Züchtigen
(erstellt: April 2009)
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1. Der kulturelle Kontext
Die Bedeutung von „Züchtigen“ überschneidet sich vor allem mit der von zwei anderen lexikalischen Begriffen. Zum einen wird die Züchtigung als eine von mehreren möglichen Maßnahmen zur → Erziehung
Bei der Wahrnehmung und Auslegung der alttestamentlichen Texte zum Stichwort „Züchtigen“ sind die kulturellen Unterschiede zwischen der damaligen altorientalischen und unserer heutigen Kultur zu bedenken. Als elterliche Erziehungsmaßnahme ist die (körperliche) Züchtigung in unserem Kulturkreis zunehmend ungebräuchlich; schwere Formen stehen mittlerweile unter Strafe. Desgleichen wird sie nicht mehr als gerichtliche Strafmaßnahme verhängt. Aus dieser Sicht betrachtet, mögen die alttestamentlichen Erziehungsvorstellungen oder Strafvorstellungen sehr drastisch oder ungerechtfertigt hart erscheinen. In ihrem eigenen kulturellen Rahmen wurden sie aber anders bewertet. Von den Mitgliedern der altorientalischen, kollektiv ausgeprägten Kulturen wurde ein hohes Maß an Anpassung erwartet und gefordert. Kulturelle und zivilisatorische Projekte konnten nur im Kollektiv bewältigt werden. Verweigerten sich zu viele Mitglieder des Kollektivs (Familie, Dorf etc.) der ihnen zugewiesenen Rolle, konnte die Gemeinschaft als Ganze nicht mehr funktionieren. So wurde die körperliche Züchtigung als Erziehungsmittel eingesetzt, um vor allem junge Menschen zur gesellschaftlich notwendigen Anpassungsleistung zu bewegen.
Einen von der zwischenmenschlichen „Züchtigung“ abgeleiteten Sonderfall des Züchtigens stellt die göttliche Züchtigung dar.
2. Begriffe und Bedeutungen
Es sind vor allem zwei Wortwurzeln, mit deren Hilfe man das Phänomen des „Züchtigens“ im Alten Testament erfassen kann: zum einen יסר jsr (und davon abgeleitet das Substantiv מוּסָר mûsār) und zum anderen יכח jkch (und davon abgeleitet die Substantive תּוֹכֵחָה tôkhechāh und תּוֹכַחַת tôkhachat).
2.1. Die Wurzel יסר „züchtigen / unterweisen“
Die Wortwurzel יסר jsr mit dem Substantiv מוּסָר mûsār umgreift das Wortfeld des Unterweisens (→ Erziehung
Dass jsr / mûsār auch die körperliche Züchtigung einschließt, wird aus dem Kontext deutlich (vgl. Finsterbusch, 67). Einerseits wird auf die Züchtigungsmittel verwiesen, und andererseits werden der Züchtigung Grenzen gesetzt.
Zum einen: In metaphorischer Rede kündigt König → Rehabeam
Zum anderen: Ein betender Mensch äußert die Hoffnung, dass Gott ihn zwar schwer züchtigt, aber nicht töten werde (Ps 118,18
2.2. Die Wurzel יכח „züchtigen / zurechtweisen“
Die hebräische Wortwurzel יכח jkch mit den Substantiven תּוֹכֵחָה tôkhechāh und תּוֹכַחַת tôkhachat hat eine andere Bedeutungsbreite als jsr / mûsār. Die Bedeutung des Verbs jkch geht nach Seeligmann (266f.) vom hebräischen Gerichtsverfahren aus. Das Verb wird ganz überwiegend im Hif. verwendet. Hier bringt es zum Ausdruck, dass jemand zur Rede gestellt wird oder zwei Parteien miteinander ins Gericht gehen. Der Schiedsperson wird mit dem Partizip Hif. מוֹכִיחַ môkîach bezeichnet. Breit bezeugt sind für jkch nicht nur in der weisheitlichen Literatur die Bedeutungen „zurechtweisen / ermahnen / warnen“. Dabei geht es in erster Linie um die Zurechtweisung mit Worten (z.B. Jes 11,4
Dass körperliche Züchtigung gemeint ist, scheint an anderen Stellen durch. JHWH kündigt an, den davidischen König – falls nötig – wie einen Sohn mit menschlichen Ruten und Schlägen zu züchtigen (2Sam 7,14
Weitere Worte, die vereinzelt zur Bezeichnung des körperlichen Züchtigens verwendet werden, sind v.a. die beiden Verben des Schlagens הלם hlm (Ps 141,5
2.3. Septuaginta: παιδεύειν „erziehen“
Die → Septuaginta
3. Gott „züchtigt“ Israel
Von der elterlichen Züchtigung abgeleitet ist die Redeweise von Gott, der Israel durch Züchtigung erzieht (vgl. Kustár). Auf göttliche Züchtigung werden unterschiedliche Formen des Leidens (dazu grundlegend: Sanders; → Leid
4. Fazit
Züchtigung ist im Alten Testament ein akzeptiertes, aber nicht das erste oder gar einzige Mittel der Unterweisung. Erst wenn auf die Stimme (die bis zum drohenden Brüllen reichen kann, Spr 13,1
Literaturverzeichnis
1. Lexikonartikel
- Theologisches Wörterbuch zum Alten Testament, Stuttgart u.a. 1973ff
- Theologisches Handwörterbuch zum Alten Testament, 6. Aufl., München / Zürich 2004
2. Weitere Literatur
- Böckler, A., 1999, Keine väterliche Züchtigung! Zur Exegese von Prov 3,12b, BN 96, 12-18
- Breitmaier, I., 2004, Lehren und Lernen in der Spur des Alten Testaments, Münster
- Branson, R.D., 1982, Art. יסר, in: Theologisches Wörterbuch zum Alten Testament, Stuttgart u.a., III, 688-697
- Finsterbusch, K., 2005, Weisung für Israel (FAT 44), Tübingen
- Kustár, Z., 2002, „Durch seine Wunden sind wir geheilt“ (BWANT 154), Stuttgart u.a., 30-41
- Mayer, G., 1982, Art. יכח, in: Theologisches Wörterbuch zum Alten Testament, Stuttgart u.a., III, 620-628
- Sanders, J.A., 1955, Suffering as Divine Discipline in the Old Testament and Post-Biblical Judaism (CRDSB XXVII), New York
- Seeligmann, I.L., 1967, Zur Terminologie für das Gerichtsverfahren im Wortschatz des biblischen Hebräisch, in: B. Hartmann u.a. (Hgg.), Hebräische Wortforschung (FS W. Baumgartner; VT.S 16), Leiden, 251-278
- Ueberschaer, F., 2007, Weisheit aus der Begegnung. Bildung nach dem Buch Ben Sira (BZAW 379), Berlin / New York
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