs: Probleme der Chronologie: 587 oder 586 v. Chr.?
Die erste Einnahme Jerusalems wird von der Babylonischen Chronik in den letzten Monat des 7. Regierungsjahres Nebukadnezars datiert (s.o.), und damit in den März 597. Mit dem 8. Jahr Nebukadnezars, das kurz darauf im Frühjahr 597 begann (der Jahresanfang wurde im Frühling begangen), fingen dann gleichzeitig das 1. Jahr der Gefangenschaft des deportierten judäischen Königs Jojachin und das 1. Regierungsjahr des neuen judäischen Königs Zedekia an, doch wurde bei der Regierungszeit Zedekias exklusiv, d.h. ohne Berücksichtigung des Akzessionsjahres, bei der Gefangenschaft Jojachins dagegen inklusiv gezählt, wie die Datierung der Zerstörung Jerusalems in 11. Jahr Zedekias (
2Kön 24,18
Lipschits (2005, 74) schließt dagegen aus Jer 52,29
2.5. Die Beteiligung der Edomiter (?)
Fraglich ist, ob das südöstlich von Juda gelegene →
Edom
3. Die Nachgeschichte
3.1. Gedalja
Mit der Verwaltung des eroberten Gebiets beauftragten die Babylonier nach der alttestamentlichen Darstellung einen ihnen loyalen Judäer namens →
Gedalja
Gedalja residierte wohl unter dem Schutz einer babylonischen Truppe nicht in Jerusalem, sondern 15 km nördlich in dem vermutlich kaum in Mitleidenschaft gezogenen Ort →
Mizpa
Nach
Jer 52,30
3.2. Die Lebensverhältnisse in Juda
3.2.1. Das leere Land als literarisches Motiv
Für die Zeit nach den Ereignissen um Gedalja bietet das Alte Testament, wie überhaupt über die politischen Verhältnisse und Ereignisse in Palästina während der neubabylonischen Zeit, keine Informationen mehr. Es will vielmehr den Eindruck erwecken, das Land sei menschenleer gewesen. Nach
2Kön 25,11f
Zum leeren Land als literarischem Motiv vgl. im Blick auf Israel, Juda und Jerusalem: Lev 20,22
3.2.2. Juda in neubabylonischer Zeit
Realistischer scheint es, wenn
Ez 33,24
Die Zahl der Deportierten. Wie groß die Zahl der Deportierten und der in ihrer Heimat verbliebenen Judäer (vgl. 2Kön 25,12
1)
Jer 52,28-30
2)
2Kön 24,14-16
Ob und, wenn ja, welche dieser differierenden Zahlen stimmen, ist kaum zu sagen. Auch allgemeine Überlegungen helfen nicht weiter. Wir können kaum abschätzen, wie groß die Bevölkerung Judas am Anfang des 6. Jh.s war. Ferner sind die Zahlen, die auf archäologischen Oberflächenuntersuchungen basieren, sehr spekulativ. Das gilt erst recht für Berechnungen zur Zahl der Deportierten, die von diesen Bevölkerungsschätzungen ausgehen und für die Zahl der Deportierten einen bestimmten, jedoch kaum begründbaren Prozentsatz der Gesamtbevölkerung ansetzen (zu den spekulativen Berechnungen vgl. z.B. Albertz, 73-80; Kiefer, 67-74, der auf eine Gesamtzahl von 16000 Deportierten unter Nebukadnezar kommt, was „rund 19% der Bevölkerung“ [73] entspreche). Das Einzige, was man sagen kann, ist, dass die Gruppe der Deportierten so groß gewesen sein muss, dass sie in Mesopotamien als Gruppe überleben, ja sich sogar entfalten konnte.
In Juda gab es also weiterhin eine Bevölkerung, auch wenn die Städte zerstört, viele landwirtschaftliche Siedlungen verlassen und die Handelswege unterbrochen waren, vor allem die Bevölkerung drastisch dezimiert war, weil natürlich viele Menschen ihr Leben durch Krieg, Hunger und vermutlich auch Seuchen verloren hatten, andere verschleppt worden waren und wieder andere nicht nur in die Schluchten und Höhlen der Umgebung, sondern auch in entferntere Gegenden Judas oder in Nachbarländer geflohen waren, um der Gewalt der Besatzer zu entgehen und um zurückzukehren, sobald die Lage wieder sicher zu sein schien. Es lässt sich jedoch nicht sagen, wie groß die im Land verbliebene Bevölkerung war, welchen sozialen Schichten sie angehörte und wie sich ihr Leben im Einzelnen gestaltete, und zwar in den zerstörten Städten sowie auf dem flachen Land, in der näheren Umgebung Jerusalems sowie fern der Hauptstadt. Für Jerusalem zeigen immerhin Grabfunde im Hinnomtal (bei der Schottischen Kirche St. Andrews), dass hier nach wie vor sogar begüterte Familien lebten.
Nach der Darstellung von Threni herrschte zumindest in Jerusalem nicht nur während der Belagerung, sondern auch in der Zeit nach der Eroberung schrecklicher → Hunger
Territorialrechtlich und verwaltungstechnisch wurde das kleine Gebiet Judas möglicherweise zunächst der Provinz Samaria zugerechnet und erst in persischer Zeit zu einer eigenen → Provinz
Der Kult ist in Jerusalem trotz der Zerstörung des Tempels nicht völlig zum Erliegen gekommen (vgl. Middlemas, 2007, 30-32). Schon grundsätzlich ist es ganz unwahrscheinlich, dass die Menschen nach der Katastrophe darauf verzichtet haben sollen, Jahwe in Ritualen zu verehren und um ein Ende ihrer Not zu bitten. Auch im Alten Orient wurden Kultstätten nach einer Zerstörung zumindest provisorisch bald wiederhergestellt (vgl. Berlejung, 198.211-219.225). Nach einer Notiz in
Jer 41,5
Exkurs: Diskussion um das „empty land“
Wie tiefgreifend die Zerstörung war und wie die Lebensverhältnisse in Juda in babylonischer Zeit aussahen, ist in der Forschung umstritten. Auf der einen Seite wird die alttestamentliche Vorstellung, dass Juda während der Exilszeit menschenleer gewesen sei, als historisch korrekte Darstellung verstanden, etwa wenn Y. Aharoni schreibt: „Die totale Zerstörung, die Juda erlitten hatte, bedingte für längere Zeit ein Bevölkerungsvakuum.“ (423; vgl. Mazar, 438.459f; Stern, 2002, 55). Seit langem ist jedoch erkannt und weithin opinio communis, dass Palästina in der fraglichen Zeit nicht menschenleer war. M. Noth (Geschichte Israels) schreibt schon 1950: „… so stellte doch die babylonische Gruppe nur einen Außenposten dar, während der zentrale Schauplatz der Geschichte Israels Palästina war und blieb und die im Lande verbliebenen Nachkommen der alten Stämme mit der heiligen Stätte von Jerusalem nicht nur zahlenmäßig die große Masse, sondern auch den eigentlichen Kern Israels bildeten.“ (267; vgl. 263f). Ähnlich urteilt E. Janssen 1956: „Eine große Lücke scheint … die Deportation unter der Bevölkerung nicht gerissen zu haben.“ (39). Für diese Sicht spricht, abgesehen davon, dass ein Abzug aller Menschen und ein menschenleerer Zustand dieses Gebiets grundsätzlich kaum vorstellbar sind, der archäologische Befund.
H.M. Barstad ist 1996 mit seiner Studie „The Myth of the Empty Land“ einen Schritt weiter gegangen: Die Babylonier hätten nur Städte zerstört (47-55) und lediglich geringe Teile der Jerusalemer Oberschicht deportiert. Für den Großteil der Bevölkerung, der auf dem Land lebte, habe die Eroberung kaum Konsequenzen gehabt, für sie sei im Alltag vielmehr alles beim Alten geblieben (42.81; vgl. ders., 2003, 4; ders., 2008, 34; Willi, 26; Blenkinsopp, 2002b, 169-187; Albertz, 2001, 81-85). Mehr noch: „this society must have consisted not only of peasants (even if these would have made up the vast majority of the population in an agrarian society), but also of artisans, traders, village and town elders, scribes, priests and prophets. … we are dealing with … a functioning society, with many of its different political institutions still intact.“ (18f). Mit diesem Bild von relativ normalen Lebensverhältnissen schafft Barstad die Voraussetzung dafür, die Entstehung wichtiger Teile des Alten Testaments in Juda zu lokalisieren (seiner Meinung nach wurde auch → Deuterojesaja
O. Lipschits (2001, 129-142; ders., 2003, 323-376; ders., 2005, 206-271; vgl. Middlemas, 2005, 37-48 bes. 46; dies., 2007, 16-18) kommt über einen auf Grabungen und Oberflächenuntersuchungen basierenden Vergleich der Besiedlung Judas in der späten → Eisenzeit II
L.L. Wilkins (224-232) zeichnet ein etwas anderes Bild, das jedoch weniger auf archäologischen Befunden, sondern vor allem auf theoretischen Überlegungen beruht. Jerusalem und die für den Schutz der Hauptstadt strategisch wichtigen Festungen sowie die Dörfer und Gehöfte des näheren Umlands seien von Kriegshandlungen und Zerstörungen wesentlich stärker in Mitleidenschaft gezogen worden als die weiter entfernt gelegenen Teile Judas, in denen die Bauern nicht für die Versorgung der Besatzungstruppen aufkommen mussten. Je weiter entfernt die Menschen von Jerusalem und der Einfallsroute der Babylonier gelebt hätten, desto weniger seien sie direkt betroffen gewesen, desto schneller hätten sie zum normalen Leben zurückkehren können, desto geringer sei auch ihre Glaubensanfechtung gewesen und desto eher hätten erste Hoffnungen aufkeimen können (vgl. 137).
Vielfach werden Zerstörung und Niedergang sehr viel stärker betont als insbesondere bei Barstad. Unter dem Stichwort „ Babylonian Gap“ verweist man darauf, dass außer im Gebiet Benjamin im Grunde kaum Siedlungsreste aus neubabylonischer Zeit gefunden worden seien (vgl. z.B. Stern, 2000 und 2004), dass die Babylonier – anders als die Assyrer nach der Eroberung Israels 722 – in Juda kaum Überbleibsel, etwa von Verwaltungsbauten, hinterlassen haben und dass sich auch kaum Spuren vom Wiederaufbau zerstörter Städte finden (vgl. z.B. Stern, 2000, 45-51; Vanderhooft, 1999, 110; ders., 2003, 253; Betlyon, 278). Der Befund zeige, dass die Babylonier eine Politik der verbrannten Erde betrieben und kein ökonomisches Interesse an Juda gehabt haben (vgl. Betlyon, 266). Vielmehr hätten sie die Bevölkerung demoralisieren und ihr durch die Vernichtung wichtiger Ressourcen (Saatgut, Pflüge, Zugtiere) auch langfristig schaden wollen (vgl. Faust, 2012, 64f.190-194), vielleicht um das Land für den großen Konkurrenten Ägypten unattraktiv zu machen (vgl. Keel, 775; Stipp, 139). So kommt z.B. B. Oded 2003 in Auseinandersetzung mit Barstad zu dem Ergebnis: „All the lines of evidence converge to the conclusion that Judah was not an empty land, a tabula rasa, during the exilic period. Nevertheless, the population was very small. … Continuity yes, but with a marked decline in quality…. Judah proper was a land with no state or capital, no leaders or elders …, no organized community with political, social, and religious institutions, no priests or prophets …, no significant economic activities or trade …, no cultural or literary activities.“ (71; vgl. Stipp, 136-159). Dementsprechend charakterisiert Valkama (39-59) Juda in der Mitte des 6. Jh.s nicht als „a flourishing civilisation, but rather a self-sustaining rural society with little new building activity“.
A. Faust hat die Kritik an Barstad 2012 (vgl. schon ders., 2003, 37-53) weiter präzisiert: Methodisch gesehen bestehe das Problem darin, dass die babylonische Zeit kein signifikantes Keramikensemble aufweist, welches die Datierung von Siedlungsschichten in genau diese Zeit erlauben würde. Damit wirft er die Frage auf: Gibt es kein spezielles Keramikrepertoire der neubabylonischen Zeit, weil das Land unbesiedelt war, oder ist das Keramikrepertoire dieser Zeit von der Keramik vor 587 nur nicht unterscheidbar und damit nicht erkennbar, weil die Kontinuität in Kultur und Besiedlung sehr groß war, die Ereignisse von 587 mithin keinen Bruch darstellten (2012, 11-16)? Da der Keramikbefund nicht weiterführe, will Faust einen neuen Weg beschreiten: Weil sich die Lage von Gehöften und kleinen Siedlungen (anders als von Städten) kaum nach festen landschaftlichen Bedingungen (etwa Bergkuppen) richte und damit variabel sei, erfolge eine Neuansiedlung allenfalls zufällig am Ort einer älteren Siedlung und deswegen müssten kleine Ortslagen, für die eine Besiedlung vor und nach der babylonischen Zeit nachgewiesen ist, auch während der babylonischen Zeit besiedelt gewesen sein (2012, 34-38). Eine Durchsicht der bislang bekannten, ca. 50 derartigen Ortslagen zeige, dass zwischen der späten Eisenzeit und der persischen Zeit in den einzelnen Gebieten Judas kaum Kontinuität (allenfalls sieben Ortslagen), sondern im Wesentlichen ein Bruch zu verzeichnen sei, während bei vergleichbaren, als Kontrollgruppe herangezogenen Ortslagen im Gebiet von Samaria durchaus Kontinuität nachzuweisen sei (2012, 38-72). Dass der Bruch in Juda innerhalb der genannten Zeitspanne am Anfang der neubabylonischen Zeit erfolgte und folglich mit der Eroberung von 587 zu verbinden ist, zeigt sich nach Faust daran, dass relativ exakt datierbarere griechische Keramik genau ab dieser Zeit fehlt – ein Indiz dafür, dass das internationale Handelsnetz zusammengebrochen sei (2012, 73-92). Außer den Städten seien also auch die ländlichen Ortschaften zerstört, vielleicht auch nur verlassen worden, weil die Bauern in die Städte geflohen, aber nicht zurückgekehrt seien.
4. Gedenktag der Zerstörung Jerusalems: der 9. Av
4.1. Terminierung auf den 9. Av
Juden gedenken der Zerstörung Jerusalems bis heute am 9. Av. Warum ausgerechnet am 9. Av? Nach dem normalen jüdischen Kalender beginnt das Jahr im Herbst mit dem Neujahrsfest am 1. Tischri, nach dem liturgischen jüdischen Kalender jedoch wie nach dem babylonischen im Frühjahr am 1. Nissan. Jerusalem wurde im 5. Monat zerstört, und das ist nach dem liturgischen Kalender der Monat Av (Juli / August).
Sach 8,19
Erstens wurde der Wüstengeneration an diesem Tag verboten, das Heilige Land zu betreten (Num 14; so schon im Targum von
Klgl 1,2
Zweitens haben die Babylonier an ihm im Jahr 587 v. Chr. den Ersten Tempel zerstört.
Drittens haben die Römer ausgerechnet am gleichen Tag im Jahr 70 n. Chr. den Zweiten Tempel zerstört (vgl. Josephus, Bellum Judaicum VI,4,5-8;
Text gr. und lat. Autoren
Viertens haben die Römer nach einer rabbinischen Schilderung, die sicher nicht als historischer Bericht zu lesen ist, am 9. Av des Jahres 135 n. Chr. den Ort Betar, eine 12 km südwestlich der Jerusalemer Altstadt gelegene Hochburg des Bar Kochba Aufstands, erobert und den Widerstand damit niedergeschlagen (vgl. Midrasch zu Klgl 2,2).
Fünftens wird mit dem 9. Av als letzte Katastrophe das „Bepflügen“ Jerusalems verbunden. Der Ausdruck meint, dass eine Stadt dem Erdboden gleichgemacht und das Land damit zugleich für eine neue Gründung vorbereitet wird. Eine Münze illustriert das sehr schön, indem sie neben der Aufschrift „COL(onia) AEL(ia) KAPIT(olina) COND(ita)“ zwei Rinder zeigt. Das „Bepflügen“ Jerusalems meint also die Umwandlung in eine heidnische Stadt unter dem Namen „Colonia Aelia Capitolina“ durch Hadrian im Jahr 135 n. Chr.
Das Gedenken kann weitere Ereignisse einschließen. 1492 n. Chr. wurden die seit Jahrhunderten in Spanien ansässigen Juden durch das sog. Alhambra-Edikt, das Isabella I. von Kastilien und Ferdinand II. von Aragon erlassen hatten, aus dem Land vertrieben. Sie mussten es bis zum 31. Juli des Jahres, dem Vortag des Beginns des 9. Av, verlassen oder sich zum Christentum bekehren. Der 1. Weltkrieg begann am 1. Aug. 1914 mit der Kriegserklärung Deutschlands an Russland. Es war der Tag des 9. Av, der allerdings, da es sich um einen Sabbat handelte, erst am folgenden Tag begangen wurde. Das messianische Judentum gedenkt am 9. Av auch des Todes Jesu.
4.2. Sitten und Bräuche
Der 9. Av ist neben dem Jom Kippur der wichtigste jüdische Fastentag. Schon für die drei vorangehenden Wochen gibt es unterschiedlich streng gehandhabte Bräuche: Man verzichtet auf Hochzeiten, Ausflüge, Musik und – außer am Sabbat – auf Wein und Fleisch. An dem Tag selbst beginnt das Fasten – anders als an anderen Fastentagen – nicht erst am Morgen, sondern schon am Vorabend, dauert also 24 Stunden. Es gelten die gleichen Verbote wie an Tagen, an denen man um einen Verstorbenen trauert. Man darf nicht essen, nicht trinken, sich nicht schminken und keinen Geschlechtsverkehr haben (Taanit 30a). Ferner gibt es die Sitte, sich nicht zu grüßen. Diskutiert wird, inwiefern es erlaubt ist, in der Woche des 9. Av Haare zu schneiden und Kleider zu waschen (Taanit 26b). Man soll auch nicht in der Bibel lesen, da dies ja ein Grund zur Freude ist. Ausgenommen werden von dem Leseverbot jedoch die Bücher →
Hiob
Die synagogale Liturgie des 9. Av ist örtlich und zeitlich im Einzelnen sehr verschieden (Elbogen, 128-130.185f). Am Vorabend wird z.B. der Fußboden der Synagoge mit Asche bestreut und der Vorbeter rezitiert mit halblauter Stimme die Klagelieder Jeremias. Zur Liturgie gehört neben dem Verlesen der Threni der Vortrag von ebenfalls „Klagelieder“ genannten poetischen Elegien, die – sprachlich und motivlich stark vom Buch Threni sowie dessen → Targum
Die Toralesung am Morgen des 9. Av bildet
Dtn 4,25-40
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Abbildungsverzeichnis
- Karte: Juda im Grenzgebiet der Weltreiche Ägypten und Babylonien. © Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart
- Eine Münze Kaiser Hadrians zeigt das „Bepflügen“ Jerusalems. Aus: F.W. Madden, History of Jewish Coinage, and of Money in the Old and New Testament, London 1864, 212
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